Open Access 01.12.2020 | Osteosynthese | CME
Technik und Biomechanik der Bohr-Draht(Kirschner-Draht)-Osteosynthese bei Kindern
Erschienen in: Operative Orthopädie und Traumatologie | Ausgabe 6/2020
Zusammenfassung
Operationsziel
Indikationen
Kontraindikationen
Operationstechnik
Weiterbehandlung
Ergebnisse
Lernziele
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kennen Sie die Indikationen für eine Kirschner(K)-Draht-Osteosynthese (OS),
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wissen Sie, welche Segmente des Skelettes für K‑Draht-OS geeignet sind,
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können Sie die verschiedenen K‑Draht-Konfigurationen beschreiben,
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sind Sie in der Lage, die biomechanischen Eigenschaften einer K‑Draht-OS zu erklären.
Vorbemerkungen
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proximaler Humerus,
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distaler Humerus,
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distaler Radius,
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distales Femur,
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proximale Tibia,
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distale Tibia.
Operationsprinzip und -ziel
Vorteile
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Sicherung der Reposition
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Prävention einer sekundären Dislokation
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Dadurch anatomisch und funktionell gute Heilung
Nachteile
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Implantatentfernung entweder in Sedation oder bei subkutan belassenen Drähten in Kurznarkose
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Pin-Track-Infektion
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Pflege der perkutan belassenen Drähte
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Gefahr der Fugenverletzung (Abb. 7)
Indikationen
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Alter des Kindes: Je älter das Kind, umso eher sollte eine Fraktur sicher stabilisiert werden, da das Modelling-Potenzial geringer wird,
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Größe des Fragments,
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Morphologie der Fraktur; schräg verlaufende Frakturflächen lassen sich nur schwer ohne interne Fixierung halten und gelten deshalb auch bei guter anatomischer Reposition als potenziell instabil,
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schwere Schwellungszustände, die eine alleinige externe Gipsfixierung erschweren,
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vorangegangene Repositionsversuche: Kommt es nach konservativer Behandlung zu einer sekundären Dislokation, sollte bei einer allfälligen Revision eine K‑Draht-Fixierung vorgenommen werden.
Kontraindikationen
Patientenaufklärung
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Offene Aufklärung der Eltern/des Kindes über alle möglichen Behandlungsverfahren inklusive Verwendung eines externen Fixateurs
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Verfahrenswechsel von geschlossener auf offene Reposition
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Allgemeine Operationsrisiken
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Postoperative Pflege der perkutanen K‑Draht-Eintrittsstellen
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Pflege des Gipsverbandes
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Mögliche residuelle Fehlstellungen oder Fehlfunktionen
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Heilungsdauer
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Metallentfernung
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Physiotherapie nur in Ausnahmefällen
Operationsvorbereitungen
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Aktuelles Unfallröntgenbild in 2 Ebenen: Man muss sich jedoch bewusst sein, dass solche Bilder immer nur „Momentaufnahmen“ sind und dass durch jede Manipulation, besonders unter Narkose, sich die Fraktur anders darstellen kann.
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Bei unklaren Situationen bezüglich Reponierbarkeit und Stabilisierung immer in Operationsbereitschaft arbeiten; d. h. nicht nur im Gipsraum reponieren. Dadurch können kritische Situationen umgangen respektive Kompromisse vermieden werden. Damit ist gemeint, dass man schlechte Stellungen oder ungenügende Stabilität nicht akzeptieren sollte, nur weil man die Möglichkeit zur K‑Draht-Fixation nicht hat.
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Durchleuchtungsmöglichkeit (Abb. 9).
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Besprechung mit der Anästhesie bezüglich Narkoseart; Relaxation erleichtert das Reponieren.
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Genaue Analyse der Frakturmorphologie.
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In Abhängigkeit der Frakturplanung, der Bohrdrahtlage und -richtung.
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Information des Operationspersonals über die geplante Art der Behandlung.
Instrumentarium und Implantate (Abb. 10)
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K‑Drähte 1,6 mm oder 2,0 mm für die obere Extremität; 2,5 mm oder 3,0 mm für untere Extremität. Prinzipiell muss die Bohrdrahtdicke jedoch dem Alter und der Fragmentgröße angepasst sein
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Bohrmaschine
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Gipsmaterial
Anästhesie und Lagerung
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Intubationsnarkose; Relaxation erleichtert die Reposition, besonders für die untere Extremität.
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In der Regel normale Rückenlage, dies gilt für die obere wie auch untere Extremität.
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Röntgenstrahldurchlässiger Armtisch respektive Operationstisch mit freier Durchleuchtungsmöglichkeit (Abb. 11a, b):
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Standardmäßig wird die Extremität auf dem röntgenstrahldurchlässigen Arm‑/Operationstisch gelagert.Es ist wichtig, vor Beginn der Reposition zu prüfen, ob der Bildverstärker frei unter dem Hand- oder Operationstisch bewegt werden kann und damit die erforderliche Position erzielt wird.
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Der Laser am Strahler zur strahlungsfreien Positionierung des C‑Arms, gepulstes Röntgen und die maximale Einblendung der Schlitz- bzw. Irisblende sind gefordert.
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Wird die Extremität ausnahmsweise direkt auf den steril abgedeckten Bildwandler (Abb. 11c, d; [13]) gelagert (Berner Schule), kann der Laser nicht verwendet werden, da er abgedeckt ist. Die Zentrierung auf die Fraktur erfolgt unter Röntgenstrahlung. Dabei muss jedoch eine höhere Strahlenbestrahlung in Kauf genommen werden, die jedoch durch die kürzere Durchleuchtungszeit beim erfahrenen Operateur und bei höherer Bildqualität deutlich kompensiert wird. Über längere Röntgenzeit beim weniger Erfahrenen wird in der Literatur berichtet.
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Biomechanik von Kirschner-Drähten
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parallel eingebrachte Drähte,
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zu nahe beieinanderliegende Drähte, die eigentlich nur die Wirkung eines einzelnen Drahtes haben (Abb. 12a, b).
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auf- oder absteigend gekreuzt,
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monolateral gekreuzt,
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monolateral divergierend,
Einfluss der Kirschner-Draht-Stärke
Drahtdurchmesser | Fläche | Verhältnis zu 2,0 mm Draht | Verhältnis zu 1,6 mm Draht |
---|---|---|---|
[mm] | [mm2] | [–] | [–] |
1 | 0,785 | 0,250 | 0,391 |
1,2 | 1,131 | 0,360 | 0,563 |
1,6 | 2,011 | 0,640 | 1,000 |
2 | 3,142 | 1,000 | 1,563 |
2,5 | 4,909 | 1,563 | 2,441 |
3 | 7,069 | 2,250 | 3,516 |
Drahtdurchmesser | Widerstandsmoment gegen Biegung | Verhältnis zu 2,0 mm Draht | Verhältnis zu 1,6 mm Draht |
---|---|---|---|
[mm] | [mm3] | [–] | [–] |
1 | 0,098 | 0,125 | 0,244 |
1,2 | 0,170 | 0,216 | 0,422 |
1,6 | 0,402 | 0,512 | 1,000 |
2 | 0,785 | 1,000 | 1,953 |
2,5 | 1,534 | 1,953 | 3,815 |
3 | 2,651 | 3,375 | 6,592 |
Einfluss der Kirschner-Draht-Spitze
Einfluss der Kirschner-Draht-Ausrichtung auf die Stabilität
Operationstechnik
Postoperative Behandlung
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gute, wenn möglich noch intraoperative, gipsfreie Röntgendokumentation,
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zusätzliche Ruhigstellung in Gipsschiene (einfach oder doppelseitig) oder in zirkulärem Gipsverband. Gelegentlich kommen auch kommerziell erhältliche Produkte zur Anwendung,
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an der unteren Extremität vorzugsweise zirkuläre Verbände, gespalten,
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über die Haut hinausragende (perkutan eingebrachte) K‑Drähte sollten den Gips nicht berühren, deshalb
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immer Gipsfenster um den K‑Draht herum,
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Anlernen der Eltern für die Gips- allfällig K-Draht-Pflege,
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Hospitalisation je nach Schwere des Traumas oder gemäß klinikinternen Vorgaben, meist 1 bis 3 Tage,
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erste klinische und radiologische Kontrolle bei Kindern bis 4/5 Jahren nach 4 Wochen, bei älteren Kindern nach 5 Wochen,
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unter leichter Sedation oder mit Schmerzmitteln ambulante Entfernung der Kirschner-Drähte, sofern perkutan eingebracht, ansonsten Planung für Entfernung in Kurznarkose,
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weitere Nachkontrolle 3 Monate postoperativ zwecks funktioneller Prüfung der Beweglichkeit, da es sich immer um gelenknahe Verletzungen handelt.
Fehler, Gefahren, Komplikationen
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falsche Indikation (Fraktur außerhalb des metaphysären Quadrates, Abb. 3),
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keine optimale respektive korrekte Reposition der Fragmente vor der OS,
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Nicht-Fassen der Fragmente,
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falsches oder suboptimales Einbohren der K‑Drähte,
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suboptimale K‑Draht-Dicke,
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biomechanisch nicht korrekte Anordnung der K‑Drähte (gekreuzt oder monolateral divergierend),
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Nicht-Beachtung der Drittel- respektive Viertel-Regel,
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die Gefahren der K‑Draht-OS sind v. a. der Repositionsverlust mit allfälligem anatomisch wie funktionell schlechtem Ergebnis,
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Gefahr einer Nerven- oder Gefäßschädigung, besonders am Ellbogen zu beachten,
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die Kombination Gipsverband und perkutan herausragende K‑Drähte bringt immer die Gefahr einer oberflächlichen, im schlimmsten Fall tiefen Infektion mit sich,
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unabhängig vom fixierten Fragment respektive von der fixierten Fraktur ist ein Repositionsverlust mit entsprechender anatomischer Fehlstellung respektive Funktionseinbuße immer als schwerwiegende Komplikation anzusehen,
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Drahtbruch,
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Auswandern des Drahtes.