Mit feinkörnigen Verlaufsbeobachtungen die Parkinsontherapie verbessern

Morbus Parkinson verläuft bei jedem etwas anders. Eine personalisierte Behandlung erfordert daher zunächst ein exaktes klinisches Profil des einzelnen Patienten. Aufwändige Verlaufsbeobachtungen sollen dafür präzise Daten liefern. Ein 78-jähriger Mann mit Parkinson, Diabetes und überstandenem Herzinfarkt fragt, in welchem Maße sich für ihn Bewegungstraining und Gymnastik gegen seine Parkinsonerkrankung auszahlen. Die Antwort ist nicht einfach, so Professor Bastiaan Bloem von der Universität in Nijmegen in den Niederlanden. Zwar gebe es tausende Artikel zum Nutzen von Sport und Bewegung bei Morbus Parkinson, aber eben nicht mit älteren Patienten, die zusätzlich noch einen Diabetes und eine kardiovaskuläre Erkrankung haben, sagte der Neurologe auf der virtuellen Tagung „Parkinson und Bewegungsstörungen – Highlights Digital“. Ein Grund dafür sei, dass solche Patienten meist nicht in Studien aufgenommen würden. Da finde man in der Regel eher die körperlich fitten, kooperativen und jungen Patienten ohne Begleiterkrankungen. Für individuelle Maßnahmen und Therapien müsse man aber möglichst viele persönliche Daten zu möglichst vielen unterschiedlichen Patienten haben. Dies setzt wiederum ein umfangreiches klinisches Profil der einzelnen Patienten voraus, und hier, so der Experte, gebe es noch einiges zu tun. Verlaufsstudie mit rund 600 Patienten Bloem verwies auf einen Ansatz, der den Verlauf anhand von klinischen Meilensteinen wie dem Gebrauch eines Rollstuhls, einer Demenz oder der Aufnahme in ein Pflegeheim charakterisiert. Danach lassen sich drei klinische Subtypen beschreiben: ein diffus maligner Typ mit einer Lebensdauer von rund 20 Jahren von der Diagnose an; ein milder, motorisch dominierter Typ mit einer Prognose von fast 40 Jahren sowie ein intermediärer Typ mit einer Überlebensdauer von etwa 30 Jahren. Ein anderes Modell erfasst vier Dimensionen: die Motorik zu Beginn, die nichtmotorischen Symptome zu Beginn, die L-Dopa-Response und die motorische Progression. Nach diesem Modell kristallisieren sich vier klinische Typen heraus: Einer ist ein motorisch rasch progredienter Typ mit schlechter L-Dopa-Response, überwiegend symmetrischen motorischen Einschränkungen, schlechtem Geruchssinn, kognitiven Problemen und posturaler Hypotonie. Am langsamsten verläuft die motorische Progression danach bei tremordominanten Patienten mit unilateral eingeschränkter Motorik und recht schlechter L-Dopa-Response. Hinzu kommen zwei Typen mit intermediärer Progression, die sich in der L-Dopa-Response und der Schwere der motorischen Symptomatik unterscheiden. Empfehlung der Redaktion Morbus Parkinson – Themenseite Wie Sie Frühzeichen der Parkinson-Erkrankung erkennen und welche Therapieoptionen es gibt, lesen Sie auf dieser Themenseite. Hier finden Sie Übersichten, News, Interviews und kommentierte Studienreferate. Für Bloem sind solche Charakterisierungen aber noch immer zu grobkörnig, ein Problem sei zudem, dass sie häufig nicht in anderen Studien validiert wurden und viele Merkmale nicht berücksichtigen. Als Beispiel nannte er den geringen Frauenanteil in Parkinsonstudien. Eine Analyse kam zu dem Schluss, dass 53% der Patienten in epidemiologischen Studien und 60% in klinischen Studien Männer sind. Bei Frauen, so Bloem, verläuft die Erkrankung aber häufig anders: Inzidenz und Prävalenz sind geringer, und sie haben häufiger einen tremordominanten Typ. Jedoch leiden Frauen in den späteren Erkrankungsphasen vermehrt an Dyskinesien, motorische Fluktuationen und nichtmotorischen Problemen. Personalisierte Therapie mit Cartoons Für eine feinkörnigere Stratifizierung braucht es also präzise Verlaufsdaten bei unselektierten Patienten. Ärzte um Bloem hoffen genau dies mit dem „Personalized Parkinson Project“ zu erreichen. An der Verlaufsuntersuchung nehmen bisher rund 600 Patienten teil, die regelmäßig Blut-, Liquor- und Stuhlproben zur Verfügung stellen, sich mit moderner Bildgebung ins Gehirn schauen sowie klinisch untersuchen lassen. Die Patienten wurden beim Design der Studie stark miteinbezogen, was auch die Adhärenz gefördert habe: Nach drei Jahren seien immer noch 98% dabei. Der Neurologe hofft, dass mit solchen Studien eines Tages die Frage geklärt werden kann, was Gymnastik einem 78-jährigen Parkinsonpatienten mit Diabetes und überstandenem Herzinfarkt bringt. Er stellt sich ein Programm vor, dass nach Eingabe von Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen und krankheitsbezogenen Faktoren einmal die Progression ohne jegliches körperliche Training und einmal in Abhängigkeit vom Training berechnet. Für die Behandlung und das Management der Patienten darf der prognostizierte Verlauf aber nicht das einzige Kriterium sein, Ärzte sollten vor allem auf die Präferenzen der Betroffenen achten: Für viele stehen nicht unbedingt die motorischen Symptome im Vordergrund, sondern das Sprechen, das Gedächtnis oder Schlafprobleme. Gegen motorische Probleme wie Freezing helfen bei einigen Patienten auch Tricks: Bloem nannte als Beispiel einen Mann, der sich an einem imaginären Seil voranzieht und dann plötzlich wieder gehen kann. Solche Tricks haben die Experten nun gesammelt und stellen sie ihren Patienten in Form kleiner Cartoons zur Verfügung. Sie können dann probieren, welche Methoden bei ihnen am besten wirken – auch das ist letztlich eine Form von personalisierter Therapie. Quelle: Parkinson und Bewegungsstörungen – Highlights Digital. 4.–5. März 2021. Präsidentensymposium: Parkinson Agenda 2030: Individualisierte Diagnose – Individualisierte Therapie. Bastiaan R. Bloem: Clinical deep phenotyping.

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