Langzeitnachsorge nach Krebs im Kindesalter
Zusammenfassung der S2k-Leitlinie, AWMF-Registernummer 025-003
- Open Access
- 02.09.2025
- Pädiatrie
- Konsensuspapiere
Zusammenfassung
Spätfolgen sowie psychische und teilhabebezogene Einschränkungen bei Überlebenden einer Krebserkrankung im Kindes‑/Jugendalter resultieren in einer hohen kumulativen Krankheitslast. Sie erfordern eine multidisziplinäre und spezialisierte Langzeitbetreuung der Überlebenden, um den komplexen somatischen und psychosozialen Herausforderungen gerecht zu werden. Evidenzbasierte Leitlinienempfehlungen bilden die Grundlage für Vorsorgeuntersuchungen, die in individuellen Nachsorgeplänen zusammengefasst werden, und zielen auf eine Reduktion der langfristigen Morbidität und Mortalität in dieser Patient:innengruppe ab.
Einleitung
In Deutschland erkranken jedes Jahr ca. 2200 Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren an einer Krebserkrankung [14]. Obwohl die Langzeitüberlebensraten heute, über alle Entitäten hinweg, fast 85 % betragen, sind gleichzeitig viele dieser Patient:innen langfristig von neuen späteren Erkrankungen, sog. Spätfolgen, betroffen. Diese können sich in unterschiedlichen Organ(systemen) manifestieren und von gut behandelbaren bis zu lebensbedrohlichen Komplikationen reichen [5].
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Mittlerweile wurden Risikopopulationen definiert, in denen die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten bestimmter Spätfolgen aufgrund der damaligen onkologischen Erkrankung und Behandlung erhöht ist [10]. Hierauf aufbauend wurden Nachsorgeempfehlungen, die auf eine Früherkennung und rechtzeitige Behandlung möglicher Spätfolgen auf Basis ganzheitlicher, lebenslanger, risikoadaptierter Nachsorge‑/Vorsorgeprogramme abzielen, entwickelt [15]. Hierdurch sollen die (Über‑)Lebensqualität der Krebsüberlebenden verbessert und ihre im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung lebenslang erhöhte Morbidität und gesteigerte Mortalität reduziert werden [2].
In der aktuellen S2k-Leitlinie „Langzeit-Nachsorge von krebskranken Kindern und Jugendlichen – Vermeiden, Erkennen und Behandeln von Spätfolgen“ [11] werden die unterschiedlichen Spätfolgen in entsprechenden Organkapiteln dargestellt und leitliniengerechte Empfehlungen zu Vor- und Nachsorge für Überlebende nach einer Krebserkrankung im Kindes- bzw. Jugendalter definiert. In dem vorliegenden Übersichtsbeitrag werden die Erkenntnisse dieser Leitlinie zusammengefasst sowie die häufigsten Spätfolgen einer onkologischen Therapie im Kindesalter und die wichtigsten Empfehlungen zur Langzeitnachsorge der verschiedenen Organ(systeme) beispielhaft präsentiert. Im Zusatzmaterial online finden sich ergänzend ausgewählte somatische (Tabelle S1) und psychosoziale Spätfolgen (Tabelle S2) sowie eine Liste aller Nachsorge-Empfehlungen, gruppiert nach Organsystemen (Tabelle S3). Die Methodik der Leitlinienerstellung entspricht den AWMF-Empfehlungen und wird im Leitlinienreport der S2k-Leitlinie ausführlich dargestellt.
Spätfolgen (nach Organsystem)
Sekundärneoplasien
Im Vergleich zur Normalbevölkerung besteht bei Langzeitüberlebenden einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter ein 2‑ bis 10fach erhöhtes Risiko, eine Zweitneoplasie zu entwickeln [22]. Laut Deutschem Kinderkrebsregister (DKKR) beträgt die kumulative Inzidenz von Zweitmalignomen in Deutschland mindestens 5,4 % nach 25 Jahren und 8,3 % nach 35 Jahren [18]. Infolge einer Verbesserung der kurativen multimodalen Therapieansätze in der pädiatrischen Onkologie mit einem hohen Anteil Langzeitüberlebender stellt das Zweitmalignomrisiko somit eine relevante Langzeitfolge dar. Bekannte Risikofaktoren sind eine Radiotherapie, Chemotherapie, allogene Stammzelltransplantation, genetische Syndrome mit erhöhtem Tumorrisiko sowie zeit- und altersbedingte Effekte.
Empfehlung
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Die (Langzeit)-Nachsorge nach Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter soll die Erkennung von Zweitneoplasien umfassen.
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Überlebenden einer Krebserkrankung im Kindes- bzw. Jugendalter mit syn- oder metachronen Neoplasien vor dem 40. Lebensjahr soll eine Keimbahndiagnostik auf Vorliegen einer genetischen Tumordisposition angeboten werden.
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Frauen nach thorakaler Radiotherapie soll wegen des erhöhten Risikos für Brustkrebs die Teilnahme am intensivierten Früherkennungsprogramm angeboten werden.
Kardiologische Spätfolgen
Überlebende nach einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter haben ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, speziell für eine Kardiomyopathie und Herzinsuffizienz. Diese können früh, aber auch Jahrzehnte nach dem Therapieende auftreten. Anthrazykline sowie eine kardiale Bestrahlung gehen mit einem erhöhten, dosisabhängigen kardialen Risiko einher. Insbesondere gilt dies für eine Kombination aus beiden Therapien. Die Inzidenz der medikamenteninduzierten linksventrikulären Dysfunktion schwankt aufgrund der meist retrospektiv erhobenen Daten und in Abhängigkeit von der Anthrazyklindosis stark und wird mit < 1 bis zu 30 % bei Erwachsenen, bei Kindern mit ca. 10 % angegeben. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit für eine koronare Herzerkrankung durch Strahlenexposition des Herzens (insbesondere ab > 15 Gy) erhöht, weswegen der frühzeitigen Diagnose und Behandlung möglicher weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren ein besonderer Stellenwert zukommt [23].
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Empfehlung
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Echokardiographische Untersuchungen haben große Relevanz. Deren Standard beinhaltet die Messung der systolischen sowie der diastolischen Funktion. Strain-Untersuchungen sollen erfolgen.
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Die kardialen Biomarker Troponin und „brain natriuretic peptide“ (BNP)/„N-terminal prohormone of brain natriuretic peptide“ (NT-pro-BNP) sind Indikatoren einer kardialen Noxe. Ausgangswerte sollen bestimmt werden, da sie im Verlauf von Bedeutung sind.
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Eine Beratung zum Lebenswandel (Bewegung, Gewicht, Rauchen und Blutdruck) soll regelmäßig und altersadaptiert erfolgen.
Endokrinologische Spätfolgen
Endokrinologische Erkrankungen gehören zu den häufigsten Spätfolgen einer Krebsbehandlung im Kindes- bzw. Jugendalter und betreffen bis zu 50 % der Überlebenden. Während Funktionseinschränkungen endokriner Organe nach einer Operation oder unter zielgerichteter bzw. Immuntherapie in der Regel direkt oder mit kurzem Abstand nach der Therapieexposition auftreten, manifestieren sich insbesondere strahlen- als auch chemotherapieinduzierte Folgeerkrankungen mit z. T. jahrzehntelanger Latenz [9]. Da die meisten endokrinologischen Spätfolgen gut zu behandeln sind, können schwerwiegende Beeinträchtigungen von Gesundheit und Lebensqualität der Betroffenen durch die rechtzeitige Diagnosestellung und Einleitung einer adäquaten Therapie vermieden werden.
Empfehlung
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Alle Überlebende mit einer Strahlenexposition der Schilddrüse sollen eine Kontrolle des Thyreoidea-stimulierenden Hormons (TSH) und des freien Thyroxins (fT4) in regelmäßigen Intervallen erhalten.
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Nach kranialer/kraniospinaler Strahlenexposition sollen Dual-Energy-X-Ray- Absorptiometry(DXA)-Scans zum Eintritt in die Langzeitnachsorge und im Alter von 25 Jahren erfolgen.
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In regelmäßigen Abständen sollten eine Blutdruckmessung sowie Bestimmungen der Nüchternglucosekonzentration und des Serumlipidprofils bei allen Hochrisikogruppen erfolgen.
Renale Spätfolgen
Insbesondere Überlebende abdomineller Tumoren mit multimodaler Therapie in der Kindheit haben ein lebenslang erhöhtes Risiko für Erkrankungen der Niere und der ableitenden Harnwege [6]. Ursächlich können neben einer Chemotherapie auch eine chirurgische oder radiotherapeutische Behandlung sein. Glomeruläre und tubuläre Nierenfunktionsstörungen sollen frühzeitig diagnostiziert und, wenn möglich, therapiert werden, um die Langzeitfunktion der Nieren zu erhalten.
Empfehlung
Überlebende mit dem Risiko einer Nierenschädigung sollten mindestens alle 5 Jahre, bei bestehender „chronic kidney disease“ (CKD) jährlich, bei dynamischer Situation mit Zeichen der renalen Progression oder instabilem Elektrolyt- und/oder Säure-Basen-Status oder unkontrollierter arterieller Hypertonie alle 3 Monate bis zum Erreichen der Stabilität kontrolliert werden.
Pulmonale Spätfolgen
Krebserkrankungen im Kindes- oder Jugendalter erfordern oft intensive und langwierige Behandlungen, die die Atemwege und die pulmonale Leistungsfähigkeit beeinträchtigen können. Daher haben Betroffene Jahre bis Jahrzehnte nach Abschluss der Behandlung ein erhöhtes Risiko für lungenfunktionelle Einschränkungen durch pulmonale Erkrankungen [1]. Stammzelltransplantationen, Strahlentherapien sowie erfolgte Operationen an Lunge und Brustkorb gehören zu den häufigsten Ursachen für pulmonale Spätfolgen, in geringerem Ausmaß auch potenziell pneumotoxische Chemotherapien wie beispielsweise Busulfan- und Bleomycinanwendungen [20]. Die pneumologische Nachsorge zielt darauf ab, diese Risiken zu minimieren sowie durch strukturierte und regelmäßige Kontrollen potenziell schwerwiegende pulmonale Komplikationen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
Empfehlung
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Lungenfunktionstests sollen bei symptomatischen At-risk-Überlebenden nach einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter durchgeführt werden.
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Routinemäßige Lungenfunktionstests werden für symptomfreie At-risk-Überlebende nach einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter nicht empfohlen.
Audiologische Spätfolgen
Viele Therapien, die in der Behandlung kindlicher Krebserkrankungen eingesetzt werden, können zu einer dauerhaften Ototoxizität führen, u. a. Chemotherapeutika (Cisplatin, Carboplatin, Methotrexat [MTX]), kraniale Bestrahlung, Aminoglykosid‑, Glykopeptidantibiotika und Schleifendiuretika. Die kurz- und langfristigen Auswirkungen können schwerwiegend sein, da Schwerhörigkeit und ein vermindertes Sprachverständnis die Lebensqualität beeinträchtigen, einschließlich der Sprachentwicklung, der psychosozialen Entwicklung und der psychischen Gesundheit, des Bildungsniveaus, der beruflichen Aussichten und des persönlichen Einkommens [4]. Die Gesamtprävalenz von Ototoxizität wird in vielen Studien auf etwa 50 % derjenigen, die mit platinhaltigen Präparaten, Schädelbestrahlung oder beidem behandelt wurden, geschätzt [7].
Empfehlung
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Eine audiologische Nachkontrolle soll bei allen Risikopatient:innen alle 5 Jahre durchgeführt werden. Im Fall einer bestehenden oder neu aufgetretenen Hörstörung soll eine häufigere Überwachung alle 1 bis 2 Jahre erfolgen.
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Tritt ein relevanter ototoxischer Hörschaden (Frequenzen ≤ 4 kHz betroffen) auf, soll zeitnah eine Hörgeräteversorgung eingeleitet werden.
Dermatologische Spätfolgen
Überlebende einer Krebserkrankung im Kindes- bzw. Jugendalter nach Stammzelltransplantation (Chemotherapie und Strahlentherapie) weisen ein erhöhtes Risiko für nichtmelanozytären Hautkrebs sowie auch atypische Nävi/Melanome auf [21]. Weitere Risikogruppen für dermatologische Folgeerkrankungen umfassen u. a. Überlebende nach Radio(chemo)therapie, nach Therapie mit 6‑Mercaptopurin, Rituximab, Azathioprin, nach bestimmten zielgerichteten Systemtherapie wie z. B. BRAF/MEK-Inhibitoren und nach Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren, die beispielsweise zu einer Vitiligo oder Sarkoidose führen können [19].
Empfehlung
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Im Vordergrund steht ein einmal jährliches Hautscreening für Risikopatient:innen mit Auflichtmikroskopie von melanozytären und nichtmelanozytären Hautveränderungen und Nävi durch eine/einen Dermatolog:in.
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Präventiv soll auf ausreichenden UV-Schutz (Lichtschutzfaktor ≥ 50, UV-protektive Kleidung) und auf ein der UV-Strahlung angepasstes Sonnenverhalten geachtet werden.
Fertilitätsstörungen
Störungen der Furchtbarkeit treten bei ca. einem Drittel der Überlebenden nach einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter auf; nach einer Stammzelltransplantation sind sogar über zwei Drittel betroffen [3]. Das Ausmaß ist abhängig von dem Alter bei Therapie, der Diagnose, Art und kumulativer Dosis der Chemotherapie, Dosis sowie Lokalisation der Strahlentherapie resp. der Operation in Becken‑, Hypothalamus- oder Hypophysenbereich. Insbesondere eine Therapie mit Alkylanzien erhöht das Risiko einer Fertilitätsstörung, wobei v. a. Busulfan für Patientinnen und Procarbazin für Patienten als hochgonadotoxisch gilt. Fertilitätserhaltende Maßnahmen sollten daher, falls möglich, vor Therapiebeginn durchgeführt werden, da der Erfolg dieser Maßnahmen nach der Therapie teilweise eingeschränkt sein kann.
Empfehlung
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Nach Abschluss der gonadotoxischen Therapie soll auf eine regelrechte Fertilitätsentwicklung geachtet werden. Dies beinhaltet eine entsprechende Anamnese, sowie, bei entsprechendem Risiko oder Auffälligkeiten, Hormon- und Spermienanalysen ab dem 14. Lebensjahr.
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Im Falle einer Fertilitätsstörung können Maßnahmen der künstlichen Befruchtung, v. a. zeitnah nach einer Krebstherapie, erfolgreich sein. Alternative Optionen der Kinderwunscherfüllung sollten im Aufklärungsgespräch erläutert werden.
Muskuloskelettale Spätfolgen
Muskuloskelettale Spätfolgen treten nach operativer Therapie von Knochen- und Weichteilsarkomen bei der Mehrzahl der Patient:innen, bedingt durch die Tumorresektion und auch Rekonstruktion, auf [13]. Gleiches gilt für Patient:innen, die nach einer Chemotherapie Osteonekrosen entwickeln; diese können insbesondere bei subchondraler Lokalisation zu einer sekundären Arthrose führen. Nach Strahlentherapie treten muskuloskelettale Spätfolgen bei etwa einem Drittel der bestrahlten Kinder, vorrangig in der bestrahlten Region, auf. Muskuläre Hypoplasien haben eine große Bedeutung für die physische Funktionalität und die Lebensqualität der Erkrankten. Generell müssen funktionelle Störungen des Bewegungsapparates, ungeachtet der jeweiligen Tumorerkrankung, ggf. lebenslang therapiert werden, wobei insbesondere die Sport- und Physiotherapie im Vordergrund stehen.
Empfehlung
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Überlebende nach einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter mit Operationen oder möglichen Therapienebenwirkungen am muskuloskelettalem System sollen lebenslang eine orthopädische und auch sporttherapeutische Anbindung erfahren.
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Patient:innen mit strahlenbedingten Wachstumsstörungen sollten insbesondere während des Skelettwachstums kinderorthopädisch intensiv überwacht werden. Häufig kann eine Asymmetrie durch wachstumslenkende Operationen an den Extremitäten verhindert oder abgemildert werden.
Orale Spätfolgen
Eine Strahlentherapie im Kopf-Hals-Bereich sowie eine im Kindesalter verabreichte Chemotherapie können langfristige Auswirkungen auf die oralen Strukturen haben. Zahnentwicklungsstörungen wie beispielsweise Anomalien der Zahnwurzeln und des Zahnschmelzes, Veränderungen an Weichgewebe und Knochen können bei Überlebenden nach einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter als Spätfolgen auftreten. Auch Karies und Parodontalerkrankungen sind für diese Patientengruppe relevant, weswegen interprofessionelle Absprachen zwischen Mitarbeiter:innen der Radiologie, Onkologie und Zahnmedizin auch dann angeraten sind, wenn die Betroffenen nicht mehr in aktiver onkologischer Betreuung sind [12].
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Empfehlung
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Überlebende nach einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter sollen als Gruppe mit erhöhtem Kariesrisiko angesehen werden. Aus diesem Grund sollen engmaschige zahnärztliche Kontrollen, Prävention in Form von frühzeitiger Aufklärung, Fluoridapplikation, Individualprophylaxe und ggf. Fissurenversiegelung erfolgen.
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Bei Risikogruppen sollen betroffene Weichgewebe regelmäßig auf Veränderungen (z. B. Graft-versus-Host-Disease) und Infektionen sowie auf Sekundärneoplasien oder Rezidive untersucht werden.
Psychosoziale Spätfolgen
Psychosoziale Spätfolgen nach einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter umfassen ein breites Spektrum möglicher Einschränkungen, u. a. eine erhöhte psychische Belastung, depressive Störungen, Angststörungen, posttraumatische Symptome [16], aber auch eine reduzierte Teilhabe an Bildungs‑, Berufs- und Sozialleben mit einhergehender finanzieller Beschränkung bis hin zu einer verringerten autonomen Lebensführung im Erwachsenenalter [8]. Auch wenn zahlreiche dieser Einschränkungen in der Allgemeinbevölkerung weit verbreitet sind, kann eine Krebserkrankung als „stressful life event“ die Vulnerabilität der (Langzeit‑)Überlebenden für psychosoziale Spätfolgen im oben genannten Sinne verstärken und die Prävalenz entsprechender Spätfolgen in dieser Population erhöhen. Die wichtigsten Risikofaktoren in diesem Kollektiv sind Arbeitslosigkeit, niedriger Bildungsstatus, weitere Spätfolgen, chronische Schmerzen und weibliches Geschlecht.
Empfehlung
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Risikopatient:innen für psychosoziale Spätfolgen sollen gezielt identifiziert werden.
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Die (Langzeit‑)Nachsorge soll in einem multiprofessionellen Team durchgeführt werden, in dem mindestens ein:e psychosoziale:r Mitarbeiter:in vertreten ist.
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Im Rahmen des regelhaften Monitorings soll eine mögliche Fatigue mithilfe eines standardisierten Fragebogens erfasst werden.
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Die Förderung der bildungsbezogenen, beruflichen und sozialen Teilhabe soll ein Bestandteil der multidisziplinären strukturierten (Langzeit‑)Nachsorge sein.
Neuropsychologische Spätfolgen
Die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Monitorings neuropsychologischer Funktionen ergibt sich aus diversen Belegen von Auffälligkeiten in kognitiven Bereichen und damit einhergehenden Einschränkungen in der Teilhabe des Alltags bei Überlebenden mit Beteiligung des Zentralnervensystems (ZNS). Je nach Lokalisation und Behandlung zeigen sich Einschränkungen in Bereichen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Verarbeitungsgeschwindigkeit, exekutive Funktionen, Sprache und Motorik, was sich bei einer Diagnostik als Abnahme des Intelligenzquotienten (IQ) niederschlägt. Ursachen und Ausprägungsgrad sind v. a. von Faktoren wie dem Alter bei Diagnose und Therapie, der Behandlungsintensität, der Lokalisation des Tumors, der Zielbereiche der Behandlung im ZNS sowie von der Art der Therapie (z. B. Radiotherapie) und begleitenden Faktoren wie dem Ausmaß der Resektion abhängig [17].
Empfehlung
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Eine langfristige neuropsychologische Nachsorge soll aufgrund von multifaktoriellen Risikofaktoren nach einer onkologischen Erkrankung mit Beteiligung des ZNS auch noch lebenslang nach der Erkrankung standardmäßig angeboten und durchgeführt werden, um akute und im Verlauf zunehmend relevanter werdende Spätfolgen abzuklären, Interventionen einzuleiten und Bedrohungen der Teilhabe abzuwenden.
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Die neuropsychologische Diagnostik sollte im regelmäßigen Intervall von 5 Jahren erfolgen.
Fazit für die Praxis
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Eine leitliniengerechte Langzeitnachsorge für Überlebende einer Krebserkrankung im Kindes‑/Jugendalter beinhaltet risikoadaptierte Vorsorgeuntersuchungen, die sich aus der erhaltenen onkologischen Therapie ergeben und in einem individuellen Nachsorgeplan zusammengefasst werden.
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Für die Umsetzung dieser Empfehlungen werden multidisziplinäre Teams aus Ärzt:innen mit Erfahrung in der Langzeitnachsorge, Organspezialist:innen und psychosozialen Mitarbeiter:innen empfohlen, um die komplexen Bedürfnisse dieser Patient:innengruppe adressieren zu können.
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Hierfür wurden an einigen Standorten in Deutschland entsprechende Nachsorgeteams gegründet; diese bieten eine altersübergreifende, leitliniengerechte Versorgung an.
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Die aktuelle S2k-Leitlinie fasst erstmals alle Nachsorgeempfehlungen für Langzeitüberlebende nach Krebs im Kindes‑/Jugendalter systematisch zusammen und kann hierdurch zu einer standardisierten und evidenzbasierten Versorgung dieser wachsenden Patient:innengruppe beitragen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
Die Angaben zum Interessenkonflikt orientieren sich am Formular des International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE). T. Langer hat keinerlei Unterstützung für das vorliegende Manuskript erhalten. Er erklärt, dass für die letzten 36 Monate keinerlei Beziehungen, Tätigkeiten und Interessen, die mit dem Inhalt des Manuskripts im Zusammenhang stehen, offenzulegen sind. J. Gebauer hat keinerlei Unterstützung für das vorliegende Manuskript erhalten. Sie erklärt, dass für die letzten 36 Monate keinerlei Beziehungen, Tätigkeiten und Interessen, die mit dem Inhalt des Manuskripts im Zusammenhang stehen, offenzulegen sind.
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Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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