Neurotrophe Faktoren
Neurotrophe Faktoren können sowohl die Entwicklung und Differenzierung der neuronalen Zellen beeinflussen als auch deren Überleben in Stresssituationen fördern. Zu den wichtigsten neurotrophen Faktoren gehören die Mitglieder der FGF-(„fibroblast growth factor“), GDNF-(„glial cell line-derived neurotrophic factor“), IL-6-(interleukin-6), EGF-(„epidermal growth factor“), IGF-(„insulin like growth factor“), TGFb-(„transforming growth factor beta“) und Neurotrophin-Familien. Nicht alle Faktoren zeigen hierbei die gleiche Effizienz bei der Protektion der Sehzellen.
Zu den am besten charakterisierten Faktoren zählt CNTF („ciliary neurotrophic factor“), ein zur IL-6-Familie gehörendes Zytokin. Die neuroprotektive Funktion von CNTF in der Netzhaut wurde bereits 1992 in der RCS(Royal College of Surgeon)-Ratte, einem etablierten Modell für die Netzhautdegeneration, beschrieben [
25] und später in weiteren Tiermodellen bestätigt [
40]. Interessanterweise scheint CNTF seine protektive Wirkung indirekt über Müller-Gliazellen zu entfalten. CNTF ist vor allem deshalb interessant, weil der Faktor neben Stäbchen auch Zapfen schützen kann und zudem die Regeneration der Zapfenaußensegmente fördert [
27]. Vor diesem Hintergrund ist CNTF auch in Bezug auf den klinischen Einsatz attraktiv.
Gut beschrieben wurde auch das Schutzpotenzial von BDNF („brain-derived neurotrophic factor“) und GDNF. Experimentelle Ansätze lassen vermuten, dass sowohl BDNF als auch GDNF ihre schützende Wirkung für Sehzellen wie CNTF über eine Aktivierung der Müller-Zellen entfalten könnten [
17,
33]. Diese Daten rücken die Müller-Gliazellen in den Fokus und etablieren sie als mögliche Zielzellen für die Aktivierung eines Programms zum Schutz der Sehzellen.
Neben CNTF war FGF2 oder bFGF einer der ersten neurotrophen Faktoren, für welchen eine protektive Wirkung für Sehzellen gezeigt wurde. Sowohl die subretinale als auch die intravitreale Injektion von bFGF in RCS Ratten bewirkte eine signifikante Verzögerung der degenerativen Prozesse in der Netzhaut und sicherte das Überleben der Sehzellen für mehrere Wochen [
14]. In der Folge wurde die Schutzwirkung von bFGF auch in anderen Tiermodellen nachgewiesen [
30]. Es konnte zudem gezeigt werden, dass bFGF auch endogen als zelluläre Antwort auf einen Sehzellschaden produziert wird und schützend wirkt [
30].
„Pigment epithelium-derived factor“ (PEDF) nimmt eine gewisse Sonderstellung unter den neuroprotektiven Faktoren ein, da PEDF sowohl Sehzellen schützen [
19] als auch durch eine antiangiogene Wirkung der Blutgefäßbildung durch VEGF („vascular endothelial growth factor“) entgegenwirken kann [
38]. Neben dem retinalen Pigmentepithel scheinen wiederum die Müller-Gliazellen den schützenden Faktor PEDF zu produzieren [
12].
Antioxidantien
Oxidativer Stress ist eine permanente Gefahrenquelle für die Zellen der Netzhaut. Durch die hohe Sauerstoffkonzentration im Gewebe und die lebenslange Belastung durch Licht können freie Radikale entstehen, die Proteine und Lipide schädigen und dadurch die Funktion als auch die Lebensfähigkeit der Sehzellen beeinträchtigen können. Zudem führt die Phagozytose der abgestoßenen Sehzellenaußensegmente durch das retinale Pigmentepithel mit der Zeit zur Ansammlung von unverdaubarem oxidiertem Material, das zum Beispiel als Lipofuszin die Zellen schädigen kann. Durch diese ständige oxidative Belastung haben die Zellen eigene Schutzmaßnahmen entwickelt und produzieren Enzyme mit antioxidativer Wirkung. Daneben enthalten die RPE-Zellen auch Stoffe wie Melanin, Lutein und Zeaxanthin, welche überschüssiges Licht absorbieren und so vor der Bildung von Radikalen schützen [
37].
Es ist daher nicht verwunderlich, dass exogen zugeführte antioxidative Substanzen einen Schutz für Sehzellen bieten können. Substanzen wie Resveratrol [
23], Ginkgo-biloba-Extrakt [
32], Berberin [
34], α‑Tocopherol, Ascorbinsäure, α‑Liponsäure [
22], N‑Acetyl Cystein [
26], Dimethylurea [
32] und andere zeigen dabei eine protektive Wirkung im Modell der lichtinduzierten Sehzellapoptose und können zum Teil auch die Degeneration der Netzhaut in vererbten Modellen für Retinitis pigmentosa verzögern. Allerdings ist die Wirkungsweise vieler dieser Substanzen nicht eingehend untersucht worden und die Definition der Bandbreite des vermittelten Schutzes steht ebenfalls meistens noch aus.
Flavonoide bilden eine große Klasse von pflanzlichen Sekundärmetaboliten, die unter anderem vor UV-Strahlung schützen können. Viele von ihnen haben zudem eine antioxidative und/oder entzündungshemmende Wirkung. Zu den Flavonoiden mit protektiver Wirkung gehören Anthocyanide [
31] und Flavanole wie Epigallocatechingallat [
9].
Die Applikation von Nanopartikeln mit antioxidativer Wirkung könnte eine Alternative zu den obigen Substanzen darstellen. Die Oxide von Cerium und Yttrium, Metallen der seltenen Erden, wurden erfolgreich als Antioxidantien bei Netzhautdegenerationen im Tiermodell eingesetzt [
5,
28]. Insbesondere die Schutzwirkung von Ceriumoxid, besser bekannt unter dem Namen Nanoceria [
5], wurde bereits in mehreren tierexperimentellen Ansätzen beschrieben.
Neurosteroide
Die Netzhaut synthetisiert neuroaktive Steroide, welche in verschiedene physiologische Prozesse eingreifen und auch in der Entwicklung eine wichtige Rolle spielen. Um diese Funktionen wahrnehmen zu können, binden die Steroide an spezifische Rezeptoren. So sind sowohl die „nuclear estrogen receptors“ (ERα und ERβ) wie auch Rezeptoren für Progesteron in der Netzhaut exprimiert [
4,
20]. Neben ihren physiologischen Funktionen wirken Steroide zudem protektiv. Besonders sind hierbei die schützenden Eigenschaften von 17-Estradiol (E2) und Progesteron hervorzuheben. Beide Steroide wurden im Tiermodell bereits mit Erfolg eingesetzt [
20,
43]. Zusätzlich wurde gezeigt, dass das synthetische Progesteron-Analog Norgestrel eine gute protektive Wirkung sowohl in induzierten als auch vererbten Modellen der Netzhautdegeneration zeigt [
11]. Interessanterweise könnte diese Schutzwirkung endogene neurotrophe Faktoren wie „leukemia inhibitory factor“ (LIF) miteinbeziehen [
2], was darauf hindeutet, dass neuroprotektive Substanzen in der Netzhaut sowohl spezifische als auch gemeinsame Signalwege nutzen, um die neuronalen Zellen zu schützen.
Rasagilin, Minocyclin und Rapamycin
Rasagilin ist ein selektiver Monoaminoxidase (MAO) Hemmer, der vor allem in der Behandlung von Parkinson-Patienten zum Einsatz kommt. Nach oraler Verabreichung konnte Rasagilin caspaseabhängige Zelltodmechanismen in der Netzhaut unterdrücken und so die Degeneration der Sehzellen in der rds(„retinal degeneration slow“)-Maus verlangsamen [
13]. Minocyclin ist ein Antibiotikum, welches zu den Tetrazyklinen gehört und häufig zur Behandlung von Akne eingesetzt wird. Die systemische Behandlung von Mäusen mit Minocyclin konnte Sehzellen sowohl gegen Lichtschaden als auch gegen vererbte Degeneration schützen [
18,
45]. Rapamycin ist ein mTOR Inhibitor, der auch immunsuppressiv wirkt und in der Medizin unter anderem nach Organtransplantationen in einer Kombinationstherapie eingesetzt wird. In der Netzhaut konnte Rapamycin Sehzellen gegen Lichtschaden schützen. Der zugrunde liegende Mechanismus ist noch unklar, könnte aber eine differentielle Regulation der Autophagie beinhalten [
24].