Lungenkrebs: Unbedingt an Testung des Tumors denken!

Zielgerichtete Behandlungsoptionen haben die Therapie des fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) revolutioniert und die Prognose der Betroffenen deutlich verbessert. Bei der zwingend erforderlichen molekulargenetischen Testung des Tumors auf adressierbare Treibermutationen dürfen jüngere Menschen und Nichtraucher*innen nicht vergessen werden. Springer Medizin Verlag GmbH × Lungenkrebs ist in Deutschland bei Männern die zweit- und bei Frauen die dritthäufigste Krebslokalisation [1]. Etwa 80 Prozent der Erkrankungen entfallen auf das NSCLC [2]. Obwohl die meisten Neuerkrankungen in einem höheren Lebensalter auftreten – das mediane Erkrankungsalter liegt zwischen 68 und 70 Jahren – und Rauchen einer der Hauptrisikofaktoren für die Krankheitsentstehung ist, erkranken auch junge, gesund lebende Menschen und Nichtraucher*innen [1, 2]. Lungenkarzinome werden oft erst in einem späten Krankheitsstadium entdeckt, weil sie zu Beginn meist keine oder eher unspezifische Symptome verursachen. Dazu kommt, dass sich die Diagnose gerade bei Patient*innen, die nicht dem vermeintlich typischen Bild des älteren, männlichen Langzeitrauchers entsprechen, oft erheblich verzögert. NSCLC ist nicht gleich NSCLC Das NSCLC zählt zu den bösartigen Erkrankungen mit der höchsten Zahl an nachgewiesenen genetischen Veränderungen [2]. Bei bis zu zwei Dritteln aller Adenokarzinome können derzeit mittels molekulargenetischer Untersuchungen Treibermutationen identifiziert werden, die für die Entstehung und Proliferation der Tumoren eine wesentliche Rolle spielen [3, 4]. Mittlerweile sind für ca. ein Drittel der Patient*innen, deren Tumoren onkogene Veränderungen aufweisen, zielgerichtete Wirkstoffe verfügbar, mit denen zumindest ein längeres progressionsfreies Überleben und in einigen Fällen auch ein längeres Gesamtüberleben erreicht wird [4, 5]. Das bedeutet, dass ein nicht unerheblicher Teil der Patient*innen mit fortgeschrittenem NSCLC wenigstens anfänglich keine Chemo- und/oder Immuntherapie benötigt. Biomarker-Testung empfohlen Die Onkopedia-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. (DGHO) zum NSCLC empfiehlt, ausnahmslos alle Patient*innen mit NSCLC im Stadium IV vor Beginn einer medikamentösen Erstlinientherapie auf das Vorliegen therapierelevanter Genmutationen in den Tumoren zu untersuchen. Die molekularbiologische Diagnostik sollte zielgerichtet, integriert und qualitätsgesichert erfolgen [2], die European Society for Medical Oncology (ESMO) rät zum frühzeitigen Einsatz von erweiterten Marker-Panels für das Next-Generation-Sequencing (NGS) [6]. Da sich das Spektrum zielgerichtet therapierbarer Mutationen inzwischen enorm erweitert hat, sollten ALK-Translokationen, die BRAF-V600E-Mutation, EGFR Exon 18–21 Mutationen, NTRK-Fusionen, RET-Translokationen und ROS1-Translokationen erfasst und im Fall ihres Nachweises die entsprechenden, zielgerichteten Wirkstoffe eingesetzt werden, da sie die zurzeit effektivsten und verträglichsten Behandlungsoptionen in diesem Setting sind [2, 7]. Die Patient*innen sollten dabei im Sinn eines „Shared Decision Making“ in die Therapieentscheidung einbezogen werden. LungPowerWomen – Gemeinsam sind wir stark LungPowerWomen ist eine Gruppe von Frauen, die in relativ jungen Jahren mit der Diagnose fortgeschrittener Lungenkrebs und Palliativtherapie konfrontiert wurden. Initiatorin der Gruppe ist Karen Abel aus München, bei der die Diagnose metastasierter Lungenkrebs 2018 im Alter von 47 Jahren gestellt wurde. Karen Abel, München Marek & Baier, München × Frau Abel, wie kamen Sie auf die Idee, die Gruppe LungPowerWomen zu gründen? Karen Abel: Als Frau und Mutter eines minderjährigen Kindes habe ich mich sehr allein gefühlt, als bei mir der Lungenkrebs diagnostiziert wurde, in der Klinik waren um mich herum eigentlich nur alte Menschen. Nachdem ich im November 2019 meinen Podcast „Let’s talk about cancer“ gestartet und über die #krebscommunity auf Instagram bekannt gemacht hatte, sind mir dann aber doch Frauen in meiner Situation begegnet. Da kam mir die Idee: Wir sollten uns zusammentun – gemeinsam ist man einfach stärker. Auf einen Aufruf zu einem Zoom-Meeting „Mütter mit Lungenkrebs“ haben sich mehrere Frauen gemeldet, und daraus ist jetzt nach und nach die Gruppe LungPowerWomen geworden. Worüber tauschen Sie sich aus? Abel: Zuerst haben wir uns nur virtuell getroffen, um uns gegenseitig zu unterstützen, denn gefühlt war jede von uns in ihrer Situation allein. Der Zusammenschluss hat sich nach kurzer Zeit gefestigt, und es hat sich ein Gefühl von Halt, Zusammengehörigkeit und Stabilität eingestellt. Wir haben dann aber schnell gemerkt, dass es uns nicht guttut, nur über die Krankheit zu reden. Da kam die Idee auf, gemeinsam etwas zu bewegen. Auf der Krebs-Convention YES!CON 2021 habe ich gesehen, dass Frauen mit Brustkrebs sehr prominent vertreten sind und auch in der Öffentlichkeit gut wahrgenommen werden, dementsprechend wird für sie viel gemacht. Die Gruppe junger Frauen mit Lungenkrebs ist zwar sehr viel kleiner, aber auch wir wollen gesehen werden, aufklären und etwas bewegen. Was hat Sie – die anderen Frauen in der Gruppe – motiviert, sich LungPowerWomen anzuschließen? Vesna Zekić: Ich bin 2016 im Alter von 32 Jahren erkrankt und fand es sehr schwer, Anschluss an die Krebs-Community zu finden. Ich hatte den Eindruck, mit meiner Erkrankung außen vor zu stehen, ohne Möglichkeiten, mich auszutauschen, gerade auch als Patientin mit kleinem Kind. Das hat sich durch die Gruppe geändert. Ich habe, wie wir alle, zwar immer wieder mit Progressen zu kämpfen, ich bin jetzt im siebten Jahr erkrankt. Aber indem ich mich zeige und über meine Erkrankung spreche, kann das vielleicht auch anderen Mut machen. Michaela Neuenkirch: Bei mir wurde die Diagnose metastasierter Lungenkrebs 2021 gestellt. Mir hat die Gruppe geholfen, den richtigen Weg in die Therapie zu finden und die Vorschläge, die mir seitens der Therapeuten gemacht wurden, kritisch zu bewerten. Denn mir war vorgeschlagen worden, mit einer Chemotherapie zu beginnen, um überhaupt schon einmal etwas zu tun. Die Gruppe hat mich darin bestärkt, erst einmal das Ergebnis der Mutationsanalyse abzuwarten. Zekić: Darüber hinaus möchte ich mit der Gruppe etwas gegen Stigmatisierung tun: Ja, ich habe zwar früher geraucht, aber ich finde es übergriffig, dass das immer die erste Frage ist, die einem gestellt wird, wenn man von seinem Lungenkrebs erzählt. Patienten mit anderen Krebserkrankungen wird doch auch nicht sofort vorgeworfen, dass sie sich vielleicht falsch ernährt oder ungesund gelebt haben. Und abgesehen davon können eben auch Nichtraucher erkranken. Abel: Ja, genau, und vor allem auch Menschen, die sogar noch einmal deutlich jünger sind als wir. Das ist selbst Medizinern oft nicht klar, und darauf wollen wir aufmerksam machen. Und auch auf die enorme Bedeutung der Mutationsanalyse. Hat dieses Nicht-Wissen Einfluss darauf, wie lange es bis zur korrekten Diagnose dauert? Neuenkirch: Bei mir schon, ich bin zwei Jahre lang auf Asthma behandelt worden. Ich bin Frühblüher-Allergikerin und hatte dann irgendwann einen lang anhaltenden Husten, der mit Asthmaspray wegging. Damit habe ich mich zwei Jahre lang in der Allergiezeit therapiert. 2020 hatte ich dann aber im Herbst Husten und einen komischen Druck auf der Brust. Da ich im Chor singe und tief und gut atmen kann, wurde es erst beim Treppensteigen mit FFP2-Maske problematisch, da hatte ich dann schon eine Lungenembolie mit vier Litern Pleuraerguss. Bis dahin war bei mir auch kein Lungenfunktionstest gemacht worden – die Sprays haben ja gewirkt. Ich kenne noch zwei Patientinnen, bei denen ebenfalls nicht einmal die Lunge geröntgt wurde. Martina Schreck: Meine Diagnose wurde erst gestellt, nachdem ich monatelang extrem starke Kreuzschmerzen hatte. Nähere Untersuchungen wurden nicht gemacht, weil vermutet wurde, dass sich mein Becken nach der Geburt meiner Tochter ein halbes Jahr zuvor erst wieder „einrenken“ müsse. In der MRT-Untersuchung wurden dann aber zahllose Knochenmetastasen gefunden. Der Primärtumor, der sich bis dahin nicht bemerkbar gemacht hatte, wurde anschließend in der Lunge entdeckt. Was wünschen Sie sich persönlich und für die Zukunft der Gruppe? Julia Mittelstaedt: Wir wollen als Anlaufstelle dienen für Menschen, die Hilfe suchen, und ihnen unser Schwarmwissen zur Verfügung stellen. Und wir wollen einen Beitrag dazu leisten, junge Lungenkrebspatientinnen besser miteinander zu vernetzen bzw. die Krankenhäuser vor Ort zu motivieren, diese Vernetzung zu fördern. Ich persönlich möchte dem Lungenkrebs ein Gesicht geben. Abel: Mit LungPowerWomen stehen wir noch am Anfang unseres Wegs, denn wir wollen mehr erreichen: Mehr Aufmerksamkeit bekommen, von den Mediziner*innen und der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Wir wollen Betroffene unterstützen, ihnen Mut machen und zeigen: Du bist nicht allein. Für mich persönlich wünsche ich mir einfühlsame, empathische Behandler*innen, die ganzheitlich denken, und Wissenschaftler*innen mit viel Forschungsgeist, die neue Medikamente entwickeln, damit wir noch lange zusammen mit unseren Familien leben können. zielgenau.org Im Patientennetzwerk Personalisierte Lungenkrebstherapie zielGENau e. V. engagieren sich Menschen mit fortgeschrittenem Lungenkrebs und deren Angehörige. Viele der Patient*innen überleben dank modernster molekularer Diagnostik und personalisierter Therapien schon seit mehreren Jahren. Ziel der Patientenorganisation ist es, Wissen und Erfahrungen über die Erkrankung weiterzugeben, damit möglichst viele von Lungenkrebs Betroffene ihre Chancen kennenlernen und besser nutzen können. Der Verein zielGENau setzt sich deshalb ein für eine flächendeckende, umfassende molekulare Diagnostik bei allen Patient*innen mit NSCLC den Aufbau von Wissen und Gesundheitskompetenz den optimalen – also auch frühzeitigen – Einsatz der bereits verfügbaren personalisierten Therapien eine patientenzentrierte Forschung nach neuen Therapieansätzen und nach einem besseren Nebenwirkungsmanagement eine qualitätsgesicherte, auf den Bedarf von Tumorpatient*innen abgestimmte, psychologische und psychosoziale Beratung. Literatur https://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Publikationen/Krebs_in_Deutschland/kid_2019/krebs_in_deutschland_2019.pdf?__blob=publicationFile. Letzter Aufruf: 18. Februar 2022 https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/lungenkarzinom-nicht-kleinzellig-nsclc/@@guideline/html/index.html. Letzter Aufruf: 18. Februar 2022 https://lungcancergroup.de/molekularpathologie/treibermutationen. Letzter Aufruf: 18. Februar 2022 https://www.nngm.de/patienten/treibermutationen. Letzter Aufruf: 18. Februar 2022 Hirsch FR et al., Lancet 2017, 389: 299–311 Mosele F et al., Ann Oncol 2020, 31: 1491–1505 Planchard D et al., Ann Oncol 2018, 29 (Suppl 4): iv192–iv237 Impressum Interview mit Karen Abel, München, der Initiatorin von LungPowerWomen und Mitgliedern der Gruppe; und Literaturarbeit Berichterstattung: Dr. Silke Wedekind, Frankfurt a. M. Artikel gedruckt in: Ärzte Zeitung für Onkologen und Hämatologen Nr. 2, 18. März 2022 Ärzte Zeitung Nr. 22, 30. März 2022 Mit freundlicher Unterstützung der Takeda Pharma Vertrieb GmbH & Co. KG, Berlin Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Teresa Windelen Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführung: Fabian Kaufmann, Dr. Cécile Mack, Dr. Hendrik Pugge Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF download: Lungenkrebs: Unbedingt an Testung des Tumors denken!

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