Nackenschmerzen zählen zu den häufigsten Beratungsanlässen in der hausärztlichen Praxis. Um ein evidenzbasiertes Management von Diagnostik und Therapie zu unterstützen, wurde die DEGAM (Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin) S3-Leitlinie „Nicht-spezifische Nackenschmerzen“ entwickelt. Im Rahmen eines Praxistests wurden die Akzeptanz, Praktikabilität und Implementierbarkeit der Leitlinie und der zugehörigen Patienteninformation bewertet. Die Evaluation der Leitlinie mittels Praxistest ist eine Besonderheit der DEGAM-Leitlinienerstellung.
Material und Methoden
Dazu wurde ein Mixed-Methods-Ansatz benutzt, bestehend aus Fragebogenerhebungen (Hausärzt*innen [HÄ] und Patient*innen [PAT]) und Fokusgruppendiskussionen (HÄ). Die Fragebögen wurden eigenständig entwickelt und waren thematisch an das DEGAM-Leitlinien-Autorenmanual angelehnt. Die HÄ testeten sieben Wochen die Lang- und Kurzversion der Leitlinie und dokumentierten Patientenkontakte mit nicht-spezifischen Nackenschmerzen. Des Weiteren händigten die HÄ den PAT die Patienteninformation und einen Evaluierungsbogen aus. Fragebögen wurden deskriptiv ausgewertet. Die zwei Fokusgruppendiskussionen waren semi-strukturiert und die Auswertung erfolgte, angelehnt an die Inhaltsanalyse nach Mayring, durch eine thematische Zusammenfassung.
Ergebnisse
Elf HÄ dokumentierten 86 Patientenkontakte und zehn HÄ evaluierten die Leitlinie. 59 PAT nahmen an der Patientenbefragung teil. Die HÄ beurteilten die Leitlinie in 65/86 Fällen als hilfreich, und 53/59 PAT bewerteten Patienteninformation als mindestens gut. Herausforderungen bei der Anwendung der Leitlinie ergaben sich durch patientenspezifische Therapieerwartungen (z. B. Physiotherapie), und Abweichungen von der Leitlinie wurden u. a. durch Erfahrungswissen begründet. Therapieformate (u. a. Akupunktur, Taping), die in der Hausarztpraxis Anwendung finden, waren in der Leitlinie gar nicht oder unzureichend erläutert.
Schlussfolgerung
Der Praxistest zeigte, dass die Leitlinie die hausärztliche Versorgung sinnvoll unterstützt. Eine Erweiterung der Leitlinie um ausführlichere Erläuterungen und visuelle Materialien könnte die Akzeptanz und Adhärenz weiter steigern.
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Hintergrund und Fragestellung
In Deutschland leiden im Jahr fast 46 % der Erwachsenen an Nackenschmerzen. Dabei sind Frauen häufiger betroffen als Männer (54,9 % vs. 36,2 %) [1]. Nackenschmerzen zählen zu den häufigsten Beratungsanlässen in der Hausarztpraxis [2] und verursachen jährlich 3,83 Mrd. € Kosten [3]. Hausärzt*innen (HÄ) als erste Anlaufstelle für Gesundheitsprobleme jeglicher Art sind für die Behandlung von Nackenschmerzen essenziell. Ein Hilfsmittel in der hausärztlichen Versorgung sind Leitlinien. Die S1-Leitlinie Nackenschmerzen der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) war seit 2021 nicht mehr gültig und wurde 2024 zu der DEGAM-S3-Leitlinie Nicht-spezifische Nackenschmerzen aufgewertet [4]. Die Aufwertung zur S3-Leitlinie geht einher mit einer höheren methodischen Qualität in der Erstellung der Leitlinie und einer umfassenderen Evidenzbasis der Empfehlungen. Gleichzeitig wird die Leitlinie länger, was die Implementierung in die Praxis erschwert. Im Rahmen der Entwicklung dieser Leitlinie führte der Bereich Allgemeinmedizin der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden gemäß dem DEGAM-Stufenplan für S3-Leitlinienentwicklung (Abb. 1), welcher auf dem AWMF-Regelwerk basiert, einen Praxistest durch. Dieser evaluiert Akzeptanz, Relevanz und Praktikabilität der Kurz- und Langversion der Leitlinie sowie der Patienteninformation [5]. Der Praxistest wurde mit potenziellen Anwender*innen der Leitlinien und Patienteninformation (Hausärzt*innen und Patient*innen) durchgeführt, um sowohl die Implementierbarkeit und damit verbundene Hindernisse zu untersuchen als auch Verbesserungspotenzial zu ermitteln. Die Ergebnisse des Praxistest werden genutzt, um die Leitlinie zu überarbeiten.
Abb. 1
DEGAM-Stufenplan zur Entwicklung von S3-Leitlinien
×
Studiendesign und Untersuchungsmethoden
Für den Praxistest wurde ein Mixed-Methods-Ansatz gewählt, bestehend aus Fragebogenerhebungen mit HÄ und Patient*innen (PAT) und Fokusgruppendiskussionen mit HÄ. Die Fragebogenerhebungen dienten zur Erfassung der Praktikabilität und Akzeptanz der Leitlinie bzw. Patienteninformation aus Sicht der HÄ und PAT. Die Fokusgruppendiskussionen vertieften die Erkenntnisse der Fragebogenerhebungen und ermöglichten einen Austausch zwischen den HÄ. Das Projekt wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert.
Rekrutierung
Hausärzt*innen
Laut DEGAM-Stufenplan sollten für den Praxistest 10–25 HÄ rekrutiert werden [5]. Es wurden sächsische HÄ (Facharztbezeichnung Allgemeinmedizin oder Innere Medizin) und Ärzt*innen in Weiterbildung für Allgemeinmedizin in der Hausarztpraxis rekrutiert. Im März 2024 wurden alle niedergelassenen HÄ in Sachsen (ca. 1600) per Fax oder E‑Mail kontaktiert. Zusätzlich fand im April 2024 eine Rekrutierung über das SaxoN-Forschungspraxentreffen statt. Interessierte HÄ erhielten eine Studieninformation zum Praxistest und stimmten mittels Einverständniserklärung schriftlich einer pseudonymisierten Datenverarbeitung zu. Die HÄ bekamen eine Aufwandsentschädigung von insgesamt 30 € für die quantitativen Erhebungen (Patientendokumentation und Evaluationsbogen) und 50 € für die Teilnahme an einer Fokusgruppendiskussion.
Patient*innen
Die HÄ sprachen im Studienzeitraum (13.05.2024 bis 28.06.2024) bis zu 10 PAT mit unspezifischen Nackenschmerzen in der Konsultation an und händigten die Materialien (Studienbeschreibung, Patienteninformation und Evaluationsbogen und Rücksendeumschlag) aus. Da es sich um eine anonymisierte Patientenbefragung handelte, bedurfte es keines zusätzlichen Aufklärungsgesprächs und keiner Einverständniserklärung seitens der PAT.
Die Ethikkommission der Technischen Universität Dresden stimmte der Durchführung der Studie am 11.03.2024 zu (Aktenzeichen: SR-EK-521122023).
Datenerhebung
Die siebenwöchige Erprobungszeit aller Leitliniendokumente (Lang- & Kurzversion, Patienteninformation) fand vom 13.05.2024 bis zum 28.06.2024 in sächsischen Hausarztpraxen statt. Der Praxistest war ursprünglich für einen Zeitraum von vier Wochen geplant, jedoch gaben die HÄ an, mehr Zeit zu benötigen, um die geforderte Anzahl von zehn PAT zu erreichen. Die drei Fragebogenerhebungen (A–C) erfolgten entweder digital mittels LimeSurvey (Bildungsportal Sachsen) oder analog (Papierfragebogen). Die HÄ und PAT sendeten ihre jeweiligen analogen Fragebögen kostenfrei an das Studienteam, das sie anschließend in LimeSurvey erfasste. Die Fragebögen (B–C) wurden eigenständig entwickelt und orientierten sich thematisch an das DEGAM-Leitlinien-Autorenmanual angelehnt [5].
A.
Patientendokumentation: Die HÄ wendeten die Leitlinie inkl. Kurzversion im Praxisalltag an und dokumentierten bis zu 10 PAT mit dem Beratungsanlass nicht-spezifischer Nackenschmerz mittels eines selbstentwickelten Fragebogens nach der Konsultation. Dieser Fragebogen erhob die Soziodemografie der PAT, Dauer der Beschwerden, Nützlichkeit der Leitlinie im individuellen Patientenfall, Probleme bei der Anwendung, Gründe für Abweichungen von Leitlinienempfehlungen und sonstige Anmerkungen zur Leitlinie (Anhang 1).
B.
Gesamtevaluation: Nach Abschluss der Dokumentationen der Patientenkontakte füllten die HÄ einen Gesamtevaluationsbogen aus. Der Evaluationsbogen umfasste Fragen zur Bewertung der allgemeinen Praktikabilität und Nützlichkeit der Leitlinie sowie Fragen zur Soziodemografie der HÄ (Anhang 2).
C.
Patienteninformation: Über einen beigefügten Patientenevaluationsbogen mit Rückumschlag oder einen QR-Code konnten die PAT die Patienteninformation anonym bewerten. Der Fragebogen erhob zudem Informationen zu generell genutzten Quellen, um sich über Krankheiten zu informieren, Beurteilung der Patienteninformation, Erfahrungen mit anderen Patienteninformationen sowie Fragen zur Soziodemografie (Anhang 3). Lehnte ein dokumentierter PAT die Teilnahme an der Patientenbefragung ab, konnten die HÄ den Umschlag mit der Befragung einem anderen, nicht dokumentierten PAT mit dem Beratungsanlass „nicht-spezifischer Nackenschmerz“ weitergeben.
Aufbauend auf den Erkenntnissen der Fragebogenerhebungen wurden die rekrutierten HÄ zu teilstrukturierten, digitalen Fokusgruppendiskussionen via Zoom eingeladen.
D.
Die Fokusgruppendiskussionen hatten zum Ziel, ein tieferes Verständnis der Ergebnisse des Praxistests zu gewinnen und gleichzeitig weitere Themen, Anregungen und Rückmeldungen zur Leitlinie zu identifizieren. Die Fokusgruppendiskussionen wurden am 14.08.2024 und 21.08.2024 durchgeführt und via Whiteboard und Hintergrundprotokoll protokolliert (Leitfaden Anhang 4). Moderiert wurde die Diskussion von einem ärztlichen Mitarbeiter des Bereichs Allgemeinmedizin, TU Dresden (Martin Bortz).
Analyse
Die Datenauswertung erfolgte über SPSS 29,0 (IBM, Armonk, New York, USA). Die deskriptive Analyse der Fragebogenerhebungen umfasste Mittelwerte (MW) mit Standardabweichung (SD) für metrische Variablen und Häufigkeiten und Prozente für nichtmetrische Variablen. Offene Fragen wurden thematisch mittels induktiver Kategorienbildung zusammengefasst.
Die Inhalte der Fokusgruppen wurden angelehnt an die qualitative Inhaltsanalyse von Mayring [6] thematisch zusammengefasst. Dafür erstellte WG induktive Kategorien und kodierte die Protokolle. Die Kategorien lauteten Therapeutische Maßnahmen, Einsatz der Leitlinie, Patienteninformation, Probleme mit der Leitlinie, Ergänzungen für die Leitlinie.
Ergebnisse
Stichprobenbeschreibungen HÄ und PAT
Es nahmen elf HÄ an der Studie teil, davon evaluierten zehn HÄ die Leitlinie, und elf dokumentierten Patientenkontakte. Die HÄ waren durchschnittlich 48 Jahre alt (SD 14,5; min = 34, max = 82) und hatten teilweise die Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und Chirotherapie. Ein Arzt war in Weiterbildung für Allgemeinmedizin. Durchschnittlich waren die HÄ seit 14,4 Jahren hausärztlich tätig (SD 14,3; min = 3, max = 50). Weitere Charakteristika der teilnehmenden HÄ sind in Tab. 1 dargestellt. Fünf HÄ hatten bisher andere Leitlinien in der Versorgung angewendet. Darunter die Leitlinien über Palliativmedizin, Polypharmazie, Thromboembolie, Diabetes, Koronare Herzkrankheit, Asthma bronchiale, Herzinsuffizienz, Gicht, Antikoagulation, Harnwegsinfektion, Schilddrüse und Hypertonie.
Tab. 1
Stichprobenbeschreibung HÄ
Charakteristika, N = 10
Absolute Häufigkeit
Geschlecht
weiblich
4
männlich
5
Missing (keine Angabe)
1
Größe des Praxisortes
< 5000 Einwohner
2
5000 bis < 20.000 Einwohner
3
20.000 bis 100.000 Einwohner
2
> 100.000 Einwohner
2
Missing
1
Art der Praxis
4
Einzelpraxis (mit angestellten Ärzt*innen)
4
Einzelpraxis (ohne angestellte Ärzt*innen)
Gemeinschaftspraxis an einem Standort (örtliche BAG)
2
Behandlung von PAT pro Quartal
1000–1499
4
1500–1999
3
2000–2499
2
2500–2999
1
Elf HÄ dokumentierten 86 Patientenkontakte (MW = 7,81 pro Hausarzt) mit nicht-spezifischem Nackenschmerz. Die Stichprobenbeschreibung der durch die HÄ dokumentierten PAT ist in Tab. 2 dargestellt. Von den 27 PAT mit chronischen Nackenschmerzen (länger als 12 Wochen) litten 21 PAT seit über einem Jahr an den Beschwerden.
Tab. 2
Stichprobenbeschreibung der PAT (Patientendokumentation)
Charakteristika, N = 86
Absolute Häufigkeit
Geschlecht
Männlich
27
Weiblich
52
Missing
7
Altersgruppen in Jahren
18–39
19
40–59
38
60–79
25
80 oder älter
4
Dauer der Nackenschmerzen in Wochen
0–3 (akut)
43
4–12 (subakut)
12
länger als 12 (chronisch)
27
Missing
4
An den zwei Fokusgruppendiskussionen nahmen jeweils drei HÄ (2 männlich, 4 weiblich) teil. Die Diskussionen dauerten jeweils ca. 100 min.
An der Patientenbefragung nahmen 59 Personen teil. Das Durchschnittsalter betrug 50 Jahre (SD 15,7; min = 18, max = 77). Die meisten PAT hatten einen mittleren oder hohen Schul- und Berufsabschluss (weitere Merkmale in Tab. 3). Zehn PAT gaben an, akute Nackenschmerzen zu haben, sieben berichteten über subakute Nackenschmerzen und 36 über chronische, wovon 25 PAT länger als ein Jahr unter Nackenschmerzen litten.
Tab. 3
Stichprobenbeschreibung der PAT (Patientenbefragung)
Charakteristika, N = 59
Absolute Häufigkeit
Geschlecht
Männlich
12
Weiblich
43
Missing
4
Durchschnittsalter (SD)
50 (15,7)
Höchster Schulabschluss
Abitur/Fachabitur/Fachhochschulreife
21
Mittlere Reife/Realschule
29
Hauptschule/Volksschule
4
Missing
5
Höchster berufsbildender Abschluss
Berufsschule (Lehre)
35
Fachschule/Techniker‑/Meisterschule
2
Ingenieur-Schule/Polytechnikum
1
Hochschule/Fachhochschule/Universität
17
Missing
4
Als präferierte Informationsquellen, um sich generell über Erkrankungen zu informieren, wurden das direkte Gespräch mit dem Arzt, gefolgt vom Internet und Gesprächen mit Physiotherapeuten benannt (Tab. 4).
Tab. 4
Präferierte genutzte Informationsquellen von PAT aus der Patientenbefragung (Mehrfachantworten)
Informationsquellen, N = 148
Häufigkeit, N
Gespräche mit Ärzt*innen
47
Internet
35
Gespräche mit Physiotherapeut*innen
24
Gespräche mit Familie, Freunden oder Nachbarn
23
Zeitschrift
9
Gesprächen mit anderen Gesundheitsberufen
6
Zeitung
3
Pflegedienst
1
Evaluation der Leitlinie inklusive Kurzversion durch HÄ
Die Fokusgruppendiskussionen validierten die Ergebnisse aus den Fragebogenerhebungen. Dementsprechend wird über die Ergebnisse gemeinsam berichtet, um Wiederholungen zu vermeiden. Außerdem können die detaillierten Ergebnisse der geschlossenen Fragen der HÄ-Befragung aus Anhang 5 entnommen werden.
Die HÄ gaben an, sich intensiv mit der Kurzversion der Leitlinie beschäftigt zu haben und weniger intensiv mit der Langversion. Für sie relevante Kapitel für die Versorgung waren Diagnostik, Selbstmanagement, Therapie und die Aussagen zu physikalischen Therapiemaßnahmen, wie bspw. Wärme-Kälte-Anwendungen, und komplementären Verfahren, wie bspw. Akupunktur. Der Bereich des therapeutischen Managements wurde in den Fragebögen sowie den Fokusgruppendiskussionen am meisten kommentiert, wobei die Bedeutung des Selbstmanagements besonders hervorgehoben wurde. Die HÄ betonten, dass in der Therapie Übungen und Kompetenzen zur Förderung des Selbstmanagements vermittelt werden sollten. Die Hälfte der HÄ plant, ihr Vorgehen durch die Erkenntnisse aus der Leitlinie anzupassen, insbesondere in den Bereichen Selbstmanagement und nichtmedikamentöse Therapie. Positive und negative genannte Aspekte der Leitlinie sowie Wünsche für Ergänzungen sind in Tab. 5 dargestellt.
Tab. 5
Bewertung der Leitlinie durch die HÄ sowie Wünsche für Ergänzungen in der Leitlinie
Positiv
Negativ
Wünsche für Ergänzungen
Länge, Struktur und Therapieblock der Kurzversion
Fehlende Erklärung orthopädischer klinischer Testverfahren wie Spurling-Test und Upper-Limb-Tension-Test
Abbildungen und Links zu Bewegungs- und Dehnungsübungen
Langversion konnte offene Fragen klären
Unzureichende Differenzierung zwischen Wärme- und Kälteanwendungen
Fließschema zur indikationsgerechten Verordnung von Physiotherapie
Leitlinie hilfreich bei Patientengesprächen
Digitale Gesundheitsanwendungen in der Kurzversion zu präsent, da nur auf einer Publikation basierend
Weitere therapeutische Maßnahmen, wie Reha-Sport, Osteopathie, Krankengymnastik, Quaddeln, Yoga oder Pilates, explizit erwähnen und wissenschaftlich einordnen
Eigenständig ergriffene Maßnahmen der PAT werden nicht berücksichtigt
Individuelle Eigenschaften von geriatrischen PAT stärker berücksichtigen
Kriterien für Überweisungen an andere Fachärzt*innen definieren
Vor- und Nachteile von Arbeitsbescheinigungen diskutieren
Differenzierung zwischen akuten und chronischen Nackenschmerzen sowie die Notwendigkeit einer Reevaluation bei akuten Episoden klarer darstellen
CME-zertifizierte Fortbildung zu den Inhalten der Leitlinie
Umsetzung von Leitlinienempfehlungen
Acht HÄ stimmten den kompletten Empfehlungen zu. Einzelne HÄ widersprachen der Leitlinien-Empfehlung bzgl. Phytotherapie, Akupunktur bei akuten Nackenschmerzen, TENS-Gerät und Kinesiotaping, da sie in der Vergangenheit positive Erfahrungen mit diesen Maßnahmen gemacht hatten. Die HÄ berichteten bei der Anwendung der Leitlinie von Herausforderungen, die ihrer Ansicht nach auf spezifische Wünsche und Erwartungen der PAT an die Konsultation zurückzuführen waren. Zum Beispiel hatten einige PAT explizit den Wunsch nach einer Verordnung von Physiotherapie geäußert. Trotz der Nichtempfehlung verschrieben HÄ weiterhin manuelle Therapien und befürchteten, dass die ablehnende Haltung in der Leitlinie die zukünftige Kostenübernahme durch die Krankenkassen gefährden könne. Darüber hinaus verlangten vereinzelte PAT Osteopathie, Massage, nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oder Bildgebung. Einige HÄ wichen in diesen Fällen von den Empfehlungen ab und gaben den Wünschen entsprechend nach. Die HÄ sahen die Leitlinie andererseits auch als Stütze, um gegen den nicht indizierten Patientenwunsch zu argumentieren.
Evaluation der Patienteninformation durch HÄ und PAT
Positive und negative genannte Aspekte der Patienteninformation sowie Wünsche für Ergänzungen sind in Tab. 6 (HÄ) und Tab. 7 (PAT) dargestellt. Die HÄ hatten unterschiedliche Ansichten, ob die Patienteninformation um weitere Abbildungen mit Bewegungsübungen ergänzt werden sollte. Einige würden Hinweise (YouTube-Links, Handouts) zu Bewegungsübungen dem PAT lieber individuell in der Sprechstunde mitgeben. Andere HÄ befürworteten die Aufnahme von Abbildungen in der Patienteninformation zu Bewegungsübungen und schlugen vor, diese noch mit Erläuterungen und präventiven Haltungen (z. B. rückenschonendes Arbeiten) zu ergänzen.
Tab. 6
Bewertung der Patienteninformationen durch die HÄ sowie Wünsche für Ergänzungen in der Patienteninformation
Positiv
Negativ
Wünsche für Ergänzungen
7/10 HÄ bewerteten Patienteninformation als gut
3/10 HÄ bewerteten Patienteninformation als trivial
Übersetzung ins Englische
Hilfreich bei der Verdeutlichung ärztlicher Maßnahmen
Layout
Niedrigschwelligen Zugang zu Sportkursen (z. B. Link zum Vereinsregister) erwähnen
Verwendung des generischen Maskulinum
Wirksamkeit verschiedener therapeutischer Maßnahmen miteinander vergleichen (Manuelle Therapie vs. Einnahme von Ibuprofen vs. eigenes Übungsprogramm)
Wärme-Kälte-Anwendung konkretisieren
Hinweise zur Schmerzbeschreibung
Tab. 7
Bewertung der Patienteninformationen durch die PAT sowie Wünsche für Ergänzungen in der Patienteninformation
Positiv
Negativ
Wünsche für Ergänzungen
53/59 PAT bewerteten Patienteninformation als gut
6/59 PAT bewerteten Patienteninformation als nicht gut
Abbildungen und Links zu Bewegungs- und Dehnungsübungen sowie zu vermeidende Haltungen
Verständlichkeit und Länge
Ursachen für Nackenschmerzen unzureichend dargestellt
Übersetzung in weitere Sprachen
Vermittlung von Maßnahmen
Ernährung, Fangopackungen, Massagen, Wasserbewegung, Stressreduktion und Wärme- und Kältebehandlung nicht ausreichend thematisiert
Kleineres Format
Vermittlung, was vermieden werden sollte
Layout
Links/QR-Codes für ältere PAT ungeeignet
Berücksichtigt nicht Schmerzpatienten
Diskussion
Die Ergebnisse des Praxistests zur DEGAM-S3-Leitlinie „Nicht-spezifische Nackenschmerzen“ zeigen, dass die Leitlinie im hausärztlichen Alltag grundsätzlich als hilfreich und anwendbar bewertet wurde. Die hohe Akzeptanz der Kurzversion bei den teilnehmenden HÄ spricht für ihre Struktur und Verständlichkeit. In der praktischen Umsetzung zeigten sich jedoch Herausforderungen, insbesondere durch patientenspezifische Wünsche, die teils den Leitlinienempfehlungen widersprechen, wie z. B. bei der Verordnung von Physiotherapie. Die HÄ gaben an, dass diese individuellen Wünsche häufig zu Abweichungen von der LL in der Therapie führten. Ein ergänzendes Fließschema zur indikationsgerechten Anwendung nichtmedikamentöser Therapieformen könnte eine bessere Argumentationsgrundlage im Patientengespräch schaffen und die Leitlinie in der Praxis stärken.
Einige HÄ bewerteten ihre klinischen Versorgungserfahrungen zu bspw. Akupunktur oder Taping höher als die evidenzbasierten Empfehlungen der Leitlinie. Dies deutet auf eine Diskrepanz zwischen subjektiven Erfahrungswissen (interne Evidenz) und objektiven Forschungsergebnissen (externe Evidenz) hin, die die Leitlinienadhärenz beeinflussen. Externe klinische Evidenz führt dazu, dass bisher akzeptierte diagnostische Tests und therapeutische Verfahren neu bewertet und durch wirksamere, effizientere und sicherere Alternativen ersetzt werden. Gleichzeitig benötigt es auch die interne Evidenz, um auf die individuellen Präferenzen der PAT eingehen zu können [7]. Einerseits fördern Leitlinien ein standardisiertes Vorgehen, andererseits benötigen Ärzte Flexibilität, um auf individuelle Patientenbedürfnisse einzugehen. Schließlich geben Leitlinien Empfehlungen für Standardsituationen vor. Dieses Spannungsfeld zwischen interner und externer Evidenz ist allgemein bekannt bei der Implementierung von Leitlinien [8, 9].
Selbmann und Kopp (2005) argumentieren, dass u. a. die Entwicklung von verschiedenen Leitlinienformaten (z. B. Lang‑, Kurzfassung, Patientenversionen) die Adhärenz fördert [9]. Die HÄ bewerteten die Kurzversion der Leitlinie als sehr positiv und gaben an, diese eher zu benutzen als die Langversion. Die Kurzversion berücksichtigt die begrenzte Zeitressource vieler HÄ und sollte von hoher Qualität sein, da diese einen starken Einfluss auf die Versorgung hat. Die Langversion ist primär ein „Nachschlagewerk“. Bechdolf et al. (2022) konnten in ihrer Pilotstudie zeigen, dass Implementierungsberater in psychiatrischen Stationen für die Umsetzung von Empfehlungen förderlich sind [10]. Für das hausärztliche Setting ist das, wegen der mangelnden finanziellen und zeitlichen Ressourcen, unrealistisch. Eher geeignet sind CME-zertifizierte Fortbildungen, in denen die Inhalte der Leitlinie vermittelt und diskutiert werden können, oder eLearning-Programme [11, 12]. Einige HÄ wünschten sich eine detailliertere Erklärung therapeutischer Maßnahmen, wie der Wärme- und Kälteanwendung. Dies deutet darauf hin, dass diese Bereiche in der Leitlinie nicht ausreichend erläutert wurden. Eine ausführlichere Darstellung der Empfehlungen könnte die Adhärenz bei der Umsetzung erhöhen.
Die HÄ und PAT bewerteten die Patienteninformation als nützliche Ergänzung zur Leitlinie und hatten ähnliche Anmerkungen. Sie könne das Selbstmanagement des PAT fördern und unterstützt die ärztliche Beratung. PAT äußerten jedoch Wünsche nach ergänzenden Inhalten, wie Abbildungen zu Bewegungsübungen. Einige HÄ standen dieser Ergänzung ablehnend gegenüber und bevorzugten eine individuelle Besprechung in der Sprechstunde. Die Patienteninformation könnte zumindest grundlegende Übungsanleitungen enthalten, während spezifische Hinweise weiterhin in der Sprechstunde gegeben werden.
Limitationen
Der DEGAM-Stufenplan empfiehlt, 10–25 HÄ für den Praxistest einzubeziehen. Die angestrebte Fallzahl von mindestens N = 10 HÄ konnte zwar erreicht werden, jedoch erhoben fünf der 16 rekrutierten HÄ keine Daten und zählen somit als Drop-outs. Obwohl der Erhebungszeitraum von 4 auf 7 Wochen verlängert wurde, konnten nicht alle HÄ 10 PAT einschließen, da in einigen Praxen nicht genügend Patienten mit diesem Beratungsanlass kamen. In der Fokusgruppendiskussion erwähnte eine Hausärztin, dass sie ausschließlich PAT mit akuten Nackenschmerzen eingeschlossen hatte, obwohl das Studienteam keine solche Einschränkung kommuniziert hatte. Nichtsdestotrotz zeigen die soziodemografischen Daten, dass sowohl die Gruppe der HÄ als auch der PAT sehr heterogen waren.
Fazit für die Praxis
Der Praxistest verdeutlicht, dass die Leitlinie „Nicht-spezifische Nackenschmerzen“ im hausärztlichen Alltag praktikabel und implementierbar ist sowie die hausärztliche Versorgung unterstützen kann.
Die Rückmeldungen zeigen jedoch Potenzial für eine weitere Anpassung an die Praxis, etwa durch detailliertere Entscheidungswege, Übersetzungen in weitere Sprachen und eine differenzierte Berücksichtigung von patientenspezifischen Bedürfnissen.
Dies könnte langfristig zur besseren Umsetzung der Leitlinienempfehlungen beitragen.
Die Ergebnisse des Praxistests fließen in die Überarbeitung der Leitlinie ein und fördern somit die Implementierung.
Förderung
Die Studie wurde finanziert vom Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA, Förderkennzeichen 01VSF22005)
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
W. Gräfe, A.-A. Klein, M. Bothur, M. Bortz geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. K. Voigt und J. Schübel sind Sprecherinnen der DEGAM-Sektion Leitlinien und Qualitätsförderung und setzen sich in dieser Funktion aktiv für DEGAM-Leitlinienentwicklung und -promotion ein.
Diese Studie wurde in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Deklaration von Helsinki durchgeführt. Die Genehmigung wurde von der Ethikkommission der Technischen Universität Dresden erteilt (Datum 11.03.2024; SR-EK-521122023).
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