Genaue Prognose bei Multiplem Myelom erfordert wiederholte Risikoeinschätzung

Die Prognose von Patienten mit multiplem Myelom hängt nicht allein von den Umständen zum Zeitpunkt der Erstdiagnose ab. Sie ändert sich abhängig von der weiteren Überlebenszeit – und der sich ändernden oder konstanten Krankheitssituation. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Wie lange Patienten mit multiplem Myelom insgesamt überleben werden, beurteilen Mediziner üblicherweise – wie bei anderen Tumorarten auch – anhand diverser Parameter zum Diagnosezeitpunkt. Für Patienten, die bereits eine gewisse Zeit nach der Diagnose überlebt haben, fallen diese Schätzungen aber womöglich zu pessimistisch aus, weil in die Kalkulation auch die Daten der vorher verstorbenen Patienten eingeflossen sind. Mediziner der Universität Freiburg haben sich der Prognose von Patienten mit multiplem Myelom daher auf andere Weise genähert. Statt sich auf das Gesamtüberleben zum Diagnosezeitpunkt zu beschränken, berechneten Maximilian Schinke und Kollegen das „bedingte Überleben“ (conditional survival) der Patienten. Gemeint ist damit die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient noch weitere x Jahre lebt, wenn er bereits y Jahre überlebt hat. Schinke und Mitarbeiter nahmen sich dazu die Daten von 815 konsekutiven Patienten mit multiplem Myelom vor. Sie waren median 62 Jahre alt und wurden 10,3 Jahre nachbeobachtet. In der Abschätzung des bedingten Überlebens zeigte sich, dass mit der Zeit offenbar eine Selektion von Patientengruppen mit günstigerem Risiko erfolgt. So betrug das Gesamtüberleben zum Diagnosezeitpunkt im Median 5,1 Jahre. Patienten, die bereits ein Jahr überlebt hatten, hatten median weitere 5,2 Jahre vor sich. Und wer drei bzw. fünf Jahre überlebt hatte, konnte median mit weiteren 5,4 bzw. 5,7 Jahren rechnen. Die mediane Gesamtüberlebenszeit war damit mehr oder weniger unabhängig von der bereits überlebten Spanne. Einfluss von Progression und anderen Faktoren Dabei spielte es allerdings durchaus eine Rolle, wie sich diverse Parameter entwickelten. Für Patienten, bei denen die Krankheit bis dahin nicht fortgeschritten war, betrugen die mittleren Überlebenszeiten nach einem, drei und fünf Jahren 6,0, 6,8 und 7,8 Jahre. War hingegen bis zur jeweiligen Zeitmarke eine Progression eingetreten, betrugen die Überlebensspannen 2,7, 3,2 und 3,8 Jahre. Bei anderen Faktoren hatten Veränderungen in der Zeit ebenfalls Einfluss. So war es etwa zum Diagnosezeitpunkt nicht relevant, ob der Hb-Wert unter oder über 10 g/dl lag. Jeweils etwa die Hälfte der betroffenen Patienten überlebte die folgenden fünf Jahre. Auch auf das bedingte Überleben nach fünf Jahren hatte der Ausgangs-Hb-Wert keinen Einfluss. Wurde der Hb-Wert allerdings nach fünf Jahren erneut bestimmt, machte sich eine Differenz bemerkbar: Von den Patienten mit einem Hb-Wert von dann mehr als 10 g/dl überlebten 60%, von den Patienten mit niedrigerem Hb aber nur 33% die kommenden fünf Jahre. Ähnlich verhielt es sich mit anderen Größen, etwa dem Karnofsky-Performance-Status und dem Kreatininwert. Im Gegensatz dazu nivellierten sich Unterschiede in der Prognose, die mit Alter und Krankheitsstadium zusammenhingen, mit der überlebten Zeit. Beispielsweise betrug die Wahrscheinlichkeit, fünf Jahre zu überleben, für Patienten im Stadium I zum Diagnosezeitpunkt 65% und für Patienten im Stadium II oder III 44%. Fünf Jahre später lag die gleiche Wahrscheinlichkeit für die dann noch Lebenden bei 58% vs. 50%. Das Fazit von Schinke et al. lautet daher: „Regelmäßiges Risikoassessment über den gesamten Krankheitsverlauf hinweg sorgt für eine verlässlichere Schätzung des bedingten Überlebens von Patienten mit multiplem Myelom als die Beurteilung allein zum Diagnosezeitpunkt.“ Das Wichtigste in Kürze Frage: Was bringt der Ansatz des „bedingten Überlebens“ für die Beurteilung der Prognose von Patienten mit multiplem Myelom? Antwort: Die Schätzung des weiteren Überlebens abhängig von der bereits überlebten Zeit zeigt eine Selektion günstigerer Risikogruppen. Die median zu erwartende Überlebensspanne nimmt daher nicht ab. Bedeutung: Es ist wichtig, die Prognose von Patienten mit multiplem Myelom nicht nur von der Merkmalskonstellation zum Diagnosezeitpunkt abhängig zu machen, sondern Risikoparameter wiederholt zu bestimmen und in die Prognose einfließen zu lassen. Einschränkung: Systematische Verzerrungen durch Einbezug von Patienten eines einzigen Zentrums sind nicht auszuschließen.

Springer Medizin

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