"Nationale Obsession": Phallusdarstellungen in Bhutan

Kaum ein Besucher Bhutans kann sich dem überraschenden Eindruck allgegenwärtiger mehr oder weniger realistischer Darstellungen erigierter und oft ejakulierender Phalli entziehen. Diese, von einem Autor als „nationale Obsession“ [1] bezeichnete Phallophilie stellt für Bhutaner einen ganz normalen Teil ihrer kulturellen Identität dar. Kaum ein Besucher Bhutans kann sich dem überraschenden Eindruck allgegenwärtiger mehr oder weniger realistischer Darstellungen erigierter und oft ejakulierender Phalli entziehen. Diese, von einem Autor als „nationale Obsession“ [1] bezeichnete Phallophilie fordert interessierte, amüsierte, gelegentlich auch missbilligende Kommentare mancher Touristen heraus – für Bhutaner stellt sie einen ganz normalen Teil ihrer kulturellen Identität dar. Hingegen sind Darstellungen oder Symbole des weiblichen Genitale außerordentlich selten. Allenfalls kann man gelegentlich Felsritzungen entdecken, welche entfernt einer Vulva gleichen. Berühmt ist eine im Dorf Jamkhar nahe Trashigang gelegene sehr suggestive Felsspalte, die unter den Einheimischen als Jamkhar ama baga (Mutter Jhamkhars Vulva) bekannt ist. Bhutan Das in Südasien gelegene und durch seine relative politische und geographische Isolierung immer noch etwas geheimnisumwitterte Königreich Bhutan (Hauptstadt: Thimphu) grenzt im Süden an Indien und im Norden an Tibet. Mit knapp 39.000 km2 hat das Land etwa die Größe der Schweiz. Seine Oberflächengestalt ist vom Himalaya-Gebirge geprägt: Mehr als 80% Bhutans liegen über 2000 m Höhe. Das Königreich war nie kolonialisiert und so waren seine 700.000 Einwohner in ihrer Entwicklung bis in die 1960er Jahre vom Rest der Welt praktisch abgeschnitten. Ackerbau und Viehzucht dienten als hauptsächliche Einkommensquelle, wobei die Menschen zumeist in kleinen Dörfern ohne jegliche Verwendung moderner Technologie und ohne nennenswerte Infrastruktur lebten. In den letzten Jahrzehnten hat Bhutan jedoch eine zunehmende Öffnung, u. a. durch internationale Kooperation, ausländische Investitionen und einen gesteuerten Tourismus erfahren. Staatsreligion, der über 70% der Bevölkerung angehören, ist die tantrische Form des (ansonsten v. a. aus Tibet bekannten) Mahayana-Buddhismus, das sog. Vajrayana. Wie kein anderer Faktor prägt der Buddhismus Kultur und Lebensart Bhutans. Dementsprechend sind die wichtigsten Feste religiöse Feierlichkeiten, die mit farbenprächtigen Tempeltänzen einhergehen. Auch die traditionelle Architektur als besonders sichtbarer Ausdruck der Kultur Bhutans ist bestimmt von der Religion: alle Bau- elemente, Proportionen, Farben etc. haben religiöse Bedeutung. Sie sorgen dafür, dass gute Geister leichten Zutritt in die Gebäude haben, während böse Dämonen ferngehalten werden [2]. Sozialpolitisch hat Bhutan weltweit v. a. durch seine Inaugurierung des Gross National Happiness, des Bruttosozialglücks, von sich reden gemacht. Das westliche Konzept des Bruttosozialprodukts aufgreifend und kontrastierend, geht es im Kern der Entwicklungsphilosophie des Bruttosozialglücks um das Gleichgewicht von ökonomischen und nichtökonomischen Zielen. Ökonomisches Wachstum ist dabei kein Zweck an sich, sondern ein Mittel, um wichtigere Ziele wie z. B. gemeinschaftliches Glück zu erreichen. Beeinflusst durch bhutanische Kultur und die buddhistische Philosophie soll das Streben nach Bruttosozialglück in Bhutan verstanden werden „als das Mandat des Staates zur Schaffung einer Umgebung, in der die Bürger geistige Ausgeglichenheit anstreben können“, wie es Kinley Dorji, Herausgeber der bhutanischen Tageszeitung Kuensel, formuliert [3]. 2006 hat der damalige König Jigme Singye Wangchuk zugunsten seines Sohnes, des Kronprinzen Jigme Khesar Namgyal Wangchuk, abgedankt. Mit diesem Thronwechsel verbunden war eine geplante und gesteuerte Demokratisierung des Landes: 2007 wurden zum ersten Mal in der Geschichte Bhutans Wahlen abgehalten, welche zu einer Regierungs- und Parlamentsbildung nach dem Vorbild Großbritanniens führten. Seither ist Bhutan eine Konstitutionelle Monarchie. Drukpa Künley Neben seiner weitgehend unberührten Hochgebirgslandschaft und den vielfach mittelalterlichen Dorfstrukturen verfügt Bhutan über zahlreiche Sehenswürdigkeiten, insbesondere im Bereich des Kunstgewerbes, der Volkskunst und der sakralen und säkularen Architektur. Dem ausländischen Besucher fallen insbesondere die weit verbreiteten Phallusdarstellungen ins Auge. Obwohl es heißt, Abbildungen des Phallus gingen in Bhutan bereits auf die vorbuddhistische Bön-Religion zurück [4], assoziieren die meisten Bhutaner das Symbol mit Drukpa Künley, dem „Heiligen Narren“ (Abb. 1 ). Der Yogi Drukpa Künley wurde 1455 in Tibet geboren, wo er im Kloster Ralung Schüler des berühmten Gelehrten Pema Lingpa war. Vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zu seinem Tod im Jahr 1529 wirkte er in Bhutan. Der Legende zufolge schoss er in Tibet einen Pfeil in den Himmel und folgte dessen Pfad bis ins südlich gelegene Bhutan. Dort erschütterte er die religiösen Lehrmethoden der Zeit durch schockierendes und bewusst „unheiliges“ Verhalten, indem er Gebet und Meditation durch Liebe und Wein ersetzte. Drukpa Künley legte es darauf an, v. a. den orthodoxen Klerus zu provozieren und er prangerte den Verfall der Religion in den Klöstern, aber auch im einfachen Volk an. Bigotterie und Aberglauben entlarvte er gleichermaßen durch unkonventionelles Benehmen und aufreizende Gesänge, die bis heute nichts von ihrer vergnüglich-kritischen Schärfe verloren haben – u. a. ist Folgendes von ihm überliefert: „Ich verneige mich vor Wüstlingen, die ihre Frauen leid sind; ich verneige mich vor betrügerischer und lügnerischer Rede; ich verneige mich vor undankbaren Kindern; ich verneige mich vor Lehrern, die sich an ihren eigenen Worten berauschen; ich verneige mich vor gefräßigen Mönchen; ich verneige mich vor Menschenfreunden mit eigensüchtigen Motiven; ich verneige mich vor Händlern, die Weisheit gegen Geld eintauschen; ich verneige mich vor den Weltabgewandten, die im Geheimen Geld anhäufen; ich verneige mich vor Schwätzern, die nie zuhören; ich verneige mich vor Landstreichern, die kein Zuhause haben; ich verneige mich vor den Ärschen unersättlicher Huren.“ [5]. Den Worten Taten folgen lassend, scheute Drukpa Künley nicht davor zurück, seinen Penis, den „Donnerkeil der flammenden Weisheit“ [6], als Mittel einzusetzen, sei es, um Frauen durch sexuelle Ekstase auf den rechten Weg des Glaubens zu bringen, sei es, um – insbesondere weibliche – Dämonen zu erschrecken und zu vertreiben. Sein ambivalenter Ruf als Weiberheld und Trunkenbold auf der einen Seite und heiliger Mann und Reformer auf der anderen Seite hat für viele Bhutaner bis heute seinen Reiz behalten. „Der beste Wein findet sich am Boden des Trinkgefäßes und das Glück liegt unterhalb des Bauchnabels“ war eine seiner provokanten Redensarten. Er predigte, dass Eros und Trunkenheit die wahren Mittel seien, um die materielle Welt zu überwinden und mit sich selbst eins zu werden. Stets führte er einen Schoßhund sowie einen Stab in Form eines männlichen Gliedes mit sich. Seine weltlichen Eskapaden unterbrach er jedoch immer gern, um spirituellen Rat zu geben, wie man sein Karma verbessern könne, wie man zu einer vorteilhaften Wiedergeburt gelange und wie die Buddhaschaft zu erreichen sei. Der „Heilige der 5000 Frauen“ war schließlich weithin berühmt und geachtet in Bhutan. Es heißt, dass Drukpa Künley auch nach seinem Ableben den Kampf mit bösen Geistern fortgesetzt hat, wobei er sich im Wesentlichen auf weibliche Dämonen konzentriert: Er schlägt und knebelt sie mit seinem Penis, um sie nach der Unterwerfung durch heiliges Liebesspiel in gute Geister umzuwandeln. Abb. 2 Das Dorf Pana. Im Hintergrund rechts der Chimi Lhakhang-Tempel, der zu Ehren von Drukpa Künley errichtet wurde, als Dank dafür, dass der Mönch die umgebende Gegend mithilfe seines "Donnerkeils der flammenden Weißheit" von Dämonen befreit hatte. Hier holen sich vor allem kinderlose Ehepaare, aus Bhutan und dem Ausland kommend,den Segen für eine baldige Konzeption. Springer Medizin × Chimi Lhakhang-Tempel Der Drukpa Künley geweihte Chimi Lhakhang-Tempel nahe Punakha in Zentral-Bhutan ist eines der am meisten besuchten und am höchsten geachteten Heiligtümer des Landes. 1499 wurde er von einem Neffen des Heiligen in der Nähe des Weilers Pana auf einem Hügel, der die Form einer weiblichen Brust aufwies, als Dank dafür errichtet, dass Drukpa Künley die umgebende Gegend mithilfe seines „Donnerkeils der flammenden Weisheit“ von Dämonen befreit hatte (Abb. 2 ). Vor allem kinderlose Ehepaare aus allen Gegenden Bhutans und selbst aus dem Ausland kommen hierher, um sich den für eine baldige Konzeption hilfreichen Segen geben zu lassen. Die Segnung wird v. a. Frauen in Form der Berührung mit einem großen (angeblich von Drukpa Künley selbst geschnitzten und aus Tibet mitgebrachten) hölzernen Phallus mit silbernem Griff erteilt, einem Symbol der Fertilität, was aber auch daran erinnern soll, dass der Heilige während seiner Lebzeiten den Penis einsetzte, um seine Lehren zu unterstreichen. Geschlecht und Namen des zukünftigen Kindes kann die Mutter in Erfahrung bringen, indem aus einem Behälter auf dem Altar ein mit den entsprechenden Informationen versehenes Bambusstäbchen zieht. Auch viele modern denkende Bhutaner haben großes Vertrauen in den Erfolg ihrer Pilgerreise nach Chimi Lhakhang. Im Kloster wird eine Statue des Heiligen aufbewahrt, die ihn mit seinem Schoßhund Sachi zeigt. Die Wandmalereien im Inneren des Tempels illustrieren anschaulich Leben und Abenteuer Drukpa Künleys. Abb. 4 Mehrheitlich sieht man in Bhutan erigierte und meist ejakulierende Phalli als Malerei an Wänden von Häusern. Wie hier: ein traditionelles Haus mit Phallusdarstellungen an der Eingangstür. Springer Medizin × Unterschiedliche Phallusdarstellungen Die Machart der Phalli kann außerordentlich elaboriert und kunstvoll oder auch flüchtig und volkstümlich sein. Letzteres tut dem ideellen Wert der Abbildung keinen Abbruch, denn es geht in erster Linie um Bedeutung und Sinngehalt, weniger um die künstlerische Qualität der Darstellung, welche als eigenständige Skulptur aufgestellt oder als Holzfigur an Hausdächern befestigt sein kann (Abb. 3 der Bilderstrecke). Auch Varianten aus Stoff, Metall und Stein sind zu finden. Mehrheitlich sieht man die immer erigierten und meist ejakulierenden Phalli jedoch als Malerei an den Wänden von Häusern, wo sie oft von beidseits der Eingangstür „ohne Scham oder Schuld denjenigen anstarren, der das Haus betritt, seien es nun die daran gewöhnten Bewohner, amüsierte Touristen oder in Zölibat lebende Mönche oder Nonnen“ ([7], Abb. 4 ). In den verschiedensten Formen und Größen gestaltet, prägen die Abbildungen das Alltagsbild, v. a. auf dem Lande, wo man Phalli auch als Gebrauchsgegenstand, etwa als Wasserspeier sieht (Abb. 5 der Bilderstrecke). Nicht selten zieren Penisdarstellungen sogar banale Artikel des täglichen Bedarfs, wie etwa Blumenkübel (Abb. 6 der Bilderstrecke). Während es für die Architektur von Häusern und Tempeln in Bhutan feste Regeln gibt, von denen möglichst nicht abgewichen werden soll, trifft dies für Phallusdarstellungen nicht in gleichem Maße zu: „Bei Phallusdarstellungen können die Maler ihren eigenen Vorstellungen von Größe, Farbe und Unterschiedlichkeit folgen. Und auch in der Ausschmückung sind sie frei: Manche Penisse haben sogar ein Paar wohlwollender und komischer Augen“ ([7], Abb. 7 der Bilderstrecke). Populär und verbreitet ist auch die Darstellung des auf einem Phallus reitenden Drachens und vielfach abgebildet, etwa in Reiseführern, ist der von einer Frauenhand gehaltene Penis in dem zentralbhutanischen Dorf Nobding (Abb. 8, 9 der Bilderstrecke). In Alltagsritualen spielt die Phallussymbolik ebenso eine unübersehbare Rolle: Beispielsweise gibt es im Zentrum des Landes Gegenden, wo es immer noch Brauch ist, kurz einen hölzernen Phallus in das gefüllte Trinkgefäß zu tauchen, bevor man es einem Gast anbietet. Phallusdarstellungen sind auch integraler Bestandteil anderer traditioneller Zeremonien – beispielsweise tanzen Atsaras (maskierte Clowns) während des alljährlich in vielen größeren Klöstern stattfindenden populären Tsechu-Festes mit in der Hand getragenen oder um die Lenden gebundenen geschnitzten Phalli. In diesen Kontext gehören auch Masken, deren Nase in Penisform gestaltet ist (Abb. 10 ). Ein Bhutaner, der in einem abgelegenen Landesteil als Lehrer tätig war, erinnert sich an folgende Begebenheit: „Ich war zu einem Dorffest eingeladen. Plötzlich erschien wie aus dem Nichts eine Gruppe kräftig gebauter nackter Männer, die anfingen, hinter den anwesenden Frauen herzurennen. Wenn sie die Frauen erwischten, rieben sie ihr Glied an ihnen, um böse Geister zu vertreiben“ [8]. Diese Geste erinnert sehr an die Gepflogenheiten des „Heiligen Narren“ – und zumindest dem ausländischen Betrachter fällt es schwer, hier nicht auch an eine sexuelle Komponente zu denken. Bilderstrecke Phallusdarstellungnen in Bhutan Deutung Einem ungenannten bhutanischen Gelehrten zufolge ist die Phallusdarstellung ein Symbol der Gefahren des männlichen Ego: „Der Phallus ist lediglich ein Mittel der Volkskunst, das Menschen mit dem Thema des männlichen Ego konfrontiert. Kurz gesagt ist es ein Versuch, sich des männlichen Egos zu entledigen, da der Phallus in seiner übertriebenen Form uns an Probleme, die das männliche Ego hat, erinnert. Daher erinnert der Phallus in diesem Kontext an die Essenz des männlichen Ego, hat jedoch nichts mit der Propagierung von Sex zu tun. Die Idee des Phallus als Symbol ist eine treibende Kraft in der Gesellschaft. Seine Präsenz erinnert den Betrachter, dass diese Kraft nutzbar gemacht und fruchtbar umgesetzt werden kann. So angewandt können Wunder an Produktivität und Kreativität resultieren. Aber wenn diese Kraft sich unkontrolliert verselbständigt, baut sich Geilheit auf, welche Männer zu wildem und unkon-trolliertem Verhalten veranlasst. Der Phallus erinnert Männer daran, diese Kräfte zu kontrollieren und sich in einer zivilisierten und kultivierten Art und Weise zu verhalten“ [9]. Diese psychologisch-moralische Interpretation, ebenso wie zahlreiche andere weit darüber hinausgehende religiös-philosophische Deutungen [10], auch im Hinblick auf die indische Mythologie [11], mögen kulturhistorisch bedeutsam sein und in Gelehrtenkreisen diskutiert werden; für die allermeisten Bhutaner ist die Phallusdarstellung in ihren verschiedenen Varianten jedoch ein Amulett, welches sowohl gegen Gefahren, die von Menschen ausgehen, wie z. B. Hass, Missgunst oder den Bösen Blick wie auch vor übelwollenden Geistern schützt. Beide Aspekte umreißt der bhutanische Informant Künley im Hinblick auf den Bezug eines neuen Hauses folgendermaßen: „Nachdem das Haus fertiggestellt worden ist, besteht die Gefahr, daß die anderen Leute voller Begeisterung, ja vielleicht auch ein bißchen neidisch sind. Um diese negativen Einflüsse abzuhalten, werden – so sagen einige Leute – die Penisse an den Dachecken aufgehängt. Andere meinen, die Geister würden sich beim Anblick der Penisse schämen und davonlaufen … und schließlich brächten die Penisse, so eine andere Deutung, den betreffenden Hausbewohnern Fruchtbarkeit“ [12]. Künley bezieht sich hier (ebenso wie der folgende Informant Lopön) auf den Brauch, insbesondere beim Bezug eines neugebauten Hauses hölzerne Phalli in den vier Ecken des Daches aufzuhängen und einen weiteren im Hause selbst zu befestigen ([13], Abb. 11 der Bilderstrecke). Lopön fügt dieser Deutung noch eine Vajrayana-religiöse Interpretation hinzu: „Viele Leute behaupten, die üblen Geister würden sich beim Anblick der Penisse aus Scham abwenden und den Hausbewohnern nicht zu nahe treten, doch ist diese Vorstellung nicht ganz korrekt. Es stimmt, dass ein solcher Penis die im Haus lebende Familie beschützt. Sein Schutz kommt jedoch daher, dass er drei Gottheiten symbolisiert, nämlich Chana Dorje (phyag na rdo rje = Wurzel des Penis), Jambeyang (jam dpal dpyangs = mittleres Stück) und Chenresi (spyan ras gzigs = oberster Teil). Es sind diese drei Gottheiten, welche das neu gebaute Haus beschützen, denn vor allem in den ersten Monaten, nachdem Leute neu eingezogen sind, drohen viele negative Einflüsse. Die drei Gottheiten halten Übel ab aus dem Himmel (Götter), dem Zwischenraum (btsan-Geister) und dem Erdreich (klu). Sie halten aber auch Übel ab von Dri Za aus dem Osten (Penis an der Ostecke des Daches), von Yamantaka aus dem Süden, von kLu bang aus dem Westen sowie von gNod byin aus dem Norden“ [12]. Meist ist mit dem am Dach befestigten Phallus ein hölzerner Dolch verbunden. Diese Symbole repräsentieren zwei entgegengesetzte Prinzipien: Während der Penis für ein Trugbild steht, repräsentiert der Dolch Weisheit. Diese Gegensätze sollen einander aufheben und so zur Läuterung des menschlichen Geistes führen. Trotz der für das Empfinden des westlichen Betrachters oft drastischen und naturalistischen Formen verbanden die vom Autor befragten bhutanischen Männer und Frauen keinerlei sexuelle Konnotation mit den Abbildungen. An Tempeln und Dzongs (festungsartigen religiös-administrativen Zentren, die in allen größeren Städten des Landes zu finden sind), sieht man keine Phallusdarstellungen. Der bhutanische Autor Dasho Karma Ura erklärt dies so: „Um jenseitige spirituelle Ideale zu verfolgen, haben Mönche der Sexualität entsagt. Sie kennen die Dominanz von Männern über Frauen, welche man in der säkularen Gesellschaft findet, nicht. Daher ist die Notwendigkeit für die Verneinung sexueller Dominanz durch phallische Symbole in religiösen Institutionen nicht gegeben. Natürlich ändert das nichts an der asymmetrischen Struktur der Klöster, die in aller Regel männlich dominiert sind. Dazu wäre jedoch zu sagen, dass Mönche sich selbst eher als neutral und geschlechtslos wahrnehmen“ [7]. Soweit die Theorie vom Mönch als ungeschlechtlichem Wesen – dass in Klöstern homosexuelles Verhalten hingegen weit verbreitet ist, ist in Bhutan ein offenes Geheimnis. Offiziell ist die Liebe unter Männern jedoch ein Tabu-Thema. Abb. 10 Phallusdarstellungen sind auch integraler Bestandteil traditioneller Zeremonien und Festen, wie z.B. die Maske mit als Penis geformter Nase. Springer Medizin × „Der Niedergang des Phallus“ Selbst im relativ abgeschlossenen Bhutan bringen Tourismus und vorsichtige Modernisierung mannigfaltige gesellschaftliche Veränderungen mit sich. Dies scheint auch die weitverbreiteten Phallusdarstellungen zu betreffen. So beklagt Dasho Karma Ura in der Zeitschrift Bhutan-Observer einen „Niedergang des Phallus“: „Bedingt durch prüde Selbstzensur nehmen hölzerne Phalli und Phallusmalereien im städtischen Bhutan mehr und mehr ab. Dieser Trend wird sich fortsetzen, sofern der lange Arm der Regierung sie nicht vor der völligen Ausrottung zu schützen bereit ist. Jedes Haus auf dem Lande, welches auch nur über einen Funken Selbstrespekt verfügt … wird einen eindrucksvoll langen hölzernen Phallus, rechtwinklig verbunden mit einem hölzernen Dolch herunterhängend von jeder Ecke des Daches, aufweisen. Für die Dorfbewohner unterscheidet sich dieser Anblick nicht von anderen Haushaltsgegenständen, nichts Schockierendes ist daran. Diese sowohl schöne wie auch alltägliche Kunstform ist im Rest der Welt sehr unüblich. Auf volkstümlicher Ebene nimmt der Betrachter sie als gewöhnliche, aber fundamentale Gegebenheit des Lebens wahr“ [7]. Dieses Urteil mag für Bhutan in ganz besonderer Weise gelten – dass die Phallusdarstellung jedoch auch in unserem Kulturkreis sowohl in der Kunst wie in der Populärkultur ihren festen Platz hat, mögen Marino Marinis „Reiter“ (Abb. 12 der Bilderstrecke) im zum Canale Grande gelegenen Hof der Collezione Peggy Guggenheim sowie das Sgraffitto an einer Hauswand (Abb. 13 der Bilderstrecke), beide fotografiert in Venedig, belegen. Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1. http://www.stanford.edu/~siegelr/bhutan/penispage.html 2. http://www.probhutan.com/bhutan/kultur.htm 3. http://www.oecd.org/dataoecd/14/61/41577409.pdf 4. http://www.writersofbhutan.com/of-phallus-an-arcane-symbol 5. Dasho Karma Ura (2009) The Decline of the Phallus. Bhutan Observer. http://www.bhutanobserver.bt/2009/readers-voices/09/the-decline-of-the-phallus-2.html 6. Dowman K (2005) Der heilige Narr: Das liederliche Leben und die lästerlichen Gesänge des tantrischen Meisters Drukpa Künleg. Frankfurt, ISBN: 3426041227 7. Dasho Karma Ura (2009) The Decline of the Phallus. Bhutan Observer. http://www.bhutanobserver.bt/2009/readers-voices/09/the-decline-of-the-phallus.html 8. http://www.writersofbhutan.com/of-phallus-an-arcane-symbol 9. http://www.kuenselonline.com/modules.php?name=News&file=print&sid=2473 10. http://en.wikipedia.org/wiki/Lingam 11. http://www.writersofbhutan.com/of-phallus-an-arcane-symbol 12. Brauen M (1994) Irgendwo in Bhutan. Waldgut, Frauenfeld 13. http://www.keystobhutan.com/bhutan/bhutan_art_phallus.php

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

"Nationale Obsession": Phallusdarstellungen in Bhutan

Neu im Fachgebiet Urologie

Stufenschema weist Prostatakarzinom zuverlässig nach

Harnwegsinfektprophylaxe: Es geht auch ohne Antibiotika

Varikozelen bei Jugendlichen: Das Für und Wider der Operation

Ureterstriktur: Innovative OP-Technik bewährt sich

Update Urologie