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09.03.2022 | Online-Artikel

Früh behandeln, um irreversible Schäden zu vermeiden

Neurologische und psychiatrische Folgen des Vitamin-B12-Mangels

Vitamin B12 (Cobalamin) ist für die Entwicklung und Funktion des Nervensystems unverzichtbar. Steht das Vitamin nicht in ausreichender Menge zur Verfügung, drohen gravierende neuropsychiatrische Störungen.

Bei Vitamin-B12-Mangel beobachtet man eine Demyelinisierung (Entmarkung) von zentralen und peripheren Neuronen [1]. Wird die Demyelinisierung nicht behandelt, kann es zur axonalen Degeneration und zum Untergang der Nervenzelle kommen [3].

Die Angaben zur Häufigkeit neurologischer Manifestationen schwanken: Zwischen 4% und 50% der Patienten mit einem Vitamin-B12-Mangel sollen neurologische Auffälligkeiten zeigen [3]. Diese können die Erstmanifestation des Vitamindefizits darstellen und der Entwicklung hämatologischer Veränderungen vorausgehen oder aber isoliert auftreten, ohne dass sich jemals hämatologische Komplikationen entwickeln [1]. Daher sollte man bei unklaren neurologischen Symptomen immer auch an einen möglichen Vitamin-B12-Mangel denken – denn unbehandelte neurologische Manifestationen können fortschreiten und irreversibel werden [4].

Vielzahl an neurologischen und psychiatrischen Symptomen

Die Demyelinisierung bei Vitamin-B12-Mangel kann die Hinter- und Seitenstränge des zervikalen und thorakalen Rückenmarks betreffen (funikuläre Myelose). Gelegentlich erfasst die Entmarkung aber auch kraniale und periphere Nerven sowie die weiße Hirnsubstanz [2].

Zu den häufigsten neurologischen Symptomen bei Vitamin-B12-Defizit zählen symmetrische Parästhesien (periphere Neuropathie bei 25% der Patienten), Taubheitsgefühl und Gangstörungen [3]. Darüber hinaus sind Störungen der Propriozeption (Störung des Lage- und Vibrationsempfindens), Ataxie, Hyperreflexie, Störungen des autonomen Nervensystems (orthostatische Hypotonie, Inkontinenz, Impotenz) und weitere Auffälligkeiten beschrieben [2, 3].

Zu den psychiatrischen Manifestationen des Vitamin-B12-Defizits zählen kognitive Verlangsamung, Gedächtnisstörungen und Demenz. Auch affektive Störungen, Reizbarkeit, Depression, Labilität, Schlafstörungen und psychotische Zustände sind beschrieben (siehe Tabelle), [2, 3].

Neurologische Symptome

Zerebrale/psychische Symptome

Parästhesien

Kognitive Verlangsamung, Vergesslichkeit

Periphere sensorische Defizite

Demenz

Gangunsicherheit, ataktischer Gang

Labilität, Reizbarkeit

Schwäche bis hin zur Paraplegie

Schlafstörungen

Gestörte Vibrationswahrnehmung

Affektive Störungen: Depression, Manie

Gestörtes Lageempfinden

Paranoia, psychotische Zustände

Spastizität/Hyperreflexie


Abnorme tiefe Sehnenreflexe


Sehstörungen im Zusammenhang mit einer Optikusatrophie


Störungen des autonomen Nervensystems: Inkontinenz, Impotenz, orthostatische Hypotonie

  

Tab. 1: Neuropsychiatrische Symptome bei Vitamin-B12-Mangel (modifiziert nach [2, 3])

Bei Diabetes-Patienten: Vitamin-B12-Status überwachen….

Ein Mangel an Vitamin B12 hat unterschiedliche Ursachen. Das Antidiabetikum Metformin, das zur Behandlung des Typ-2-Diabetes sehr häufig eingesetzt wird, kann einen Vitamin-B12-Mangel begünstigen. Daher empfiehlt die Amerikanische Diabetes-Gesellschaft (American Diabetes Association, ADA), bei Patienten unter Metformin-Therapie den Vitamin-B12-Spiegel regelmäßig zu kontrollieren [5].

….und bei Bedarf oral supplementieren

Ein Vitamin-B12-Mangel bei Diabetes-Patienten kann eine diabetische Neuropathie imitieren und sollte durch eine orale Supplementierung von 1.000 µg Vitamin-B12 täglich behandelt werden, so die aktuelle Empfehlung eines internationalen Expertenteams [6]. Die Dauer der Supplementierung kann lebenslang erforderlich sein, je nach Ursache des Mangels [6].

Welchen klinischen Nutzen eine orale Vitamin-B12-Behandlung für Patienten mit Typ-2-Diabetes unter Metformin-Therapie bringen kann, belegt eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie [7]. An der Studie nahmen 90 Patienten teil, die seit mindestens vier Jahren mit Metformin behandelt wurden und an einer peripheren und autonomen Neuropathie litten. Darüber hinaus waren sie unzureichend mit Vitamin B12 versorgt. Unter der oralen Gabe von 1.000 µg Vitamin B12 täglich über ein Jahr normalisierten sich die Blutwerte. Zudem besserten sich alle neurophysiologischen Parameter, der Schmerzscore und die Lebensqualität der Patienten unter der Supplementation signifikant [7].

Schützt Vitamin B12 vor einer demenziellen Entwicklung?

Eine Vitamin-B12-Unterversorgung ist mit einer nachlassenden Gedächtnisleistung assoziiert. Eine Querschnittsstudie, an der 100 Patienten mit leichter kognitiver Störung (mild cognitive impairment, MCI) teilnahmen, ergab, dass bereits Vitamin-B12-Konzentrationen im unteren Normbereich mit einer geringeren Gedächtnisleistung einhergehen und mit einer schlechteren Mikrostruktur des Hippocampus assoziiert sind [8].

Interessant ist auch der Zusammenhang zwischen Demenz und Vitamin-B12-Versorgung. Bei den meisten Demenz-Patienten liegen Demenzformen vor, die derzeit nur symptomatisch behandelt werden können. Doch weisen 5% der Demenz-Patienten Demenzformen auf, die teilweise reversibel und potenziell behandelbar sind. Zu diesen potenziell therapierbaren Ursachen zählt u.a. der Vitamin-B12-Mangel. In einer retrospektiven Studie wurden die Daten von 160 stationären Patienten einer geriatrischen Station untersucht. Bei 99 Patienten war eine Demenz bereits vor der Klinikaufnahme bekannt, bei 61 Patienten wurde die Demenz neu diagnostiziert. In der Gruppe mit gesicherter Demenz war ein Vitamin-B12-Mangel die häufigste, bei den neu diagnostizierten Patienten war ein Vitamin-B12-Mangel die zweithäufigste behandelbare Demenz-Ursache [9].

Eine aktuelle Studie ging der Frage nach, ob der Vitamin-B12-Spiegel zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bei Parkinson-Patienten die Zeit bis zur Entwicklung einer Demenz vorhersagen kann. Höhere Vitamin-B12-Serumspiegel zum Zeitpunkt der Diagnosestellung korrelierten mit einem geringeren Risiko für eine zukünftige Demenzentwicklung [10].

Bei Parkinson-Patienten ist zudem zu beachten, dass eine Therapie mit Levodopa einen Vitamin-B12-Mangel verursachen kann [11].

Zügig diagnostizieren und behandeln

Bei Verdacht auf Vitamin-B12-Mangel sollte umgehend eine entsprechende Diagnostik eingeleitet werden, um irreversible neurologische Schäden zu verhindern [3]. Bestätigt sich der Verdacht, ist eine rasche Therapie  erforderlich. Diese sollte bei schwerem Mangel anfangs parenteral erfolgen und kann durch eine hochdosierte orale Therapie fortgesetzt werden.


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Literatur

[1] Green R et al.: Vitamin B12 Deficiency. Nature Reviews 2017; Vol. 3, Article number 17041; doi:10.1038/nrdp.2017.40

[2] Stabler SP: Vitamin B12 Deficiency. N Engl J Med 2013;368:149-160

[3] Ammouri W et al.: Neurological Manifestations of Cobalamin Definciency. J Neurol Neurosurg 2019;12(2):555834; doi:10.19080/OAJNN.2019.12.555834

[4] Hunt A et al.: Vitamin B12 Deficiency. BMJ 2014;349:g5226; doi:10.1136/bmj.g5226

[5] American Diabetes Association: 3. Prevention or delay of type 2 diabetes: Standards of Medical Care in Diabetes – 2021. Diabetes Care 2022;44(Suppl. 1):S34-S39

[6] Pop-Busui R et al.: Diagnosis and Treatment of Painful Diabetic Peripheral Neuropathy: ADA Clinical Compendia Series; available online at https://professional.diabetes.org/monographs#PDN

[7] Didangelos T et al.: Vitamin B12 Supplementation in Diabetic Neuropathy: A 1-Year, Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Trial. Nutrients 2021;13:395. https://doi.org/10.3390/nu13020395

[8] Köbe T et al.: Vitamin B12 cencentration, memory performance, and hippocampal structure in patients with mild cognitive impairment. Am J Clin Nutr 2016;103(4):1045-1054

[9] Djukic M et al.: Frequency of dementia syndromes with a potentially treatable cause in geriatric in-patients: analysis of a 1-year interval. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2015;265(5):429-438

[10] McCarter SJ et al.: Higher vitamin B12 level at Parkinson’s disease diagnosis is associated with lower risk of future dementia. Parkinsonism and Related Disorders 2020;73:19-22

[11] Triantafyllou NI et al.: Folate and vitamin B12 levels in levodopa-treated Parkinson's disease patients: their relationship to clinical manifestations, mood and cognition. Parkinsonism Relat Disord 2008;14(4):321-5.

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