Höheres ALL-Risiko unter Lenalidomid?

Daten aus randomisierten kontrollierten Studien und einer Pharmakovigilanzdatenbank legen nahe, dass eine Lenalidomid-haltige Therapie bei Myelomerkrankten das Risiko für eine akute lymphatische Leukämie erhöhen kann. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die immunmodulierende Substanz (IMiD) Lenalidomid ist ein wichtiger Bestanteil verschiedener moderner Regime zur Behandlung des multiplen Myeloms (MM). Gleichzeitig besteht unter einer Therapie mit Lenalidomid ein erhöhtes Risiko für Zweitmalignome (SPM, „secondary primary malignancy“) wie eine akute myeloische Leukämie (AML). Während man dieses AML-Risiko insgesamt ganz gut kenne, sei das Risiko für eine Lenalidomid-assoziierte akute lymphatische Leukämie (ALL) bisher weniger gut verstanden, konstatieren Forscherinnen und Forscher um Pierre-Marie Morcie vom Caen-Normandie-Universitätsklinikum in Frankreich. Er und sein Team haben daher verschiedene Datenquellen durchgesehen und kommen zu dem Schluss: Eine Behandlung mit Lenalidomid erhöhe bei Personen mit MM das Risiko, dass sich eine ALL entwickele, die ggf. als Lenalidomid-assoziierte, eigenständige Entität abzugrenzen sei. Das Risiko für eine solche Lenalidomid-assoziierte ALL fiele zwar insgesamt nur klein aus, verdiene aufgrund seiner potenziell gravierenden Folgen aber ein entsprechendes Monitoring, resümieren die Forschenden. Ergebnisse im Detail Morcie und seine Kolleginnen und Kollegen haben für ihre Untersuchung zwei Datenquellen genutzt: Die Forschenden haben 18 randomisierte kontrollierte klinische Studien (RCTs) metaanalytisch ausgewertet, in denen bei Personen mit MM (n = 5.980) ein Lenalidomid-haltiges Behandlungsregime (n = 3.265) mit einer Kontrolltherapie oder Beobachtung (n = 2.715) verglichen worden war. Über alle Studien hinweg war das ALL-Risiko unter einer Lenalidomid-haltigen Therapie statistisch signifikant erhöht (Peto Odds Ratio [POR] 4,48); das traf auch zu, wenn das Team seine Analyse auf Studien beschränkte, in denen der Komparator Placebo war (POR 3,82). Die Inzidenz für eine Lenalidomid-assoziierte ALL lag bei 1,09%, wenn alle RCTs berücksichtigt wurden, und – aufgeschlüsselt nach Art des Vergleichsarms – bei 1,41% (Komparator Placebo), 1,68% (Komparator Chemotherapie ± Stammzelltransplantation) und 0,46% (Komparator Beobachtung). Über alle 18 RCTs hinweg waren 20 Fälle von ALL aufgetreten, 18 in einem Lenalidomid-Arm und 2 in einem Kontrollarm. Zusätzlich suchten die Forscherinnen und Forscher um Morcie in VigiBase, der Pharmakovigilanzdatenbank der Weltgesundheitsorganisation (WHO), nach medikamentenassoziierten ALL-Fällen, die bis zum Stichtag 1. März 2024 gemeldet worden waren. Von 2.155 solcher Fälle standen 269 (12%) gemäß VigiBase im Zusammenhang mit einer Lenalidomid-Behandlung (Hauptgrund für die Lenalidomid-Therapie war das MM). Das Team räumt aber ein, dass sich aufgrund der begrenzenten Informationen, die in VigiBase verfügbar sind, formal ein kausaler Zusammenhang von Lenalidomid und ALL nicht ableiten lasse. Die meisten Betroffenen waren Männer (60%). In 100 von 269 Fällen waren Daten zum Verlauf verfügbar, zu denen Morcie und seine Kolleginnen und Kollegen schreiben: „42 Patientinnen und Patienten erholten sich nicht von der ALL, 34 wurden als ‚genesen‘ oder ‚in Genesung‘ gemeldet, und 24 starben“. Empfehlung der Redaktion Hämatologische Neoplasien – Themenseite Diese Themenseite widmet sich den bösartigen Erkrankungen des Blutes, der Lymphknoten und des lymphatischen Systems. Sie finden Nachrichten, Kasuistiken, Übersichten und mehr. Wie könnte Lenalidomid das ALL-Risiko erhöhen? Morice und sein Team diskutieren verschiedene in der Literatur dokumentierte Befunde, darunter auch solche aus In-vitro-Versuchen, die ggf. erklären könnten, wie es unter einer Lenalidomid-Therapie zu einer ALL kommen kann. Auch wenn der Pathomechanismus derzeit nur unzureichend verstanden sei, deuteten erste Erkenntnisse daraufhin, dass TP53-Mutationen und CHIP („clonal hematopoiesis of indeterminate potential“) daran beteiligt sein könnten, schreiben Morice und sein Team. Vereinfacht formuliert würde das bedeuten, dass Lenalidomid die Selektion von TP53-mutierten Klonen von hämatopoetischen Stammzellen (HSC) bzw. frühen Vorläuferzellen begünstigt, aus denen schlussendlich eine ALL hervorgehen könnte. Interessanterweise seien 7% der Lenalidomid-assoziierten ALL-Fälle bei Patientinnen und Patienten mit Nicht-MM-Erkrankungen gemeldet worden, berichten die Forschenden um Morice. Dies unterstreiche, dass nicht nur die Medikamentenexposition, sondern auch der genetische Hintergrund und die Krankengeschichte der Betroffenen an der Entwicklung von ALL beteiligt sein könnten. „Weitere Studien sind erforderlich, um das Risiko und die Inzidenz von Lenalidomid-assoziierter ALL bei Nicht-MM-Erkrankungen besser zu verstehen, sowie um die Dauer der Lenalidomid-Exposition festzulegen und potenzielle Medikamentenkombinationen zu identifizieren, die dieses Risiko erhöhen könnten“, schließt das Studienteam. Das Wichtigste in Kürze Frage: Erhöht eine Lenalidmomid-haltige Therapie bei Personen mit multiplem Myelom (MM) das Risiko für eine akute lymphatische Leukämie (ALL)? Antwort: Eine Metaanalyse von einschlägigen randomisierten, kontrollierten, klinischen Studien (RCTs) und Pharmakovigilanzdaten spricht dafür, dass dem so ist. Die Inzidenz einer Lenalidomid-assoziierten ALL lag über alle 18 analysierten RCTs bei 1,09%. Bedeutung: Das Studienteam plädiert dafür, die ALL als seltene, aber schwere Komplikation einer Lenalidomid-haltigen Therapie im Blick zu behalten und weiter zu untersuchen. Einschränkung: Analyse nur als Research Letter publiziert. Heterogener Follow-up in den RCTs. RCTs waren nicht für ALL-Ereignisse gepowert. Kausaler Link von Lenalidomid und ALL in VigiBase formal nicht ableitbar.

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