Anamnese
Eine 69-jährige Patientin mit aktenanamnestisch bekannter arterieller Hypertonie, massivem Nikotinabusus und möglicherweise iatrogener Opiatabhängigkeit bei chronischer Spinalkanalstenose wurde mit instabilen Vitalparametern (RR 90/55 mmHg, HF 125 bpm, SpO2 96 %/2 l O2/min, AF 32/min) in den Schockraum transferiert. Anamnestisch hatte die Patientin seit einigen Tagen progrediente Dyspnoe, eine klassische Angina-pectoris-Symptomatik ließ sich (unter Opiaten) nicht eruieren. Als einzige Medikation wurde Morphin angegeben, der Hypertonus war offenbar untherapiert. Bereits im präklinischen EKG hatten sich deutliche ST-Strecken-Hebungen in den Ableitungen V2–V5 gezeigt, bei darüber hinaus vor Ort gemessener Blutdruckdifferenz von 30 mmHg zwischen beiden Oberarmen war die primäre Verdachtsdiagnose somit eine Dissektion der Aorta mit konsekutivem Einriss der linken Koronararterie.
Diskussion
Der Infarkt-VSD ist neben Ruptur der freien Ventrikelwand und einer akuten Mitralinsuffizienz durch Abriss eines Papillarmuskels eine der drei gefürchteten mechanischen Komplikationen eines akuten Myokardinfarkts. Der durch Ruptur des Ventrikelseptums entstandene akute Links-rechts-Shunt führt zu akuter Rechtsherzinsuffizienz mit pulmonaler Hypertonie. Klinisch präsentieren sich die Patienten bei bereits durch den Infarkt eingeschränkter linksventrikulärer Funktion zu über 50 % im kardiogenen Schock, in 9 % kommt es zum akuten Herzstillstand [
1]. Der Infarkt-VSD tritt im Durchschnitt 48 Stunden nach dem Infarkt auf, kann sich jedoch bis zu zwei Wochen nach dem Akutereignis manifestieren. Wiederkehrende Thoraxschmerzen nach dem Akutereignis, akute Dyspnoe oder insbesondere ein neu zu auskultierendes lautes Systolikum müssen an den Infarkt-VSD denken lassen, Letzteres erklärt die Notwendigkeit einer zwingenden täglichen Auskultation mit gegebenenfalls anschließender Echokardiographie von hospitalisierten Infarktpatienten. Die Mortalität des unbehandelten Infarkt-VSD beträgt annähernd 100 %, jedoch werden auch für chirurgisch und interventionell therapierte Patienten Mortalitätsraten je um 45 % berichtet [
1]. Die Inzidenz des Infarkt-VSD scheint in den Industrienationen insgesamt jedoch, wahrscheinlich infolge mittlerweile flächendeckend zur Verfügung stehender früher Reperfusionsmöglichkeiten, in den letzten Jahren gesunken zu sein: Während vor einigen Jahren noch von Infarkt-VSD-Raten um 1–2 % aller Myokardinfarkte ausgegangen wurde, zeigte eine rezente Studie an über 9 Mio. Infarktpatienten das Vorkommen von VSD bei 0,21 % der STEMI- bzw. 0,04 % der NSTEMI-Patienten [
2]. Als Risikofaktoren gelten höheres Lebensalter, weibliches Geschlecht, verzögerte Reperfusion sowie ein anteriorer Infarkt [
1].
Die Diagnose des Infarkt-VSD erfolgt echokardiographisch (TTE/TEE), mittels CT mit dreidimensionaler Rekonstruktion sowie ggf., bei stabilen Patienten, mittels MRT.
Zur initialen Stabilisierung dienen Inotropika und Vasopressoren (Dobutamin, Milrinon, Noradrenalin), O
2-Gabe/Intubation und mechanische Support-Devices (IABP, Impella, ECMO), mangels randomisierter Studien ist der Nutzen insbesondere Letzterer bisher nicht belegt [
1]. Bisweilen werden Impella und ECMO („ECPELLA“) kombiniert eingesetzt [
3]. Als kausale Therapie stehen kardiochirurgische sowie interventionelle Verfahren zur Verfügung, wobei auch diesbezüglich randomisierte kontrollierte Studien fehlen. Während die operative Versorgung überwiegend noch als Goldstandard angesehen wird, scheint sich die interventionelle Methode insbesondere für chirurgische Hochrisikopatienten als gute Alternative zur Operation herauszubilden, wobei die perkutanen Verfahren auch bei postoperativem residuellem Shunt als Zweiteingriff eingesetzt werden können. Eine retrospektive Studie an 231 operativ versorgten bzw. 131 interventionell therapierten Patienten fand keinen Unterschied hinsichtlich der Langzeitmortalität; die chirurgisch versorgten Patienten zeigten jedoch, trotz vermehrten Auftretens von Schlaganfällen, Pneumonien und erhöhten Raten an Nierenersatzverfahren, eine geringere In-Haus-Mortalität [
4]. Mittlerweile stehen spezifisch für Postinfarkt-VSD-Patienten hergestellte Okkluder zur Verfügung. Eine zu große Ausdehnung des VSD (> 35 mm) oder eine relevante Nähe zum Klappenapparat sind Kontraindikationen für einen interventionellen Eingriff [
1].
Hinsichtlich der chirurgischen Verfahren wird der optimale Operationszeitpunkt anhaltend kontrovers diskutiert: Während bei instabilen Patienten ein Rescue-Eingriff erwogen werden muss, wird bei stabilen Patienten bisweilen ein verzögerter Eingriff unter semielektiven Bedingungen angestrebt. Argumentiert wird mitunter, durch myokardiale Narbenbildung und dadurch stabilisiertes Gewebe das Anbringen der zu implantierenden Patches zu erleichtern [
1]. Eine retrospektive Analyse konnte eine niedrigere Mortalität bei zeitverzögert (> 7 d) operierten Patienten zeigen, ein Selektionsbias ist hier jedoch offensichtlich, da nur die stabileren Patienten den späteren Operationszeitpunkt erreichen [
5]. Auch hier fehlen kontrollierte Studien.
Als Kriterien für eine deutlich erhöhte perioperative Mortalität werden ein Lebensalter von > 80 Jahren, ausgeprägte Komorbidität, Rhythmusinstabilität, hohe Laktatwerte, Multiorganversagen und VSD-bedingte Kriterien (Ausmaß der links- bzw. rechtsventrikulär reduzierten Pumpfunktion) genannt [
1]. Bei diesen Patienten sollte, nach Möglichkeit im Rahmen einer interdisziplinären Diskussion, eine Umstellung auf Palliativmaßnahmen erwogen werden.
Bei unserer Patientin zeigte sich in der Koronarangiographie eine schwere 3‑Gefäß-Erkrankung mit akut verschlossenem Ramus interventricularis anterior (RIVA, LAD), insgesamt wurden vier Stents implantiert. Trotz hoch dosierter Katecholamingabe und Impella-Einlage konnte die Patientin jedoch nicht hämodynamisch stabilisiert werden, die Blutgasanalyse zeigte eine ausgeprägte metabolische Azidose mit pH-Wert von 6,92 und einem Laktatwert von 13 mmol/l (Norm < 1,8). Eine präoperative ECMO wurde vorbereitet. Nach Rücksprache mit den mittlerweile eingetroffenen Angehörigen, die über eine zuletzt deutlich reduzierte Lebensqualität der Patientin und ihre sehr zurückhaltende Einstellung gegenüber intensivmedizinischen Maßnahmen berichteten, wurde auf eine palliative Therapie umgestellt. Die Patientin verstarb wenig später im Beisein ihrer Familie.
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Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
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