Die Resistenzlage bei Antibiotika ist kritisch

Zum Thema Inhalt Infektionen durch multiresistente gramnegative Erreger (MRGN) können rasch lebensbedrohlich werden. Dies zeigt der Fall einer Patientin, die in tiefer Neutropenie nach Chemotherapie bei akuter myeloischer Leukämie eine 3MRGN-Pseudomonas-aeruginosa-Phlegmone des rechten Fußes entwickelte. Trotz antibiogrammgerechter antimikrobieller Therapie mit Ceftazidim/Avibactam kam es zum septischen Schock. Durch eine prolongierte Kombinationstherapie mit Cefiderocol, Colistin und Tigecyclin wurde schließlich eine Stabilisierung erreicht. Im weiteren Verlauf trat eine Osteomyelitis D4/D5 rechts auf. Im chirurgischen Resektat wurde erneut eine 3MRGN-Pseudomonas-aeruginosa-Infektion detektiert, die mit Cefiderocol über zehn Tage erfolgreich behandelt werden konnte. Kasuistik: 3MRGN-Pseudomonas-aeruginosa-Phlegmone/Osteomyelitis Cefiderocol bei multiresistenten gramnegativen Erregern Interview „Kurz nachgefragt“ mit Dr. Michael Serries, Bonn Antibiotika verlieren seit einiger Zeit durch die Verbreitung multiresistenter Bakterienstämme dramatisch an Wirksamkeit, was sich in den letzten Jahren in einer weltweiten Zunahme von Infektionen mit diesen Erregern widerspiegelt [1]. Besonders problematisch ist dabei das vermehrte Auftreten von Resistenzen bei gramnegativen Stäbchenbakterien [2, 3]. Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) unterscheidet bei den multiresistenten gramnegativen Erregern (MRGN) die beiden Gruppen 3MRGN bzw. 4MRGN. Als 3MRGN werden gramnegative Stäbchenbakterien bezeichnet, die resistent sind gegen drei der vier Standard-Antibiotikagruppen: Acylureidopenicilline, Cephalosporine der 3. und 4. Generation, Carbapeneme und Fluorchinolone. 4MRGN-Erreger zeigen Resistenzen gegen Wirkstoffe aller vier Gruppen und auch eine Panresistenz [4]. Risikofaktoren für MRGN-Infektionen Klinisch muss zwischen einer Kolonisation und einer relevanten Infektion mit multiresistenten Erregern unterschieden werden. Eine Vielzahl anerkannter Risikofaktoren erhöhen die Gefahr einer Besiedlung oder Infektion mit MRGN deutlich. Dazu zählen eine vorangegangene Antibiotikatherapie, ein langer Krankenhausaufenthalt oder eine Behandlung auf der Intensivstation. Ein weiterer Risikofaktor ist die Immunsuppression, entweder durch eine zugrundeliegende Erkrankung oder durch eine vorangegangene Chemo- bzw. Immuntherapie. Potenzielle Risikofaktoren für eine Infektion mit MRGN-Erregern sind auch offene Wunden sowie einliegendes Fremdmaterial wie Dauerkatheter und Prothesen [5]. Insbesondere für die Behandlung von MRGN-Bakterien ist die Entwicklung neuer Antibiotika von essenzieller Bedeutung. Zu den zuletzt zugelassenen Reserveantibiotika gehört u. a. das bakterizide Siderophor-Antibiotikum Cefiderocol (Fetcroja®) [6]. Wirksam gegen multiresistente Bakterien Cefiderocol ist ein Siderophor-Cephalosporin, das gegen alle relevanten multiresistenten aeroben gramnegativen Erreger wirkt. Zu diesen zählen die Carbapenem-resistenten Erreger Acinetobacter baumannii, Pseudomonas aeruginosa und Enterobacterales (z. B. Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae) sowie Stenotrophomonas maltophilia. Mit seinem besonderen Zelleintrittsmechanismus kann es die drei maßgeblichen Resistenzmechanismen gramnegativer Bakterien – Betalaktamasen, Veränderungen der Porinkanäle, überexprimierte Effluxpumpen – überwinden. Damit ist Cefiderocol auch bei MRGN wirksam, die gegen neue Betalaktam-/Betalaktamase-Inhibitor-Reserveantibiotika (BL/BLI) wie z. B. Ceftazidim/Avibactam, Ceftolozan/Tazobactam resistent sind. Zugelassen ist Cefiderocol zur intravenösen Behandlung von Infektionen durch aerobe gramnegative Erreger bei Erwachsenen, wenn nur begrenzte Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen [6]. Kasuistik Cefiderocol bei 3MRGN-Pseudomonasaeruginosa-Phlegmone/Osteomyelitis Fallbeispiel von Dr. Michael Serries, Facharzt für Innere Medizin, Notfallmedizin, Medizinische Klinik III – Universitätsklinikum Bonn. Eine 44-jährige Patientin wurde im Juli 2023 mit dem Verdacht auf eine akute Leukämie aufgrund einer Leukozytose aus einem externen Krankenhaus an das Universitätsklinikum verlegt. Im Rahmen der weiteren Untersuchungen bestätigte sich die Diagnose einer akuten myeloischen Leukämie (AML) mit FLT3-ITD und NPM1-Mutation. Therapie Im August 2023 erfolgten eine Standard-Induktionschemotherapie nach dem „7+3“-Schema (7 Tage Cytarabin, 3 Tage Daunorubicin) sowie eine orale Therapie mit Midostaurin. Während der 33-tägigen Aplasie entwickelte die Patientin eine Pneumonie, die bei fraglicher Penicillinallergie zunächst mit Meropenem und im Verlauf mit Linezolid behandelt wurde. Auf der onkologischen Normalstation wurde ein MRGN-Screening gemäß geltender Richtlinien vorgenommen, die Befunde waren durchweg regelgerecht. Die nach der Regeneration des Blutbildes erfolgte Knochenmarkspunktion ergab zytologisch eine komplette Remission bei fortbestehender MRD (Minimal Residual Disease)-Positivität (NPM1-positiv, FLT3-negativ). Daher erfolgte im Oktober erneut eine Induktionschemotherapie nach dem „7+3“-Schema. Infektiologischer Verlauf Während der zweiten Induktionschemotherapie wurde im Routinescreening (Stuhl- und Analabstrich) ein 4MRGN-Citrobacter freundii mit Carbapenemase OXA48 und 3MRGN-Pseudomonas aeruginosa im Analabstrich ohne Hinweis auf das Vorliegen einer OXA48-, KPC-, VIM-, NDM-1- oder IMP-1-Carbapenemase nachgewiesen (Tab. 1). Die Erreger wurden initial als nicht klinisch relevant gewertet, weshalb lediglich eine krankenhaushygienische Einzelzimmerisolierung erfolgte. Tab. 1 Ergebnisse des infektiologischen Routinescreenings während der zweiten Induktionschemotherapie (Quelle: Dr. Serries) Springer Medizin Verlag GmbH × In Neutropenie klagte die Patientin über schmerzende D4/D5 am Fuß rechts, ohne sichtbare Hauteffloreszenz und ohne erhöhte Infektparameter. Am darauffolgenden Tag manifestierte sich eine spontan eröffnende blutige Bulla. Bei Verdacht auf eine Phlegmone in Aplasie wurde empirisch mit Meropenem und Vancomycin begonnen. Die CT-morphologische Untersuchung bestätigte den Verdacht der Phlegmone, während die MRT-morphologische Untersuchung eine Osteomyelitis ausschließen konnte. Im tiefen Wundabstrich konnte der oben beschriebene 3MRGN-Pseudomonas aeruginosa nachgewiesen werden, sodass die Therapie antibiogrammgerecht auf Ceftazidim/Avibactam umgestellt wurde. Infolge der Progredienz des Hautbefundes mit Rötung bis zum Sprunggelenk, erfolgte eine operative Entlastung. Operativ konnten weder ein Abszess noch eine Fasziitis festgestellt werden. In Anbetracht des progredienten Verlaufs wurde Colistin hinzugefügt. Im weiteren Verlauf manifestierte sich eine signifikante klinische Verschlechterung, die mit Fieber bis 40°C, respiratorischer Insuffizienz Typ I und hämodynamischer Instabilität einherging. Im septischen Schock wurde die Patientin auf die Intensivstation verlegt. Hier waren eine Katecholamingabe und eine High-Flow-O2-Therapie notwendig. Bei klinischer Instabilität wurde eine Umstellung der antibiotischen Therapie von Vancomycin auf Tigecyclin vorgenommen, um eine fragliche neutropene Enterokolitis mitzubehandeln. In einer erneuten OP wurde im intraoperativen Wundabstrich weiterhin der bekannte 3MRGN-Pseudomonas aeruginosa nachgewiesen. Bei weiterer Verschlechterung des klinischen Zustandes und eines progredienten Hautbefundes wurde die Behandlung mit Ceftazidim/Avibactam nach acht Tagen abgebrochen und stattdessen eine Therapie mit Cefiderocol eingeleitet. Somit war die neutropene Patientin antimikrobiell mit einer Dreifachkombination aus Cefiderocol, Colistin und Tigecyclin abgedeckt. Unter dieser Kombinationstherapie bei potenziell zwei Infektfokussen stabilisierte sich die Patientin zunehmend. Typische Cefiderocol-Nebenwirkungen wie eine Hypernatriämie, eine Clostridium difficile-assoziierte Diarrhö oder zerebrale Krampfanfälle traten in diesem Fall nicht auf. Letztendlich entschied man sich interdisziplinär gegen das „sensibel bei erhöhter Dosis“ getestete Cefepim, da zum einen in diesem Fall unklar war, ob nur der 3MRGN-Pseudomonas aeruginosa eine klinische Relevanz hatte oder auch der beschriebene 4MRGN-Citrobacter freundii mit Cefepim-Resistenz, und da zum anderen die MHK mit 8 mg/l auf dem Breakpoint zur Bewertung „resistent“ lag. Bei neu aufgetretenen starken Schmerzen im rechten Fuß wurde ambulant eine Osteomyelitis im MRT nachgewiesen (Abb. 1). Daher erfolgte die Amputation der D4/D5 rechts. Es wurde eine kalkulierte antimikrobielle Therapie mit Cefiderocol begonnen, die nach Bestätigung des 3MRGN-Pseudomonas aeruginosa im OP-Resektat über insgesamt 10 Tage fortgeführt wurde. Unter der antimikrobiellen Therapie normalisierten sich die Klinik und das Infektniveau rasch. Trotz der prolongierten antimikrobiellen Behandlung während des vorherigen Klinikaufenthalts zeigte das Antibiogramm keine neuen Resistenzen. In Anbetracht des hochgradig komplikativen Verlaufs wurde eine Fortführung der Chemotherapie bei Komplettremission der AML trotz des hohen Rezidivrisikos vorerst verschoben. Eine erneute Konsolidierungschemotherapie wurde im Verlauf von der Patientin abgelehnt, sodass die AML rezidivierte. Infolge einer chronischen Thrombopenie kam es zu einer fulminanten Kleinhirnblutung mit letalem Ausgang. Abb. 1 Magnetresonanztomographische Aufnahme des rechten Fußes der Patientin vor der Amputation von D4/D5 Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum Bonn × Abschließende Beurteilung Die derzeitige Datenlage zu neutropenen Patientinnen und Patienten im septischen Schock aufgrund von MRGN-Infektionen erlaubt keine eindeutige Empfehlung für eine Antibiotika-Kombinationstherapie. In Fällen mit schweren und therapieresistenten Verläufen sollte diese Möglichkeit jedoch in Betracht gezogen werden, da die Letalität insbesondere bei Betroffenen mit Neutropenie hoch ist. Eine enge Zusammenarbeit zwischen dem klinischen Personal und den Fachbereichen der Mikrobiologie bzw. des Antibiotic Stewardship ist in diesem Kontext essenziell. Für Cefiderocol konnte eine hohe In-vitro-Aktivität gegenüber verschiedenen pathogenen Spezies, darunter Pseudomonas und Acinetobacter, nachgewiesen werden. Die Übertragung von In-vitro-Daten auf die Klinik ist mit Vorsicht zu betrachten, doch konnte für Cefiderocol bereits in verschiedenen Real-World-Settings eine hohe In-vivo-Aktivität bestätigt werden [7–11]. Fazit für die Praxis Hämato-onkologische Patientinnen und Patienten haben ein besonders hohes Risiko, an einer Sepsis oder einer Infektion mit multiresistenten Bakterien zu erkranken. Eine interdisziplinäre Behandlung mit der Mikrobiologie bzw. unter Beachtung des Antibiotic Stewardship ist unerlässlich. Die alleinige Aussagekraft eines Antibiogramms hinsichtlich des klinischen Erfolgs ist begrenzt. Alle relevanten Antibiotika einer Testung zu unterziehen, ist – insbesondere bei multiresistenten Erregern – von essenzieller Bedeutung. Cefiderocol ist eine innovative Option zur Behandlung von gramnegativen, multiresistenten Erregern. privat × Kurz nachgefragt bei Dr. Michael Serries, Facharzt für Innere Medizin, Notfallmedizin, Medizinische Klinik III – Universitätsklinikum Bonn Inwieweit ist das vorliegende Fallbeispiel Ihrer Ansicht nach typisch? Serries: Klinisch ist eine Zunahme von MRGN-Kolonisationen und -Infektionen zu beobachten, vor allem auch in der Hämato-Onkologie. Die Infektionen sind schwer zu behandeln und verlaufen häufig letal, insbesondere bei immunsupprimierten bzw. intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten. Weshalb haben Sie sich für die Therapie mit Cefiderocol entschieden? Serries: Die beschriebene In-vitro-Wirksamkeit von Cefiderocol konnte in unserer Klinik bei kritisch kranken Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation bereits regelmäßig auch in vivo nachgewiesen werden. Es zeigten sich gute Therapieoptionen bei Carbapenem-resistenten Pseudomonas aeruginosa, Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae, Acinetobacter baumannii und Stenotrophomonas maltophilia. Bei den mit Cefiderocol behandelten Patientinnen und Patienten traten praktisch keine Nebenwirkungen auf. Was war für Sie das Besondere an dem Fall bzw. die wichtigste Erkenntnis für die Praxis? Serries: Bei progredienter Phlegmone und deutlicher klinischer Verschlechterung zeigte sich trotz antibiogrammkonformer Therapie mit Ceftazidim/Avibactam im intraoperativen Abstrich weiterhin der bekannte 3MRGN-Pseudomonas aeruginosa, sodass dennoch eine Therapieumstellung erwogen werden musste, um potenzielle Resistenzmechanismen und/oder lokale Wirkspiegelschwankungen zu vermeiden. Video im Rahmen eines Online-Seminars vom 15.05.2024 zur Kasuistik von Dr. Michael Serries Fetcroja® Fachinformation Literatur www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/A/Antibiotika-Resistenz-Strategie/DART_2030_bf.pdf (letzter Zugriff: 11.09.2024) www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Netzwerke/Netzwerke_node.html (letzter Zugriff: 11.09.2024) www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2023/Ausgaben/27_23.pdf?__blob=publicationFile (letzter Zugriff: 10.09.2024) www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Gramneg_Erreger.pdf?__blob=publicationFile (letzter Zugriff: 10.09.2024) Fernández-Martínez NF et al., Int J Environ Res Public Health 2022, 19:1039 Fachinformation Fetcroja®, Stand: November 2023 Ito A et al., Antimicrob Agents Chemother 2016, 60:7396–7401 Ramirez P et al., ESCMID 2024, Barcelona, Spanien, Abstract Portsmouth S et al., Lancet Infect Dis 2018, 18:1319–1328 Wunderink RG et al., Lancet Infect Dis 2021, 21:213–225 Bassetti M et al., Lancet 2021, 21:226–240 Impressum Multiresistente gramnegative Erreger – Die Resistenzlage bei Antibiotika ist kritisch Literaturarbeit Bericht: Dr. Silke Wedekind, Frankfurt a. M. Beilage in „Die Innere Medizin“, Band 65, Heft 12, Dezember 2024 Mit freundlicher Unterstützung der Shionogi GmbH, Berlin Corporate Publishing (verantwortl. i. 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