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Erschienen in: Die Ophthalmologie 9/2023

Open Access 13.04.2023 | Nachhaltigkeit in der Medizin | Originalien

Erhebung und Reduktion der Abfallproduktion im Augenoperationsbereich

verfasst von: Dr. med. Mael Lever, Nicolai Smetana, Nikolaos E. Bechrakis, Andreas Foerster

Erschienen in: Die Ophthalmologie | Ausgabe 9/2023

Zusammenfassung

Hintergrund

Der Gesundheitssektor steht aufgrund der gesundheitlichen Folgen des Klimawandels vor neuen Herausforderungen. Gleichzeitig trägt dieser selbst zur schweren Klimabilanz unserer Gesellschaft bei. Die erhebliche Produktion von Abfällen durch Krankenhäuser ist hierfür ein wichtiger Aspekt. Ziel dieser Arbeit war es, die Masse an Abfall, die durch Augenoperationen anfällt, zu quantifizieren und – als Optimierungsmaßnahme – den Effekt der Glastrennung zu evaluieren.

Material und Methoden

Über 2 Wochen wurde der Abfall, der durch Augenoperationen im Operationsbereich der Universitätsklinik anfiel, gewogen. Eine erneute 2‑wöchige Erhebung erfolgte nach Einführung der Trennung von Glas vom Restabfall. Die gewonnenen Daten wurden zwischen den 2 Zeiträumen sowie nach Abfall- (Rest- und Wertstoffabfall) und Eingriffsart (intra-, extraokular) vergleichend analysiert. Durch Anwendung von regionalen Abfallentsorgungskosten war auch ein ökonomischer Vergleich möglich.

Ergebnisse

Im ersten Messzeitraum (196 Eingriffe) fielen insgesamt 549,6 kg Abfall an, 87 % (478,3 kg) davon als Restabfall, entsprechend 14,3 t Gesamtabfall jährlich. Durch intraokulare Eingriffe fielen durchschnittlich 80 % mehr Abfall an als durch extraokulare Eingriffe: 18,1 ± 3,9 respektive 11,4 ± 4,0 kg pro Tag und Operationssaal. Durch die Trennung von Glas aus dem Restabfall konnte im zweiten Messzeitraum (197 Eingriffe) die Restabfallmasse um 7,2 % reduziert werden. Da die Entsorgung von Glas in Essen kostenlos ist, entstand hierdurch ein geringer ökonomischer Vorteil (hochgerechnet 112 € jährlich).

Schlussfolgerung

Die Menge an Abfall, die durch Augenoperationen entsteht, ist erheblich, mit einem überwiegenden Anteil an nicht wiederverwertbarem Restabfall. Vor allem intraokulare Eingriffe sind für die Abfallmengen verantwortlich. Einfache Maßnahmen wie die Trennung von Glas sind hilfreich und günstig, um die Menge an Restabfall zu reduzieren.

Graphic abstract

Hinweise
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Der Klimawandel wirkt sich negativ auf unsere Gesundheit aus. Dabei trägt der Gesundheitssektor selbst mit seinem hohen Energie- und Ressourcenverbrauch sowie der Abfallproduktion erheblich zum Klimawandel bei. Durch die hohen Operationszahlen und die breite Nutzung von Einwegmaterial spielt die Augenheilkunde dabei eine große Rolle. In diesem Artikel werden Abfallmengen aus einem universitären Augenoperationsbereich vorgestellt, und der positive Effekt der Glastrennung auf diese Mengen gezeigt. Schließlich werden weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Klimabilanz von Augenoperationen diskutiert.
Dass wir Menschen für Erderwärmung und Klimawandel verantwortlich sind, ist schon seit 50 Jahren mit der Veröffentlichung des Berichts des Club of Rome 1972 wissenschaftlich belegt [14]. Der Verbrauch von Ressourcen und unser Umgang mit der Umwelt wirken sich auf die Biodiversität und auch auf die Gesellschaft negativ aus. Deswegen deklarierte 2007 die britische Zeitschrift Lancet und die University College London Institute for Global Health Commission den Klimawandel als größte Bedrohung des Jahrhunderts für die globale Gesundheit [5]. Der Gesundheitssektor, der die Folgen des Klimawandels abfedern soll, trägt jedoch durch einen hohen Ressourcen- und Energieverbrauch selbst erheblich zur Klimabelastung unserer Gesellschaft bei [1]. Im Vereinigten Königreich (UK) ist das öffentliche Gesundheitswesen (National Health Service [NHS]) für 3 % der Kohlendioxid-(CO2-)Emissionen des Landes verantwortlich [2]; in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) soll das Gesundheitssystem bis zu 10 % der Gesamtemissionen des Landes verursachen [6]. Ein Großteil dieser CO2-Bilanz ist auf die Abfallentstehung, v. a. durch den Einsatz von Einwegmaterial zurückzuführen [19]. So produzieren Krankenhäuser in den USA zusammen täglich 7000 t Abfall [22]. Zum Vergleich fallen im Universitätsklinikum Essen täglich 9 t Abfall an. Und innerhalb von Krankenhäuser wird geschätzt, dass Operationsbereiche für ca. 25 % der CO2-Emissionen verantwortlich sind [22].
In der Augenheilkunde zeigten Umfragen in Neuseeland und den USA, dass der Klimawandel eine hohe Sichtbarkeit und Relevanz beim ärztlichen und pflegerischen Personal hat [2, 4]. Bereits 2013 widmeten sich Morris et al. der Kalkulation einer CO2-Bilanz von Kataraktoperationen und errechneten, dass eine Phakoemulsifikation mit Kunstlinsenimplantation im UK so viel CO2 verursacht wie ein erwachsener Brite innerhalb einer Woche [15]. Darauf folgten Untersuchungen in weiteren Länder und zu unterschiedlichen Eingriffen, die zusammen die negative Klimabilanz der Augenchirurgie aufzeigten [7, 9, 11, 12, 17]. Gleichzeitig helfen diese Untersuchungen entsprechend dem 5R-Prinzip („reduce, reuse, recycle, rethink, and research“), Maßnahmen zu identifizieren, die diese Klimabilanz verbessern, sodass das Gesundheitswesen möglichst bald klimaneutral agieren kann [13]. Die Vermeidung von Abfällen ist eine wichtige Maßnahme zur Reduktion der CO2-Bilanz eines Krankenhauses und Recycling spielt dabei eine wichtige Rolle. Glas ist hierfür bestens geeignet, da es ohne Qualitätsverlust unendlich oft wiederverarbeitet werden kann.
Da bisher deutsche Zahlen zu der Abfallentstehung in ophthalmologischen Operationssälen fehlen [23], war ein Ziel dieser Arbeit, die Abfallmenge, die im Operationsbereich der Augenklinik des Uniklinikums Essen anfällt, zu erfassen. Anschließend wurde als Intervention zur Reduktion der Abfallmenge die Trennung von Glas aus den Restabfällen eingeführt und der Effekt dieser Maßnahme im Vergleich zur Erstmessung evaluiert.

Methodik

Eigenschaften des Augenoperationsbereichs

In der Augenklinik des Universitätsklinikum Essen fanden im Studienzeitraum an 3 Tagen in der Woche Augeneingriffe in 4 Operationssälen und an den weiteren 2 Tagen in 3 Operationssälen statt. Es wurden täglich vitreoretinale und intraokulare Operationen am vorderen Augenabschnitt durchgeführt; an einem Tag finden in einem Operationssaal IVOMs statt; Narkoseinspektionen nehmen wöchentlich die Kapazitäten von 2 OP-Saal-Tagen ein; weiterhin finden an 4 (OP-Saal‑)Tagen extraokulare Eingriffe statt (Lid- und Augenmuskelchirurgie, Augenapplikatoren bei intraokularen Tumoren).

Modalitäten der Abfallentsorgung

Am Universitätsklinikum Essen wird der Abfall in Operationsbereichen vor der Entsorgung wie folgt getrennt: Sauberer Wertstoffabfall (vorwiegend Plastik- und Papierverpackung) wird in gelben Säcken gesammelt, der restliche Abfall (nicht wiederverwertbare oder kontaminierte Abfälle) wird in roten Säcken und roten Tonnen (für Flüssigkeiten und Abfälle mit potenziellem Verletzungsrisiko) entsorgt; Glasabfall wurde im Augen-OP bis nach dem ersten Erhebungszeitraums dieser Studie in den roten Tonnen für Restabfall entsorgt, danach ausschließlich in dafür vorgesehenen grauen Tonnen; Organe und hochinfektiöser Abfall werden in schwarzen Tonnen entsorgt – diese kommen im Augen-OP nicht zum Einsatz. Für das Universitätsklinikum Essen ist die Entsorgung von Wertstoffen (gelber Sack), Papier und Glas kostenlos. Im Gegensatz dazu fallen für die Entsorgung von Restabfall (Tonnen und Säcke) 0,136 € pro Kilogramm an.

Erhebung der Grundabfallmenge

Die Erhebung der anfallenden Abfallmassen wurde an Wochentagen vom 5. bis 16. Juli 2021 (2 Wochen) während des Regelprogramms durchgeführt. Es wurde der durch die Augenklinik entstehende Abfall gemessen. Der durch die Anästhesieabteilung oder im Nachtdienst und an Wochenenden anfallende Abfall konnte aus logistischen Gründen nicht berücksichtigt werden. Die Abfallsäcke und -tonnen wurden entsprechend dem üblichen Entsorgungsturnus vom Reinigungspersonal des Operationsbereiches mit einer digitale Kofferwage (Firma Luxebell, maximale Belastbarkeit: 50 kg, Genauigkeit: 10 g) gewogen und die resultierenden Werten unmittelbar dokumentiert.

Intervention zur Reduktion des Restabfalls

Nach Auswertung dieser Erhebung wurde entschieden, als erste Maßnahme den Glasabfall vom Restmüll zu trennen. Das gesamte Operationspersonal der Augenklinik wurde schriftlich und mündlich über diese Änderung instruiert. Nach einer Probephase von 2 Wochen wurden nach gleicher Methode wie für die Initialerhebung erneut für 2 Wochen – vom 16. bis 27. August 2021 – die anfallenden Abfallmassen erhoben.
Schließlich wurden beide Zeiträume verglichen. Die Daten wurden zusätzlich für intraokulare, extraokulare und Kleinsteingriffe (Narkoseuntersuchungen und intravitreale operative Medikamentenapplikation [IVOMs]) differenzierend ausgewertet.

Statistik

Die Daten wurden in Microsoft Excel (Microsoft, Redmond, WA, USA) erfasst. Statistische Analysen wurden mit der Software Prism 9.3 (GraphPad, La Jolla, CA, USA) berechnet. In dieser Arbeit werden dichotome Variablen als absolute und relative Häufigkeiten (n, %) dargestellt, kategorische Variablen als Median ± Interquartilbereich (IQR) und kontinuierliche Variablen als Mittelwert ± Standardabweichung (SD).

Ergebnisse

Erhebung der Grundabfallmenge

Während des ersten Messzeitraumes wurden im Augen-OP insgesamt 196 Eingriffe durchgeführt (ausgenommen Narkoseinspektionen und IVOMs). Auf die untersuchten Eingriffe entfielen 549,6 kg Abfall. Der Gesamtabfall bestand aus 478,3 kg Restabfall (228,6 kg in 56 Tonnen; 249,7 kg in 166 Säcken) und 71,3 kg Wertstoffabfall (64 Säcke). Somit machten Restabfälle mit 87 % den Hauptteil des Gesamtabfalls aus. Auf 1 Jahr (52 Wochen) hochgerechnet, entsprechen diese Mengen 14,3 t Gesamtabfall, davon 12,4 t Restabfall.
Weiterhin wurden die täglichen Abfallmengen in OP-Sälen mit intraokularen, extraokularen und mit Kleinsteingriffen verglichen. Hierbei zeigte sich, dass bei intraokularen Eingriffen täglich 18,1 ± 3,9 kg Abfall pro OP-Saal anfallen, verglichen zu 11,4 ± 4,0 kg bei extraokularen Eingriffen und 4,6 ± 2,8 kg bei Kleinsteingriffen. Die Abb. 1 zeigt die Aufteilung der Abfallmassen nach Eingriffs- und Abfallart. Dass intraokulare Eingriffe deutlich mehr Abfall verursachen als Extraokulare, zeigt sich auch nach Analyse der Abfallmasse pro Eingriff (Abb. 2). Pro intraokularem Eingriff fielen 4,1 ± 1,4 kg Gesamtabfall an, im Vergleich zu 2,3 ± 0,6 kg bei den extraokularen. Somit entstehen bei intraokularen Eingriffen rund 1,8-mal mehr Abfälle als bei extraokularen.

Abfallmenge nach Trennung von Glasabfällen

Bei der Auswertung der Daten aus dem ersten Zeitraum fiel auf, dass Glasabfall über den Restabfall (Tonnen) entsorgt wurden, obwohl dieser getrennt gesammelt werden sollte. Das Personal im Operationsbereich wurde daraufhin über diese Vorgabe ausführlich instruiert. Seitdem erfolgt die Sammlung von Glasabfall in den vorgesehenen grauen Tonnen. Nach einer Umstellungsphase von 2 Wochen wurde der Effekt dieser Maßnahme auf die anfallende Restabfallmenge untersucht. Hierfür wurde erneut über 2 Wochen der anfallende Rest- und Wertstoffabfall gewogen. Der Glasabfall selbst konnte aus organisatorischen Gründen nicht erhoben werden. Während dieses zweiten Messzeitraumes wurden im Augen-OP insgesamt 197 Eingriffe durchgeführt (ausgenommen Narkoseinspektionen und IVOMs). Hierbei fielen insgesamt 468,2 kg Abfall an. Der Abfall teilte sich in 403,5 kg Restabfall (178,8 kg in 42 Tonnen und 224,7 kg in 142 Säcken, zusammen 86 %) und 64,8 kg Wertstoffabfall (51 Säcke) auf.

Auswirkung der Glastrennung auf die anfallende Restabfallmenge

Der Vergleich beider Messzeiträume zeigt, dass nach Trennung des Glasabfalles (zweiter Zeitraum) die Gesamtabfallmasse um 15 % geringer ausfällt (Tab. 1, Rohwerte). Allerdings fällt auch auf, dass diese Reduktion trotz der vergleichbaren Anzahl an intra- und extraokularen Eingriffen nicht nur die Masse der Restabfalltonnen betrifft, sondern auch die Masse an Wertstoffen und Restabfall in Säcken. Um diesen systemischen Fehler auszugleichen, wurde nach der Masse an Wertstoffen adjustiert – die 64,8 kg im zweiten Zeitraum wurden mit dem Umrechnungsfaktor 1,10 auf die Masse von 71,3 kg im ersten Zeitraum angepasst. Nach Anwendung des Umrechnungsfaktors auf alle anderen Messdaten war der Massenunterschied der Zeiträume beim Restabfall in Säcken ebenfalls ausgeglichen (Restdifferenz 1 %), sodass eine weitere Adjustierung nicht erforderlich erschien. Daraus ergab sich eine korrigierte Gesamtabfallmasse im zweiten Zeitraum von 515,0 kg, bestehend aus 443,9 kg Restabfall (196,7 kg in Tonnen und 247,2 kg in Säcken) und unveränderten 71,3 kg Wertstoffabfall. Der Massenunterschied der Restabfalltonnen zwischen beiden Zeiträumen betrug somit 31,9 kg, was eine Reduktion von 14 % darstellt; auf den gesamten Restabfall bezogen, liegt der Unterschied bei 7 % (Tab. 1, adjustierte Werte). Es kann angenommen werden, dass dieser Unterschied der Trennung von Glasabfall zugeschrieben werden kann.
Tab. 1
Vergleich der Abfallmengen vor und nach Trennung von Glasabfall
 
Gesamt
Restabfall
Restabfall (Tonne)
Restabfall (Säcke)
Wertstoffe
 
Masse (kg)
Masse (kg)
%
Masse (kg)
%
Masse (kg)
%
Masse (kg)
%
Rohwerte
Vor Glastrennung
549,6
478,3
87,0
228,6
41,6
249,7
45,4
71,3
13,0
Mit Glastrennung
468,2
403,5
86,2
178,8
38,2
224,7
48,0
64,8
13,8
Differenz
81,4 (14,8 %)
74,8 (15,6 %)
49,8 (21,8 %)
25,0 (10,0 %)
6,5 (9,1 %)
Adjustierte Werte
Mit Glastrennung
515,0
443,9
86,2
196,7
38,2
247,2
48,0
71,3
13,8
Differenz
34,6 (6,3 %)
34,5 (7,2 %)
31,9 (14,0 %)
2,5 (1,0 %)
0,0 (0,0 %)
Die Tabelle fasst die Abfallmassen nach Abfallart in den Zeiträumen vor und nach Glastrennung aus dem Restabfall zusammen. Es wird auch der relative Anteil der Abfallarten zur Gesamtabfallmenge angegeben. Die „Rohwerte“ des zweiten Zeitraumes wurden zusätzlich nach der Wertstoffabfallmenge adjustiert („adjustierte Werte“, Faktor 1,10). Die Differenz aus beiden Zeiträumen wird sowohl als absolute Masse (in kg) und relativ zu den Werten aus dem ersten Zeitraum (in %) angezeigt

Mögliche ökonomische Konsequenzen

Anhand der festgestellten Unterschiede wurde schließlich ausgerechnet, welchen ökonomischen Effekt die Glastrennung haben könnte. Auf Basis der Abfallentsorgungskosten für unser Klinikum entfallen ohne Glastrennung (erster Zeitraum) jährliche Abfallentsorgungskosten von 1691,27 €. Durch die Vermeidung von 31,9 kg Restabfall durch die Glastrennung konnten innerhalb von 2 Wochen 4,34 € gespart werden. Auf 1 Jahr (52 Wochen) hochgerechnet, entspräche dies einer Ersparnis von 112,84 €.

Diskussion

In dieser Studie wurde zunächst die anfallende Abfallmenge (Rest- und Wertstoffabfall) im Augenoperationsbereich quantifiziert und nach Eingriffsart differenziert untersucht. Als Verbesserungsmaßnahme wurde anschließend der Glasabfall vom Restabfall getrennt. Schließlich wurde der Effekt dieser Maßnahme auf die Restabfallmenge und auf die Abfallentsorgungskosten gemessen. Im Wesentlichen konnten folgende Beobachtungen gemacht werden:
  • Die durch Augeneingriffe anfallenden Abfallmengen sind erheblich.
  • Bei intraokularen Eingriffen fallen am meisten Abfälle an.
  • Restabfälle machen über 85 % der anfallenden Abfälle aus.
  • Durch Trennung und somit Recycling von Glasabfällen kann die Restabfallmenge reduziert und dabei können geringe ökonomische und CO2-Ersparnisse und erzielt werden.
Als Erstes haben wir uns in dieser Studie mit der Gesamtmasse an Abfällen, die durch ophthalmochirurgische Eingriffen anfallen, beschäftigt. So fanden wir heraus, dass in der Universitätsaugenklinik Essen innerhalb von 2 Wochen ca. eine halbe Tonne Abfall entsteht. Der Großteil dieser Abfälle (80 %, 478,3 kg) waren Restabfälle, die im weiteren Verlauf verbrannt werden – im Gegensatz dazu werden Wertstoffabfälle des Universitätsklinikum Essen recycelt. Diese Restabfallmenge ist erheblich und entspricht ungefähr der Masse an Haushaltsabfällen, die in Deutschland im Jahr 2019 pro Person entstand (laut dem Statistischen Bundesamt durchschnittlich 457 kg).
Des Weiteren stellten wir fest, dass intraokulare Eingriffe (Katarakt-, vitreoretinale und Glaukomchirurgie) 1,8-mal mehr Abfall produzieren als extraokulare (Augenmuskel‑, Lid- und Tumorchirurgie). Bezüglich der Klimabilanz von intraokularer Chirurgie liegen mittlerweile einige Untersuchungen vor. Interessant ist, dass diese Bilanz deutlich von der Operationstechnik und der Region abhängt. Im Falle der Phakoemulsifikation variiert die Abfallproduktion zwischen 0,19 kg in Ostafrika (Eswatini), 0,25 kg in Indien [20], 0,83 kg in Malaysia [11], 2,8 kg in Frankreich [7] und 4,3 kg im UK [9]. Bei der „manual small incision catarat surgery“ (MSICS) ist diese Menge geringer (zwischen 0,18 kg in Eswatini und 2,3 kg in Neuseeland) [9]. Bei Trabekulektomien sind die Unterschiede ähnlich; pro Operation fallen in Indien 0,5 kg Abfall an, hingegen 1,4 kg in den USA [17]. Mit dem in unserem Operationsbereich gemessenen Durchschnittswert von 4,1 kg pro Eingriff liegen wir somit eindeutig im oberen Bereich der weltweiten Spannbreite, auch wenn ein direkter Vergleich nicht möglich ist, da unsere Daten keine Unterscheidung zwischen Katarakt‑, Glaukom- und Netzhautchirurgie ermöglichen. Vergleichbare Zahlen für extraokulare oder vitreoretinale Eingriffe fehlen bisher. Jedoch ist hierzu erwähnenswert, dass der Treibhauseffekt von Schwefelhexafluorid (SF6), das häufig bei Vitrektomien eingesetzt wird, nach 100 Jahren dem 23.900fachen von CO2 entspricht [16], was trotz der kleinen Volumina eine nennenswerte Relevanz für die ökologische Bilanz unseres Faches hat. Kurzum, ophthalmologische Eingriffe machen durch ihre hohe Anzahl (geschätzt 10 Mio. Kataraktoperationen jährlich weltweit [8]) einen relevanten Anteil am ökologischen Fußabdruck des Gesundheitssystems aus. Diese Zahlen zeigen, welch großes Einsparpotenzial sich hier verbirgt, insbesondere, wenn sich Maßnahmen international umsetzen lassen.
Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass in unserem Operationsbereich 85 % der Abfälle nicht wiederverwertbar sind (Restabfälle). Diese Zahl ist vergleichbar mit den 2,3–3,9 kg Abfällen, die in den USA pro Kataraktoperation in Mülldeponien landen [11]. Im Gegensatz dazu werden in Indien bis zu zwei Drittel der Abfälle recycelt [20] und eine Hälfte in Malaysia [11]. Ebenso ergab eine ältere Untersuchung im UK, dass die Hälfte der CO2-Äquivalente bei Operationen durch nicht wiederverwertbare Materialien anfallen [19]. Der sehr geringe Anteil an wiederverwertbarem Abfall in unserem Setting ist dem Umstand geschuldet, dass der überwiegende Teil der verwendeten Materialien aus Einwegartikeln besteht. Zusätzlich zu den Vitrektomie- und Phako-Kassetten trifft dies auch auf die Abdecktücher für Patienten und Instrumententische zu.
Um die Masse an Restabfall zu verringern, wurde in unserem Operationsbereich nach dem ersten Erhebungszeitraum Glasabfall vom Restabfall getrennt. Somit konnten wir die Masse an Restabfällen ohne Zusatzkosten um 7 % verringern. Dadurch dass die Glasentsorgung für das Universitätsklinikum Essen kostenfrei ist, entstehen sogar geringfügige ökonomische Einsparungen. Weiterhin ist Glastrennung generell sinnvoll, da Glas ohne Qualitätsverlust unbegrenzt wiederverwendet werden kann [21] und weil durch Hinzugabe von Altglas bei der Glasherstellung signifikante Energie- und Rohstoffeinsparungen erzielt werden können. Die Wahrnehmung dieser Maßnahme durch das Personal im OP-Bereich wurde hier nicht untersucht; allgemein lässt sich aber sagen, dass für sie der geringe Aufwand der Handlungsumstellung deutlich kleiner war als der empfundene Vorteil, Glas als Wertstoff einem Recyclen zur Verfügung zu stellen, anstatt es zu zerstören.
Dennoch ist der Glasanteil am Gesamtabfall verhältnismäßig gering, und um die Abfallproduktion merklicher zu reduzieren, sind weitere Maßnahmen erforderlich. Die Erfahrung aus weniger industrialisierten Ländern wie Indien zeigt, dass in der westlichen Augenchirurgie ein enormes Potenzial an Ressourceneinsparungen liegt: Durch Maßnahmen wie die Resterilisation von Phako-Tips, mehrmalige Benutzung von Operationskitteln und Handschuhen (mit zwischenzeitlicher Desinfektion) wird dort der Anteil an wiederverwendbarem Abfall erhöht und der Gesamtabfall erheblich reduziert [20]. Die meisten dieser Maßnahmen sind in Deutschland kaum vorstellbar, da hygienische Vorgaben dies nicht zulassen und weil die Anweisungen der Behörden, Produkte- und Gerätehersteller eine solche Benutzung verbieten. Überraschend ist in diesem Zusammenhang dann, dass die Endophthalmitisrate nach Phakoemulsifikation in der eben zitierten indischen Augenklinikgruppe bei 0,01 % liegt [10] und somit niedriger als die in US-amerikanischen Studien angegebenen 0,04 % ist [18]. Aufgrund dieser Feststellung und im Sinne der ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit argumentierte David Chang in Ophthalmology für eine wissenschaftlich fundierte Überarbeitung der aktuell geltenden Hygienepraktiken [3].
Eine Vielzahl von Optimierungsmaßnahmen lösen möglicherweise stark polarisierende Meinungen aus (z. B. die Mehrfachnutzung von Phako-Tips oder chirurgischen Kitteln, die routinemäßige „same-day“ bilaterale Kataraktoperation). Weitere Maßnahmen zur Reduktion der CO2-Bilanz von Augeneingriffen bestehen jedoch, wie beispielsweise bauliche Maßnahmen (z. B. Modernisierung von Lüftungs- und Beleuchtungstechnik) oder die Beziehung von Strom aus erneuerbaren Quellen. Schließlich können auch im anästhesiologischen Bereich CO2-Einsparungen erzielt werden, da Narkosegase zu den größten Verursachern von Treibhausgasemissionen im Gesundheitswesen zählen [13]. Zum Beispiel wird deswegen – auch am Universitätsklinikum Essen – die Wiederaufnahme von ausgeatmeten Narkosegasen aus den Beatmungsgeräten erprobt.

Limitationen

Bei der Interpretation der vorgestellten Ergebnisse müssen bestimmte Limitationen berücksichtigt werden. Erstens bestehen bezüglich der Messungen gewisse Unsicherheiten, dadurch dass die Erhebungszeiträume kurz (jeweils 2 Wochen) waren, dass die getrennte Glasabfallmenge nur geschätzt und nicht direkt gemessen werden konnte und dass die Einhaltung der Maßgabe zur Glastrennung durch das Personal im Operationsbereich nicht systematisch kontrolliert wurde. Eine gewisse Überschätzung der tatsächlichen Abfallmassen könnte bei den vorgestellten Messungen dadurch entstanden sein, dass Flüssigkeiten, die über die Restabfalltonnen entsorgt wurden, mitgewogen wurden – hierdurch entsprechen unsere Messungen nicht der Masse an festem Abfall, die in anderen Studien vorgestellt wurden. Anderseits entsprechen die hier präsentierten Abfallmengen nur einem Anteil der tatsächlich anfallenden Mengen, weil nur die Eingriffe während der Regelarbeitszeit erfasst wurden (nicht die im Dienst oder am Wochenende stattgefundenen Eingriffe) und weil weitere Abfälle wie die Umverpackung der benutzten Materialien nicht berücksichtigt wurden. Dass die Erhebungen in den Sommermonaten stattfanden, führt möglicherweise ebenfalls dazu, dass die gemessenen Mengen eine Unterschätzung des Jahresdurchschnittes repräsentieren, weil in diesem Zeitraum das OP-Programm erfahrungsgemäß etwas reduziert ist; schließlich fehlen in dieser Studie der Abfallanteil komplett, der auf die Anästhesieabteilung zurückfällt, sowie die Spitzabfälle. Außerdem können die Kostenkalkulationen nur als grobe Annäherung erachtet werden, dadurch dass zusätzliche Kosten wie Anschaffungskosten der verschiedenen Abfallbehältnisse (Tonnen, Säcke) nicht berücksichtigt wurden. Letztlich ist eine Generalisierung unserer Beobachtungen schwierig, weil zwischen den Kliniken die Anzahl und Art der Eingriffe deutlich variieren und weil die Abfallentsorgungsmodalitäten regionalen Unterschieden unterliegen.

Ausblick

Augenoperationen produzieren viel Abfall, der überwiegend aus Restabfall besteht und damit nicht wiederverwertet wird. Da Nachhaltigkeitsüberlegungen in der Augenchirurgie bisher in ihren Anfängen stehen, resultiert aus dieser Feststellung ein hohes Potenzial für Ressourceneinsparungen. Umweltschutz betrifft jeden von uns im beruflichen, ebenso wie im privaten Bereich. So gilt es, Maßnahmen, die die Klimabilanz unseres Faches verbessern, zu identifizieren und diese unter Beibehalten der medizinischen Versorgungsqualität rasch umzusetzen.

Fazit für die Praxis

  • Die Analyse von Handlungsabläufen ermöglicht das Identifizieren von Maßnahmen zur Reduktion unserer beruflichen Klimabilanz.
  • Innerhalb der Augenchirurgie sind v. a. intraokulare Eingriffe für die Entstehung erheblicher Abfallmengen verantwortlich.
  • Die Reduktion der Restabfallmenge ist eine der Maßnahmen durch die die Klimabilanz der Augenchirurgie verbessert werden kann.

Danksagung

Die Autoren bedanken sich beim gesamten Operationspersonal und insbesondere beim Reinigungspersonal für die Messung der Abfallmengen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Lever, N. Smetana, N.E. Bechrakis und A. Foerster geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
8.
Zurück zum Zitat Foster A, Frcophth F (2000) VISION 2020: THE CATARACT CHALLENGE. Community Eye Health 13:17 Foster A, Frcophth F (2000) VISION 2020: THE CATARACT CHALLENGE. Community Eye Health 13:17
12.
Zurück zum Zitat Latta M, Shaw C, Gale J (2021) The carbon footprint of cataract surgery in Wellington. N Z Med J 134:13–21PubMed Latta M, Shaw C, Gale J (2021) The carbon footprint of cataract surgery in Wellington. N Z Med J 134:13–21PubMed
14.
Zurück zum Zitat Meadows DH, Meadows DL, Randers J, Behrens WW (2018) The limits to growth. In: Green planet blues. Routledge, London, S 25–29CrossRef Meadows DH, Meadows DL, Randers J, Behrens WW (2018) The limits to growth. In: Green planet blues. Routledge, London, S 25–29CrossRef
Metadaten
Titel
Erhebung und Reduktion der Abfallproduktion im Augenoperationsbereich
verfasst von
Dr. med. Mael Lever
Nicolai Smetana
Nikolaos E. Bechrakis
Andreas Foerster
Publikationsdatum
13.04.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Ophthalmologie / Ausgabe 9/2023
Print ISSN: 2731-720X
Elektronische ISSN: 2731-7218
DOI
https://doi.org/10.1007/s00347-023-01840-6

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