Geringer Erfolg mit Antikörper zur Remyelinisierung bei MS

Der Anti-LINGO-Antikörper Opicinumab war in einer Phase-II-Studie bei Patienten mit fortgeschrittener MS Placebo kaum überlegen. Nur in mittlerer Dosierung sowie bei relativ geringer Krankheitsdauer und -schwere deutete sich ein Nutzen an. Es sind Ergebnisse, über die MS-Experten noch einige Zeit rätseln dürften: In der fünfarmigen Phase-II-Studie SYNERGY mit dem Antikörper Opicinumab profitierten am ehesten noch Patienten mit den beiden mittleren Dosierungen des neuen Präparats, nicht aber in der höchsten und niedrigsten – es deutete sich also eine inverse U-Kurve an. Woran dies liegt, ist völlig unklar. „Es sind noch weitere Untersuchungen nötig“, sagte Dr. Diego Cadavid vom Unternehmen Biogen; er hat die Resultate auf dem MS-Kongress ECTRIMS in London erstmals vorgestellt. Die Forscher um Cadavid hatten sich von dem Antikörper eigentlich eine dosisabhängige klinische Verbesserung der MS-Symptome versprochen. Schließlich soll Opicinumab die Remyelinisierung vorantreiben und damit MS-bedingte Störungen zu einem gewissen Grad rückgängig machen – was natürlich nur gelingt, wenn die demyelinisierten Nervenfasern noch intakt sind. Über 400 Patienten behandelt Der Antikörper richtet sich gegen das Oberflächen-Glykoprotein LINGO-1, welches die Myelinisierung aktiv hemmt. Werden solche Proteine außer Gefecht gesetzt, sollte dies die Myelin-Neubildung beschleunigen. In Tierversuchen klappte dies prima, und auch die RENEW-Studie bei Patienten mit Optikusneuritis lieferte Hinweise auf einen Nutzen. Hier bestimmten die Ärzte die Unterschiede bei der Leitfähigkeit des Nervus opticus zwischen gesundem und betroffenem Auge, gemessen als Vollfeld visuell evoziertes Potential (FF-VEP). Nach etwa einem halben Jahr hatte sich die FF-VEP-Latenz bei doppelt so vielen Patienten mit der Anti-LINGO-1-Behandlung normalisiert wie mit Placebo (53 versus 26 %, wir berichteten). Allerdings handelt es sich bei der Optikusneuritis um eine sehr frische Verletzung der schützenden Axonummantellung. Ob sich auch nach langjähriger MS-Erkrankung Fortschritte durch eine remyelinisierende Therapie erzielen lassen, sollte SYNERGY zeigen. Immerhin 418 MS-Kranke erhielten über 72 Wochen hinweg Placebo oder alle vier Wochen eine Opicinumab-Infusion mit 3, 10, 30 oder 100 mg/kg Körpergewicht. Zusätzlich bekamen alle MS-Patienten eine Behandlung mit Interferon beta-1a. Die Patienten waren im Schnitt 40 Jahre alt und hatten einen medianen EDSS-Wert von drei Punkten, rund 20 % waren an einer sekundär-progredienten MS erkrankt, bei allen mussten im Jahr vor der Studienaufnahme Hinweise auf eine bestehende Krankheitsaktivität aufgetreten sein. Die Forscher um Cadavid schauten nach Verbesserungen beim EDSS-Wert, beim 25-Fuß-Gehtest, beim Nine-Hole-Peg-Test (NHPT) und beim PASAT-3 (3-Second Paced Auditory Serial Addition Test). Beim 25-Fuß-Gehtest wird die Zeit gemessen, die MS-Kranke benötigen, um eine Gehstrecke von 25 Fuß (7,6 Metern) zu bewältigen. Der NHPT bezieht sich auf die Zeit, die nötig ist, um neun Holz- oder Kunststoffdübel in eine vorgefertigte Form zu stecken und anschließend wieder herausnehmen; der PASAT-3 erfasst Informationsverarbeitung, Gedächtnis und Aufmerksamkeit. In der Regel werden den Patienten im Drei-Sekunden-Rhythmus Zahlen genannt, die sie addieren müssen. Der primäre Endpunkt wurde erreicht, wenn die Patienten über drei Monate hinweg eine EDSS-Verbesserung von mindestens einem Punkt erzielten und/oder sich in einem der anderen Tests um mindestens 15 % verbessern konnten. Kein linearer Dosis-Wirkungs-Trend Wie sich zeigte, verbesserten sich jeweils 51 % der Patienten unter Placebo sowie der 3-mg-Dosierung. Etwas höher war der Anteil mit 66 und 69 % in den Gruppen mit 10 und 30 mg Opicinumab. Am schlechtesten schnitten jedoch die Patienten mit der höchsten Dosis ab – hier verbesserten sich nur 41 %, also noch weniger als mit Placebo. Signifikant im Vergleich zum Scheinmedikament war der Unterschied nur in der 30-mg-Gruppe. Das primäre Ziel, einen signifikanten linearen Dosis-Wirkungs-Trend zu beobachten, wurde hingegen verfehlt. Vielmehr deutete sich eine inverse U-Kurve an. Diese Kurve war auch in den Einzelauswertungen zu sehen: Egal ob beim Gehtest, EDSS-Wert, NHPT oder PASAT – die meisten Responder gab es in den 10- und 30-mg-Gruppen, die wenigsten mit 100 mg. Tendenziell schienen jüngere Patienten, solche mit schubförmiger MS und kurzer Krankheitsdauer sowie einer relativ geringen Hirnatrophie am ehesten zu profitieren. Vertragen wurde der Antikörper recht gut, Patienten beklagten allenfalls eine leichte Gewichtszunahme sowie Hypersensibilitätsreaktionen in der 100-mg-Gruppe, sagte Cadavid. Für den Neurologen war die ausgeprägte Placeboantwort ein großes Problem. „Wir hatten hier höchstens eine Responderrate von 40 % erwartet.“ Insgesamt sei es eine sehr schwierige Studie gewesen, in der die Beteiligten viel gelernt hätten. Ob und in welcher Weise das Studienprogramm mit Opicinumab fortgesetzt wird, ist noch unklar. Immerhin lege SYNERGY nahe, dass bestimmte Patientengruppen – jüngere und weniger schwer Erkrankte – von mittleren Dosierungen profitieren könnten. Dies werde wohl in künftigen Studien berücksichtigt, erläuterte Cadavid. Akronyme: RENEW: A Randomized, Double-Blind, Parallel-Group, Placebo Controlled Study to Assess the Efficacy, Safety, Tolerability, and Pharmacokinetics of BIIB033 in Subjects With First Episode of Acute Optic Neuritis SYNERGY: Study to Assess the Efficacy, Safety, Tolerability, and Pharmacokinetics of BIIB033 in Participants With Relapsing Forms of Multiple Sclerosis When Used Concurrently With Avonex.

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