Kein Zusammenhang zwischen Krebs und Nähe zum Atomkraftwerk?

Die Ergebnisse einer Studie aus der Schweiz zeigen "kaum Hinweise" auf eine Korrelation zwischen Krebserkrankungen bei Kindern und der Entfernung ihres Wohnortes zu einem Atomkraftwerk (AKW). Vorangegangene Studien über mögliche Zusammenhänge zwischen Krebserkrankungen in der Kindheit und der Entfernung des Wohnortes zu einem Atomkraftwerk hatten widersprüchliche Resultate ergeben. Zwei deutsche Studien aus dem Jahr 2008 hatten jedoch gezeigt, dass Kinder unter fünf Jahren, die innerhalb von 5 km um ein Atomkraftwerk wohnen, ein erhöhtes Risiko haben, an einer Leukämie zu erkranken [Spix C et al. Eur J Cancer. 2008;44(2):275-84, Kaatsch P et al. Int J Cancer. 2008;122(4):721-6.]. Ob sich auch in der Schweiz ähnliche Korrelationen finden lassen, haben sich Ben D. Spycher und Kollegen aus Bern gefragt. Besonders empfindlich reagieren Menschen auf ionisierende Strahlung während ihrer intrauterinen Entwicklung und der frühen Kindheit. Deshalb haben die Forscher den Geburtsort als Referenzpunkt zur Berechnung der Distanz zum nächsten AKW gewählt. Dort wird die Mutter sich wahrscheinlich auch während der Schwangerschaft aufgehalten haben. Die Wissenschaftler bezogen Daten von allen zwischen 1985 und 2009 in der Schweiz geborenen Kindern ein. Eine weitere Kohorte bildeten alle 0-15-Jährigen, die zwischen 1985 und 2009 in der Schweiz lebten. Zusätzlich berücksichtigten die Wissenschaftler den Wohnort zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose. Sie integrierten alle Mädchen und Jungen in ihre Studie, bei denen zwischen 1985 und 2009 eine Krebserkrankung diagnostiziert worden war, und die im populationsbasierten Schweizer Kinderkrebsregister eingetragen waren. Alle Kinderkliniken in der Schweiz, in denen krebskranke Kinder behandelt werden, melden die neu diagnostizierten Fälle an das Register. 21.117.524 Personenjahre ausgewertet Die Arbeitsgruppe um Spycher kodierte die Entfernung der Wohnorte zum nächsten AKW auf 50 m genau. Dann berechnete sie Inzidenzraten-Verhältnisse (incidence rate ratios, IRRs), die das Risiko einer Krebserkrankung in der Kindheit von Jungen und Mädchen, die 15 km entfernt war. Spycher und Kollegen werteten insgesamt 21.117.524 Personenjahre aus und berücksichtigten auch die Entfernung zu anderen nuklearen Einrichtungen wie Lagern oder Forschungsstätten. Hinweise mit großen Konfidenzintervallen 2.925 Kinder erkrankten im Untersuchungszeitraum an Krebs. Von ihnen litten 953 (32,6%) an Leukämien. Im Umkreis von 15 km vom nächsten AKW entfernt geboren worden waren, betrugen die IRR für Leukämien im Alter von 0-4 Jahren 1,20 (95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 0,60–2,41). Bei den 0-15-Jährigen lagen sie bei 1,05 (95%-KI 0,60–1,86). Für eine Krebserkrankung betrugen die IRRs 0,97 (95%-KI 0,61–1,54) und 0,89 (95%-KI 0,63–127). Die Resultate waren für den Wohnort bei Geburt und bei Diagnose gleich. Kinder im Alter von 0-4 Jahren, die <50 km vom nächsten AKW entfernt lebten und die zwischen 1988 und 1992 an einer Leukämie erkrankten, wohnten im Durchschnitt 28,7 (±11,53) km vom AKW entfernt, verglichen mit 27,62 (±11,85) km bei der 1990 in die Studie einbezogenen Bevölkerung (population at risk). "Die Ergebnisse für andere Effekte waren ähnlich", so die Autoren in ihrer Studie. Unterschiede ergaben sich jedoch für das Jahr 2000, in dem 0-4-Jährige erkrankte Kinder etwas näher an einem AKW wohnten als derDurchschnitt der entsprechenden Bevölkerung. Dabei waren eher mittlere als geringe Entfernungen betroffen (p=0,01, Figueres E50-51, Supplementary Appendix 2). Fazit der Autoren: Die landesweite Kohortenstudie zeigt "kaum Hinweise" auf einen Zusammenhang zwischen dem Risiko einer Krebserkrankung im Kindesalter und der Nähe des Wohnortes zu einem AKW. Als größte Schwäche ihrer Studie bezeichnen Spycher und Kollegen die geringe Anzahl der Probanden (insbesondere der 0-4-Jährigen), die in der Nähe eines AKW lebten. Dies führe zu großen 95%-Konfidenzintervallen um die entsprechenden IRRs. Wichtige Fragen bleiben offen Auch diese Studie kann die Frage nach dem Einfluss der Strahlung von AKWs auf die Krebsinzidenz bei im näheren Umkreis wohnenden Kindern nicht abschließend beantworten. Offen bleibt auch, wie groß die von einem AKW emittierten Strahlungsmengen in verschiedenen Entfernungen sind. Außerdem befanden sich Kinder, die 16 km entfernt lebten, in der selben Kohorte wie Jungen und Mädchen, deren Wohnort sich 30, 50 oder 200 km von einem AKW entfernt befand. Da stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die verschiedenen zu vergleichenden Distanzen festgelegt worden sind - und wie aussagekräftig die Ergebnisse der Studie sind, wenn die meisten erkrankten Kinder außerhalb von 15 km um ein AKW leben.

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