Erschienen in:
01.02.2016 | Neuropathischer Schmerz | Schwerpunkt
Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Cannabinoiden bei neuropathischen Schmerzsyndromen
Eine systematische Übersichtsarbeit von randomisierten, kontrollierten Studien
verfasst von:
Prof. Dr. F. Petzke, E. K. Enax-Krumova, W. Häuser
Erschienen in:
Der Schmerz
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Ausgabe 1/2016
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Zusammenfassung
Hintergrund
Die Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Cannabisprodukten in der Behandlung neuropathischer Schmerzsyndrome wurde in aktuellen Übersichtsarbeiten unterschiedlich eingeschätzt.
Material und Methoden
Eine systematische Literatursuche bis November 2015 wurde in den Datenbanken Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL), PubMed und Clinicaltrials.gov durchgeführt. Gesucht wurde nach randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) mit einer Studiendauer von ≥ 2 Wochen und einer Studienteilnehmerzahl von mindestens n = 9 pro Studienarm mit Medizinalhanf und/oder (halb-)synthetischen Cannabinoiden im Vergleich zu Placebo oder einem anderen aktiven Medikament bei chronischen neuropathischen Schmerzsyndromen. Klinische Endpunkte der Analyse waren Wirksamkeit (≥ 30 %ige bzw. 50 %ige Schmerzreduktion, durchschnittliche Schmerzintensität, globale Besserung, gesundheitsbezogene Lebensqualität), Verträglichkeit (Abbruchrate wegen Nebenwirkungen; zentralnervöse und psychiatrische Nebenwirkungen) und Sicherheit (schwerwiegende Nebenwirkungen). Mithilfe eines Random-effects-Modells wurde für kategoriale Daten die absolute Risikodifferenz (RD) und für kontinuierliche Variablen die standardisierte Mittelwertdifferenz (SMD) berechnet. Die methodische Qualität der RCT wurde mit dem Cochrane Risk of Bias Tool evaluiert.
Ergebnisse
Wir schlossen 15 RCT und 1619 Teilnehmer ein. Die Studiendauer lag zwischen 2 und 15 Wochen. Zehn Studien verwendeten ein pflanzenbasiertes Spray aus Tetrahydrocannabinol/Cannabidiol, 3 Studien ein synthetisches Cannabinoid (2-mal Nabilon, 1-mal Dronabinol) und 2 Studien Medizinalhanf. Die 13 Studien mit parallelem bzw. Cross-over-Design ergaben folgende Ergebnisse [mit 95 %-Konfidenzintervall (KI)]: Cannabinoide waren Placebo in der Reduktion der Schmerzintensität mit einer SMD von − 0,10 (95 %-KI: − 0,20–− 0,00; p = 0,05; 13 Studien mit 1565 Teilnehmern), in der Häufigkeit einer ≥ 30 %igen Schmerzreduktion mit einer RD von 0,10 [95 %-KI: 0,03–0,16; p = 0,004; 9 Studien mit 1346 Teilnehmern; „number needed to treat for additional benefit“ (NNTB): 14; 95 %-KI: 8–45] und in der Häufigkeit einer starken oder sehr starken globalen Verbesserung mit einer RD von 0,09 (95 %-KI: 0,01–0,17; p = 0,02; 7 Studien mit 1092 Teilnehmern; NNTB: 15; 95 %-KI: 8–58) überlegen. Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Cannabinoiden und Placebo in der Häufigkeit einer ≥ 50 %igen Schmerzreduktion, in der Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und in der Häufigkeit schwerer Nebenwirkungen. Patienten unter Cannabinoiden brachen die Therapie häufiger wegen Nebenwirkungen ab [RD: 0,04; 95 %-KI: 0,01–0,07; p = 0,009; 11 Studien mit 1574 Teilnehmern; „number needed to treat for additional harm“ (NNTH): 19; 95 %-KI: 13–37)], berichteten häufiger zentralnervöse Nebenwirkungen (RD: 0,38; 95 %-KI: 0,18–0,58; p = 0,0003; 9 Studien mit 1304 Teilnehmern; NNTH: 3; 95 %-KI: 2–4) und ebenso psychiatrische Nebenwirkungen (RD: 0,11; 95 %-KI: 0,06–0,16; p < 0,0001; 9 Studien mit 1304 Teilnehmern; NNTH: 8; 95 %-KI: 7–12).
Schlussfolgerungen
Cannabinoide waren Placebo in der Wirksamkeit geringfügig überlegen, in ihrer Verträglichkeit aber unterlegen. Hinsichtlich der Sicherheit im Studienzeitraum ergab sich kein Unterschied. Bei ausgewählten Patienten mit neuropathischen Schmerzen können Cannabinoide für eine kurz- und mittelfristige Therapie mit Cannabinoiden bei nicht ausreichendem Effekt von Erst- und Zweitlinientherapien in Betracht gezogen werden.