Hit hard and early erneut von Vorteil

Eine möglichst frühe und intensive MS-Therapie lohnt sich: Solche Patienten akkumulieren weniger Behinderungen als jene mit einer Eskalationsstrategie. Dafür spricht eine weitere Registeranalyse. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Nach dem Corona-bedingten Ausfall großer neurologischer Kongresse in diesem Frühjahr werden MS-Experten auch auf die notorischen Diskussionsveranstaltungen zwischen Befürwortern einer Hit-hard-and-early- und einer Eskalationsstrategie verzichten müssen. So erregt die Frage nach dem besten therapeutischen Vorgehen immer wieder die Gemüter, klare Vorgaben gibt es nicht, die Datenlage ist eher mau bis unübersichtlich. Daher setzen viele Ärzte aus Sicherheitsgründen weiter auf eine Eskalationsstrategie und verordnen hochwirksame MS-Mittel erst dann, wenn sie mit den üblichen Basistherapeutika nicht mehr klarkommen – mit einem guten Argument: Warum sollten sich Patienten, die mit solchen Mitteln kaum eine MS-Aktivität zeigen, den Nebenwirkungen eines Induktionstherapeutikums aussetzen? Auf der anderen Seite gibt es zunehmend Hinweise, dass Patienten, die später eben doch ein solches benötigen, dieses wesentlich früher hätten bekommen sollen, da es später nicht mehr zum selben Erfolg führt. Es scheint ein gewisses therapeutisches Fenster zu geben, das sich mit der Zeit schließt. Das Dilemma: Niemand weiß so genau, wer einmal eine Eskalationstherapie benötigt und wer dauerhaft mit Basistherapeutika auskommt. Zumeist mit Natalizumab behandelt Neuen Stoff für die Diskussionsrunden künftiger Kongresse liefern Neurologen um Dr. Anna He von der Universität in Melbourne, Australien. Nach ihren Daten profitieren die Patienten am stärksten von hochwirksamen MS-Mitteln, wenn diese in den ersten beiden Jahren nach Symptombeginn verabreicht werden. Der EDSS-Wert bleibt dann dauerhaft niedrig im Gegensatz zu Patienten mit einer Eskalationstherapie. Die Studie steht im Einklang mit zwei weiteren Registeranalysen, die ebenfalls einen Vorteil bei einem frühen versus späteren Einsatz solcher Mittel sehen. Das Team um He hat sich Angaben des internationalen MS-Registers MSBase sowie des nationalen schwedischen MS-Registers angeschaut. Mehr als 6100 MS-Patienten aus MSBase und 2600 aus Schweden hatten eine Behandlung mit einem hochwirksamen MS-Mittel bekommen. Dazu zählten die Neurologen Rituximab, Alemtuzumab, Ocrelizumab, Natalizumab und Mitoxantron. Empfehlung der Redaktion Neurologische Notfälle – Themenseite Status epilepticus, Schlaganfall oder aber auch Migräne zählen zu den neurologischen Notfällen, mit denen Notärzte konfrontiert werden können. Empfehlungen für die Praxis aber auch aktuelle Nachrichten oder CME-Kurse finden Sie auf der Themenseite. Berücksichtigten sie nur Patienten mit einem Therapiebeginn in den ersten zwei Jahren versus in den Jahren vier bis sechs und mit einer mindestens sechsmonatigen Exposition sowie mehrjährigen Nachbeobachtung, dann schrumpften die Zahlen gewaltig. Die Forscher dampften den Datensatz noch etwas weiter ein, indem sie in jeder Gruppe nur Patienten mit ähnlichen Ausgangscharakteristika gegenüberstellten, also ähnliches Alter bei Krankheitsbeginn oder eine vergleichbare Zahl von Schüben in den ersten beiden Krankheitsjahren sowie vergleichbarer EDSS-Wert (etwa 2,2 und 2,1) in den ersten beiden Jahren (propensity score matching). Übrig blieben noch 213 Patienten mit einer frühen hochwirksamen Therapie (0–2 Jahre nach Krankheitsbeginn) sowie 253 mit einer Eskalationstherapie (4–6 Jahre nach Beginn). Rund drei Viertel aller Patienten beider Gruppen bekamen als hochwirksame MS-Arznei Natalizumab – hierzu liegen bisher die meisten Langzeitdaten vor. Stabiler EDSS-Wert Im sechsten Jahr nach dem Krankheitsbeginn betrug der EDSS-Wert in der Gruppe mit Hit-hard-and-early-Strategie im Schnitt 2,2 Punkte, dagegen waren es mit Eskalationstherapie 2,9 Punkte. Die Differenz erhöhte sich weiter bis zum zehnten Jahr (2,3 versus 3,5 Punkte) und betrug im Mittel rund 1 EDSS-Punkt. Interessant ist, dass sich der EDSS-Wert in der Gruppe mit früher intensiver Therapie über den gesamten Nachbeobachtungszeitraum praktisch nicht änderte. Der Effekt zeigte sich zudem weitgehend unabhängig vom Herkunftsland der Patienten und dem Register. Wurde der Anteil von Patienten mit einer anhaltenden Behinderungsprogression analysiert (mindestens 1 EDSS-Punkt über sechs Monate hinweg), ergaben sich ebenfalls deutliche Unterschiede: Nach zehn Jahren zeigten – gemessen vom Krankheitsbeginn – fast 90% in der Gruppe mit Eskalationstherapie eine Behinderungsprogression, nur rund 30% hingegen in der Gruppe mit früher intensiver Behandlung. Für diese Gruppe berechneten die Forscher ein um 56% reduziertes Risiko für eine Behinderungsprogression bezogen auf den Krankheitsbeginn und ein um 62% geringeres Risiko bezogen auf den jeweiligen Beginn der hochwirksamen Behandlung. Auch das spricht dafür, dass eine hochwirksame MS-Therapie die Erkrankung weniger stark eindämmen kann, wenn sie spät verabreicht wird. Ein klarer Mangel der Analyse ist jedoch die äußerst selektive Auswahl der Patienten. So hatten auch die MS-Kranken in der Gruppe mit Eskalationstherapie eine recht aktive MS (EDSS-Progression auf 2 Punkte in den ersten beiden Jahren) und würden heute vielleicht viel früher eine hochwirksame Behandlung erhalten. Dies stellt also eine Eskalationsstrategie für Patienten mit wenig aktiver MS nicht unbedingt infrage. Immerhin macht die Analyse klar, dass eine frühe hochwirksame Therapie bei aktiver MS deutliche Vorteile bringt. Die Studie bestätigt auch die Resultate eine Longitudinalstudie aus Cardiff, die vor einem Jahr ebenfalls zu dem Schluss kam, besser früh als spät mit hochwirksamen Arzneien zu beginnen, sowie eine Auswertung des MSBase-Registers, wonach solche Patienten auch später eine sekundär-progrediente MS entwickeln als solche mit Eskalationstherapie. Das Wichtigste in Kürze Frage: Was ist die beste Strategie bei MS: „Hit hard and early“ oder eskalieren? Antwort: Eine frühe intensive Therapie ist nach einer Analyse von zwei MS-Registern zumindest bei Patienten mit etwas aktiverer MS von Vorteil. Bedeutung: „Hit hard and early“ scheint sich häufig zu lohnen. Einschränkung: Patienten wurden stark selektiert und hatten zu Beginn eine recht aktive MS, keine kontrollierte Studie

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