Die medizinische Beurteilung von Verletzungen und potenzieller todesursächlicher Relevanz einer Stromexposition durch eine Elektroschockdistanzwaffe beschränkt sich nicht allein auf die situativen Gegebenheiten und die morphologische Befunderhebung, sondern beinhaltet auch eine intensive Analyse polizeilicher Ermittlungen und die Auswertung von Zeugenaussagen sowie vorangegangener medizinischer Maßnahmen. Insbesondere bei zeitlich relevanter Nähe zwischen Exposition und Todeseintritt muss die Wirkung der übertragenen Stromimpulse in Zusammenhang mit der meist komplexen Einsatzsituation und der medizinischen Vorgeschichte des Geschädigten beurteilt werden. Ein detailliertes Wissen über die konkrete und auch abstrakte Wirkungsweise, Wirksamkeit und Risiken von Elektroschockdistanzwaffen ist hierfür unabdingbar.
Hinweise
Die ursprüngliche Online-Version dieses Artikels wurde korrigiert: Im ursprünglich publizierten Beitrag wurden die Tabellenbeschriftungen vertauscht.
Die Einführung und kontinuierliche polizeiliche Verbreitung von Elektroschockdistanzwaffen („conducted electrical weapons“ [CEW]) hat weltweit zu einer kontrovers geführten Diskussion über die Vor- und Nachteile dieser nicht letalen Waffen geführt. Besonders wenn es um die medizinische Erstbehandlung und im Nachgang um die Einschätzung von Auswirkungen polizeilicher Gewalt geht, hat die Etablierung der CEW neue medizinische Fragestellungen und Probleme mit sich gebracht, die es zu lösen gilt.
Die Etablierung von CEW hat neue medizinische Fragestellungen und Probleme mit sich gebracht
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Statistische Untersuchungen haben ergeben, dass die Substitution konservativer polizeilicher Waffen (Schlagstock, Pfefferspray, Schusswaffe) durch CEW in bestimmten Situationen zu einer deutlichen Reduktion der Verletzungsrate um bis zu 65 % [1] bzw. 78 % [2] geführt hat und die Todesfälle im Rahmen von Polizeieinsätzen um bis zu etwa 66 % [3] reduziert wurden. Dies hat in Europa und in den USA zu einer Änderung polizeilicher Einsatzstrategien geführt [4]. Einer zunehmenden Anwendung von CEW steht ein Rückgang verletzungsintensiverer Überwältigungsmittel gegenüber. So hat beispielsweise eine groß angelegte Studie in England und Wales eine Zunahme des CEW-Einsatzes von 3100 im Jahr 2009 auf 23.500 im Jahr 2018 ergeben [5]. Auf der anderen Seite werden diesen Geräten unter bestimmten Einsatzbedingungen Wirkungen nachgesagt, die zumindest zum Todesmechanismus beitragen. Hierzu wurden einzelne Kasuistiken publiziert [6, 7]. Eine zweifelsfreie direkte Kausalität konnte CEW jedoch bisher nicht nachgewiesen werden. Fundiertes, oft interdisziplinäres Basiswissen über die Wirkweisen von CEW ist eine Bedingung für richtiges (notfall-)medizinisches Handeln nach Beschuss mit CEW.
In Deutschland werden laut Verkaufszahlen der Firma Axon Enterprise Inc. aktuell im polizeilichen Streifendienst sowie in Pilotprojekten 405 CEW des Modells Taser X2 (Abb. 1) und 175 CEW des Modells Taser T7 (Abb. 2) eingesetzt.
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In der Regel kommt es beim Einsatz von CEW zu kleineren, oberflächlichen mechanischen Verletzungen durch Hautpenetration der Elektrodenpfeile und durch Sturz zu Boden. Darüber hinaus wird immer wieder von CEW-relevanten Todesfällen berichtet. So wurden in Deutschland bisher 4 Todesfälle registriert, die in zeitlicher Abfolge eines Taser-Einsatzes stehen (Fulda 01/2018, Nürnberg 10/2018, Pirmasens 01/2019, Frankfurt 04/2019). In allen Fällen wurde eine Obduktion durchgeführt, wobei eine direkte und vor allem alleinige Kausalität dem Einsatz der CEW nicht zugeschrieben werden konnte. Die Zeitspanne zwischen Stromapplikation und Todeseintritt reichte von wenigen Minuten bis hin zu 14 Tagen. Die Todesursachen waren sowohl kardialen (Herzinfarkt) als auch respiratorischen Ursprungs (Aspirationspneumonie). Die großen Unterschiede hinsichtlich der zeitlichen Komponente und der pathophysiologischen Reaktionen des Körpers während und nach dem Einsatz von CEW in diesen Fällen zeigen, wie schwierig die einheitliche Beurteilung eines Todesfalls nach CEW-Einsatz ist. Typischerweise handelt es sich bei Todesfällen nach CEW-Einsatz um komplexe, multifaktorielle Ereignisse mit medizinisch vorbelasteten Geschädigten und morphologisch nicht zweifelsfrei belegbaren Todesmechanismen. Abhängig von der Position der Elektroden, der Anzahl der applizierten Impulszyklen und dem verwendeten Gerät können mehrere physiologische Systeme des menschlichen Organismus beeinflusst worden sein. Die resultierenden typisch spurenarmen Todesfälle erfordern oftmals zusätzliche technische und polizeiliche Sachverständigengutachten.
Im Folgenden sollen nun die Grundlagen und Wirkmechanismen der CEW dargelegt sowie die Möglichkeiten und Grenzen der (notfall-)medizinischen Behandlung und Begutachtung derartiger Fälle diskutiert werden.
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Elektroschockdistanzwaffen
Der Ursprung von Elektroschockgeräten liegt in der Landwirtschaft. Das Grundprinzip des Elektrozauns, durch elektrisch ausgelöste Schmerzreize ein Tier bzw. einen Menschen von seiner ursprünglich intendierten Handlung abzuhalten, wurde zunächst in Form von Hand- und Stabgeräten realisiert. Im Kontaktmodus werden bei diesen Geräten kurze Stromimpulse mit hohen Spannungen von über 100 kV bei niedriger Stromstärke von bis zu maximal 3–8 A auf die Haut übertragen [8]. Die erste Elektroschockdistanzwaffe, der AIR TASER® Modell 3400 (Axon Enterprise Inc., Scottsdale, AZ, USA) wurde von dem 1993 gegründeten Unternehmen Taser International hergestellt. Das Gerät ermöglichte mittels Pfeilelektroden die bisherigen räumlichen Einschränkungen zu überwinden und gleichzeitig eine größere Stromverteilung im getroffenen Körper zu erreichen. Im Laufe der Geräteentwicklung wurde die Technologie an polizeiliche Bedürfnisse und Ausrüstung angepasst. Es folgten die Modelle Taser® M26, C2 und X26, hergestellt von der Firma Axon Enterprise Inc., die Nachfolgefirma des Unternehmens Taser International mit Sitz in Scottsdale, AZ, USA. Unter diesen Geräten ist der Taser X26E seit weit über einem Jahrzehnt die elektrische Waffe, die von Strafverfolgungsbehörden weltweit am meisten eingesetzt wird. Aufgrund der langjährigen Marktbeherrschung des Tasers X26 und der umfangreichen wissenschaftlichen Forschung, die mit dieser Waffe durchgeführt wurde, kann man die Technologie dieses Geräts als den technischen Standard der Branche bewerten. Axon stellte die Produktion des Tasers X26E im Jahr 2014 ein und ersetzte ihn durch seine neueren sogenannten Smart-Waffen, das Nachfolgemodell Taser X26P und den Taser X2. Seit Ende 2018 wird von Axon zudem der Taser T7 angeboten. Während sich die Geräte optisch, technisch und in der Abgabe der Stromimpulse voneinander unterscheiden, differieren sie nur unwesentlich in Bezug auf ihre Wirkung [9] und gesundheitlichen Risiken [10].
Die Mehrheit der über 830 publizierten medizinisch-wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema bezieht sich ausschließlich auf eben diese speziellen Wirkmittel [11]. Andere Hersteller und deren Elektroschockdistanzwaffen wie PhaZZer: Enforcer (Phazzer Electronics Inc., Omaha, NE, USA), Condor: Spark (Condor Non-Lethal Technologies, Rio de Janeiro, Brasilien), Jiun An: Raysun X‑1 (Jiun-An Technology Co. Ltd., Taipei, Taiwan) und Karbon Arms: Stinger (Karbon Arms LLC, Tampa, FL, USA) spielen eine untergeordnete Rolle, weshalb auf diese Geräte im Folgenden nicht näher eingegangen wird.
Kontaktmodus
CEW können entweder im Kontakt- oder im Distanzmodus angewendet werden. Im Kontaktmodus ist die Wirkung von CEW vergleichbar mit herkömmlichen Elektroschockwaffen. Basierend auf einer reinen Schmerzinduktion durch den abgegebenen Stromimpuls soll ein Kontrahent von der ursprünglich intendierten Aktion abgehalten werden. Hierbei ist der Stromfluss aufgrund der relativ nah zueinander liegenden Elektroden limitiert auf die Haut, das Unterhautfettgewebe und die oberflächlichen Muskelschichten [12]. Ein Risiko für darunter liegende Organe, insbesondere ein kardiales Risiko besteht bei dieser Anwendungsart nicht. Morphologisch erkennt man kleine fleckförmige Hautrötungen oder auch -verbrennungen [13] mit zum Teil zentraler Metallisation [14].
Distanzmodus
Im Distanzmodus werden die Stromimpulse mithilfe zweier in die Haut penetrierender Pfeilelektroden auf eine getroffene Person übertragen. Basierend auf einer strominduzierten, allgemeinen Muskelkontraktion wird bei optimaler Trefferlage eine generalisierte, sofortige Mannstoppwirkung erzielt. Abhängig vom Elektrodenabstand vergrößert sich das Spannungsfeld zwischen den Elektroden. Bei dieser Applikationsart können die Stromimpulse so etwas tiefer in den Körper eindringen und mehrere Organsysteme beeinflussen. Morphologisch erkennt man kleine lochartige Hautdefekte, teilweise mit umgebender Hautreaktion [15].
Flug und Zielballistik
Die Geräte Taser X2 und T7 besitzen jeweils ein Zweikartuschensystem, das typenspezifische Merkmale aufweist (Abb. 3). Beide Geräte beschleunigen die etwas anders aufgebauten Geschosse bzw. Dartelektroden mit komprimiertem Stickstoff über eine Entfernung von bis zu knapp 8 m. Die Geschosse sind durch einen jeweils 0,5 mm dicken elektrisch isolierten und frei beweglichen Draht mit der Batterie des Endgeräts verbunden. Der Draht ist bei der Pfeilelektrode des Tasers X2 in der Kartusche aufgerollt, bei T7 befindet er sich im Geschosskörper. Die abgefeuerten Pfeile des Tasers T7 haben einen größeren Hauptkörper und sind schwerer (4,7 g gegenüber 2,9 g). Sie besitzen ein eingehaktes durchdringendes Metallende mit einer Länge von etwa 1,15 cm (0,453 Zoll). Die Elektroden des Tasers T7 erreichen eine Geschwindigkeit von 180 fps (etwa 55 m/s) gegenüber 160 fps (etwa 50 m/s) beim Modell X2. Die höhere Geschwindigkeit und Masse führt beim T7 zu einer fast 2,5-fachen kinetischen Energieübertragung beim Aufprall (3,0–5,5 J). Die Kombination aus größerer Kontaktfläche des T7-Dartkörpers und einer Sollbruchstelle am Ende der Elektrode gewährleistet, dass der Flugkörper beim Aufprall nicht eindringt, insbesondere bei steilen Auftreffwinkeln. Die Patronen sind mit einem 3‑Grad- und 7‑Grad-Einsatz bei X2 und einem 12-Grad- und 3,5-Grad-Einsatz bei T7 erhältlich. Entsprechend ist die Spreizung zwischen den Pfeilen eine Funktion der Schussentfernung. Für Begegnungen aus nächster Nähe ist die 12-Grad-Patrone am besten geeignet. Ein typisches Szenario von Angesicht zu Angesicht würde einer Zielentfernung von ungefähr 57 Zoll (1,4 m) oder 114 Zoll (2,9 m) entsprechen, was bei einem Körpertreffer zu einer Probenverteilung von 6 Zoll (15,2 cm) und 12 Zoll (30,5 cm) führt.
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Bei Penetration vulnerabler Körperstellen kann es zu nachhaltigen Verletzungen kommen
Die resultierenden Hautverletzungen bestehen bei X2 und T7 typischerweise in einem zentralen Hautdefekt und einer umgebenden reaktiven Hautrötung sowie bei T7 zusätzlich in einer semizirkulären Hautabschürfung (Abb. 4). Bei Treffern im Bereich des vorderen oder hinteren Rumpfs sowie der Extremitäten sind keine schwerwiegenden Verletzungen oder Verletzungsfolgen zu erwarten [16, 17]. Allerdings kann es bei Penetration vulnerabler Körperstellen, wie beispielsweise von Fingern [18], der Geschlechtsregion [19] oder der Augenregion [20], zu schwerwiegenderen und zum Teil auch nachhaltigen Verletzungen kommen. Auch Treffer im Gesicht [21] und am Kopf [22] können bleibende Schäden hervorrufen.
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Stromapplikation und -wirkung
Beim Eindringen der Pfeilelektroden in das Zielmedium werden hochfrequente Stromimpulse abgegeben, die sich abhängig von der verwendeten Kartuschen-Waffen-Kombination geringfügig voneinander unterscheiden (Tab. 1 und 2, Abb. 5). Deren jeweilige Wirkung auf den menschlichen Körper ist vergleichbar, jedoch einsatzbedingt von mehreren Faktoren abhängig. In Bezug auf den Beschuss mit CEW sind dies insbesondere die Elektrodenposition, die organischen Widerstände, die applizierte Spannung, die Einwirkzeit und vor allem die am Organ wirkende Stromstärke.
Tab. 1
Ausgabeparameter des Tasers T7 (Quelle: Axon Enterprise Inc.)
Parameter
Wertebereich
Widerstand (Ω)a
250–1000
Impulsrate (Hz)
21–23
Impulsdauer (μs)
35–55
Effektive Ladung (μC)
59–67
Effektive Stromstärke (mA)
1,3–1,5
Maximale Spannung (V)
1500–2600
aInduktionsfrei
Tab. 2
Ausgabeparameter des Tasers X2 (Quelle: Axon Enterprise Inc.)
Parameter
Wertebereich
Widerstand (Ω)
600
Impulsrate (Hz)
18–20
Impulsdauer (μs)
50–125
Effektive Ladung (μC)
54–72
Effektive Stromstärke (mA)
1,2
Maximale Spannung (V)
840–1440
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Grundsätzlich ist ein überschwelliger elektrischer Reiz ausreichender Dauer und Amplitude in der Lage, Muskelaktionspotenziale zu initiieren und über Erregung von Myofibrillen eine indirekte Muskelkontraktion zu bewirken. Die direkte Kontraktion eines Muskels wird erreicht, indem der elektrische Impuls direkt eine Dehnung der Muskelspindeln bewirkt. Der hierdurch entstehende Impuls wird über das Rückenmark an Motoneuronen des gedehnten Muskels weitergegeben und es erfolgt eine Kontraktion. Nach derzeitigem Kenntnisstand geht man davon aus, dass CEW sowohl direkt als auch indirekt die Muskulatur aktivieren. Eine solche strominduzierte Reaktion wird im Sinne des Alles-oder-nichts-Gesetzes sofort bei Stromexposition erreicht. Verzögerte, insbesondere strominduzierte kardiale Reaktionen nach Beendigung der Stromapplikation sind nicht mehr möglich [23].
Der Hauptwirkungsmechanismus von CEW ist die Übertragung spezifischer elektrischer Wellenimpulsformen hoher Spannung bei gleichzeitig geringer Stromstärke durch zwei Sondenelektroden, die beim Aufprall in die Haut eindringen. Das elektrische Feld, das sich zwischen den beiden Pfeilen (Anode und Kathode) aufbaut, überlagert die Erregungsleitung im Nervengewebe (sogenannte „electro-muscular disruption“), stimuliert periphere Motoneuronen und führt so zu einer willentlich nicht beeinflussbaren tetanischen Muskelkontraktion und damit zu einer ganzheitlichen Handlungsunfähigkeit für die Dauer der Exposition. Dieser Wirkmechanismus gilt für ältere CEW-Modelle wie die Varianten des Tasers X26 ebenso wie für die neueren Geräte Taser X2 und Taser T7 [8‐10, 24]. Sofort nach Beendigung des Stromflusses stellt sich wieder eine vollständige Handlungsfähigkeit ein [25].
Der Grad der Handlungsunfähigkeit ist vom Abstand und der Trefferlokalisation der Elektroden abhängig [9, 26]. Während ein optimaler Treffer im Rumpfbereich mit einem Elektrodenabstand von mindestens 30 cm eine sofortige Mannstoppwirkung garantiert, können kürzere Distanzen auch nur einzelne Muskelgruppen beeinflussen. Bei einem Elektrodenabstand von ≤10 cm ist eine Ausschaltung der Handlungsfähigkeit nicht mehr gegeben.
Bei Zweitbeschuss mit dem Modell T7 können die einzelnen Elektroden miteinander kommunizieren
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Kommt es aufgrund eines Fehlschusses oder einer zu geringen Pfeildistanz zu einem Zweitbeschuss, können beim Modell T7 die einzelnen Elektroden miteinander kommunizieren (sogenannte Cross-connect-Technologie). Das Gerät wählt in solch einem Fall die Anoden-Kathoden-Kombination mit dem höchsten Widerstand und somit der größten Distanz. Dies gilt auch, wenn zusätzlich zu den penetrierten Dartelektroden der Kontaktmodus angewandt wird. Folglich spielt bei der postexpositionellen Wirkungsanalyse nicht nur der jeweilige Elektrodenabstand eine Rolle, sondern es müssen auch eventuell weitere Dartpfeile, Elektrodenkontaktstellen und deren Kombinationsmöglichkeiten berücksichtigt werden.
Ein morphologisches Korrelat der mechanischen und elektrischen Hautbelastung können makroskopisch und auch mikroskopisch erkennbare elektrothermische Hautveränderungen sein. Aufgrund der größeren Kontaktfläche sieht man diese Veränderungen hauptsächlich bei nichtoptimalen, schrägen Treffern.
Sturzverletzungen
Ein ausreichender Elektrodenabstand kann durch die gesamtheitliche Muskelkontraktion zu unkontrollierten Sturzgeschehen führen mit der Gefahr schwerer und zum Teil lebensbedrohlicher bzw. tödlicher Kopfverletzungen [27]. Die Korrelation zwischen physikalischen Parametern eines Sturzgeschehens und dem Risiko lebensbedrohlicher Verletzungen wird von vielen Faktoren beeinflusst, beispielsweise von der Form und Materialeigenschaft des den Kopf treffenden Objekts oder Untergrunds, der genauen Fallkinematik, dem Körperstatus des Fallenden sowie dessen individuellen biomechanischen Toleranzschwellen des betroffenen Gewebes. Die Kopfaufprallgeschwindigkeit kann bei einem ungebremsten Sturz aus dem Stand über 7 m/s erreichen [28], wobei rückwärtige Sturzgeschehen mit einem höheren Verletzungsrisiko verbunden sind als ein Sturz nach vorn oder zur Seite. Im Fall intrakranieller Blutungen wäre eine typische Subduralblutung mit Coup- und Contrecoup-Konstellation zu erwarten, für die in der Literatur eine Schwelle zur todesursächlichen Relevanz von 50 ml angegeben wird [29], bei zusätzlich intrazerebraler Blutung sind es 30 ml [30].
Pathophysiologische Wirkungen
Neben den direkt ersichtlichen muskulären Wirkungen einer Taser-Applikation können vor allem kardiale [31], adrenerge [32] und metabolische Effekte [33] beobachtet werden.
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Kardiale und adrenerge Wirkung
Durch die körperliche Beanspruchung während einer CEW-Exposition kommt es indirekt zu einem reaktiven Anstieg der Herzfrequenz [33, 34] und zu einer Verminderung des systolischen und diastolischen Drucks [35, 36], ohne jedoch klinisch relevante Beeinträchtigungen einer getroffenen Person hervorzurufen.
In Abhängigkeit von der Elektrodenposition kann es zu einem Stromfluss durch relevante Organstrukturen kommen. Eine direkte Beeinflussung des Herzrhythmus konnte bisher in Humanstudien mit einer vom Hersteller freigegebenen Waffe nicht nachgewiesen werden. Allerdings hatte im Jahr 2009 eine Person, die einer neuen Generation von CEW vor der offiziellen Freigabe ausgesetzt war, eine (asymptomatische) Herzerfassung mit einer Herzfrequenz von 240 Schlägen/min [37]. Eine Kasuistik von Cao et al. [38] aus dem Jahr 2007 berichtet von einer Person mit einem Herzschrittmacher, die bei einer X26E-Exposition eine (asymptomatische) Herzerfassung aufwies, die zunächst nicht erkannt wurde. Erst im Rahmen einer späteren Schrittmacherabfrage wurde das Phänomen registriert. Aufgrund dieser beiden Fälle kann eine direkte Einflussnahme auf die Herzfrequenz zwar nicht gänzlich ausgeschlossen werden, ist jedoch als äußerst unwahrscheinlich zu beurteilen, insbesondere im Zusammenhang eines kardialen Todesmechanismus. Hinzu kommt, dass die Dauer der elektrischen Stimulation, die erforderlich ist, um beispielsweise den Schwellenwert in einer Herzmuskelzelle zu überschreiten, etwa 10- bis 100-mal länger ist als in einer motorischen oder sensorischen Nervenzelle. Um eine Arrhythmie des Herzens zu erzeugen, müsste entsprechend eine zwischen 5‑ und 15-mal größere Stromintensität an eine getroffene Person abgegeben werden, als dies bei CEW der Fall ist [39].
Auch ein strominduziertes Herzkammerflimmern ist bei einem getroffenen Erwachsenen in der Regel auszuschließen. Aufgrund der geringen generierten Stromstärken von etwa 1,2 mA bzw. 1,5 mA (Tab. 1 und 2) wäre ein induziertes ventrikuläres Flimmern nur in nächster Nähe zum Herzmuskel möglich, mit einem notwendigen Herz-zu-Elektrodenspitzen-Abstand von etwa 3,1 ± 1,09 mm [40]. Eine solche Situation ist nur bei Beschuss eines Kindes oder eines sehr kachektischen Erwachsenen möglich.
Eine direkte Einflussnahme auf die Herzfrequenz ist als äußerst unwahrscheinlich zu beurteilen
Die Möglichkeit eines kardialen Geschehens aufgrund eines thrombotischen Verschlusses der Herzkranzgefäße, beispielsweise durch Einwirkungen auf den Koagulationsprozess oder eine strominduzierte Thrombenbildung, konnte bisher nicht nachgewiesen werden [41].
Metabolische und neuroendokrine Wirkung
Die Sympathikus-Nebennieren-Medulla-Achse und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse sind die beiden Hauptmechanismen für stressbedingte Wechselwirkungen. Sie steuern eine komplexe Reihe hormoneller Einflüsse und körperlicher Reaktionen. Intensive körperliche Beanspruchung, wie die strominduzierte Muskelkontraktion durch CEW, geht unter anderem mit einer Milchsäurebildung sowie mit einer Schädigung einzelner Muskelzellen einher. Die Wirkung einer CEW-induzierten allgemeinen Muskelkontraktion ist somit vergleichbar mit einer mittel- bis höhergradigen körperlichen Anstrengung kombiniert mit einer allgemeinen Stressreaktion [42]. Während einer CEW-Exposition kommt es zu einem primär stressbedingten Anstieg von Katecholaminen und Glukokortikoiden [33, 43] sowie zu einem primär physisch reaktiv bedingten verminderten pH-Wert [28, 33, 34] bei gleichzeitig erhöhtem Laktat [33, 44, 45] und erhöhter Kreatinkinase [46]. Diese Veränderungen wurden in der wissenschaftlichen Literatur als klinisch nicht relevante, zu erwartende physische Reaktionen des menschlichen Körpers eingestuft.
Respiratorische Wirkung
Da eine ein- oder auch zweimalige Taser-Anwendung zu kurz ist, um allgemeingültige Aussagen über eine eventuelle Beeinflussung der Respirationsparameter zu treffen, können die hierzu erhobenen Daten nur vergleichend verwendet werden. In Humanstudien wurden ein geringgradig reduziertes Atemvolumen während des Stromflusses und eine anschließend leicht gesteigerte Atemfrequenz festgestellt [47]. Ein Aussetzen der Atmung durch die Stromimpulse konnte widerlegt werden [48].
Wirkung bei implantiertem Defibrillator und Herzschrittmacher
Die Möglichkeit einer strominduzierten Beeinflussung implantierter Herzschrittmacher und Defibrillatoren wurde intensiv untersucht. Eine relevante Beeinträchtigung dieser Geräte konnte bei keiner der Untersuchungen festgestellt werden. So zeigten beispielsweise Studien von Mattei et al. [49] und Haegli et al. [50], dass implantierte Schrittmacher den Puls einer CEW als ventrikuläres Flimmern falsch registrieren. Aufgrund der zu kurzen Aktivierungszeit und der daraus resultierenden fehlenden Rückmeldung an den Herzschrittmacher kam es aber zu keiner Reaktion der Geräte. Allenfalls bei mehrfachen lang anhaltenden Applikationen wäre eine Reaktion des Schrittmachers nicht auszuschließen, sie wird allerdings von Mattei et al. [49] als risikoarm eingestuft. Lakkireddy et al. [51] und Leitgeb et al. [52] stellten eine Registrierung der aktuellen CEW-Anwendung durch den Herzschrittmacher fest. Aufgrund der kurzen Dauer der Taser-Wellenform kam es jedoch in diesen Fällen zu keiner Reaktion oder Funktionsverschlechterung der Geräte.
Aktuelle Forschungsergebnisse legen somit nahe, dass das Tragen eines Herzschrittmachers oder Defibrillators kein Ausschlusskriterium für eine Taser-Anwendung darstellt.
Mögliche Todesmechanismen
Die zeitliche Nähe zwischen dem CEW-Gebrauch und dem Todeseintritt bei einzelnen Personen in Deutschland und den USA könnte auf eine mögliche indirekte todesursächliche Relevanz der Stromapplikation hindeuten. Statistisch gesehen kommt es in einem von 3000 Polizeieinsätzen mit CEW zu einem Todesfall [27, 40]. Während dieser Tatbestand auf einen Kausalzusammenhang zwischen Ereignis und Ergebnis hinweisen kann, beweist dies nicht automatisch einen relevanten Beitrag zur Kausalität der zum Tode führenden Ereignisse. Um nicht dem fundamentalen logischen Irrtum „post hoc ergo propter hoc“ zu erliegen [53], müssen alle möglichen Entstehungsmechanismen im jeweiligen Fall im Kontext mehrerer Variablen bewertet werden.
Im Todesfall sollte die sach- und fachgerechte polizeiliche Anwendung der Geräte extern überprüft werden
Es ist bekannt, dass in gewissen extremen physischen Belastungssituationen, beispielsweise in einem exzitierten Delir [54‐56] oder unter starker kardialer Belastung bei Vorschädigung [57, 58], nur geringe zusätzliche Stressoren ausreichend sein können, um eine lebensbedrohliche oder sogar tödliche Situation hervorzurufen. Es ist hierbei nicht die Stromwirkung, die den Tod direkt verursacht, sondern der durch die CEW-Anwendung hervorgerufene Stress, der den zum Tode führenden Mechanismus triggert.
In komplexen Fällen mit mehreren konkurrierenden Todesursachen ist es oftmals nicht möglich, eine zweifelsfreie Gewichtung der jeweils zum Tod beitragenden Faktoren durchzuführen. Abhängig von den situativen Gegebenheiten kann es sein, dass sich eine todesursächliche CEW-Mitbeteiligung nicht ausschließen lässt. Unabhängig davon, ob den applizierten Stromimpulsen durch CEW eine direkte, indirekte oder keine todesursächliche Beteiligung zugeschrieben werden kann, ist eine externe Überprüfung der sach- und fachgerechten polizeilichen Anwendung der Geräte unter der Prämisse einer situativen Verhältnismäßigkeit in jedem Fall anzuraten.
(Notfall-)medizinische Versorgung nach CEW-Exposition
Entsprechend den präsentierten Symptomen ist eine durch CEW getroffene Person klinisch zu untersuchen. Initial gilt es, nach dem ABCDE-Algorithmus („airway, breathing, circulation, disability, environment“/Atemweg, Atmung, Kreislauf, neurologisches Defizit, Umgebung) den Status der Vitalparameter zu erheben, um gegebenenfalls lebensrettende Maßnahmen sofort einleiten zu können. Kontrolliert werden sollten vor allem
die Atemfrequenz,
die Sauerstoffsättigung,
der Blutdruck,
die Herzaktion mittels eines 12-Kanal-Elektrokardiogramms (EKG),
die Pupillenreaktion,
die Glasgow Coma Scale und
der Blutzuckerspiegel.
Ist der Patient stabil, müssen zunächst die Hautverletzungen durch die Pfeilelektroden identifiziert und wenn nötig behandelt werden. Im Normallfall handelt es sich hierbei um oberflächliche Verletzungen ohne Infektionsgefahr [17]. Wie bei allen offenen Wunden sollte jedoch der Tetanusschutz des Patienten überprüft werden. Eine Antibiotikaprophylaxe ist bei gesunden Patienten nicht notwendig. Befinden sich die Pfeile noch am bzw. im Körper und an unkritischen Körperstellen, können sie manuell durch kurzen, impulsartigen, kräftigen Zug mit einer Hand bei gleichzeitigem Körpergegendruck der anderen Hand entfernt werden. Ist es bei Verwendung des Tasers T7 zu einem Abbrechen des Pfeils gekommen, sollte zur Entfernung eine chirurgische Zange verwendet werden. Bei Trefferlokalisation im Gesichts- oder Genitalbereich sollte der Pfeil vorsichtig fixiert und das noch anhaftende Leitungskabel mit einer Schere gelöst werden. Eine anschließende chirurgische Entfernung der Elektrode sollte in einem klinischen Setting erfolgen. Es ist in jedem Fall sicherzustellen, dass kein Fremdkörper in der Wunde verbleibt.
Bei Treffern im Gesichts- oder Genitalbereich sollte die Elektrode in der Klinik entfernt werden
Befinden sich die Kontaktstellen der Elektroden im vorderen oder rückwärtigen Rumpfbereich unterhalb der Herzachse bzw. in einem Herz-Elektroden-Abstand >4 mm, ist eine kardiale Beeinflussung als äußerst unwahrscheinlich einzustufen. Bei unauffälligem 12-Kanal-EKG sind keine weiteren medizinischen Überwachungsmaßnahmen notwendig. Spätarrhythmien sind nicht zu erwarten [59].
Eine anschließende Ganzkörperuntersuchung dient dem Ausschluss weiterer, insbesondere sturzbedingter Verletzungen. Aufgrund der Ausnahmesituation bei vorangegangener polizeilicher Auseinandersetzung sind auch Negativbefunde zu vermerken. Eine Fotodokumentation ist ebenfalls hilfreich, vor allem im Zusammenhang mit einer etwaig folgenden (rechts-)medizinischen Beurteilung.
Im Falle von schwerwiegenden Schädel-Hirn-Traumata oder von Hinweisen auf eine Verletzung der Wirbelsäule sind entsprechende weiterführende diagnostische Maßnahmen zu treffen.
Begleitsymptome und -diagnosen wie Intoxikation, exzitiertes Delir oder psychische Grunderkrankungen müssen abgeklärt und im Bedarfsfall entsprechend behandelt werden. Eine routinemäßig durchgeführte klinische Observation von Personen, die den Stromimpulsen einer CEW ausgesetzt waren, ist laut derzeitigem Kenntnisstand nicht notwendig [60].
Einschränkungen
Trotz einer großen Zahl von human- und tierexperimentellen wissenschaftlichen Untersuchungen, Computersimulationsmodellen sowie publizierten Kasuistiken konnte bisher die Lücke zwischen Laborbedingungen und Realsituationen nicht vollständig geschlossen werden. Insbesondere wenn sich eine später verstorbene Person zum Zeitpunkt einer CEW-Applikation in einer physisch oder psychisch extremen Situation befunden hat, helfen die Ergebnisse vorhandener Studien nicht immer, eine todesursächliche Beteiligung von CEW zweifelsfrei zu bestätigen oder auszuschließen. Zudem gibt es selbst unter wissenschaftlichen Experten im Bereich der CEW unterschiedliche Meinungen und zum Teil auch Fehleinschätzungen, die eine gerichtsverwertbare rechtsmedizinische Beurteilung deutlich erschweren. Da das Ziel des vorliegenden Beitrags die Vermittlung von Grundkenntnissen im Bereich der CEW ist, wurden nur zweifelsfrei belegbare Wirkungsmuster präsentiert. Auf eine Erörterung kontrovers diskutierter pathophysiologischer Vorgänge während oder nach dem Einsatz von Elektroschockdistanzwaffen wurde bewusst verzichtet.
Fazit für die Praxis
Humanmedizinische Studien, statistische Analysen sowie publizierte Auswertungen von Einsatzszenarien mit Elektroschockdistanzwaffen („conducted electrical weapons“ [CEW]) konnten bisher keine direkt lebensgefährlichen physiologischen Anomalien oder sonstigen klinisch relevanten labortechnischen Veränderungen während oder nach einer CEW-Exposition feststellen. Auch wurden in den bisher publizierten Studien keine unmittelbaren oder verzögerten Herzischämien bzw. Herzrhythmusstörungen gefunden.
Eine medizinische körperliche Untersuchung mit Abklärung der Vitalparameter und Ableitung eines 12-Kanal-EKGs ist bei unauffälligen Befunden eine ausreichende Maßnahme.
Im Todesfall wird regelhaft ein nichtnatürlicher Tod festzustellen sein, der eine Ermittlung der Staatsanwaltschaft und die Durchführung einer rechtsmedizinischen Obduktion notwendig macht.
Die rechtsmedizinische Begutachtung einer indirekt todesursächlichen Beteiligung von CEW erfordert eine transdisziplinäre Beurteilung sämtlicher situativer und zeitlicher Gegebenheiten und Variablen sowie die Auswertung der Krankenvorgeschichte und der verwendeten Geräte. Eine möglichst genaue notfallmedizinische Dokumentation ist hierbei essenziell.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
S.N. Kunz ist Mitglied des Scientific Medical Advisory Board von Axon Enterprise Inc. S.N. Kunz erklärt, dass für die Publikation dieses Artikels keine Sponsorengelder an die Autoren oder den Verlag geflossen sind. L.F. Krys gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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