MS: Auf Begleiterkrankungen zu achten lohnt sich!

Eine Begleiterkrankung kann die Behinderungsprogression bei multipler Sklerose deutlich beschleunigen. Herzerkrankungen oder Epilepsien verursachen einen Grad der Einschränkung wie drei bis sechs Jahre MS. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Es ist im Prinzip nicht überraschend: Eine schwere Herzerkrankung kann die Gehfähigkeit in ähnlichem Maße beeinflussen wie eine MS und trägt somit deutlich zum Behinderungsgrad bei MS-Patienten bei – was sich im EDSS-Wert bemerkbar macht. Da chronische Begleiterkrankungen mit der Zeit tendenziell eher schlimmer werden, dürften sie auch zur Behinderungsprogression beitragen – unabhängig vom MS-Verlauf. Auf der anderen Seite wäre zu erwarten, dass sich die Behinderungsprogression nicht nur durch eine wirksame MS-Therapie, sondern auch durch eine Behandlung gegen die Begleiterkrankungen bremsen lässt. Wenn Ärzte also nicht nur MRT-Läsionen und Lähmungen im Blick haben, sondern auch Begleiterkrankungen, die zu körperlichen Einschränkungen führen, können sie MS-Kranke zusätzlich unterstützen und dazu beitragen, dass sie möglichst lange eine hohe Lebensqualität behalten. Welchen Beitrag körperliche Begleiterkrankungen zur Behinderungsprogression bei MS-Kranken leisten, hat ein Team um Dr. Tingting Zhang von der Brown-Universität in Providence untersucht. Die Forscher nahmen sich Angaben aus MS-Registern und der gesetzlichen Krankenversicherung in zwei kanadischen Provinzen vor (British Columbia und Nova Scotia). Dort leben rund 5,5 Millionen Menschen. MS um zwei Jahre beschleunigt Das Team um Zhang schaute bei allen Patienten, die zwischen 1991 und Ende 2010 neu in die MS-Register der beiden Provinzen aufgenommen worden waren, nach körperlichen Begleiterkrankungen. In der Regel nahmen die Patienten kurz nach der MS-Diagnose an den Registern teil, ihr EDSS-Wert war also noch sehr niedrig. Die Wissenschaftler um Zhang beobachteten, wie stark sich der EDSS-Wert bei Patienten mit und ohne Begleiterkrankungen in den folgenden Jahren veränderte. Dazu analysierten sie Angaben von knapp 3200 Patienten. Von diesen hatten zu Beginn knapp 15% eine der folgenden Zusatzkrankheiten: ein chronisches Lungenleiden (6,2%), Diabetes (1,3%), Epilepsie (1,0%), Hypertonie (4,9%), Hyperlipidämie (1,4%) oder eine ischämische Herzerkrankung (2,1%). Der Anteil der Patienten mit körperlichen Begleiterkrankungen war also relativ niedrig. Empfehlung der Redaktion 2018 | OriginalPaper | Buchkapitel Multiple Sklerose und andere autoimmune ZNS-Erkrankungen Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) stellen eines der sich am schnellsten entwickelnden Gebiete in der Neurologie dar. Die Entdeckung neuer Autoantikörper hat zur Beschreibung neuer Krankheitsentitäten und zu einer … Auf SpringerMedizin.de können Sie auch Fachbücher online lesen – mit b.Flat! Im Laufe von durchschnittlich 8,4 Jahren stellten die Forscher bei Patienten mit körperlichen Begleiterkrankungen eine signifikant beschleunigte EDSS-Progression fest. So lag der EDSS-Wert zum Studienende pro Begleiterkrankung im Schnitt um 0,18 Punkte höher als ohne. Das klingt nach wenig. Da der EDSS-Wert im Schnitt aber um etwa 0,09 Punkte pro Jahr zunahm, entspricht das einer um zwei Jahre längeren Dauer der MS, oder anders ausgedrückt: Nach acht Jahren hatten MS-Kranke mit einer körperlichen Begleiterkrankung im Schnitt den EDSS-Wert von Patienten mit zehnjähriger MS-Dauer. Besonders rasche Progression bei Herzleiden und Epilepsie Das EDSS-Progressionsrisiko scheint auch von der Art der Begleiterkrankung abzuhängen. Am stärksten wirken sich nach den kanadischen Daten eine ischämische Herzerkrankung sowie eine Epilepsie aus – mit plus drei und plus sechs Jahren. MS-Kranke mit solchen Leiden hatten nach im Schnitt acht Jahren folglich einen EDSS-Wert wie MS-Patienten normalerweise erst nach elf und 14 Jahren. Für Bluthochdruck ergab sich ebenfalls eine Tendenz zu einem schlechteren EDSS-Wert von 0,11 Punkten. Allerdings war das Ergebnis hier nicht statistisch belastbar. Uneinheitliche Resultate lieferten die beiden Provinzregister zu Diabetes, Lungenerkrankungen und Hyperlipidämie: In einer Provinz wurden jeweils niedrigere, in der anderen höhere EDSS-Werte mit solchen Faktoren beobachtet, allerdings waren die Resultate bis auf Diabetes in Nova Scotia (plus vier Jahre EDSS-Progression) nicht signifikant. Die niedrigen Erkrankungszahlen zu Beginn machen eine Interpretation jedoch sehr schwierig. So hatten im Nova-Scotia-Register nur fünf MS-Kranke eine Hyperlipidämie und zwölf eine Epilepsie zum Zeitpunkt der MS-Diagnose. Auch ist schwer zu sagen, ob die Begleiterkrankungen den MS-Verlauf direkt beeinflussen. Die Forscher um Zhang spekulieren, periphere Entzündungsprozesse bei vaskulären Erkrankungen könnten die Entzündung im Gehirn befeuern und zur verstärkten Hirnatrophie beitragen. Für Epilepsie scheint der Zusammenhang klar: Es ist primär dasselbe Organ wie bei MS betroffen. Der ausgeprägte Effekt einer Epilepsie auf den EDSS-Wert ist also plausibel. Wie sieht es nun aber mit der Hoffnung aus, eine Therapie der Begleiterkrankungen könnte deren Auswirkung auf die Behinderungsprogression bremsen? Dafür fanden die Forscher um Zhang in ihren Daten keine Belege – Patienten mit und ohne Begleittherapie schienen ähnlich rasch ihren EDSS-Wert zu steigern. Doch auch hier erschweren die niedrigen Zahlen eine Interpretation, zudem dürften die Patienten ohne Begleittherapie auch weniger stark erkrankt gewesen sein. Die beiden Gruppen lassen sich also nicht so einfach vergleichen. Umgekehrt könnte der fehlende Effekt einer Hyperlipidämie auf die Behinderungsprogression auch mit einer Statintherapie zusammenhängen. So ließ sich etwa in der Studie MS-STAT die Hirnatrophie bei Patienten mit sekundärprogredienter MS mit 80 mg/d Simvastatin deutlich bremsen, und der EDSS-Wert blieb über zwei Jahre hinweg stabil. Auch aus solchen Gründen könnte sich eine konsequente Therapie der Begleiterkrankungen für MS-Kranke lohnen. Das Wichtigste in Kürze Frage: Welchen Einfluss haben körperliche Begleiterkrankungen auf die Krankheitsprogression bei MS? Antwort: Bei einer Begleiterkrankung entspricht der EDSS-Wert nach acht Jahren dem nach üblicherweise zehn Jahren. Bedeutung: Ärzte sollten Begleiterkrankungen konsequent angehen. Einschränkung: Retrospektive Analyse, sehr kleine Fallzahlen.

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