Mundhöhlenkarzinome
Mundhöhlenkarzinome betreffen die vorderen zwei Drittel der Zunge (40 %), den Mundboden (33 %), die Wangenschleimhaut, das Trigonum retromolare, den harten Gaumen sowie die Gingiva und sind histologisch zu 90 % Plattenepithelkarzinome [
14,
15,
22,
36].
Diese können de novo oder aus prämalignen Dysplasien, wie Leukoplakien, Erythroplakien oder einer Kombination beider, hervorgehen [
22,
23,
36].
Die Karzinogenese ist ein mehrstufiger Prozess, bestehend aus Überexpression von Onkogenen und Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen [
17‐
19,
22,
24,
35,
36]. So wurde das p53-Tumorsuppressorgen als wichtiger Einflussfaktor bei der Entstehung von Mundhöhlenkarzinomen bei Rauchern identifiziert [
12,
21]. Die Präsenz des Humanen Papillomavirus (HPV), welcher das p16-Onkoprotein exprimiert, hat insbesondere bei jungen Nichtrauchern mit diesem Krankheitsbild eine hohe Relevanz und ist mit einer besseren 3‑Jahres-Überlebensrate vergesellschaftet [
11,
22,
36,
52].
Die histologische Untergruppe des verrukösen Typs besitzt eine bessere Prognose, die des basaloiden eine schlechtere [
36].
Weitere Einteilungen können anhand des Grades der Verhornung, der nukleären Polymorphismen, der zellulären Atypien und der mitotischen Aktivität vorgenommen werden. Außerdem werden auch die Tumordicke, die extrakapsuläre Ausbreitung und die Lymphknotenmetastasen in der Klassifikation berücksichtigt [
22,
30,
36,
53]. Zudem wird zwischen einer guten, einer moderaten und einer schlechten Differenzierung unterschieden [
22,
36].
Ein extrakapsuläres Wachstum in den Lymphknoten des Halses ist mit einem erhöhten Risiko eines lokoregionären Rezidivs, Fernmetastasen und einem eingeschränkten Überleben assoziiert [
36].
Andere maligne Tumoren dieses Bereichs können vom Bindegewebe, den kleinen Speicheldrüsen, dem lymphatischen Gewebe oder von Melanozyten ausgehen. Es kann sich allerdings auch um Metastasen, adenoidzystische Karzinome, Sarkome oder Adenokarzinome handeln [
14,
22,
39].
Das Mundhöhlenkarzinom stellt eine der häufigsten Krebserkrankungen, besonders in Entwicklungsländern, aber auch in den Industrienationen dar und war 2016 die sechsthäufigste Krebsart [
5,
14,
22,
38,
51]. Weltweit beträgt die Inzidenz 405.000 Fälle pro Jahr mit den höchsten Erkrankungsraten in Sri Lanka, Indien, Pakistan, Bangladesch und Frankreich [
14,
15,
40,
49]. Die jährliche Inzidenz in der Europäischen Union beträgt 66.650 Fälle pro Jahr. Die Amerikanische Krebsgesellschaft geht von 42.440 neuen Fällen von Mundhöhlen- und Pharynxkarzinomen mit 8390 Todesfällen im Jahr 2014 aus [
14,
38]. Das Mundhöhlenkarzinom betrifft häufiger das männliche Geschlecht und tritt üblicherweise nach der fünften Lebensdekade auf [
14].
Im Jahr 2013 erkrankten in Deutschland 4532 Frauen und 12.992 Männer an Kopf-Hals-Tumoren, wobei das mittlere Erkrankungsalter für Frauen 66,2 Jahre und für Männer 63,8 Jahre betrug und 1698 Frauen und 5494 Männer verstarben [
22,
52]. Die 5‑Jahres-Prävalenz betrug für das weibliche Geschlecht 15.450 und für das männliche 41.650 Fälle [
52]. In Deutschland blieb die altersstandardisierte Inzidenz der Kopf-Hals-Tumoren bei Männern nach einem Anstieg in den 1980er Jahren zuletzt über lange Zeit stabil, während sie bei den Frauen langfristig gesehen deutlich zugenommen hat [
52]. Im Vergleich zum Ergebnis für die gesamte Europäische Union liegt die Inzidenz in Deutschland, vor allem bei den Männern, etwas höher, in Großbritannien, den Niederlanden, Schweden und Finnland deutlich darunter, wobei die höchsten Erkrankungs- und Sterberaten in Osteuropa zu finden sind [
52].
Über 95 % der Mundhöhlenkarzinome präsentieren sich als nicht heilende Ulzera oder tumoröse Raumforderungen [
22,
36]. Läsionen eines frühen Stadiums erscheinen als flache verfärbte Areale (Leukoplakie oder Erythroplakie), die eines späten Stadiums können eine Infiltration benachbarter Strukturen aufweisen, was zu wackelnden Zähnen, Kieferklemme, beeinträchtigter Sensibilität, fortgeleiteter Otalgie, Dysphagie, Dysarthrie, Gewichtsverlust, Hautfisteln, Anämie, Kachexie und Raumforderungen am Hals führen kann [
14,
15,
36].
Die jährliche Entartungsrate einer Leukoplakie beträgt 1 %, wobei Risikofaktoren für eine maligne Degeneration Dysplasien, das weibliche Geschlecht, eine Verhärtung der Leukoplakie, die Lokalisation auf der Zunge oder im Mundboden, eine Größe von mehr als 2 cm und ein nichthomogener Typ sind [
14,
15].
Die 2‑Jahres Überlebensrate beträgt etwa 85 % für Stadium I, 70 % für Stadium II, 50 % für Stadium III und 40 % für Stadium IV, die 5‑Jahres Überlebensrate betrug in einer Studie 63 % [
10,
14,
15,
23,
25,
27,
36].
Als Kanzerogene gelten hier insbesondere Alkohol und Tabak mit den darin erhaltenden polyzyklischen Hydrokarbonen und Nitrosaminen, wobei ein synergistischer Effekt besteht [
10,
14,
15,
23,
25,
27,
36]. Das Risiko kann durch Nikotinkarenz reduziert werden, erreicht aber niemals das eines Nichtrauchers [
14]. Das Erkrankungsrisiko steigt deutlich an, wenn die Dauer des Nikotinabusus 20 Jahre überschreitet und mehr als 20 Zigaretten pro Tag konsumiert werden [
15]. Auch Kautabak, Schnupftabak und Betelkauen sind mit einer verstärkten Karzinogenese assoziiert, wobei davon auszugehen ist, dass etwa 10–20 % der Weltpopulation Betel kauen [
10,
15,
23,
37].
In-vitro-Studien haben gezeigt, dass Betel-Zubereitungen Stoffe enthalten, die genotoxisch, zytotoxisch und zellproliferationsstimulierend sind [
23].
In den letzten 15 Jahren kam es zu einer sinkenden Inzidenz des Mundhöhlenkarzinoms, welche dem reduzierten Tabakgebrauch zugeschrieben wird [
14,
15].
Als weitere Risikofaktoren werden eine geringe Mundhygiene, Holzstaubexposition, Viren, Bestrahlung, familiäre und genetische Prädispositionen, Soor, Gebrauch von Mundwasser, Syphilis, Mangelernährung, der Konsum von rotem, verarbeitetem oder gesalzenem Fleisch und Mate beschrieben [
7,
14,
17,
20‐
23]. Diskutiert werden außerdem Kuchen oder Desserts, Butter, Eier, Suppen, Käse, Pasta, Reis, Polenta, Hirse und Vollkornbrot [
8].
Studien haben gezeigt, dass ein geringer Obst- und Gemüsekonsum für ein gesteigertes Risiko eines Krebsprogresses prädisponiert [
8]. Der häufige Genuss von Obst und Gemüse, insbesondere Karotten, frische Tomaten und grüner Paprika, ist mit einem erniedrigten Risiko eines Mundhöhlen- oder Pharynxkarzinoms assoziiert [
23]. Diskutiert wird außerdem ein protektiver Effekt von Fisch, Gemüse, Olivenöl, Brot, Getreide, Hülsenfrüchten, Proteinen, Fett, frischem Fleisch, Hühnchen, Leber, Shrimps, Hummer und Ballaststoffen [
8].
Eine gute Evidenz für eine Senkung des Karzinomrisikos besteht für die Vitamine A, C und E sowie für Karotenoide, Kalium und Selen, wobei Studien zusätzlich gezeigt haben, dass eine Remission oder Regression von Leukoplakien durch die Anwendung von Beta-Carotin in Kombination mit Vitamin A oder alleine erzielt werden kann [
8].
Auch einige Erkrankungen, welche meist durch eine Beeinträchtigung des Immunsystems charakterisiert sind, wie AIDS, Xeroderma pigmentosum, Fanconi-Anämie, Ataxia teleangiectasia oder Patienten nach einer Transplantation, gehen gehäuft mit Mundhöhlenkarzinomen einher [
14].
Aus arbeitsmedizinischer Sicht gelten UV-Strahlung, Schwefeldioxid, Asbest, Arsen Pestizide, Aerosole von starken anorganischen Säuren und brennendem Erdöl als Risikofaktoren, die zur Entstehung von Mundhöhlenkarzinomen beitragen können [
8,
47]. Die Exposition gegenüber Gummiprodukten, Metall- und Holzstäuben kann die Entwicklung eines Speicheldrüsenkarzinoms begünstigen [
8,
48,
49].
Biochemie von Sialinsäuren
Die relativ starken Sialinsäuren (vom Griechischen „sialos“: Speichel) existieren in der Natur in vielen verschiedenen molekularen Formen und finden sich bei höheren Tierarten [
28,
34,
37,
42,
43]. Die höchsten Konzentrationen treten in Plasmamembranen (65–70 % der Sialinsäuren) und zu einem niedrigen Anteil im glatten endoplasmatischen Retikulum auf [
8,
9,
34,
37]. Sialinsäuren spielen wichtige Rollen in vielen physiologischen und pathologischen Prozessen, z. B. zelluläre Wiedererkennung und Kommunikation, Zellzusammenschluss und -entwicklung, Kontrolle der Lebenszeit von Zuckerkonjugaten im Organismus, Vermittlung bakterieller und viraler Infektionen, Tumorwachstum und Metastasierung, in der Immunologie, in der Biologie des Mikrobioms, Reproduktions- und in der Neurobiologie [
8,
13,
15,
26,
33,
34,
37,
42,
43].
Sialinsäuren sind essenzielle Bestandteile von vielen Glykoproteinen, -peptiden und -lipiden [
8,
15,
33,
37,
42,
43]. Diese ubiquitäre Verbreitung in Glykokonjugaten verschiedenen Ursprungs zeigt, dass eine Vielzahl von biologischen Funktionen mit diesem Zucker assoziiert sind [
3,
7,
10,
15,
33,
42,
43].
Die Synthese, der Abbau und die Bindung der Sialinsäuren an die Oligosaccharidkette von Proteinen und Lipiden finden in der Leber statt [
45]. Sialinsäuren liegen im menschlichen Körper entweder an Proteinen bzw. an Lipiden gebunden oder in freier Form vor [
42,
43].
Insbesondere sind Sialinsäuren an der Bindung von Influenza A und C, Vibrio cholerae, Clostridium botulinum sowie Helicobacter pylori an die menschliche Zelle beteiligt [
37]. Zudem spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, da sie im Endothel als Liganden für Leukozyten dienen und somit beteiligt sind an Inflammation, Lymphozytenrezirkulation, Blutgerinnung, Arteriosklerose und Reperfusionsverletzungen [
15,
31,
37,
44,
50]. Das Gehirn stellt das Organ mit den höchsten Konzentrationen an Sialinsäuren im menschlichen Körper dar, hauptsächlich in Form von sialinisierten Glycolipiden, den Gangliosiden [
31,
37]. Hier greifen sie entscheidend in die Regulation der Myelinstabilität und in die Inhibition einer neuronalen Regeneration nach einer Verletzung ein [
15,
37]. Außerdem fungieren sie als Bestandteile vom luteinisierenden und follikelstimulierenden Hormon sowie vom humanen Choriongonadotropin und sind in der Niere in der glomerulären Basalmembran zu finden, wobei bei der
Minimal-change-Glomerulonephritis ein Verlust dieser Moleküle zu verzeichnen ist [
37].
Viele verschiedene Gene und Enzyme kontrollieren den Ana- und Katabolismus dieser Zucker [
37,
51].
Die Neuraminsäure – das
Muttermolekül der Familie – besitzt die Summenformel C
9H
17NO
8 [
8,
34,
37].
Die N‑Acetylneuraminsäure ist hierbei am weitesten verbreitet und endständiger Bestandteil von Glykolipiden und -proteinen u. a. der Zellmembran [
13,
26,
34,
37].
Studien an Mensch und Tier haben gezeigt, dass Glykoproteine und selbst Erythrozyten, welche mit Sialinidase behandelt wurden, rasch abgebaut werden: Am Beispiel der Erythrozyten verkürzt sich die Lebensdauer von 120 Tagen auf wenige Stunden, ähnlich verhält es sich mit Thrombozyten [
30,
33,
37,
45]. Dieser Sachverhalt wird auch als Ansatzpunkt für die Tumortherapie diskutiert [
46].
Studien haben gezeigt, dass sich N‑Azetyl-Neuraminsäure als Biomarker zur Prognose und zur Bewertung des Schweregrads einer rheumatoiden Arthritis eignet [
38]. Während einer Hepatitis können sowohl Konzentrationserhöhungen als auch -erniedrigungen auftreten [
20,
42,
43].
Konzentrationserhöhungen finden sich im Serum bei Mamma- (63 %), gastroenterologischen (65 %), pulmonalen (79 %) und ovariellen (94 %) Neoplasien sowie bei Leukämien (86 %), Lymphomen (87 %), Melanomen (84 %), Sarkomen (97 %) und Hodgekin-Lymphomen (91 %), allerdings auch bei benignen Erkrankungen, wie akuten Entzündungen, Hypothyreose oder Hyperemesis gravidarum [
8,
13,
15,
26‐
29,
31,
42‐
44].
Während einer malignen Transformation nimmt die Konzentration der Sialinsäuren auf der Zelloberfläche zu und die Moleküle werden teilweise in die Zirkulation abgegeben [
8,
13,
29,
33].
Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Sialinsäure im Speichel als Biomarker zur Diagnostik von Ovarialkarzinomen eignen kann [
1,
2,
4,
6].
Besonders bei Mundhöhlenkarzinomen und auch schon bei prämalignen Läsionen werden sowohl im Serum als auch im Speichel signifikant erhöhte Sialinkonzentrationen im Vergleich zu gesunden Personen detektiert [
8,
17,
30,
46,
51]. Hier können sie zur Diagnostik, zum Monitoring und zur prognostischen Abschätzung verwendet werden, wobei sich Speichel aufgrund der einfachen Gewinnung gut zum Screening eignet [
8,
13,
14,
20,
28,
32,
51]. Durch die Untersuchung des Speichels ist eine frühe Diagnosestellung möglich, welche mit einer besseren Überlebensrate assoziiert ist [
13,
32,
51].
Der Referenzbereich variiert je nach Studie zwischen 0,01707 und 40,37 mg/dl im Speichel und zwischen 0,6512 und 85 mg/dl im Serum, wobei die herstellerspezifischen Werte verwendet werden sollten, der Nachweis erfolgt spektralphotometrisch nach Extraktion der Sialo-Lipid-Fraktion des Serums oder Plasmas mit organischem Lösungsmittel und Fällung mit Phosphorwolframsäure [
8,
13,
13,
20,
26,
27,
29,
31,
44,
51].
Eine interessante Rolle spielt die Sialinsäure auch beim Karbohydrat-defizienten Transferrin, welches auch als Sialinsäure-defizientes Transferrin bezeichnet wird und im Rahmen der Diagnostik des Alkoholabusus eine Anwendung findet [
14].
Zu erblichen Krankheiten, die den Stoffwechsel der Sialinsäure betreffen, zählen die Sialurie, die lysosomale Speicherkrankheit Salla, die Oligosacharidose/Sialidose, die Galaktosialidose und die erbliche Einschlusskörperchenmyopathie [
3,
8,
22,
29,
45].