Erschienen in:
29.06.2016 | Leitthema
Neurologie und Neurologen in der NS-Zeit: Hirnforschung und „Euthanasie“
verfasst von:
M. Martin, A. Karenberg, Prof. Dr. H. Fangerau
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Sonderheft 1/2016
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Zusammenfassung
Der Zusammenhang zwischen dem systematischen Krankenmord – von der NS-Ideologie als „Euthanasie“ verbrämt – und der deutschen Hirnforschung ist in den letzten 25 Jahren ausführlich und differenziert untersucht worden. Umstritten bleibt allerdings, inwiefern sich dieser verbrecherische Konnex auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie den Status der Neurologie als medizinische Fachdisziplin auswirkte.
Zwischen 1939 und 1945 waren vorrangig das Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) in Berlin-Buch, aber auch andere Forschungsstätten insofern in die „Euthanasie“-Aktionen eingebunden, als Gehirne ermordeter Patienten im Sinne einer „Begleitforschung“ seziert und auf diese Weise medizinische Erkenntnisse generiert wurden – vor allem zur „Oligophrenie“, frühkindlichen Hirnatrophie, zerebrale Kinderlähmung und Epilepsie. Dabei spielte nach aktuellem Forschungsstand ein kollegiales Netzwerk eine wichtige Rolle. Ferner entstanden am KWI neben den zivilen auch militärische Forschungsstellen, die ebenfalls neurologisches Wissen, z. B. zu Hirn- und Rückenmarksverletzungen, sammelten. Somit erscheint die wissenschaftshistorische These, NS-System und Medizin als „Ressourcen füreinander“ zu betrachten, zumindest teilweise auch auf die Neurologie anwendbar.