Chronische T.-whipplei-Infektion: Morbus Whipple und lokalisierte Infektionen
Klinisch können verschiedene Manifestationen einer
T.-whipplei-Infektion unterschieden werden [
2,
3]: (1) Morbus Whipple („classic Whipple’s disease“), (2) lokalisierte Infektionen (z. B. Endokarditis, isolierte Arthritis), (3) akute Infektionen und (4) asymptomatische Träger.
Der Morbus Whipple ist eine infektiöse Multisystemerkrankung, die durch das Bakterium
T. whipplei verursacht wird [
4]. Histologisch ist der Morbus Whipple klassischerweise durch PAS-positive Einschlüsse in Makrophagen der duodenalen Lamina propria
2 gekennzeichnet [
2]. Erstmals beschrieben wurde die Erkrankung im Jahr 1907 von dem US-amerikanischen Pathologen und Nobelpreisträger
3 George Hoyt Whipple [
5]. Interessanterweise gelang die Identifikation des Erregers erst 1992 [
4], ca. 85 Jahre nach der Erstbeschreibung, die Kultivierung erfolgte wiederum erst im Jahr 2000 [
6].
Leitbefunde des Morbus Whipple sind Arthritiden, Diarrhoen und Gewichtsverlust [
2,
3]. Zu Krankheitsbeginn stehen vor allem Gelenkmanifestationen (Prodromalstadium) im Vordergrund, bevor gastrointestinale Symptome typischerweise erst Jahre (6–7 Jahre) später auftreten [
1,
7]. Im weiteren Verlauf kann eine chronische Malabsorption zur Kachexie führen. Die Gelenke zeigen eine Oligo- oder Polyarthritis mit migratorischem Befall und episodenhaftem Charakter (akuter Beginn, etwa 1 Woche anhaltend) [
7,
8]. Vorwiegend sind große Gelenke (v. a. Knie- und Handgelenke) betroffen, während ein Befall kleiner Gelenke (insbesondere Zehengelenke
4) eher für eine primär rheumatologische Grunderkrankung spricht [
7,
8]. In der Regel verlaufen die Arthritiden nicht erosiv, obwohl auch derartige Fälle beschrieben sind [
7,
9]. Darüber hinaus sind auch axiale Befallsmuster im Sinne einer SpA, Sakroiliitis oder Spondylodiszitis berichtet worden [
2,
7,
10,
11]. Zusätzlich können weitere unspezifische Symptome wie Bauchschmerzen, Fieber, Lymphadenopathie und Anämie (chronische Entzündung, Malabsorption) bestehen [
3]. Auch die Entwicklung einer Splenomegalie ist beschrieben [
3]. Interessanterweise betrifft die Erkrankung meistens Männer im mittleren und höheren Lebensalter [
2,
3]. Angesichts der Seltenheit des Morbus Whipple beträgt die mittlere Dauer bis zur Diagnosestellung etwa 7 Jahre [
7]. Das gleichzeitige Auftreten von Diarrhoen oder Gewichtsverlust verkürzt das diagnostische Intervall in der Regel (siehe Fall 4) [
3].
Eine wichtige Krankheitsmanifestation ist die Infektion des zentralen Nervensystems (ZNS) durch
T. whipplei, die ein breites klinisches Spektrum aufweisen (z. B. kognitive Störungen, Kopfschmerzen, Depression) und in bis zu 50 % der Fälle nachgewiesen werden kann [
3,
12]. Es bestehen häufig okkulte ZNS-Infektionen, weshalb bei Diagnosestellung eine Lumbalpunktion mit PCR-Untersuchung des Liquors empfohlen wird [
2,
13]. Als pathognomonisch für eine ZNS-Infektion gelten okulomastikatorische Myorhythmien (okuläre Vergenzbewegungen mit gleichzeitiger Kontraktion der Kaumuskulatur) [
12,
14].
Zusätzlich kann
T. whipplei auch kardiale Strukturen befallen und gilt als häufigster Erreger einer isolierten Blutkultur-negativen (!) Endokarditis [
3,
5]. Die Sicherung der Diagnose gelingt dann durch eine PCR und histopathologische Untersuchung der operierten Klappen mittels PAS-Reaktion und Immunhistochemie [
15‐
17].
In Abgrenzung zur systemischen Verlaufsform des Morbus Whipple sind auch diverse lokalisierte Infektionen durch
T. whipplei beschrieben (z. B. Enzephalitis, Uveitis) [
2]. Anamnestische und klinische Hinweise einer gastrointestinalen Beteiligung fehlen in diesen Fällen und die histologische Untersuchung von Duodenalbiopsaten ist unauffällig. Die Diagnose basiert dann auf der Untersuchung anderer Gewebe oder steriler Flüssigkeiten, z. B. durch den molekularbiologischen Nachweis von
T. whipplei mittels PCR (z. B. Gelenkpunktat) bzw. Histologie mit PAS-Reaktion (z. B. Lymphknoten) [
3]. Aus rheumatologischer Sicht sind hauptsächlich isolierte Gelenkinfektionen (Arthritis) und Spondylodiszitiden bedeutsam [
2]. Übergänge von lokalisierten Infektionen zur systemischen Verlaufsform (Morbus Whipple) mit gastrointestinaler Beteiligung sind beschrieben worden [
15].
Chronische Infektionen durch
T. whipplei mit Gelenkbefall werden häufig als primär entzündlich-rheumatische Systemerkrankung (z. B. RA oder PsA) fehlgedeutet und zunächst immunsuppressiv therapiert. Gerade der refraktäre und progrediente Verlauf „trotz“ Einsatz verschiedener Basismedikamente bei Patient:innen (insbesondere bei männlichem Geschlecht) mit „seronegativer RA“ ist jedoch verdächtig! Hier sollte die Differentialdiagnose einer Infektion mit
T. whipplei auch bei fehlender gastrointestinaler Symptomatik nicht frühzeitig verworfen werden. Stattdessen sollte in diesen Fällen gezielt nach weiteren Krankheitsmanifestationen eines Morbus Whipple (z. B. ZNS-Beteiligung) gefahndet werden. Häufig führt das fehlende Therapieansprechen unter Annahme einer unzureichenden Immunsuppression jedoch zu einer Therapieintensivierung. Eine Verbesserung des klinischen Zustandes bleibt dennoch aus. Diesen Kreislauf gilt es zu durchbrechen, indem „red flags“ als Hinweis auf eine
T.-whipplei-Infektion bei der klinischen Evaluation berücksichtigt werden (Tab.
2).
Tab. 2
„Red flags“ als Hinweis auf eine chronische
T.-whipplei-Infektion [
7,
8,
12,
13]
Chronische seronegative Polyarthritis ohne Ansprechen auf immunsuppressive Therapien (insbesondere bei männlichen Patienten ohne Befall der kleinen Gelenke und persistierender Inflammation sowie Fehlen von Antikörpern gegen zyklische citrullinierte Peptide) |
Migratorische Polyarthritis (seltener Oligoarthritis) der großen Gelenke unklarer Genese mit akuten intermittierenden Episoden (ca. 1 Woche anhaltend) |
Arthritis mit Gewichtsverlust und chronischen Diarrhoen |
Demenz mit supranukleärer Ophthalmoplegie (v. a. vertikal) und Myoklonien |
Okulomastikatorische Myorhythmie oder okulofaziale skelettale Myorhythmie |
Blutkultur-negative Endokarditis |
Diagnostik des Morbus Whipple und lokalisierter Infektionen
Die aktuell in Überarbeitung befindliche deutsche S2k-Leitlinie
5 „Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple“ aus 2015 empfiehlt als erste diagnostische Maßnahme bei Verdacht auf Morbus Whipple eine ÖGD mit histologischer Untersuchung von ≥ 5 Duodenalbiopsaten mittels PAS-Reaktion [
13]. Zur Bestätigung kann eine PCR-Untersuchung der Duodenalbiopsate (auch aus differentialdiagnostischen Gründen
6) ergänzt werden [
13]. Es ist zu betonen, dass eine positive PCR-Untersuchung von Duodenalbiopsaten in Abwesenheit von typischen histologischen Veränderungen die Diagnose eines Morbus Whipple nicht beweist, sondern auch eine reine Kolonisation mit dem Erreger anzeigen kann [
3,
13]. Auf der anderen Seite schließt eine normale Duodenalhistologie eine chronische
T.-whipplei-Infektion nicht aus (wie die beschriebenen Fälle demonstrieren) [
2,
11]. Bei anhaltendem Verdacht sollte bei „chronischer seronegativer Polyarthritis“ eine wiederholte diagnostische Gelenkpunktion betroffener Gelenke mit PCR-Untersuchung auf
T. whipplei angestrebt werden [
11,
13]. Bei Diagnosestellung wird zusätzlich eine Liquoruntersuchung mittels PCR zum Ausschluss einer okkulten ZNS-Infektion in allen Fällen empfohlen [
3,
13]. Untersuchungen von Speichel und Stuhl mittels PCR werden in der Leitlinie aufgrund der möglichen apathogenen Kolonisation nicht empfohlen.
Tison et al. [
11] verzichten im Gegensatz zur deutschen Leitlinie auf die ÖGD und schlagen bei entsprechendem Verdacht und Nachweis von Gelenkergüssen bereits eine initiale Gelenkpunktion mit PCR-Untersuchung („localized Whipple’s arthritis“) vor. Ergänzend empfehlen die Autor:innen als Screeningmethode auch die PCR aus Stuhl und Speichel und befürworten die ÖGD nur bei Hinweisen für systemische bzw. gastrointestinale Manifestationen (Abklärung „classic Whipple’s disease“).
Lagier und Raoult [
2] fügen als weiteren diagnostischen Standard die PCR aus dem Urin hinzu. Als mögliche bildgebende Diagnostik wird die Fluordesoxyglukose-Positronenemissionstomographie(
18F‑FDG-PET)-CT-Untersuchung zur Darstellung von duodenaler Beteiligung, mesenterialer Lymphadenopathie, Endokarditis und Hypometabolismus bei ZNS-Beteiligung vorgeschlagen.
Anhand der präsentierten Fälle wird ersichtlich, dass eine T.-whipplei-Infektion nicht nur einen oligoarthritischen Befall großer Gelenke, sondern eben auch eine symmetrische Polyarthritis kleiner Gelenke mit teils erosivem Verlauf verursachen kann. Unter Umständen erfüllen diese Patient:innen dann formal die ACR-/EULAR-Klassifikationskriterien für die RA.
Vor diesem Hintergrund kann aus Sicht der Autor:innen eine diagnostische Gelenkpunktion inklusive Whipple-PCR bei Oligoarthritis und Anti-CCP-negativer Polyarthritis mit fehlendem Ansprechen auf drei Basismedikamente (davon mindestens ein bDMARD oder tsDMARD) erwogen werden.
Therapie des Morbus Whipple und lokalisierter Infektionen
In der deutschen Leitlinie zur Therapie des Morbus Whipple wird initial eine intravenöse Therapie mit Ceftriaxon 2 g täglich über 14 Tage und anschließender oraler Therapie mit Cotrimoxazol 960 mg 2 × täglich für 1 Jahr empfohlen [
13]. Eine gesonderte Empfehlung für die Therapie der isolierten Arthritis durch
T. whipplei wird nicht beschrieben [
13].
Lagier und Raoult
7 [
2] empfehlen in ihrem Review aus 2018 hingegen eine orale Kombinationstherapie mit Doxycyclin 200 mg täglich und Hydroxychloroquin 600 mg täglich für 1 Jahr. Anschließend wird von den Autoren eine lebenslange Erhaltungstherapie mit Doxycyclin vorgeschlagen. Die lokalisierte Endokarditis und ZNS-Infektion (Enzephalitis) sollen aufgrund des Rezidivrisikos analog zum Morbus Whipple ebenfalls lebenslang therapiert werden. Für den Einsatz von Cotrimoxazol wird keine Indikation gesehen, da dem Trimethoprim das entsprechende molekulare Target bei
T. whipplei fehle und eine Resistenzentwicklung in mehreren Fällen beschrieben wurde [
2]. Im Falle einer lokalisierten Arthritis wird eine orale Kombinationstherapie mit Doxycyclin 200 mg täglich und Hydroxychloroquin 600 mg täglich für 12 bis 18 Monate empfohlen [
2].
Klinisch ist unter der antiinfektiven Therapie kurzfristig (Stunden) auf Jarisch-Herxheimer-Reaktionen zu achten, wie wir es bei einem Patienten (Fall 4) beobachtet haben. Mittelfristig (Wochen) kann ein entzündliches Immunrekonstitutionssyndrom (IRIS) mit lokalisierter (z. B. Arthritis) und systemischer Entzündungsreaktion (z. B. Fieber) auftreten [
13]. Im Falle solcher Symptomatik sollte die Behandlung aufgrund des potenziell tödlichen Verlaufs in einem spezialisierten Zentrum erfolgen.
Die deutsche Leitlinie empfiehlt bei intestinalem Befall eine endoskopisch-bioptische Verlaufskontrolle nach 6 und 12 Monaten antibiotischer Therapie [
13]. Die
T.-whipplei-Arthritis soll klinisch und laborchemisch kontrolliert werden [
13]. Bei initial positivem Liquorbefund sollte nach 12 Monaten eine Verlaufskontrolle durch eine erneute PCR-Untersuchung des Liquors erfolgen [
13].
Beim Morbus Whipple empfehlen Lagier und Raoult hingegen zur Kontrolle (bei fehlenden klinischen Zeichen) die Untersuchung von Stuhl, Speichel und Urin zweimal pro Jahr [
2,
18]. Für die isolierte Arthritis werden lediglich klinische „Verlaufskontrollen“ empfohlen, um einen möglichen Übergang in einen Morbus Whipple mit Indikation zur lebenslangen antibiotischen Therapie zu detektieren [
2]. Möglicherweise kann eine immunsuppressive Therapie für den Übergang eine Rolle spielen [
11]. Bei der Verlaufskontrolle von ZNS-Infektionen könnte auch die
18F‑FDG-PET-CT von Bedeutung sein [
15].