Nozizeptive Schmerzen werden vorwiegend medikamentös behandelt. Neuropathische Schmerzen sprechen nur in sehr geringem Maß auf Standardanalgetika an. Für ihre Behandlung stehen weitere Optionen zur Verfügung, die von konservativ pharmakologisch bis chirurgisch invasiv reichen.
Medikamentöse Therapie
Der Ansatzpunkt der pharmakologischen Therapie ist bei den NSAR die Prostaglandin-Biosynthese. Serie-1-Prostaglandine bewirken eine starke Entzündungshemmung und beeinflussen die Blutgerinnung. Serie-2-Prostaglandine wirken genau entgegengesetzt. Sie verstärken oder verursachen erst Entzündungen, verengen die Blutgefäße, verstärken die Blutgerinnung und die Schmerzwahrnehmung. Sie lösen im Körper die notwendigen Maßnahmen aus, um auf Wunden oder andere Verletzungen zu reagieren. Mit der Acetylsalicylsäure wird versucht, diese Wirkung zu unterdrücken, wobei dadurch auch die Wirkung der Prostaglandine beeinflusst wird. Serie-3-Prostanglandine verringern neben verschiedenen anderen Funktionen die Entstehung der Serie-2-Prostaglandine und werden deshalb oft als entzündungshemmend beschrieben.
Endorphine sind körpereigene Opioidpeptide, die im Zwischenhirn, im Hypothalamus und in der Hypophyse aus Proenkephalin und Proopiomelanokortin gebildet werden. Im Zwischenhirn konnte Beta-Endorphin Anfang der 1970er Jahre nachgewiesen werden. In vegetativen Synapsen und vielen Hirnbereichen sowie in der grauen Substanz des Rückenmarks wurden Opioidrezeptoren entdeckt. Eine Erregung der Endorphinrezeptoren führt zu einer Unterdrückung von Schmerzreizen. Dies kann medikamentös durch Opioidanalgetika wie auch durch körperliche Aktivität erreicht werden. In Notfallsituationen wird die Schmerzwahrnehmung durch Endorphine unterdrückt.
Eine Erhöhung der Erregungsschwelle für calcium- und/oder natriumkanalabhängige Membranpotenziale lässt sich durch Antikonvulsiva erzielen. Die synaptische Transmission wird durch Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Muskelrelaxanzien bewirkt. Kortikale Neurone werden durch Barbiturate und Benzodiazepine blockiert.
Als anzustrebendes Therapieziel gilt die Reduktion neuropathischer Schmerzen um 30–50 %
Ziel der Pharmakotherapie nozizeptiver Schmerzen ist eine Schmerzfreiheit oder beinahe Schmerzfreiheit. Bei neuropathischen Schmerzen sprechen die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie [
8] von einem anzustrebenden Ziel der Schmerzreduktion von 30–50 %. Die Schlafqualität und die Lebensqualität der Patienten sollen verbessert werden. Hierzu ist anzumerken, dass eine Reduktion der Schlafqualität bereits bei einer Schmerzstärke von >3 auf der visuellen Analogskala (VAS 1–10) gegeben ist. Des Weiteren soll der Erhalt sozialer Aktivitäten, des sozialen Beziehungsgefüges und v. a. der Arbeitsfähigkeit erreicht werden.
Als Beispiel sei der akute Gelenkschmerz, ein nozizeptiver Schmerz, angeführt. Das plötzliche Auftreten wird hervorgerufen durch einen akuten Reiz, ohne begleitende Entzündung und ohne Infektion. Die Pharmakotherapie des akuten Gelenkschmerz wird in der Langfassung der Nationalen VersorgungsLeitlinie (NVL) „Nichtspezifischer Kreuzschmerz“ in 2. Auflage von 2017 [
17] beschrieben. Ziele des NVL-Programms sind insbesondere:
-
Empfehlungen zu versorgungsbereichsübergreifenden Vorgehensweisen entsprechend dem besten Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung der Kriterien der evidenzbasierten Medizin zu erarbeiten und formal zu konsentieren,
-
Empfehlungen hinsichtlich der Abstimmung und Koordination der an der Versorgung beteiligten Fachdisziplinen und weiterer Fachberufe im Gesundheitswesen in den verschiedenen Versorgungsbereichen zu geben,
-
durch Einbeziehung aller an der Versorgung beteiligten Disziplinen, Organisationen und Patienten eine effektive Verbreitung und Umsetzung der Empfehlungen zu ermöglichen,
-
die NVL-Empfehlungen in der ärztlichen Aus‑, Fort- und Weiterbildung und in Qualitätsmanagementsystemen sowie bei Verträgen zur integrierten Versorgung oder strukturierten Behandlungsprogrammen zu berücksichtigen sowie
-
eine gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient durch qualitativ hochwertige Patienteninformationen und Entscheidungshilfen zu unterstützen.
Laut Expertenkonsens sollen folgende Grundsätze unabhängig von der Wahl, der Einleitung und der Durchführung der medikamentösen Therapie berücksichtigt werden:
-
Aufklärung, dass Medikamente nur eine unterstützende Therapieoption bei Kreuzschmerzen darstellen
-
Festlegung eines realistischen und relevanten Therapieziels auch unter Berücksichtigung der körperlichen Funktion, z. B. Verbesserung der Gehstrecke oder Belastbarkeit, relevante Schmerzlinderung (>30 % oder >50 %)
-
Individuelle Auswahl der Medikation unter Berücksichtigung der Begleiterkrankungen, Begleitmedikation, Unverträglichkeiten, Vorerfahrungen und Präferenzen des Patienten
-
Stufenweise Dosistitration der Medikation zum Erreichen dieses Effekte mit der geringsten effektiven Dosierung
-
Überprüfung des Auftretens von Nebenwirkungen und des klinischen Effekts in regelmäßigen Intervallen (ca. 4 Wochen)
-
Bei akuten Schmerzen zeitiges Ausschleichen bzw. Absetzen der Medikation mit Besserung der Symptomatik
-
Fortführung der Therapie nur bei guter Wirksamkeit und Verträglichkeit, Überprüfung in regelmäßigen Intervallen (alle 3 Monate)
-
Ausschleichen/Absetzen der Therapie bei nicht ausreichender Wirksamkeit (trotz angemessener Dosierung) oder relevanten Nebenwirkungen
Nichtsteroidale Antirheumatika
Grundsätzlich wird die Anwendung von NSAR zur Behandlung nichtspezifischer Kreuzschmerzen in der niedrigsten wirksamen Dosierung und so kurzzeitig wie möglich empfohlen. Die NSAR sollen nicht parenteral verabreicht werden. Als Expertenkonsens gilt die Empfehlung, dass bei einer Behandlung mit NSAR und gleichzeitig vorliegenden Risiken für gastrointestinale Komplikationen prophylaktisch Protonenpumpenhemmer gegeben werden sollten.
Die Autoren der Leitlinie empfehlen, eine Tagesdosis von bis zu 1,2 g Ibuprofen, 100 mg Diclofenac oder 750 mg Naproxen nicht zu überschreiten. Bei unzureichender Wirkung kann die Dosis kurzzeitig unter Beachtung und ggf. Prophylaxe der möglichen Nebenwirkungen auf bis zu 2,4 g Ibuprofen, 150 mg Diclofenac oder 1,25 g Naproxen erhöht werden.
NSAR verfügen über ein erhebliches Nebenwirkungs- und Interaktionspotenzial
Die NSAR verfügen über ein erhebliches Nebenwirkungs- und Interaktionspotenzial, daher ist vor Therapiebeginn eine sorgfältige individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung bezüglich des angedachten Präparats notwendig. Zu den wichtigsten Nebenwirkungen zählen gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Sodbrennen, Magenschmerzen, gastrointestinale Ulzera, Hämatemesis, Meläna), Kopfschmerzen, Schwindel, Verminderung der Harnausscheidung, Ödeme, Bluthochdruck und Herzinsuffizienz. Kontraindikationen bestehen bei Zustand nach Blutung oder Perforation unter Einnahme von NSAR bzw. anamnestisch bekannten wiederholt aufgetretenen peptischen Ulzera und Blutungen, schwerer Herzinsuffizienz, schweren Leber- und Nierenfunktionsstörungen und Überempfindlichkeit. Durch NSAR erhöht sich auch das kardiovaskuläre Risiko, d. h. die Häufigkeit von Myokardinfarkten und Schlaganfällen steigt abhängig von Dosis und Applikationsdauer leicht an, bei insgesamt jedoch positiver Nutzen-Risiko-Bilanz. Zusätzlich hemmen Ibuprofen und einige weitere NSAR die antithrombotische Wirkung von Acetylsalicylsäure. Diclofenac-haltige Arzneimittel (systemische Darreichungsform) und Aceclofenac haben ein erhöhtes Risiko für arterielle thrombotische Ereignisse, vergleichbar mit selektiven COX-2-Hemmern. Sie sind kontraindiziert bei Patienten mit bestehender Herzinsuffizienz (NYHA-Stadien II–IV), ischämischer Herzerkrankung, peripherer Arterienerkrankung oder zerebrovaskulärer Erkrankung. Wenn NSAR kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden, können COX-2-Hemmer unter Berücksichtigung der Warnhinweise zur Behandlung nichtspezifischer Kreuzschmerzen angewendet werden. Metamizol kann zur Behandlung nichtspezifischer Kreuzschmerzen eingesetzt werden, wenn NSAR kontraindiziert sind, aber auch hier gilt: in der niedrigsten wirksamen Dosierung und so kurzzeitig wie möglich. Paracetamol sollte nicht zur Behandlung nichtspezifischer Kreuzschmerzen verwendet werden.
Opioide
Für den Gebrauch von Opioiden zur Behandlung akuter nichtspezifischer Kreuzschmerzen wurden folgende Empfehlungen formuliert: Opioide können bei fehlendem Ansprechen oder Vorliegen von Kontraindikationen gegen nichtopioide Analgetika angewendet werden. Opioide können zur Behandlung chronischer nichtspezifischer Kreuzschmerzen als eine Therapieoption für 4 bis 12 Wochen eingesetzt werden. Die Opioidtherapie soll regelmäßig evaluiert werden, bei akuten nichtspezifischen Kreuzschmerzen nach spätestens 4 Wochen, bei chronischen Kreuzschmerzen nach spätestens 3 Monaten. Opioide können zur Behandlung chronischer nichtspezifischer Kreuzschmerzen auch als langfristige Therapieoption angewendet werden, wenn unter einer zeitlich befristeten Therapie (4 bis 12 Wochen) eine klinisch relevante Reduktion der Schmerzen und/oder des körperlichen Beeinträchtigungserlebens bei fehlenden oder geringen Nebenwirkungen eingetreten ist. Opioide sollen zur Langzeitbehandlung chronischer nichtspezifischer Kreuzschmerzen und/oder nur im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes verabreicht werden. Die Opioidtherapie ist zu beenden, wenn das vereinbarte Therapieziel nicht erreicht wird. Transdermale Opioide sollen nicht zur Behandlung akuter und subakuter nichtspezifischer Kreuzschmerzen angewendet werden. Die Autoren weisen darauf hin, dass Präparate mit retardierter Galenik bzw. mit langer Wirkdauer und bevorzugter oraler Einnahme, bei Kontraindikation ggf. transdermale Systeme verwendet werden sollen. Das Nebenwirkungsprofil des opioidhaltigen Analgetikums ist zu beachten, Begleiterkrankungen des Patienten sind zu berücksichtigen, wobei Patientenpräferenzen Einfluss haben sollten. In der Einstellungs‑/Dosisfindungsphase soll ein Therapieziel vereinbart werden. Die Aufklärung zu Nebenwirkungen, Suchtgefahr, Verkehrssicherheit sollte mehrfach erfolgen.
In der Einstellungsphase sollte ein Therapieziel vereinbart werden
Mit einer niedrigen Dosis ist zu beginnen. Die Therapie erfolgt nach einem festen Zeitplan. Die optimale Dosis liegt bei Erreichen des formulierten Therapieziels und gleichzeitig geringen bzw. tolerablen Nebenwirkungen vor. Die Dosis von >120 mg pro Tag eines oralen Morphinäquivalents sollte nur in Ausnahmefällen überschritten werden. Als kurzfristige Bedarfsmedikation können oral wirksame opioidhaltige Analgetika zudem einen Beitrag zur Dosisfindung leisten. Für eine Langzeittherapie gilt zu beachten, dass bei einer Schmerzexazerbation nicht initial die Opioiddosis erhöht werden, sondern zunächst zusätzlich eine Therapie mit NSAR erfolgen soll. Zu überprüfen sind in regelmäßigen Abständen das Erreichen der Therapieziele, Hinweise für Nebenwirkungen wie Libidoverlust, psychische Veränderungen wie Interessenverlust, Merkfähigkeitsstörungen sowie Sturzereignisse. Auf einen Fehlgebrauch der rezeptierten Medikamente muss geachtet werden. Nach 6 Monaten mit Therapieresponse sollte eine Dosisreduktion und/oder eine Auslassversuch besprochen werden. Ferner sollte die Indikation für eine Therapiefortsetzung bzw. das Ansprechen auf nichtmedikamentöse Therapiemaßnahmen geprüft werden. Die Therapie sollte beendet werden nach Erreichen der individuellen Therapieziele durch andere therapeutische Maßnahmen, nach Nichterreichen der individuellen Therapieziele innerhalb der initialen 4–12 Wochen, bei Auftreten von nicht ausreichend therapierbaren bzw. nichttolerierbaren Nebenwirkungen, bei anhaltendem Wirkverlust trotz Modifikation der Opioidtherapie (Opioidwechsel, Dosisanpassung) sowie bei missbräuchlicher Verwendung der rezeptierten opioidhaltigen Analgetika durch den Patienten trotz Mitbehandlung durch Suchtspezialisten. Die Therapie mit opioidhaltigen Analgetika muss schrittweise beendet werden.
Muskelrelaxanzien
Die Anwendung von zentral wirksamen Muskelrelaxanzien für akute und chronische nichtspezifische Kreuzschmerzen wird nicht empfohlen. Eine kurzzeitige Wirksamkeit gegenüber Placebo ist für maximal 2 Wochen belegt. Es gibt keine Überlegenheit der Kombination mit NSAR gegenüber NSAR allein. Häufig treten gastrointestinale Nebenwirkungen und zentralnervöse Nebenwirkungen auf.
Antidepressiva
Für die Behandlung nichtspezifischer Kreuzschmerzen mit Antidepressiva gibt es keine Empfehlung. Eine
komorbide Depression oder Schlafstörung rechtfertigt jedoch deren Anwendung. Zu 80–90 % werden trizyklische Antidepressiva eingesetzt. Es konnte kein Vorteil gegenüber Placebo nachgewiesen werden. Wichtig ist das Gesamtbehandlungskonzept.
Antikonvulsiva
Für die Antikonvulsiva Gabapentin, Pregabalin, Topiramat und Carbamazepin liegt keine Behandlungsempfehlung vor. Die Nebenwirkungsrate mit Sedierung, Durchfällen etc. überwiegt den antinozizeptiven Effekt. In 4 Studien wurde eine Prävalenz neuropathischer Schmerzen von 36,6 % beim nichtspezifischen Kreuzschmerz nachgewiesen.
Analyse der Körperhaltung und Patientenaktivierung
Im Gegensatz zur medikamentösen Therapie versucht die neurochirurgische Schmerztherapie zuerst kausal gegen Nervenkompressionssyndrome wie bei Bandscheibenvorfällen die Ursache der Schmerzen zu beseitigen, indem über eine Foraminotomie des entsprechenden Bandscheibensegments der ursächliche Bandscheibenvorfall entfernt wird. Eine Ruhigstellung des schmerzhaften Segments folgt gescheiterten Versuchen, das betroffene Segment durch Beckenaufrichtung, Haltungsschulung und Mobilisation zu entlasten. In einer Stufenlagerung soll der nozizeptive Reiz zum Sistieren gebracht werden. Es ist gänzlich falsch, die Patienten durch eine medikamentös wirksame Schmerztherapie wieder im alltäglichen „Fehlverhalten einer hyperlordosierten Lendenwirbelsäule“ dem Arbeitsprozess zuzuführen und dem Fehlverhalten der letzten 20 bis 30 Jahren der Patienten nicht erklärend und schulend entgegenzuwirken.
Die wichtigste Schmerztherapie ist die Aufklärung des Patienten
Unser Organismus ist für eine Gehbelastung von täglich 15 bis 20 km ausgelegt. Allein ein zügiger Spaziergang von 3 km führt zu einer Beckenaufrichtung, Verringerung der Lendenwirbelsäulenlordose, Reduktion der Brustwirbelsäulenkyphose und Retraktion des weit über den Schwerpunkt nach vorne verlagerten Kopfs. Dies stellt die kranialwärts gerichteten Auswirkungen einer Fehlhaltung im Beckengürtel und deren Korrektur dar. Welche Auswirkung hat eine Schwächung der Muskulatur infolge fehlender körperlichen Betätigung auf die unteren Extremitäten? Eine Hyperlordosierung der Lendenwirbelsäule mit einem resultierenden sehr flachen Os-sacrum-Winkel ergibt eine Figur mit einem „Hinterteil“, das Donald Duck ähnelt. Dieses zerstört einem Großteil der Bevölkerung die Hauptachse des aufrechten Gangs. Was geschieht in der Hüfte bei einem Menschen mit solch einem Gesäß? Der Oberschenkel steht falsch in der Hüftpfanne, die nach hinten gerichtet ist. Die Pfanne wird zermalmt und der Oberschenkel steht nicht korrekt auf dem Unterschenkel, was zu Fehlbelastung im Knie führen wird, was die immer häufiger werden invasiven Knieuntersuchungen dokumentieren. Das obere und untere Sprunggelenk werden fehlbelastet. Im Bereich der Vorfüße entsteht durch die fehlerhafte Belastung eine Überbelastung, aus der sich ein Morton-Neurinom entwickeln kann.
Die wichtigste Schmerztherapie ist die Aufklärung. Dem Patienten muss dringend klargemacht werden, dass er für seine Situation selbst verantwortlich und für die Beseitigung oder zumindest Reduktion seiner Beschwerden zuständig ist.
Läsionelle Behandlungsverfahren
Abhacken, Ausreißen, Verbrennen, Veröden, waren Methoden aus dem Armamentarium invasiver Schmerztherapie und gehören der Vergangenheit an. Sie haben die Eigenschaft, durch die vollständige Denervierung schwer zu behandelnde Phantomschmerzen und neuropathische Schmerzzustände zu generieren. Im Jahre 1858 beschrieb Schuh die Behandlung schmerzhafter Zustände durch das Glüheiseisen. 1931 wurden diatherme Ströme in der chirurgischen Anwendung durch Kirschner dargestellt. Eine Thermokoagulation des Ganglion Gasseri wurde erfolgreich gegen die Trigeminusneuralgie eingesetzt.
Kryo- und Thermodenervation
Mundinger u. Cosman führten thermokontrollierte Läsionen ein. Damit konnten schmerzhafte Facettengelenke denerviert und viele Rückenschmerzen beseitigt werden. 1976 wurde die Kryodenervation in die Schmerztherapie implementiert. Beide Methoden, die Thermo- und die Kryodenervation zeigen eine große Wirksamkeit gegen nozizeptive Schmerzen aus den Wirbel‑, Facetten- und Iliosakralgelenken. Dabei kommt es zu einer partiellen Denervierung der betroffenen Gelenkinnervation im Ramus dorsalis spinalis. Dadurch wird die Impulsfortleitung zum Hinterhorn des Rückenmarks gehemmt. In der Regel sind diese Läsionen zeitlich auf 1 bis 2 Jahre begrenzt. Dann kommt es durch Reparaturmechanismen zu einem Ausheilen der Nervenläsion. Ein Wiederkehren der Schmerzen dokumentiert diesen Heilungsprozess. Eine Wiederholung der Behandlung ist jederzeit wieder möglich. Die Kryodenervation hält häufig nicht so lange an wie die Thermodenervation. Ein Aussprossen („sprouting“) von Nervenfasern um die Läsion herum tritt nur bei Thermoläsionen auf und kann im späteren Verlauf eine Wiederholung einer Thermoläsion unwirksam machen, da dem Chirurgen der neue Nervenverlauf nicht zugänglich ist. Hierin liegt der Vorteil der Kryodenervation, die durch eine vorübergehende Erfrierung von Nerven kein Aussprossen im Reparaturprozess zur Folge hat. Dadurch kann die kürzere Wirkdauer der Therapie kompensiert werden.
Gepulste Radiofrequenzläsion
Das Verfahren der gepulsten Radiofrequenzläsion führt zu einer vorübergehenden Nervenschädigung durch eine besondere Impulsform ohne Hitzeentwicklung. Bei dieser Methode entstehen maximal 41 °C während der Operation. Dadurch kann ebenfalls ein Aussprossen von Nervenfasern verhindert werden. Indikationen für Radiofrequenzläsionen sind das zervikale und lumbale Facettengelenksyndrom, Anwendungen am Ganglion trigeminale (Gasseri), Ganglion stellatum, lumbalen Grenzstrang, Tractus spinothalamicus lateralis und Spinalganglion. Die beiden Letztgenannten werden heutzutage nicht mehr durchgeführt. Mit gepulsten Radiofrequenzläsionen können chronische Zervikozephalgien, -brachialgien, Lumbalgien sowie Lumboischialgien degenerativer oder traumatischer Genese behandelt werden.
Chordotomie und Traktotomie
Anterolaterale Chordotomien wurden bereits 1911 beschrieben und in den 1970er Jahren perkutan durchgeführt. Eine Indikation bestand nur noch bei malignem Tumorschmerz in der unteren Körperhälfte, streng einseitig, bei begrenzter Lebenserwartung, da es zu einer Gefühlsstörung in der betroffenen Körperregion kommt.
In den 1930er bis 1960er Jahren wurden gegen Schmerzen im Gesicht, Hals und Schulterbereich mangels wirksamer Medikamente medulläre, pontine, mesenzephale und spinothalamische Traktotomien mit einer hohen Nebenwirkungsrate, Mortalität und Rezidivrate durchgeführt. Die Mortalität konnte durch die Verwendung präziserer Operationsmethoden wie die Stereotaxie verringert werden.
Neuromodulation
Bei den neuromodulativen Verfahren, die seit knapp 50 Jahren zur Verfügung stehen, handelt es sich um eine passagere oder permanente reversible elektrische Beeinflussung neuronaler Strukturen sowie schmerzleitender und -verarbeitender Systeme [
18]. Bereits Ende der 1960er Jahre wurde die Entwicklung implantierbarer Neurostimulationssysteme durch die Implantation des ersten Herzschrittmachers in Stockholm im Jahre 1958 forciert. Inzwischen steht ein breites Instrumentarium zur Behandlung schwerster chronischer Schmerzzustände zur Verfügung [
19]. Dabei wird zwischen Neurostimulationsverfahren und intrathekaler Pharmakotherapie unterschieden.
Neurochirurgische Verfahren stellen die letzte Stufe jeder Schmerztherapie dar
Im Jahre 1967 führten Shealey et al. [
18] die erste chronische Rückenmarkstimulation durch. Anfänglich noch subdural, später dann epidural wurden dünne Platinelektroden platziert. Diese gaben chronisch elektrische Impulse an das umliegende Nervengewebe ab, was bei neuropathischen Brennschmerzen in den unteren Extremitäten zu einer Überlagerung der Schmerzen mit Kribbelparästhesien führte. Durch eine Aktivierung der Berührungsfasern (Aβ-Fasern) werden die schmerzleitenden Fasern (C-Fasern für den späten „dumpfen“, und Aβ-Fasern für den frühen „hellen“ Schmerz) im Bereich der Substantia gelatinosa des Hinterhorns des Rückenmarks gehemmt [
20]. Bereits in den 1960er Jahren gelang es Reynold, durch eine Stimulation des periaquäduktalen Graus eine starke Analgesie im Tierversuch nachzuweisen. Hosobuchi, Richardson und Akil [
21] erreichten durch eine Stimulation des periaquäduktalen Graus beim Menschen sehr gute Erfolge in der Schmerztherapie wohl durch Freisetzung von Endorphinen. Bis heute konnten die meisten läsionellen Verfahren durch die Neuromodulation ersetzt werden mit einer drastischen Reduktion an Nebenwirkungen durch die Therapie [
22‐
24].
Haupteinsatzgebiet der Neuromodulation sind neuropathische Schmerzen. Aufgrund ihrer Invasivität stellen neurochirurgische Verfahren prinzipiell die letzte Stufe jeglicher Schmerztherapie dar. Extrazerebrale neuromodulative Verfahren kommen auf verschiedenen Stimulationsebenen zur Anwendung: Rückenmark („spinal cord stimulation“), Nervenwurzel („nerve root stimulation“), Ganglion („dorsal root ganglion stimulation“), peripherer Nerv, Ganglion trigeminale („peripheral ganglion stimulation“; [
25,
26]) und subkutane Strukturen („subcutaneous stimulation“, transkutane elektrische Nervenstimulation; [
27]). Intrazerebrale Verfahren zur Schmerzbeeinflussung, wie die tiefe Hirnstimulation („deep brain stimulation“; [
28,
29]) oder die Motorkortexstimulation [
30‐
33], wurden erst später entwickelt.
Epidurale Rückenmarkstimulation
Die epidurale Rückenmarkstimulation („spinal cord stimulation“, SCS) stellt ein seit Jahrzehnten etabliertes minimal-invasives Verfahren dar, das bei nichtonkologischen chronischen, medikamentös nicht beherrschbaren neuropathischen Schmerzen oder Rückenschmerzen Anwendung findet. Der Wirkmechanismus basiert auf der Stimulation afferenter Aβ-Fasern (Tastfasern) mit Inhibition von Aδ- und C‑Fasern (Schmerzfasern) in der Wurzeleintrittszone des Rückenmarkhinterhorns (Substantia gelatinosa). Einsatzgebiete sind therapieresistente Schmerzsyndrome nach Ausschluss einer kausaler Therapiemöglichkeit, radikuläre neuropathische oder gemischt neuropathische, nozizeptive Schmerzen im Bereich der oberen und unteren Extremität („failed back surgery syndrome“), CRPS I (Morbus Sudeck), Deafferenzierungsschmerzen (CRPS II, Phantomschmerz, periphere Neuropathie etc.), vaskulärer Schmerz (periphere arterielle Verschlusskrankheit, koronare Herzkrankheit, Angina), inkomplette Querschnittsyndrome, Stumpfschmerz. Das Verfahren ist reversibel und weitgehend schmerzfrei. In Abhängigkeit vom verwendeten Elektrodentyp wird der operative Eingriff meist minimal-invasiv in Lokalanästhesie durchgeführt. Zielpunkt ist der Epiduralraum des Spinalkanals.
An die Operation schließt sich eine mehrtägige Probephase an, um die besten Stimulationseinstellungen herauszufinden. Erst wenn sich die SCS-Therapie bewährt, also eine deutliche Schmerzreduktion oder auch bereits eine Reduktion der Schmerzmedikation zu beobachten ist, erfolgt die Implantation des Impulsgebers unter die Bauchhautdecke in Vollnarkose. Dieser Stimulator kann von Arzt und Patient durch die Haut telemetrisch bedient und angepasst werden. Die Risiken der SCS sind als gering einzustufen.
Durch technische Weiterentwicklungen der SCS wie Hochfrequenzstimulation, neue Elektrodenkonfigurationen, integrierte Beschleunigungssensoren zur automatischen Anpassung der Impulsstärke bei Positionswechsel des Patienten, mit der Magnetresonanztomographie kompatible Systeme, drahtlose Geräte etc. konnten die Patientensicherheit, der Patientenkomfort und damit die Lebensqualität der Betroffenen deutlich verbessert werden. Weltweit unterziehen sich ungefähr 14.000 Menschen jährlich einer Rückenmarkstimulation.
Tiefe Hirnstimulation
In den 1980er Jahren entwickelte sich die tiefe Hirnstimulation („deep brain stimulation“) zur hocheffektiven Behandlungsmöglichkeit beim fortgeschrittenen, medikamentös nicht mehr ausreichend beherrschbaren Parkinson-Syndrom [
34] und essenziellen Tremor. Ebenso sind nahezu alle Formen der Dystonie, die Chorea Huntington, das Tourette-Syndrom, schwere Abhängigkeiten von Alkohol und Drogen, schwere Depressionen und Zwangsstörungen mit dieser Methode gut zu behandeln. Beim konservativ nicht behandelbaren nozizeptiven und neuropathischen Schmerz waren die Ergebnisse jedoch lange Zeit nicht so vielversprechend wie in der Behandlung von Bewegungsstörungen, was sich aber in den letzten Jahren geändert hat.
Die Behandlung ist zu jedem Zeitpunkt individuell auf den Patienten und seinen veränderten Bedarf anpassbar und sogar ggf. inaktivierbar, wodurch der präoperative Zustand wieder hergestellt werden würde.
Anwendung finden Platinelektroden im Durchmesser von 1,2–1,5 mm mit 4 oder 8 Elektrodenkontakten. Der Autor hat eine Methode mit 2 Elektroden pro Gehirnhälfte entwickelt und in die Therapie eingeführt. Eine Elektrode befindet sich im sensorischen Thalamus, die zweite Elektrode, von parietal kommend und nicht von frontal wie bei der Thalamuselektrode, im hinteren Schenkel der Capsula interna. Die implantierten Neurostimulatoren können durch perkutane Programmierung der Parameter Intensität, Frequenz, Impulsbreite, kontinuierliche und zyklische Stimulation nieder- und/oder hochfrequente Stromimpulse an Nervenzellen oder deren Fasern abgeben. Nach Implantation der Stimulationselektroden empfiehlt sich eine Probe- oder Teststimulation. Mit unterschiedlichen Stimulationseinstellungen zur Beeinflussung des Schmerzbildes wird über mehrere Tage bis Wochen eine Teststimulation zum Nachweis der individuellen Wirksamkeit bei dem betroffenen Patienten durchgeführt.
Eine komplette Implantation des Impulsgebers erfolgt nur bei ausreichender Schmerzlinderung
Eine komplette Implantation des Impulsgebers erfolgt nur bei einer Schmerzlinderung von über 60 %. Unter stabiler Schmerzreduktion durch die Stimulation kann langsam eine (gleichzeitige) Reduktion der Schmerzmedikamente vorgenommen werden. Nach Implantation des Impulsgebers, meist unterhalb des Schlüsselbeins, sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen und Anpassungen der Stimulationseinstellungen notwendig. Bei Fortschreiten einer Erkrankung oder Zunahme von Schmerzen kann die elektrische Einflussnahme auf das Gewebe durch eine Erhöhung der Stimulationsintensität, -frequenz und Eindringtiefe in das Gewebe angepasst werden. Mit der Anzahl der Stromimpulse pro Sekunde lässt sich festlegen, welchen Effekt der Strom haben wird. Niederfrequente Stimulationen mit 1–80 Hz verursachen eine Aktivierung bzw. Reizung. Hochfrequente Stimulationen mit über 100 Hz führen zu blockierenden inhibierenden Effekten [
35‐
39].