Sind die Koryphäen außer Haus, sinkt die Mortalität

Der sicherste Ort, um einen Herzinfarkt zu bekommen, ist das Kongresszentrum einer Kardiologentagung – so lautet ein unter Herzspezialisten verbreiteter Scherz. Weniger lustig dürften sie die Ergebnisse einer aktuellen Studie finden. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Wenn sich die führenden Kapazitäten der interventionellen Kardiologie zu ihrem Jahrestreffen versammeln, besteht die Gefahr, dass die Versorgung von Patienten mit akuten Herzinfarkten in den verwaisten Kliniken leidet – so könnte man annehmen. Glaubt man jedoch den jüngst veröffentlichten Ergebnissen einer Untersuchung, ist diese Annahme unbegründet. Schon eher ist das Gegenteil richtig: In Abwesenheit der interventionell tätigen kardiologischen Koryphäen steigt die Mortalität von Infarktpatienten nicht, sie sinkt vielmehr. Ans Licht gebracht hat diese Erkenntnis ein Expertenteam um Anupam Jena von der Harvard Medical School in Boston. Die Forscher berechneten die 30-Tages-Sterblichkeit von Patienten mit akutem Myokardinfarkt, die an Tagen stationär behandelt worden waren, an denen in den Jahren 2007 bis 2012 das Transcatheter Cardiovascular Therapeutics stattfand (3153 Patienten); die Tagung gilt als weltweit größtes und wichtigstes Treffen interventionell tätiger Kardiologen. Die so errechnete Mortalität verglichen Jena und Kollegen mit jener an identischen Wochentagen in den fünf Wochen vor und nach der Tagung (31.156 Patienten). Hiernach war die 30-Tages-Mortalität der Patienten zu Tagungszeiten signifikant niedriger als in der Zeit davor und danach, in der die Tagungsteilnehmer – wie man vermuten darf – ihrer gewohnten beruflichen Tätigkeit nachgingen. Die Sterblichkeit während der Tagung lag bei 15,4% verglichen mit 16,7% vor und nach dem Jahrestreffen der kardiologischen Interventionisten. Die Rate von Infarktpatienten, die interventionell behandelt wurden, unterschied sich in den genannten Zeiträumen nicht, sie lag bei jeweils rund 30%. Die stärkste Senkung der Mortalitätsrate zeigte sich bei Patienten mit Infarkten ohne ST-Hebung (NSTEMI), die keiner perkutanen Koronarintervention unterzogen wurden (16,9% vs. 19,5%). Unterschiede gab es auch zwischen den Ärzten, die an der Tagung teilnahmen, und den an den Kliniken zurückgebliebenen Kollegen. Die Tagungsteilnehmer hatten mehr wissenschaftliche Publikationen vorzuweisen (im Schnitt 18,9 vs. 6,3), ihre Forschung wurde häufiger von den National Institutes of Health der USA unterstützt (5,3% vs. 0,4%), zudem hatten sie in klinischen Studien häufiger die Leitungsfunktion inne (10,3% vs. 3,9%). Rätseln über die Gründe Man kann als Kardiologe aus der vorliegenden Studie zwar durchaus Trost beziehen, wie sich das beispielsweise Rita Redberg von der University of California in San Francisco zu tun bemüht. „Es ist beruhigend, dass die Ergebnisse für die Patienten nicht leiden, wenn viele Kardiologen abwesend sind“, schreibt sie in ihrem Kommentar zur Untersuchung. Man kann sich freilich auch die eher beunruhigende Frage stellen, weshalb die Infarktmortalität steigt, wenn die interventionellen Kardiologen noch nicht oder nicht mehr tagen – zumal dies nicht die erste Studie und ebenso nicht die erste Studie unter Führung von Anupam Jena ist, die in diese Richtung weist (siehe etwa Jena AB. JAMA Intern Med 2015; 175: 237–44). Da die Mortalitätsreduktion wesentlich die medikamentös behandelten Patienten mit NSTEMI betrifft, lässt sich spekulieren, dass diese Patientengruppe anders versorgt wird, je nachdem, ob gerade eine Kardiologentagung stattfindet – und zwar mit Blick auf die Überlebenschancen offenbar besser. Mit aller Vorsicht kann man daher vermuten, dass sich der Verzicht auf eine Intervention hier als Vorteil erweist – ein Verzicht, der womöglich gerade den Teilnehmern an Transcatheter Cardiovascular Therapeutics im Alltag schwerfällt. Die genauen Gründe dingfest zu machen, die schließlich zur geringeren Sterblichkeit von Infarktpatienten während der Kardiologentagung geführt haben, ist Jena und Mitarbeitern wie schon früher, so auch diesmal nicht gelungen. Damit ist zugleich die größte Schwäche der Untersuchung benannt. Das Wichtigste in Kürze Frage: Welche Auswirkungen hat es auf die Versorgung von Patienten mit Herzinfarkt, wenn die führenden interventionell tätigen Kardiologen an der Jahrestagung ihrer Zunft teilnehmen? Antwort: Die 30-Tages-Mortalität von Herzinfarktpatienten ist während der Tagungsphase niedriger als davor und danach. Bedeutung: Kein Infarktpatient muss befürchten, schlechter versorgt zu werden, nur weil die Katheterkoryphäen gerade aushäusig beschäftigt sind. Einschränkung: Die Gründe für die niedrigere Infarktmortalität während der Zeiten von Kardiologentagungen bleiben im Dunkeln.

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