Erschienen in:
10.08.2021 | Neck dissection | Leitthema
Aktualisierung der S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Mundhöhlenkarzinoms“: Was ist neu?
verfasst von:
Univ.-Prof. Dr. Dr. Klaus-Dietrich Wolff, Andrea Rau, Jochen Weitz, Thomas Langer, Miriam Zidane
Erschienen in:
Die MKG-Chirurgie
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Ausgabe 3/2021
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Zusammenfassung
Hintergrund
Die klinische S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Mundhöhlenkarzinoms“ stellt seit ihrer Etablierung 2012 eine Handlungsgrundlage dar, um die bestmögliche Prognose und Lebensqualität für jede individuelle Befundkonstellation zu erreichen. Um dem stetigen Erkenntnisgewinn Rechnung zu tragen, ist nach dem Regelwerk der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) eine Aktualisierung der Leitlinie nach 5 Jahren erforderlich. Ziel dieser Aktualisierung ist es, Evidenz und Nutzen bestehender Empfehlungen zu überprüfen, aktuelle Änderungen der klinischen Praxis mit der größtmöglichen Evidenz zu bewerten und auf dem Boden wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse erreichte Fortschritte mit entsprechenden Empfehlungen in die Handlungsgrundlage der Leitlinie zu übernehmen.
Im November 2017 trat die Leitliniengruppe unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) und mit Förderung im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie erneut zusammen, um die Aktualisierung auf den Weg zu bringen.
Methode
Zu von der Leitliniengruppe priorisierten Schlüsselfragen erfolgte eine systematische Literaturrecherche, bei der relevante Studien mittels Titel‑/Abstract- sowie Volltext-Screening identifiziert, kritisch bewertet und in Evidenztabellen zusammengefasst wurden. Für den Update-Prozess wurden Fragen zur Rolle des Wächterlymphknotens, zur Erweiterung der zervikalen Halslymphknotenausräumung („neck dissection“, ND) bei Lymphknotenbefall in Level IIb oder III, eines möglichen „Wait-and-see-Konzepts“ bei cT1/2-Karzinomen des Oberkiefers, eines neoadjuvanten Therapiekonzepts bei cT3/4 und zur Frage des Vorgehens bezüglich einer adjuvanten Radio(chemo)therapie bei pT1/2pN1-Situation einer systematischen Literaturrecherche unterzogen. Darüber hinaus wurden Fragen zur der Indikation der PET/CT, dem Einsatz der CAD/CAM-Technologie im Rahmen der knöchernen Rekonstruktion sowie der Differenzialindikation für die Panendoskopie und der Immuntherapie in Arbeitsgruppen geprüft. Alle bereits bestehenden Statements und Empfehlungen wurden primär auf Änderungsbedarf geprüft; geänderte und neue Statements und Empfehlungen wurden mittels formaler Konsensustechniken (nominaler Gruppenprozess, Konsensuskonferenz) überprüft und abgestimmt.
Ergebnisse
Es wurden 88 Statements oder Empfehlungen geprüft und bestätigt sowie 21 modifiziert oder gänzlich neu hinzugefügt. Die Indikation zur ND beim invasiven Mundhöhlenkarzinom bleibt trotz neuer Studien hinsichtlich der Bildgebung und Sentinelbiopsie nach wie vor bestehen und kann nur bei sehr oberflächlichen cT1cN0-Karzinomen des Oberkiefers durch eine engmaschige Nachsorge ersetzt werden. Auch kann bei negativem FDG-PET-Befund nach primärer Radio(chemo)therapie auf eine Salvage-ND verzichtet werden. Eine Differenzialindikation zwischen modifiziert radikaler und supraomohyoidaler ND bei cN1-Befund ist aufgrund vorhandener Studien weiterhin nicht zu begründen. Die Indikation zur adjuvanten Radio(chemo)therapie bei pN1-Befund ist optional. Die Anwendung eines Checkpoint-Inhibitors wird bei geeigneten Patienten anstelle des bisher favorisierten EXTREME-Schemas als Erstlinientherapie beim rezidivierenden oder metastasierenden Plattenepithelkarzinom der Mundhöhle empfohlen. Die Schnittstellen von MKG, HNO, Strahlentherapie und Onkologie wurden bestätigt. Die neue TNM-Klassifikation und Einteilung der Tumorstadien wurden eingearbeitet. Zur prospektiven Erfassung der Häufigkeit von R1-Situationen bei kurativ intendierter Resektion wurde ein neuer Qualitätsindikator eingeführt. Der Qualitätsindikator zur Erfassung der prätherapeutischen HNO-Vorstellung konnte wegen der bereits erreichten konsequenten vollständigen Umsetzung wegfallen.
Schlussfolgerung
Durch ein strukturiertes, unabhängig von der Deutschen Krebsgesellschaft gefördertes Update-Verfahren wurde die bestehende Leitlinie nicht nur vollständig aktualisiert, sondern besonders zu Fragen der multimodalen Therapie auch weiterentwickelt. Aufgrund einer fehlenden oder nicht ausreichenden Datenlage konnten allerdings zahlreiche Fragen nach wie vor lediglich auf dem Boden eines Expertenkonsenses beantwortet werden. Die konsequente Durchführung prospektiver Therapiestudien ist zur zukünftigen Weiterentwicklung der Leitlinie daher zwingend erforderlich. Entscheidend für den Behandlungserfolg bleibt die interdisziplinäre Therapieplanung und -durchführung unter Berücksichtigung der individuellen Befundkonstellation und des Patientenwunsches.