Erschienen in:
01.10.2022 | Originalien
„… ohne ein sichtbares Zeichen des Protestes oder wenigstens der Solidarität der Kollegen“: die Vertreibung von Neurowissenschaftlern aus Hamburg
verfasst von:
Michael Martin, Heiner Fangerau, Prof. Dr. med. Axel Karenberg
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Sonderheft 1/2022
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Zusammenfassung
In der hanseatischen Metropole betrafen die rassistisch begründeten Ausgrenzungsmaßnahmen der Nationalsozialisten vor allem Nervenärzte aus zwei Institutionen: aus der Neurologischen Universitätsklinik Eppendorf, die bis 1934 Max Nonne führte, und der Psychiatrischen und Nervenklinik der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, die unter der Leitung von Wilhelm Weygandt stand. Der Chefarzt der Neurologischen Abteilung des Krankenhauses Barmbek Heinrich Embden (1871–1941), der bei Nonne ausgebildet worden war, emigrierte nach Brasilien, wohingegen der seit 1924 in St. Georg als Pathologe tätige Friedrich Wohlwill (1881–1958), ebenfalls ein Nonne-Schüler, nach einem längeren Aufenthalt in Lissabon eine neue wissenschaftliche Heimstatt an der Harvard Medical School fand. Der Liquorforscher Victor Kafka (1881–1955), Freimaurer und zeitweise Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), flüchtete nach kurzer „Schutzhaft“ in Fuhlsbüttel über Norwegen nach Schweden. Hermann Josephy (1887–1960) und Walter R. Kirschbaum (1894–1982), die beide nach den Novemberpogromen 1938 im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert waren, gelang eine erfolgreiche Fortsetzung ihrer beruflichen Laufbahn in Chicago. Richard Loewenberg (1898–1954) wollte seine Karriere in China weiterführen, entschied sich aufgrund der japanischen Invasion aber ebenfalls für die USA. Mit Ausnahme des Letzteren waren alle bis 1933 ordentliche Mitglieder der Gesellschaft Deutscher Nervenärzte. Das breite Spektrum ihrer Forschungen verdeutlicht, dass frühe Neurologen neben klinischer Kernkompetenz auch intensiv wissenschaftliche Interessen in den Nachbarfächern Pathologie, Serologie und Psychiatrie verfolgten.