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Progediente Dyspnoe und Troponin-T-Erhöhung – alles internistisch?

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Redaktion

G.J. Jungehülsing, Berlin
A. Münchau, Lübeck
S. Schmidt, Bonn

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Anamnese

Der 64-jährige Patient stellte sich bei progredienter Dyspnoe fußläufig in der interdisziplinären Notaufnahme vor. Nach einer Hüftoperation rechts vor 7 Monaten sei ihm in der anschließenden Rehabilitation erstmalig eine allgemeine Kraftlosigkeit und reduzierte Belastbarkeit aufgefallen. Er sei sonst sehr sportlich und bewege sich viel. Vor 3 Monaten sei die gegenseitige Hüfte ebenfalls operiert worden. Ihm sei berichtet worden, dass er postoperativ verzögert wach geworden sei. Er merke seitdem eine zunehmende Luftnot und Kurzatmigkeit bei Belastung und bekomme blaue Lippen nach längerer Anstrengung. Das Hochkommen aus dem Liegen falle ihm schwer und er könne seit der letzten Operation auch nicht mehr gerade stehen, da ihm die Kraft zum Aufrichten fehle. Er habe über den gesamten Zeitraum unbeabsichtigt etwa 15 kg Gewicht verloren, aktuell wiege er 66 kg bei 170 cm Körpergröße.
In der vorangegangenen Nacht habe die Luftnot so zugenommen, dass er nur noch mit erhöhtem Oberkörper habe schlafen können. An Vorerkrankungen bestehen ein diätetisch eingestellter Diabetes mellitus Typ II, eine periphere arterielle Verschlusskrankheit der Beine sowie zervikale Bandscheibenprotrusionen. Ehemaliger Nikotinabusus, seit 10 Jahren sistiert.

Befunde

Bei Vorstellung in der Notaufnahme zeigten sich eine Sprechdyspnoe, Atemfrequenz 18/min, keine pektanginösen Beschwerden, kein Husten. Unter Inhalation mit Salbutamol und Ipratropiumbromid konnte eine geringe Besserung erzielt werden. Im allgemeinen Untersuchungsbefund fand sich auskultatorisch ein deutlich abgeschwächtes Atemgeräusch über beiden Lungenflügeln. Aufgrund der Symptomatik wurde der Patient zunächst in die internistische Abteilung aufgenommen.
In den Laborbefunden fanden sich eine erhöhte Kreatinkinase (CK) 667 U/L (< 190), CK-MB 31 U/l (< 25) und ein erhöhtes kardiales Troponin T-hs (cTnT) 0,06 ng/ml, in einer Kontrolle nach 24 h geringer Anstieg auf 0,075 ng/ml (< 0,014). Die Blutgasanalyse zeigte bei einem pH-Wert von 7,4 eine Hyperkapnie mit einem pCO2 von 57 mm Hg, eine Hypoxie mit pO2 64 mm Hg und erhöhtes Bikarbonat als Ausdruck einer metabolischen Kompensation (HCO3 37 mmol/l, Referenz: 22–26 mol/l).
Eine Pulmonalarterienembolie konnte in der Computertomografie des Thorax ausgeschlossen werden. Echokardiografisch fand sich ein regelrechter Befund, im EKG ein normofrequenter Sinusrhythmus. In der Bodyplethysmografie zeigten sich eine mittelschwere Restriktion, keine zentrale oder periphere Obstruktion sowie kein Nachweis einer Diffusionsstörung in der CO2-Diffusionsmessung. Ursächlich fand sich eine beidseitige Zwerchfellhypokinesie, die ätiologisch nicht weiter eingeordnet werden konnte.
Unter der Diagnose einer hypoxämisch und hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz wurde eine nichtinvasive nächtliche Beatmung eingeleitet.
Aufgrund der nicht eingeordneten bilateralen Zwerchfellhypokinesie und vom Patienten im Verlauf berichteter Faszikulationen der Beine erfolgte eine Verlegung in die neurologische Abteilung.

Verlauf

Im neurologischen Untersuchungsbefund zeigten sich diskrete Fußheberparesen bds. (Kraftgrad [KG] 4+/5), eine Hüftbeuger- und -streckerparese bds. (KG 4+/5) und eine Parese der Fingerabduktion links (KG 4/5). Das Aufrichten aus dem Sitzen war erschwert, aus dem Liegen nur mit Hilfe möglich. Gehen war nur mit Unterarmgehstützen möglich. An den Armen traten einzelne Faszikulationen auf, die Muskeleigenreflexe waren links gesteigert, keine Pyramidenbahnzeichen, keine Koordinations- oder Sensibilitätsstörungen.
Die zerebrale und spinale Magnetresonanztomografie ergab abseits der bekannten degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule einen Normalbefund. Die Liquoruntersuchung zeigte einen unauffälligen Grundbefund ohne Nachweis oligoklonaler Banden. Kein Nachweis von onkoneuronalen oder Oberflächenantikörpern in Serum und Liquor. Kreatinkinase und ebenso cTnT blieben unverändert erhöht. Neurofilamente waren zu diesem Zeitpunkt weder im Liquor noch im Serum bestimmt worden. Die Neurografie zeigte bei unauffälligen Befunden an den Armen eine deutlich reduzierte Amplitude des rechten N. tibialis (0,2 mV) mit reduzierter motorischer Nervenleitgeschwindigkeit, am linken N. tibialis kein Antwortpotenzial. Die Nn. surales waren bds. nicht erhältlich. In der Elektromyografie fand sich bis auf den M. masseter an allen untersuchten Muskeln an Armen und Beinen ein Nachweis von pathologischer Spontanaktivität mit positiven scharfen Wellen, Fibrillationen und vereinzelt polyphasische Potenzialen motorischer Einheiten als Ausdruck eines subakut chronisch neurogenen Umbaus.
In der Muskelbiopsie des rechten M. deltoideus fand sich das Bild einer chronischen mäßig progredienten neurogenen Muskelatrophie mit kollateraler Reinnervation und Einzelfaserhypertrophie (s. Abb. 1).
Abb. 1
Muskelbiopsie M. deltoideus. a Skelettmuskulatur mit einem deutlich erweiterten Muskelfaserkaliberspektrum zwischen 8 und 170 µm. Atrophische Muskelfasern liegen in Gruppen zusammen (Insert in a). In einer Muskelfaser (Stern) zeigt sich eine verstärkte intermyofibrilläre Basophilie. Hämatoxylin-Eosin-Färbung, Vergr. 200:1. b Neben vollständig abgeflachten Muskelfasern sind auch kleine anguläre Muskelfasern zur Darstellung gelangt, ebenfalls typisch für eine neurogene Muskelatrophie (Stern). Hämatoxylin-Eosin-Färbung, Vergr. 200:1. c Neben vollständig atrophischen Muskelfasern ist auch eine normkalibrige Muskelfaser als Zeichen der Regeneration immunreaktiv. Immunhistochemie mit Anti-Myosin neonatal und leichter Gegenfärbung mit Hämalaun, Vergr. 200:1. d Große Gruppe immunreaktiver Typ-2-Fasern, die untypisch für den von Typ-1-Fasern dominierten und hier biopsierten Musculus deltoideus sind und daher als Fasertypengruppierung zu werten sind. Atrophische Muskelfasern sind beiden Muskelfaserhaupttypen zuzuordnen (Typ-1-Fasern Pfeil; Typ-2-Fasern Stern). Immunhistochemie mit Anti-Myosin schnelle Komponente der schweren Kette und leichter Gegenfärbung mit Hämalaun, Vergr. 200:1. e Regelrechte Expression auf endomysialen Kapillaren. Zudem eine singuläre Muskelfaser mit sarkolemmaler und sarkoplasmatischer Hochregulierung (Stern). Immunhistochemie mit Anti-Major Histocompatibility Complex (MHC) Klasse-I-Antigen und leichter Gegenfärbung mit Hämalaun, Vergr. 200:1. f Enzymhistochemisch zeigt sich in oxidativen Enzymen der mitochondrialen Atmungskette eine deutliche Störung der myofibrillären Architektur. Enzymhistochemie mit Nicotinamidadenindinucleotid (NADH)-Tetrazoliumreduktase, Vergr. 200:1. Die Muskelbiopsie des Patienten wurde in Isopentan (Fluka, Neu-Ulm, Deutschland), das in flüssigem N2 vorgekühlt wurde, unmittelbar nach der Biopsie eingefroren und bei −80 °C gelagert. Neun Mikrometer dicke serielle Gefrierschnitte wurden in Aceton und Chloroform fixiert. Der erste Schnitt wurde mit Hämatoxylin und Eosin gefärbt, um die myopathologischen Merkmale zu identifizieren. Für die Immunhistochemie wurden Serienschnitte (9 µm dick) mit der Avidin-Biotin-Komplex-Technik mit 3,3&apos;-Diaminobenzidin als Chromogen und H2O2 als Kosubstrat auf einem Dako-Autostainer (Link 48, Agilent Technologies, Waldbronn, Deutschland) gefärbt. Primäre Antikörper, die für die Immunhistochemie verwendet wurden: Anti-Myosin neonatal (Novocastra Leica, Wetzlar, Deutschland; Klon Western Blot (WB)-MHCn; Verdünnung 1:50), Anti-Myosin schwere Kette, schnelle Komponente (Novocastra Leica; Klon WB-MHCf; Verdünnung 1:100), Anti-MHC Klasse I Antigen (Dako Agilent; Klon W6/32; Verdünnung 1:800)
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Aufgrund des klinischen Bildes mit einer kombinierten Beteiligung des 1. und 2. motorischen Neurons sowie des anamnestisch eindeutig progredienten Verlaufs in Kombination mit der elektrophysiologischen Zusatzdiagnostik wurde die Diagnose einer amyotrophen Lateralsklerose (ALS) mit thorakalem/respiratorischem Beginn gestellt und eine Behandlung mit Riluzol 2 × 50 mg/Tag wurde begonnen. Unterstützend hierzu fanden sich erhöhte Neurofilament-leichte-Kette(NfL)-Werte im Serum (152 pg/ml). Die nicht erhältlichen Nn. surales wurden als Ausdruck einer begleitend vorliegenden diabetischen sensiblen Polyneuropathie gewertet.
Die Familienanamnese war unauffällig bezüglich neurodegenerativer Erkrankungen.
Es konnfte keine pathogene C9ORF72-Repeat-Expansion und keine pathogene Variante in der exombasierten molekulargenetischen Diagnostik (Humangenetik Ruhr Universität Bochum) nachgewiesen werden.

Diskussion

Als klassischer ALS-Verlauf wird eine progrediente kombinierte Schädigung des 1. Motoneurons und 2. Motoneurons verstanden, beginnend in einer Körperregion mit konsekutiver Ausbreitung auf weitere Körperetagen. Neben diesem typischen Verlauf gibt es zusätzliche ALS-Varianten.
Diese ALS-Varianten sind Subtypen der Erkrankung, die sich mit klinisch deutlicher Dominanz einer Körperregion und/oder dem Schwerpunkt auf das 1. oder 2. Motoneuron präsentieren.
Die isolierte Bulbärparalyse oder das Flail-Arm-Syndrom sind anschauliche Beispiele für ALS-Varianten mit klinischem Schwerpunkt auf eine Körperregion. Eine Beteiligung der Atemmuskulatur zeigt sich in den meisten ALS-Fällen erst in späteren Stadien der Erkrankung und ist oft das lebensbegrenzende Symptom.
Es gibt keinen einzelnen diagnostischen Marker für die ALS. Die Diagnose gründet sich auf die klinische Untersuchung in der Zusammenschau mit den anamnestischen Angaben zum Verlauf sowie, bei Bedarf, elektrophysiologische Zusatzdiagnostik. In den letzten Jahren hat die Bestimmung der Neurofilamente in Liquor und Serum große Bedeutung als laborchemischer Hinweis auf eine axonale Schädigung gewonnen [3]. Neurofilamente sind Strukturelemente der Zelle, die hochspezifisch für Neurone sind und den Axonen Struktur geben. Bei akuten oder chronischen Destruktionsprozessen, wie z. B. Traumata und aggressiven neurodegenerativen Prozessen wie ALS oder Creutzfeld-Jakob-Krankheit, sind die Neurofilamente im Liquor und oft auch im Serum erhöht und können wertvolle Hinweise auf zugrunde liegende Krankheitsprozesse liefern.

ALS mit thorakalem Beginn

Nur etwa 3 % aller ALS-Patienten weisen eine primäre Affektion der Atem- oder Rumpfmuskulatur auf [8]. Erstsymptome sind meist Belastungsdyspnoe oder eine Rumpfhalteschwäche, oft kombiniert mit einem hohen ungewollten Gewichtsverlust.
Man kann zwei Subformen unterscheiden: 1. einen respiratorischen Beginn und 2. einen Beginn mit Paresen der autochthonen Rückenmuskulatur. Diese sind aber nicht immer gut voneinander abzugrenzen, wie auch bei diesem Fall.
Männer erkranken deutlich häufiger an der thorakalen Form der ALS (4:1, m:f). Bei der klassischen ALS ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichener (1,4:1, m:f).
Erste Symptome von Betroffenen mit einem respiratorischen Beginn reichen von einer sich langsam entwickelnde Belastungsdyspnoe bis hin zu Orthopnoe, sodass oft Schlafen nur in erhöhter bzw. aufrechter Position gelingt. Oft wird von einer zunächst unspezifischen abnehmenden Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit berichtet. Hyperkapnie-assoziierte Symptome, welche der Ventilationsstörung geschuldet sind, wie morgendliche Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Konzentrationsschwierigkeiten können ebenfalls auftreten.
Betroffene mit einer primären Schwäche der autochthonen Rückenmuskulatur präsentieren sich mit Rumpf- und Nackenmuskulaturparesen (dropped head). Es fällt zunehmend schwer, sich aus liegender Position aufzurichten oder Patienten bemerken beim Gehen, dass der Oberkörper oder der Kopf nach vorne „kippt“ und sie sich stabilisieren müssen (z. B. mit Gehstöcken) um aufrecht zu bleiben (s. Abb. 2).
Abb. 2
Der klinische Phänotyp der thorakalen ALS mit a respiratorischer Insuffizienz, b Gewichtsverlust und c Schwäche der Rumpfmuskulatur. (ALS Amyotrophe Lateralsklerose. Created in https://​BioRender.​com)
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Eine Besonderheit dieser thorakalen Variante ist, dass die Betroffenen oft einen sehr hohen ungewollten Gewichtsverlust haben. Dies kann bis zur Diagnosestellung bei durchschnittlich 15 kg liegen und liegt in Häufigkeit des Auftretens und der Ausprägung deutlich über der klassischen ALS.

Prognose

Obwohl Ateminsuffizienz meist das lebensbegrenzende Symptom bei der ALS ist, haben primär thorakal erkrankte Patienten nicht unbedingt eine kürzere verbleibende Lebenserwartung als andere ALS-Patienten. Eine entscheidende Rolle dabei spielt die frühzeitige Einleitung einer – meist nicht-invasiven – Beatmung.
Zwischen Beginn der Erkrankung und Diagnosestellung (diagnostische Latenz) vergeht bei der thorakalen ALS fast doppelt so viel Zeit, wie bei der klassischen ALS. Die verbleibende Lebenserwartung der thorakalen ALS-Patienten ab dem Auftreten der ersten Symptome kann jedoch günstiger sein. Der entscheidende Unterschied und Grund für das unerwartet lange Überleben dieser Gruppe besteht wahrscheinlich in der frühzeitigen und konsequenten Einleitung einer nichtinvasiven und invasiven Beatmungstherapie, die bei den thorakalen Fällen deutlich häufiger erfolgt als bei der klassischen ALS, z. T. sogar vor der Diagnosesicherung. Thorakale ALS-Patienten, die keine supportive Beatmung erhielten oder sich bewusst dagegen entschieden, verstarben durchschnittlich 15 Monate früher als diejenigen mit Beatmung [11].

Diagnostische Herausforderungen

Aufgrund der Seltenheit dieser ALS-Variante und der oft sehr unspezifischen Symptomatik ist es nicht verwunderlich, dass Betroffene meist erst über Umwege zum Neurologen gelangen, wenn andere Symptome wie Faszikulationen und periphere Paresen klinisch apparent werden.
Erste Anlaufstellen bei dieser Symptomkonstellation sind meist Hausarzt, Kardiologe und Pulmologe, aber die weitere internistische Diagnostik bleibt meist ohne richtungweisenden Befund. Es kann oft nur eine restriktive Ventilationsstörung konstatiert werden oder eine Zwerchfellparese, deren genaue Ursache zunächst offenbleibt.
Bis zum Auftreten ALS-typischer Symptome und der Überweisung zum Neurologen sind daher oft mehrere Monate seit Symptombeginn vergangen. Auch beim Neurologen sind bei isolierter Beteiligung der Rumpf- und Atemmuskulatur mit Diaphragmahypokinesie noch weitere Differenzialdiagnosen zu bedenken, u. a. autoimmun-entzündliche oder myopathische Prozesse. Gerade diskrete Paresen können im Kontext des allgemeinen Kraftverlustes mit erheblicher Gewichtsabnahme, wie sie auch bei diesem Patienten aufgetreten ist, schwer zu objektivieren sein.
Ein wichtiger diagnostischer Fallstrick, gerade bei der respiratorischen Verlaufsform, kann die Bestimmung von cTnT darstellen. Insbesondere bei unspezifischen Symptomen wie (akut exazerbierter) Luftnot wird im klinischen Alltag das cTroponin mitbestimmt. Dies kann zu diagnostischer Fehleinschätzung, Verzögerung der Diagnose und Einleitung unnötiger (invasiver) Diagnostik führen [12].
Ob Troponin T oder Troponin I bestimmt wird, hängt von der Verfügbarkeit im jeweiligen Labor ab. Da beide Assays als austauschbar gelten, aber von konkurrierenden Anbietern angeboten werden, gibt es kaum Labore, die routinemäßig beide Assays anbieten.
Bei dem oben beschriebenen Fall kam es aufgrund von weiteren neurologischen Symptomen zu einer zeitnahen neurologischen Zuweisung und Diagnosestellung.

Troponine im Kontext neuromuskulärer Erkrankungen

Troponine sind Strukturelemente des Kontraktionsapparates der Skelett- und Herzmuskulatur. Ein akuter Anstieg der kardiospezifischen Isoformen von Troponin I (cTnI) und Troponin T im Serum wird in der klinischen Praxis fast synonym mit einer akuten Myokardschädigung gesetzt. Im Zusammenhang mit der ALS und auch anderen neuromuskulären Erkrankungen hat sich allerdings gezeigt, dass cTnT-Werte, nicht aber von cTnI, im Blut chronisch erhöht sein können, ohne dass irgendeine Herzschädigungen vorliegt [1, 4, 7, 12]. Eine „Troponinlücke“ mit erhöhtem cTnT bei normalem cTnI kann daher ein wichtiger Hinweis auf eine neuromuskuläre Störung sein. Ursache dafür ist, dass bei Muskelatrophie mit Muskelfaserschädigung oder im Rahmen von Regenerationsprozessen geringe Mengen von cTnT ins Blut freigesetzt werden [10]. Solche Freisetzungen könnten durch eine ektopische Expression kardialer Troponinisoformen in degenerierenden oder regenerierenden Muskeln erklärt werden (s. Infobox Troponin).
Die wesentliche praktische Maßnahme zur Differenzierung der akuten gegenüber der chronischen cTnT-Erhöhung ist die zeitliche Verlaufskontrolle, die bei akuten strukturellen Herzerkrankungen eine Dynamik mit Anstieg oder Abfall der Werte zeigt. Aufgrund von intrinsischen Schwankungen auch der chronisch erhöhten cTnT-Werte im Blut kann jedoch eine „Pseudodynamik“ vorgetäuscht werden. Diese „Pseudodynamik“ kann sich auch gut bei diesem Fall beobachten lassen.
Es ist inzwischen bekannt, dass cTnT im Serum bei > 60 % der Patienten mit amyotropher Lateralsklerose über den (kardialen) Grenzwert erhöht ist, während cTnI nahezu immer im Referenzbereich ist [1]. Die kombinierte Bestimmung von cTnT und cTnI kann somit zur Abgrenzung von neuromuskulären zu kardialen Ursachen genutzt werden. Die kardialen Troponin-T-Spiegel im Serum steigen bei der ALS langfristig (d. h. über Monate und Jahre) an und korrelieren mit dem Schweregrad der Paresen [5].
Insbesondere bei der thorakalen ALS könnte dieser Zusammenhang, neben den differenzialdiagnostischen Implikationen, auch prognostisch relevant werden. Es zeigt sich bei Koch et al. [6], dass eine robuste Korrelation zwischen erhöhtem Serum-cTnT, klinischen Symptomen der respiratorischen Insuffizienz und pulmonalen Funktionstestungen besteht. Dies unterstützt das Konzept, dass die Muskulatur der Atmungsorgane für die Erhöhung der Serum-cTnT-Werte bei ALS mitverantwortlich ist.
Bei klinisch führender Beteiligung des 1. Motoneurons sind die Troponin-T-Spiegel jedoch insgesamt seltener erhöht bzw. im Normbereich [1].
Der etablierte Biomarker bei der ALS sind die NfL-Werte, die das Ausmaß der neuroaxonalen Schädigung darstellen. cTnT zeigt sich unabhängig von NfL [1] und erfasst als Marker chronischer Degenerations- oder Regenerationsprozesse der Muskulatur einen anderen Aspekt der ALS.
Beide Werte können im Blut bei der ALS nachgewiesen werden und unter Berücksichtigung des klinischen Bildes auf das Vorliegen einer neuromuskulären Erkrankung hinweisen (s. Abb. 3).
Abb. 3
NfL und cTnT als Destruktions- bzw. Reparaturmarker bei der ALS. (ALS Amyotrophe Lateralsklerose, cTnT kardiales Troponin T, NfL Neurofilament leichte Kette. Created in https://​BioRender.​com)
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Weitere Untersuchungen zum besseren Verständnis und zur möglichen Interpretation von cTnT-Spiegelveränderungen bei neuromuskulären Erkrankungen sind hierzu notwendig.
Infobox Troponin
Kardiale Isoformen der Troponine kommen in der Regel nicht in gesundem Skelettmuskel bei Erwachsenen vor. Im fetalen Skelettmuskel ist cTnT, nicht jedoch cTnI, vorhanden und kann als Reaktion auf eine Schädigung oder Verletzung freigesetzt werden [2, 9]. Die zugrunde liegende Pathophysiologie der erhöhten cTnT-Werte scheinen die Reparaturmechanismen im erkrankten Skelettmuskel zu sein. Passend zu der Annahme wurde eine Erhöhung des Serumspiegels von cTnT bei einer Vielzahl von neuromuskulären Erkrankungen berichtet [4, 10, 12], einschließlich der ALS.
Kürzlich konnte eine Studie zeigen, dass eine Hochregulation der mRNA von cTnT-Genen in Muskelbiopsien bei chronischen Skelettmuskelerkrankungen (d. h. nichtentzündliche Myopathien und Myositis) positiv mit den cTnT-Blutkonzentrationen und dem Grad der Krankheitsaktivität korrelieren [2].

Fazit für die Praxis

  • ALS mit thorakalem Beginn ist eine seltene (3 %) Variante der ALS mit einer unspezifischen Erstmanifestation (Dyspnoe) und wird daher meist deutlich später erkannt als die klassische ALS
  • Die Prognose der ALS mit thorakalem Beginn wird besonders durch die frühzeitige Einleitung einer Beatmungstherapie bestimmt
  • Chronische cTnT-Erhöhungen können ein Hinweis auf einen neuromuskulären Prozess sein
  • Abgrenzung zu kardialen Ereignissen durch die Mitbestimmung von Troponin I möglich („Troponinlücke“)

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

S. Bernsen, S. Waldorf, R. Fabian, A. Brunn, K. Matthias, T. Els und P. Weydt geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access This article is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License, which permits use, sharing, adaptation, distribution and reproduction in any medium or format, as long as you give appropriate credit to the original author(s) and the source, provide a link to the Creative Commons licence, and indicate if changes were made. The images or other third party material in this article are included in the article's Creative Commons licence, unless indicated otherwise in a credit line to the material. If material is not included in the article's Creative Commons licence and your intended use is not permitted by statutory regulation or exceeds the permitted use, you will need to obtain permission directly from the copyright holder. To view a copy of this licence, visit http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​.

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Titel
Progediente Dyspnoe und Troponin-T-Erhöhung – alles internistisch?
Verfasst von
S. Bernsen
S. Waldorf
R. Fabian
A. Brunn
K. Matthias
T. Els
Dr. med. P. Weydt
Publikationsdatum
04.09.2025
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
DGNeurologie / Ausgabe 7/2025
Print ISSN: 2524-3446
Elektronische ISSN: 2524-3454
DOI
https://doi.org/10.1007/s42451-025-00802-3
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