Thymektomie
Findet sich in der Thorax-CT oder -MRT eine Raumforderung im vorderen Mediastinum, dann ist eine operative Exploration unabhängig von der MG-Variante zum Auschluss eines Thymoms/Malignoms notwendig. Bei der AChR-positiven generalisierten MG ist der über Jahre günstige krankheitsmodifizierende Effekt einer elektiven Thymektomie nach der Pubertät und vor dem 60. Lebensjahr belegt (Reduktion der notwendigen Kortisondosis und Verbesserung der Lebensqualität; [
25]). Sie sollte möglichst früh im Krankheitsverlauf stattfinden. Bei der okulären MG wird die Operation in der Regel nicht empfohlen [
13]. Sie hat auch keinen therapeutischen Effekt bei der MusK- und LRP4-Ak-positiven MG und der Gruppe der seronegativen MG [
26].
Für eine Thymektomie müssen MG-Patienten in einem gut kompensierten Zustand sein, sonst droht durch die Operation selbst eine krisenhafte Verschlechterung. Der Effekt auf den MG-Verlauf hängt wesentlich von der vollständigen Thymusentfernung ab. Inzwischen sind die Ergebnisse minimal-invasiver Verfahren mit denen der offenen Thorakotomie annähernd vergleichbar, aber das Operationsverfahren bleibt eine individuelle Entscheidung [
27]. Postoperativ muss die Myastheniemedikation zunächst fortgeführt werden und kann dann je nach klinischem Verlauf allmählich reduziert bzw. ganz abgesetzt werden. Nur beim Nachweis von Thymomen/Thymuskarzinomen sind regelmäßige CT- oder MRT-Kontrollen in Abhängigkeit der Tumormanifestation erforderlich [
28], ansonsten bei thymektomierten Patienten nur dann, wenn sich der klinische Befund verschlechtert, um einen Thymusrest als Ursache auszuschließen.
Symptomatische Therapie
Acetylcholinesterasehemmer (Pyridostigmin p.o., Neostigmin i.v.) bessern die Erschöpfbarkeit und Schwäche bei den meisten Myastheniepatienten, indem sie den Abbau von ACh nach Bindung an die postsynaptischen Rezeptoren vermindern [
29]. Die Dosis richtet sich nach dem Erfolg und den limitierenden muskarinergen Nebenwirkungen. Oral beginnt man z. B. mit 3‑mal 60 mg und steigert nach Wirkung und Verträglichkeit. Unter 300 mg Tagesdosis ist kaum mit Nebenwirkungen zu rechnen.
Retard-Präparate (180 mg) eignen sich besonders gut zur Überbrückung der Nacht. Wenn mild betroffene Patienten mit diesen Medikamenten zufriedenstellend einzustellen sind, kann es dabei belassen werden. Bei der MuSK-positiven MG ist der Effekt deutlich geringer ausgeprägt [
20]. In diesen Fällen kann 3,4-Diaminopyridin versuchsweise eingesetzt werden.
Immunsuppressive Therapie
Patienten mit generalisierter MG benötigen in der Regel eine Langzeitimmunsuppression. Es wird eine Symptomfreiheit für 2 bis 3 Jahre angestrebt, dann kann die Immunsuppression zunächst versuchsweise reduziert bzw. abgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für die AChR-Ak-positive MG nach erfolgter Thymektomie. Das
individuelle Ansprechen auf einzelne Immunsuppressiva ist nicht vorhersehbar, größere placebokontrollierte Studien liegen nicht vor, sodass die meisten Empfehlungen auf Expertenkonsens beruhen [
30,
31], wobei sich bei den Ak-positiven MG-Formen der Therapieerfolg am Titerverlauf objektivieren lässt.
Die okuläre MG wird zunächst nur symptomatisch bzw. vorübergehend ergänzend mit Glukokortikoiden und nur in Ausnahmefällen immunsuppressiv behandelt.
Die Erstlinienbehandlung besteht aus Glukokortikoiden (GK; Prednison oder Prednisolon) plus Azathioprin [
13,
18]. Man steigert die GK-Dosis langsam von 20 auf 60–80 mg/Tag bis zur stabilen Symptomkontrolle. Bei Patienten mit bulbärer Symptomatik oder bereits kritischer Atemsituation ist Vorsicht geboten, weil Steroide ihrerseits in den ersten Tagen die neuromuskuläre Übertragung vorübergehend beeinträchtigen können. Der gewünschte Therapieeffekt ist nach ca. einem Monat zu erwarten. Wenn Symptomkontrolle erreicht ist, kann die Dosis langsam wieder auf 10–40 mg/Tag reduziert werden. Das trifft vor allem für die okuläre MG zu, solange keine Zusatzfaktoren wie Thymom, AChR-Ak oder Generalisierung bei der Nervenstimulation vorliegen [
32].
Additives Azathioprin (AZA) verbessert die Effizienz und verringert die GK-Dosis und damit Nebenwirkungen von GK [
33]. Es sollte zugleich mit der GK-Behandlung initiiert werden. Der Purinantagonist hemmt v. a. die B‑ und T‑Zell-Proliferation. Das Behandlungsziel besteht in einer Lymphozytenzahl von 600–1200/μl (bei >4 G/l [Giga pro Liter] Leukozyten), die meist mit einer Tagesdosis von 2–3 mg/kgKG/Tag (verteilt auf 3 Einzeldosen) erreicht wird. Toxische Nebenwirkungen sind Unwohlsein, Erhöhung der Transaminasen, Fieber und Übelkeit. Nachdem es
idiosynkratische Unverträglichkeiten gibt, empfiehlt sich vorab die Verabreichung einer Testdosis von 25–50 mg. Der seltene Mangel an Thiopurinmethyltranferase rechtfertigt kaum die Enzymbestimmung [
34]. Der therapeutische AZA-Effekt tritt erst verzögert mit einer Latenz von bis zu 6 Monaten ein, die Steroidgabe wird entsprechend allmählich reduziert mit dem Ziel des vollständigen Absetzens.
Bei AZA-Unverträglichkeit bzw. unzureichendem Ansprechen ist die Reihenfolge der alternativen Immunsuppressiva nicht durch Studien abgesichert. In erster Linie kommt Cyclosporin A in Betracht (3–5 mg/kgKG/Tag; cave Blutdruckerhöhung und Niereninsuffizienz), alternativ kann der Purinsyntheseblocker Mycophenolatmofetil (1,5–2 g/Tag; Kontraindikation Schwangerschaft) eingesetzt werden [
35], wobei Komorbiditäten wie
Hypertonus und
Niereninsuffizienz häufig für die Wahl ausschlaggebend sind. In der nächsten Eskalationsstufe kommt zunehmend Rituximab [
36] zum Einsatz, das zu einer Depletion von B‑Zellen führt. In unkontrollierten Fallserien war es insbesondere bei der MuSK-positiven therapierefraktären MG wirksam [
36,
37,
38,
39]. Nach myasthenen Krisen bevorzugen wir wegen des schnell einsetzenden immunsuppressiven Effekts eine i.v. Pulstherapie mit Cyclophosphamid in Analogie zum Vorgehen bei schweren SLE (systemischer Lupus erythematodes) -Verläufen, was aber mit einem höheren Infektrisiko belastet ist, mit Deeskalation nach Stabilisierung der MG. Es handelt sich hierbei immer um individuell zu treffende Therapieentscheidungen in Abwägung der Krankheitsschwere und Komorbiditäten (Übersicht bei [
36]).
Seit 2018 steht mit der Komplementblockade durch Eculizumab eine neue Therapiemöglichkeit mit Zulassung für die „therapierefraktäre“ generalisierte AChR-Ak-positive MG zur Verfügung, obwohl der primäre Studienendpunkt nicht erreicht wurde [
40]. Eculizumab blockiert die Spaltung von Komplementfaktor 5 in seine aktiven Komponenten C5a und C5b und damit die Bildung des terminalen Komplementkomplexes C5b‑9, der die AChR-Ak-vermittelte Zerstörung von AChR vermittelt. Die anhaltende Wirksamkeit und gute Verträglichkeit konnte in einer kürzlich abgeschlossenen Extensionsstudie belegt werden [
41].
Formale Voraussetzung für den Einsatz sind das unzureichende Ansprechen auf zwei Immunsuppressiva bzw. Plasmaaustauschverfahren [
42]. Eculizumab muss mit Immunsuppressiva kombiniert gegeben werden, da es nur Effektormechanismen, aber nicht die Autoantikörperproduktion selbst blockiert. Da das Komplementsystem eine entscheidende Rolle bei der Abwehr gegen Meningokokkeninfektionen spielt, ist ein Impfschutz bzw. vorübergehend eine
antibiotische Begleitprophylaxe zwingend erforderlich.
Zum genauen Prozedere, der Dosierung und der Begleitmedikation sei auf die Fachinformation verwiesen. Nach einer 4‑wöchigen Eindosierungsphase sind 2‑wöchentliche i.v. Gaben von je 1200 mg erforderlich. Jede Einzelgabe verursacht Kosten von über 20.000 €. Damit stellt sich die Frage, inwieweit vergleichbare Therapieerfolge nicht auch durch andere preiswertere Immunsuppressiva wie z. B. Rituxumab zu erzielen sind. Hier fehlen von der öffentlichen Hand finanzierte Vergleichsstudien. Nach Empfehlung des Ärztlichen Beirats der Deutschen Myasthenie-Gesellschaft [
43] soll die Behandlung in einem erfahrenen MG-Zentrum erfolgen und der Behandlungserfolg und die weitere Behandlungsnotwendigkeit nach 6 und 12 Monaten überprüft werden; eine weitere Stellungnahme zum differenziellen Einsatz unter o. g. Gesichtspunkten ist nicht erfolgt. Der Einsatz von Immuntherapeutika in der Eskalalationsphase bei einer schwer einstellbaren MG erfordert aus unserer Sicht die Berücksichtigung vieler Gesichtspunkte, wobei Infektanfälligkeit, Notwendigkeit eines raschen therapeutischen Effekts, Logistik der i.v.-Therapie mit häufigen Zentrumsbesuchen (z. B. mit langer Anreise) gegenüber den Kosten individuell abgewogen werden müssen.
Krisenbehandlung
Da sich bei einer Verschlechterung mit zunehmender Symptomfluktuation die weitere Dynamik nicht vorhersagen lässt, sollte eine Aufnahme auf die Intensivstation großzügig bereits vor dem Eintreten von Gehunfähigkeit, Kopfhalteschwäche, Aspiration oder respiratorischer Insuffizienz erfolgen. Zum allgemeinen intensivmedizinischen Management von Monitoring, Analgosedierung, Beatmung und Beatmungsentwöhnung sei auf Übersichtsarbeiten verwiesen [
10]. Erwähnenswert ist, dass relativ hohe Dosen von Esterasehemmern (Neostigmin i.v. 0,2–0,8 mg/h) verabreicht werden können, die eine Beatmung zwar hinauszögern, aber selten abwenden. Die Rückumstellung von Neostigmin i.v. auf orales Pyrodistigmin erfolgt im Verhältnis 1:60 mg.
Wenn die symptomatische und bisherige immunsuppressive Therapie eine Verschlechterung in einer Krise nicht abwenden oder aus irgendwelchen Gründen nicht zur Anwendung kommen kann, müssen die Ak durch Plasmaaustauschverfahren (PE) rasch beseitigt oder durch i.v.-Immunglobulingabe (IVIG) eliminert/blockiert werden. Beide Verfahren haben einen ähnlich ausgeprägten [
44], aber nur wenige Wochen anhaltenden Effekt.
Wir bevorzugen in der Krise Plasmaaustausch, weil er die Antikörpertiter schneller absenkt und etwas rascher die Ateminsuffizienz bessert [
45]. Die Alternative IVIG 0,4 g/kgKG/Tag über 5 Tage oder bei guter Verträglichkeit je 1 g/kgKG über 1 bis 2 Tage [
46] setzen wir v. a. bei Kontraindikationen gegen die Austauschverfahren ein [
10]. Bei bereits beatmeten Patienten kann man sofort hohe GK-Dosen von 250 (bis 500) mg/Tag geben, um einen schnellen Rebound der Antikörperproduktion zu verhindern [
47]. Zum Erzielen einer stabilen Situation über die Krise hinaus bleibt eine Langzeitimmunsuppression stets notwendig.