Kommentar
Ösophaguskarzinome gehören unter den gastrointestinalen Neubildungen zu denjenigen mit der schlechtesten Prognose. Das 5‑Jahres-Gesamtüberleben beträgt, weltweit betrachtet, lediglich 15–25 %. Bei Männern ist das Ösophaguskarzinom überhaupt die sechsthäufigste krebsbedingte Todesursache [
1]. Die zwei häufigsten histologischen Subtypen, Plattenepithelkarzinome und adenosquamöse Karzinome, variieren in ihrer Häufigkeit je nach geografischer Region, wobei in unseren Breitengraden und in Nordamerika die Adenokarzinome überwiegen [
2]. Die unbefriedigenden Therapieergebnisse in der Behandlung lokal fortgeschrittener Ösophaguskarzinome haben zahlreiche Studien zu neoadjuvanten und adjuvanten Therapieregimen hervorgebracht, denn ohne Vorbehandlung sind trotz adäquatem Staging R1-Resektions-Raten in mehr als 25 % der Fälle zu erwarten [
3].
Global betrachtet unterscheidet sich die Art des neoadjuvanten Vorgehens, begründet durch die unterschiedliche Prävalenz der histologischen Subtypen. So gibt man im asiatischen Raum mit hoher Prävalenz von Plattenepithelkarzinomen den Chemotherapien den Vorzug. Das JCOG9204-Protokoll wies hierbei die Wirksamkeit einer postoperativen Cisplatin/5-FU-Kombination nach [
4], JCOG9907, publiziert 2012, die Verbesserung des Überlebens durch die neoadjuvant applizierte Chemotherapie [
5], die seither im Japan den Standard darstellt. In Europa und Amerika etablierte die erste Veröffentlichung der CROSS-Studie im selben Jahr die neoadjuvante Radiochemotherapie (RCT), die ihre Wirksamkeit bei beiden histologischen Entitäten unter Beweis stellte, mit höherer Wirksamkeit jedoch bei den Plattenepithelkarzinomen. Beeindruckend waren die deutliche Verbesserung der R0-Resektionsrate (92 % vs. 69 %), die Rate an pathologischen Komplettremissionen im nRCT-Arm von 29 %, mit einer pCR-Rate von 49 % bei den plattenepithelialen Karzinomen, sowie die durch die nRCT verringerte Rate an postoperativ verbliebenen Lymphknotenmetastasen. Schon nach 45 Monaten Nachbeobachtung zeigte sich eine deutliche Verbesserung des Gesamtüberlebens als auch, dass die Mehrheit der verstorbenen Patienten an ihrer lokal rezidivierten Erkrankung verstarb [
6]. Aktuell kann Patienten mit pathohistologisch nachgewiesener Resterkrankung (ypT1 oder ypN1) nach der nRCT die adjuvante Immuncheckpointblockade mit Nivolumab angeboten werden, die das mediane krankheitsfreie Überleben von 11 auf 22 Monate verdoppeln kann [
7] und so zu einer weiteren Prognoseverbesserung beiträgt.
Ein Kritikpunkt, dem sich die CROSS-Studie trotz der hervorragenden 10-Jahres-Daten stellen muss, ist, dass die therapiebedingten Nebenwirkungen nur in den ersten 2 Jahren dokumentiert wurden. Denn Nebenwirkungen, vor allem am kardiopulmonalen System, manifestieren sich durchaus über diesen Beobachtungszeitraum hinaus. Und ein Teil von ihnen wird bereits nach 2–3 Jahren evident [
8]. Der auch nach 10 Jahren nachweisbare Überlebenseffekt der nRCT manifestiert sich vor allem in den ersten 5 Jahren, sodass eine durch die RT bedingte kardiale Letalität in größerem Maße unwahrscheinlich ist. Dies wird auch durch die Literatur bestätigt [
9]. Des Weiteren ergibt sich durch die heutzutage regelhaft angewendeten IMRT-Techniken eine „En-passant“-Schonung von Herz und Lungen [
10].
Die Ergebnisse der ersten CROSS-Publikation haben die Behandlungsabfolge beim lokal fortgeschrittenen Ösophaguskarzinom nachhaltig verändert. Ein Streitpunkt blieben jedoch oft Karzinome des ösophagogastralen Übergangs, basierend auf den 6 Jahre zuvor publizierten Daten des MAGIC-Trials, der neben Magenkarzinomen auch 25 % Karzinome des distalen Ösophagus eingeschlossen hatte und durch eine perioperative ECF-Chemotherapie das Gesamt- und das progressionsfreie Überleben verbesserte [
11]. Schon 3 Jahre später legten jedoch Daten der Essener Studie nahe, dass die nRCT bei EGJ-Tumoren der alleinigen neoadjuvanten Chemotherapie vorzuziehen sei. Aufgrund der langsamen Rekrutierung erreichte jedoch das vorzeitig geschlossene Protokoll keine statistische Signifikanz [
12].
Die neoadjuvante Chemotherapie wird trotzdem in dieser Frage oft in Stellung gebracht und weiterhin wissenschaftlich untersucht, zuletzt in der randomisierten Phase-II/III-FLOT4-Studie. Diese zeigte dabei, dass das FLOT-Protokoll dem ECF-Schema vorzuziehen ist [
13]. Eine durchaus bestehende antitumorale Wirksamkeit der Chemotherapie wird jedoch im Vergleich zur nRCT mit einer deutlich höheren Toxizität erkauft. Des Weiteren müssen sich die Langzeitergebnisse des FLOT-Protokolls noch beweisen. Rational betrachtet gibt es angesichts der vorliegenden 10-Jahres-Daten eigentlich keinen Grund, die alleinige Chemotherapie in der Behandlung der EGJ-Karzinome einzusetzen.
Fazit
Die 2012, 2015 und nun mit aktuellen 10-Jahres-Daten veröffentlichten Ergebnisse der CROSS-Studie haben die neoadjuvante RCT beim Ösophaguskarzinom fest etabliert. Bei moderaten, therapieassoziierten Nebenwirkungen erreicht die Therapie nach dem CROSS-Schema eine deutlich verbesserte Prognose, ohne die Sterberate zu erhöhen. Der Effekt des verbesserten OS resultiert vor allem aus einer verbesserten lokoregionären Kontrolle innerhalb der ersten 5 Jahre. Der hier erreichte Überlebensvorteil bleibt mindestens 10 Jahre bestehen. CROSS ist das einzige randomisierte Protokoll für diese Erkrankungsentitäten mit einer Nachbeobachtungszeit von > 10 Jahren. Die auf der Basis des CROSS-Protokolls erreichbaren Ergebnisse sollten allen Betroffenen im Sinne des „shared decision-making“ empfohlen werden.
Stefan Knippen und Marciana-Nona Duma, Jena
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