Schulterdystokie - eine interdisziplinäre Herausforderung

Die Schulterdystokie ist bei einer mittleren angenommenen Inzidenz von 0,5% ein seltenes, für die Geburtshilfe meist überraschendes Ereignis. Die hohe Rate insbesondere der neonatalen Morbidität mit fetaler Hypoxie sowie traumatischen Schädigungen des Plexus brachialis machen jedoch ein stringentes Management erforderlich [1, 2]. Bei der Schulterdystokie muss zwischen dem hohen Schultergeradstand und dem tiefen Schulterquerstand unterschieden werden. Unter forensischen Aspekten ist nur der hohe Schultergeradstand bedeutsam, da es fast ausschließlich in dieser Situation zu Plexusschäden und anderen Komplikationen der Einklemmung kommt. In einer retrospektiven Erhebung wurden 224.744 Spontangeburten analysiert, um mütterliche Risikofaktoren für die Schulterdystokie im Bundesland Hessen mit der Literatur zu vergleichen [3]. Multiparität und eine Gewichtszunahme von >15 kg erhöhen das Risiko der Schulterdystokie unabhängig vom Geburtsgewicht. Ein Geburtsgewicht unter 4000 g bei Multiparität und einem BMI>30 erhöht ebenfalls signifikant die Rate der Schulterdystokie. In der Geburtsgewichtgruppe >4000 g erhöht ein Diabetes mellitus das Risiko zusätzlich, allerdings nur in Kombination mit Makrosomie >4000 g. Kommentar: "Kreißsaalmitarbeiter kontinuierlich und dokumentiert schulen" Als antepartuale Risikofaktoren gelten Zustand nach Schulterdystokie, Makrosomie bei Diabetes mellitus, Übertragung, Adipositas der Mutter, exzessive Gewichtszunahme während der Schwangerschaft sowie Multiparität. Subpartual gehen eine verlängerte Austreibungsphase sowie ein vaginaloperativer Entbindungsmodus von Beckenmitte mit einer erhöhten Inzidenz für eine Schulterdystokie einher. Die meisten mit der Schulterdystokie assoziierten Risikofaktoren stehen jedoch in Beziehung zum fetalen Geburtsgewicht. Bei einem Geburtsgewicht von 4000 g liegt die Inzidenz der Schulterdystokie um 2%, bei 4500 g steigt sie auf 10% an und erreicht bei einem Gewicht von 5000 g ca. 40%. Mehr als die Hälfte aller Schulterdystokien tritt jedoch bei einem Geburtsgewicht von unter 4000 g auf [4]. Da Schulterdystokien auch ohne Vorliegen eines einzigen Risikofaktors auftreten ist eine kontinuierliche und dokumentierte Schulung aller Kreißsaalmitarbeiter notwendig, um die Komplikationen der Schulterdystokie (Plexusschaden, Asphyxie) zu reduzieren (Infobox). Diese Schulung beinhaltet das Erkennen der Risikofaktoren, die Herstellung einer angemessenen Unterstützung und die praktische Schulung der notwendigen geburtshilflichen Manöver zur Reduktion der Komplikationen. Bei Verdacht auf Makrosomie sollte auch die vorzeitige Geburtseinleitung ab der abgeschlossenen 37. Schwangerschaftswoche mit den Eltern besprochen werden [5]. Im Einzelfall muss aber immer das Risiko einer fetalen Unreife gegen die Risiken abgewogen werden, die sich aus der Zunahme des fetalen Gewichts ergeben können. Nach einer vorausgegangenen Schulterdystokie sollte aufgrund des Wiederholungsrisikos von 13,8% die primäre Sectioindikation diskutiert werden [6]. So ist auch eine alternative Aufklärung zum Kaiserschnitt bei einem erwarteten Kindsgewicht von >4500 g angemessen. Hier ist allerdings die gleichzeitige Aufklärung über die Streubreite der Gewichtsmessung am Termin zu dokumentieren. Entscheidet sich die Schwangere für die vaginale Geburt, ist nicht nur eine sorgfältige Dokumentation des Aufklärungsgesprächs üblich, insbesondere besteht die Notwendigkeit eines Facharztstandards unter der Geburt. Die Risikofaktoren sind damit Gegenstand der Aufklärung aber nicht notwendigerweise Sectioindikation. Vielmehr bedingen sie die vorsorgliche Herstellung einer besonderen Qualität der geburtshilflichen Betreuung. Infobox Empfohlene Vorgehensweise Schritt 1: Hilfe rufen! Uhrzeit notieren, Oxitocin abstellen! Notfallfunk! Arzt muss Geburt übernehmen Schritt 2: kein Zug am Kopf, nicht kristellern Schritt 3: McRoberts Manöver (2mal) Schritt 4: retrosymphysärer Druck, Mazzanti-Manöver: Druck nach dorsal, Rubin-Manöver: Druck nach lateral Schritt 5: 2-4 ml Akuttokolyse (2 ml Partus. 2,5 mg/10 ml + 8 ml NaCl), Vierfüsslerstand, Gaskin-Manöver Schritt 6: Wood-Manöver, reverses Wood-Manöver, innere Rotation der vorderen Schulter nach dorsal Schritt 7: Bamum-Manöver, Entwicklung des hinteren Arms Schritt 8: Ultima ratio: Kinch-Manöver, digitale Fraktur der Clavicula Nur anekdotisch: Schritt 9: Zavanelli-Manöver, Rückführen des Kopfes, Sectio Literatur 1. Baskett T et al. (1995) Obstet Gynecol 86: 14–171 2. Nocon J et al. (1993) Am J Obstet Gynecol 168:1732–1739 3. Berle P et al. (2009) Z Geburtshilfe Neonatol 213:171-175 4. Gross T et al. (1987) Am J Obstet Gynecol 156:1408–1418 5. Lurie S et al. (1996) Am J Perinatol 13(5):293–296 6. Lewis DF et al. (1995) Am J Obstet Gynecol 172:1369–1371.

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

Schulterdystokie - eine interdisziplinäre Herausforderung

Neu im Fachgebiet Gynäkologie und Geburtshilfe

ICI-Therapie in der Schwangerschaft wird gut toleriert

Weniger postpartale Depressionen nach Esketamin-Einmalgabe

Bei RSV-Impfung vor 60. Lebensjahr über Off-Label-Gebrauch aufklären!

Harnwegsinfektprophylaxe: Es geht auch ohne Antibiotika

Update Gynäkologie