Es werden mehrere Vorgehensweisen zur Ermittlung der Exposition vorgestellt und skizziert, wie diese Erkenntnisse im Folgenden genutzt werden.
Kombination aus Lebensmittelanalysen und Verzehrserhebung
Am häufigsten werden zur Expositionsschätzung die in bestimmten Produktgruppen gemessenen Gehalte der Kontaminanten mit Daten zum Verzehr dieser Produkte in der Bevölkerung kombiniert. Ein frühes gutes Beispiel dafür ist die oben im speziellen Abschnitt zu Ochratoxin A genannte bundesweite Studie zur Belastung der Verbraucher. Weitere Erhebungen finden sich in ausführlichen Reports der EFSA und/oder dem JECFA zu bestimmten Mykotoxinen (Referenzen im Text). Ausgehend von den Analysebefunden für verschiedene Produktgruppen werden neben der mittleren Toxinaufnahme auch Bereiche für Niedrig- und Vielverzehrer solcher Lebensmittel berechnet. Die Expositionsschätzungen für verschiedene Gruppen in der Bevölkerung (auch Kinder und Kleinkinder) lassen sich dann vergleichen mit den für das jeweilige Mykotoxin abgeleiteten tolerablen Aufnahmemengen (TDI- oder PMTDI-Werte). Ferner lässt sich der Beitrag einzelner (besonders wichtiger) Produktgruppen zur Gesamtaufnahme abschätzen.
Wichtig sind möglichst repräsentative Daten zum Auftreten des betrachteten Mykotoxins in den analysierten Nahrungsmitteln und empfindliche Nachweismethoden sowie geeignete Auswertungen für linkszensierte Daten, bei denen die genauen Werte, die kleiner sind als eine bestimmte Schwelle, unbekannt sind. Auch die Probenahme selbst ist nicht trivial, denn gerade bei den von Lagerpilzen
10 produzierten Mykotoxinen ist von einer heterogenen Verteilung dieser Kontaminanten im Substrat auszugehen. Es bleiben somit Unsicherheiten bezüglich der Expositionsschätzung, wenn relevante Quellen einer Mykotoxinaufnahme noch nicht bekannt sind, wie z. B. im Fall von Citrinin (s. oben), in dem Humanbiomonitoring-Befunde eine häufige Exposition in Deutschland und anderswo belegen [
21,
22], die Daten zum Vorkommen in Lebensmitteln aber noch sehr begrenzt sind [
18].
Eine weitere Unsicherheit ergibt sich aus dem Vorliegen sogenannter „modifizierter“ Mykotoxine: In Getreide sind dies u. a. glykosylierte Derivate von Deoxynivalenol (DON-3-Glc) oder von Zearalenon (ZEN-14-Glc) sowie matrixgebundene oder nach Prozessierung chemisch modifizierte Fumonisine. In Routineanalysen pflanzlicher Lebensmittel werden sie oft nicht mit erfasst, können aber im Organismus die toxische Ausgangsverbindung freisetzen und so zur internen Exposition beitragen [
47]. Beispiele für im Säugerorganismus gebildete modifizierte Mykotoxine sind der Aflatoxin-B
1-Metabolit in Milch (AFM
1) sowie Phase-I- und Phase-II-Metabolite von Zearalenon also Glucuronide von ZEN, α‑ZEL und β‑ZEL, die nach Hydrolyse biologisch ähnlich aktiv sind wie die Muttersubstanz (s. oben).
Total-Diet-Studien
Eine Total-Diet-Studie (TDS) ermittelt den durchschnittlichen Gehalt chemischer Substanzen wie Kontaminanten in verzehrfertigen Lebensmitteln und verringert so viele Unsicherheiten im Bereich der Expositionsschätzung. Mehr zur ersten deutschen Studie dieser Art, der sog. BfR-MEAL-Studie, die auch ein Modul Mykotoxine beinhaltet, beschreibt ein Artikel in diesem Heft. Für TDS in Frankreich und den Niederlanden, in denen viele Mykotoxine analysiert wurden, liegen inzwischen Ergebnisse vor. In der einen Studie fanden sich nur für Trichothecene (DON sowie T‑2 und HT-2) Expositionen oberhalb der TDI-Werte, und zwar bei einem geringen Anteil der Erwachsenen, aber einem höheren Anteil der Kinder [
48]. Die zweite Studie fand für „upper-bound“-Schätzungen zur Exposition Überschreitungen der tolerablen Aufnahme für Ochratoxin A in der Altersgruppe 7–69 Jahre, für die Summe T‑2 und HT-2 bei Kindern (2–6 Jahre) sowie für Alternariol und AME in beiden Gruppen [
49]. Während für Aflatoxin B
1 der „margin of exposure“ (s. unten, Abschn. „Risikocharakterisierung“) zu gering war, ergaben sich bei einer Reihe weiterer analysierter Mykotoxine keine Anhaltspunkte zur Besorgnis. Solche Daten liefern wichtige Informationen zur Hintergrundbelastung der Bevölkerung und in Verbindung mit Lebensmittelanalysen auch Hinweise, wo noch mehr Kontrollen zu Mykotoxinkontaminanten angezeigt sind.
Biomarkerbasierte Expositionsschätzung
Humanbiomonitoring-Methoden zur Messung von Kontaminanten und ihren Metaboliten in Körperflüssigkeiten sind ein wertvolles Instrument zur Ermittlung interner Belastungen, die aus allen externen Expositionen resultieren (siehe Beitrag über Biomarker in diesem Heft). Ihr Einsatz in der Mykotoxinforschung für unterschiedliche Fragestellungen kann nur kursorisch dargestellt werden. Vorab ein Hinweis: Als im strikten Sinn „validierte“ Expositionsbiomarker (biomarkers of exposure) gelten solche Analyte, für die eine gute Korrelation zwischen den in biologischen Proben (Blut, Muttermilch, Urin) gemessenen Konzentrationen und verzehrten Mykotoxinmengen gezeigt worden ist, wie für Aflatoxine, Fumonisine, Deoxynivalenol und Ochratoxin A [
50,
51]. Doch in vielen Publikationen und nachfolgend wird „Biomarker“ im weiteren Sinn auch auf Analyte angewendet, für die das noch darzustellen ist, die aber bereits wichtige Einblicke in Häufigkeit und Muster der Mykotoxinexposition in verschiedenen Populationen liefern.
Übersichtsartikel beschreiben detailliert die Entwicklung und den Einsatz von biomarkerbasierten Analysen für unterschiedliche Fragestellungen: Die ersten Studien in Afrika und in Asien nutzten spezifische Biomarker in Blut oder Urin und wiesen so klare Zusammenhänge zwischen der Höhe einer Aflatoxinexposition und dem Risiko für Leberkrebs nach [
10]. Später wurde so auch untersucht, welche Einflüsse Aflatoxine auf das Wachstum bei Kindern und auf das Immunsystem haben, sowie die Wirksamkeit von Interventionsstrategien zur Expositionsminderung in diesen Ländern [
12]. Auch der Einsatz von Biomarkern für Fumonisine in epidemiologischen Studien ist weiter entwickelt worden: Zum einen vor dem Hintergrund tierexperimenteller Befunde zu adversen Wirkungen (s. oben, Abschn. „Gefährdungspotenzial“), zum anderen aufgrund von vermuteten Assoziationen zwischen Wachstumsminderung oder vermehrtem Auftreten von Neuralrohrdefekten bei Kindern in Regionen mit hohem Verzehr wahrscheinlich kontaminierter Maisprodukte [
27,
50]. Diese Zusammenhänge gilt es noch näher zu untersuchen, ebenso wie eine mögliche Rolle von Ko-Kontaminanten. Für Ochratoxin A und Deoxynivalenol liegen keine belastbaren epidemiologischen Daten vor, die eine Rolle in der Ätiologie von Erkrankungen stützen [
30,
32,
50]. Dennoch sind biomarkerbasierte Analysen zur Exposition angezeigt, gerade in Kleinkindern, die aufgrund höherer Nahrungsaufnahme mehr Kontaminanten pro kg Körpergewicht aufnehmen als Erwachsene und wegen der auf anderem Weg für diese Mykotoxine geschätzten Expositionen auch oberhalb der TDI-Werte (s. oben [
48,
49]).
Biomarker werden vor allem in Urin analysiert, da die Probenahme nichtinvasiv ist. In Feldstudien werden überwiegend Spot-Urine gewonnen, selten 24-h-Sammelurine, deren Gehalte eine noch bessere Schätzung der individuellen Exposition erlauben, weil Schwankungen in der Biomarkerausscheidung über den Tag dann nicht mehr ins Gewicht fallen. Eine Messung im Blut (Serum oder Plasma) spiegelt am besten die innere Exposition; doch die Blutentnahme aus der Vene erfordert den Einsatz medizinisch geschulter Personen und trifft bei Probanden eher auf Skepsis. Daher ist die Entwicklung neuer sensitiver Methoden zur Biomarkernessung in geringen Blutmengen – mit einem kleinen Stich in die Fingerbeere gewonnenen – („dried blood spots“) ein vielversprechender Ansatz. Biomarkeranalysen in Milchproben können zum einen Aufschluss über die Exposition stillender Mütter geben, wenn ein Teil des aufgenommenen Mykotoxins aus deren Blut in die Milch übertritt. Zum anderen sind die Befunde für die Exposition der Säuglinge bedeutsam [
52]. Gut untersucht in diesem Kontext sind bisher nur Aflatoxine (AFM
1) und Ochratoxin A (OTA). Übersichten für verschiedene Kontinente und Länder zeigen erhebliche Unterschiede in den Gehalten der Muttermilchproben [
42,
52]: Analysen in Europa und Südamerika zeigen keine oder nur geringe Kontaminationen mit AFM
1 und OTAm, Analysen in verschiedenen afrikanischen und arabischen Ländern dagegen teilweise sehr hohe Konzentrationen, die Anlass zur Besorgnis geben. Im Biomonitoring beobachtete geografische Unterschiede spiegeln u. a. eine sehr stark nach Regionen variierende Prävalenz von Mykotoxinen in der Nahrung stillender Frauen und eine mangelnde Kontrolle dieser Kontaminanten gerade in Entwicklungsländern wider
11.
Die Kontamination von Lebensmitteln kann erheblich variieren, u. a. weil Befall mit toxinbildenden Schimmelpilzen (im Feld oder bei ungünstigen Lagerbedingungen) bekanntlich starke regionale und saisonale Unterschiede zeigt [
4,
5]. Für Entwicklungsländer gibt es zwar einige Daten zum Auftreten verschiedener Mykotoxine in Lebens- und Futtermitteln (z. B. [
3]), aber keine reguläre Überwachung dieser Kontaminanten. Wenn sich daher auf dem üblichen Weg (s. oben) die Exposition der Bevölkerung nicht oder nur unzureichend schätzen lässt, bieten Biomarkeranalysen einen alternativen Zugang mit der Möglichkeit, zwischen geringen und maßgeblichen Belastungen zu differenzieren [
22,
40,
53].
Biomarkerbefunde integrieren die orale Aufnahme aus allen Lebensmitteln (fest und flüssig) aber auch eine mögliche Exposition über Inhalation und dermalen Kontakt [
51]. Inwieweit es an Arbeitsplätzen und in Innenräumen durch mykotoxinhaltige Materialien wie Stäube zu inhalativen Belastungen kommt, lässt sich z. B. über Vergleiche mit Kohorten ohne derartige Expositionen untersuchen. Außer den primär in Lebensmitteln auftretenden Mykotoxinen sind dabei auch andere von Interesse, z. B. Toxine aus
Stachybotrys chartarum und
Aspergillus fumigatus (Tab. 2 in [
42]). Um deren mögliche Bedeutung bei unklaren gesundheitlichen Beschwerden abzuklären, wären geeignete Biomarker hilfreich.