Neue Therapieansätze für Kinder mit Haarausfall

Bei dem schwierigen Thema des Haarausfalls bei Kindern setzt Prof. Dr. Peter Höger aus Hamburg auf die psychologische Unterstützung der Familien und Selbstbestimmung der Kinder. In puncto Therapie liegt die Hoffnung auf den Januskinase-Inhibitoren. Alopecia areata ist zwar komplett gutartig, jedoch kann sie das Leben der betroffenen Kinder nicht weniger als ruinieren, sagte Prof. Dr. Peter Höger, Chefarzt Pädiatrie und Pädiatrische Dermatologie/Allergologie des Katholischen Kinderkrankenhauses Wilhelmsstift in Hamburg. Die Kinder leiden in einem Ausmaß, „wie man es sich kaum vorstellen kann“. Wird die Erkrankung bei Kindern unter zehn Jahren manifest, hat sie eine schlechte Prognose. „Wer erstmals vor dem zehnten Lebensjahr an einer Alopecia areata erkrankt, hat ein hohes Risiko, diese Krankheit immer wieder zu bekommen, trotz zwischenzeitlicher Besserung – mit dem Endergebnis einer Alopecia areata totalis“, erklärte Höger beim Pädiatrie-Update in Köln. Die Mittel, die der Therapie zur Verfügung stehen, sind begrenzt. Das hängt auch damit zusammen, dass noch wenig über die Immunpathogenese bekannt ist. Normalerweise sind die Haarfollikel vor dem Immunsystem geschützt. Bei der Alopecia areata fällt das sogenannte Immunprivileg des Haarfollikels weg. Durch Auslöser wie exogene Faktoren, zum Beispiel Stress oder eine Infektion, werden CD8+- und CD4+-T-Zellen, natürliche Killer- und Mastzellen aktiviert. In der Folge kommt es durch eine Vielzahl von zellulären und humoralen Faktoren zum Kollaps des Immunprivilegs des Haarfollikels. „Dieses Problem können wir nicht mit Steroiden lösen“, erklärte Höger. Damit könne höchstens dafür gesorgt werden, dass der Nachschub an Antikörpern zeitweise unterdrückt wird. Stigmatisierung der kleinen Patienten Alopecia areata ist eine Krankheit, die offenkundig stigmatisiert. Das zeigt sich etwa in der Filmwelt, wo viele Schurken glatzköpfig dargestellt werden, wie Voldemort aus „Harry Potter“ oder Freddy Krueger aus „Nightmare on Elm Street“. Bei einer Befragung über glatzköpfige Menschen assoziieren 30% der Teilnehmer eine Alopecia areata universalis mit einer schweren Erkrankung, 10% mit Ansteckung. Für rund ein Viertel der Befragten sind Personen gänzlich ohne Haare unattraktiv, 17% gaben an, dass sie keinen physischen Kontakt zu den Betroffenen haben möchten. „Ein Erwachsener kann verbal einigermaßen damit umgehen“, sagte Höger. Doch bei einem vier- oder fünfjährigen Kind, das von Eltern anderer Kinder oder Fremden angesprochen wird, habe dies eine andere Dimension. Auch die Eltern der Patienten sind verzweifelt und suchen häufig Hilfe bei zahlreichen Ärztinnen und Ärzten. „Die Tatsache, dass die vielen verschiedenen Ärzte alle nicht helfen können, erweckt bei dem Kind den Eindruck, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung ist und seine Eltern nicht mit ihm zufrieden sind“, sagte der Dermatologe und Pädiater. Die wichtigste Maßnahme ist laut Höger deshalb die enge Zusammenarbeit mit Kinderpsychologinnen und -psychologen. In langen Gesprächen mit den Eltern wird auch über die Hilflosigkeit bei der Behandlung der Alopecia areata gesprochen und die Einübung von Coping-Strategien untermauert. Dem Kind sollte auf keinen Fall vermittelt werden, dass es minderwertig ist. Von Glukokortikoiden wird abgeraten Die Therapieoptionen sind zwar vielfältig: von Steroiden in den unterschiedlichsten Darreichungsformen, über Ciclosporin A, Methotrexat und Tacrolimus bis hin zu Hydroxychloroquin, Dapson oder Steinkohleteer – um nur einige zu nennen. Jedoch konnte keine dieser Optionen in randomisierten, kontrollierten Studien länger als die Studienphase standhalten. Zugegeben wachsen bei intramuskulären und intrafokalen Injektionen durch die antiinflammatorische Wirkung wieder Haare, allerdings nur temporär. Höger verabreicht inzwischen keine Steroide mehr, da diese Therapie „frustrierend“ sei. „Es wird keine dauerhafte Besserung eintreten – es sei denn, sie tritt spontan ein“, sagte er. Die Chance auf Spontanheilung der Alopecia areata ist nämlich groß, vor allem wenn die Patienten erst nach dem zehnten Lebensjahr erkranken und es sich um einzelne oder mehrere Herde handelt, die nicht konfluent sind. Besonders in diesen Fällen kann es durchaus zu einer Restitutio ad integrum kommen. Eine mögliche Therapieoption erwähnte Höger dann doch noch – allerdings erst ab dem Alter von 15 Jahren: Diphenylcyclopropenon (DCP). Bei DCP handelt es sich um eine Chemikalie beziehungsweise ein Kontaktallergen. Halbseitenversuche bei Patientinnen und Patienten mit einer kompletten Glatze haben gezeigt, dass nach Auftragen von DCP in 75% der Fälle die Haare wieder wachsen. Diese Allergie muss allerdings ständig am Leben erhalten werden, bei Absetzen von DCP fallen die Haare wieder aus. Es gibt Hoffnung Die Hoffnung bei der Therapie der Alopezie liegt auf den Januskinase(JAK)-Inhibitoren. Verschiedene Wirkstoffe, wie Tofacitinib, Baricitinib und Brepocitinib, konnten in aktuellen Studien bereits placebokontrolliert ihre Wirkung unter Beweis stellen. Bei einem Großteil der Patientinnen und Patienten (bis zu 70%) kam es zu einem Nachwachsen der Haare. Allerdings sind die JAK-Inhibitoren für die Indikation „Alopecia areata“ noch nicht zugelassen. „In diesen Substanzen steckt Power. Jedoch muss man auch einräumen, dass es zu Rezidiven kommen kann“, sagte Höger. Zusätzlich können Nebenwirkungen auftauchen, die allerdings kontrollierbar und reversibel sind. Eine weitere Substanz, die Hoffnung macht, ist der monoklonale Antikörper Dupilumab. Da das Risiko für eine Alopecia areata bei atopischer Dermatitis erhöht ist, konnte bei der Behandlung des Ekzems ein günstiger Zufallsbefund beobachtet werden: Haarwachstum. Jedoch kann es nach längerer Anwendung ebenfalls wieder zum Auftreten einzelner Alopezieherde kommen. Zum Schluss wurde Höger gefragt, ob Perücken ein praktikabler Weg seien. Er bietet seinen Patienten diese Option an, die von Kind zu Kind unterschiedlich angenommen wird. In diesem Zusammenhang erwähnte er jedoch die Worte eines Kinderpsychologen: Niemand ist so nackt wie ein Kind, dem eine Perücke vom Kopf gezogen wurde. Das sei aber auch das einzige Gegenargument für diese Therapieoption. Denn es gibt durchaus Situationen, wie etwa einen Schulwechsel, wo es positiv sei, solch eine „Maske“ zur Verfügung zu haben. Höger setzt dabei auf die Selbstbestimmung der Kinder. Basierend auf: Höger P. Dermatologie. Vortrag beim Pädiatrie-Update; 6. Mai 2022, Köln

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