Diagnostik
Parodontale Gesundheit | Gingivitis | Parodontitis | Stabiler Parodontitispatient mit gingivaler Gesundheit | Stabiler Parodontitispatient mit Gingivitis | |
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Blutung auf Sondierung (BoP) | < 10 % | ≧ 10 % (lokalisiert: 10–30 %, generalisiert > 30 %) | Vorhanden | < 10 % | ≧ 10 % |
Attachmentverlust („clinical attachment loss“, CAL) | Abwesend | Abwesend | Vorhanden | Vorhanden | Vorhanden |
Knochenverlust („bone loss“, BL) | Abwesend | Abwesend | Vorhanden | Vorhanden | Vorhanden |
Sondierungstiefe („periodontal probing depth“, PPD) | Abwesend | Abwesend | Vorhanden | ≦ 4 mm, keine PPD > 4 mm und BoP | ≦ 4 mm, keine PPD > 4 mm und BoP |
Staging | Stadium II | Stadium II | Stadium III | Stadium IV | |
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Schweregrad | CAL interdental, Stelle mit höchstem Verlust | 1–2 mm | 3–4 mm | ≧ 5 mm | |
KV | < 15 % | 15–33 % | > 33 % | ||
Zahnverlust aufgrund von Parodontitis | Keiner | ≦ 4 Zähne | ≧ 5 Zähne | ||
Komplexität | Lokal | PPD ≦ 4 mm Vorwiegend horizontaler KV | PPD ≦ 5 mm Vorwiegend horizontaler KV | Stadium II plus: PPD ≧ 6 mm Vertikaler KV > 3 mm Moderate Kammdefekte Furkation Grad II/III | Stadium II plus: Erfordert komplexe Rehabilitation Sekundäres okklusales Trauma (Mobilität ≧ Grad 2) Zahnwanderung, ausgeprägter Kammdefekt, Verlust von Bisshöhe < 20 Restzähne < 10 okkludierende Zahnpaare |
Ausmaß und Verteilung | Genauere Beschreibung des Stagings | Lokalisiert (< 30 % betroffene Zähne) Generalisiert Molaren-Inzisivi-Muster |
Grading | Grad A Langsame Progression | Grad B Moderate Progression | Grad C Rasche Progression | ||
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Primäre Kriterien | Progression: direkte Evidenz | Longitudinale Daten (KA, CAL) | Kein Verlust | < 2 mm über 5 Jahre | ≧ 2 mm über 5 Jahre |
Progression: indirekte Evidenz | KA (%/Alter) | < 0,25 | 0,25–1 | > 1,0 | |
Phänotyp | Erheblicher Biofilm mit geringer parodontaler Destruktion | Destruktion in Proportion zum Biofilm | Destruktion unproportional zum Biofilm Phasen rapider Zerstörung Früher Erkrankungsbeginn (z. B. Molaren-Inzisivi-Muster, Behandlungsresistenz) | ||
Modifikatoren | Risikofaktoren | Rauchen | Nichtraucher | Raucher < 10 Zig./Tag | Raucher ≧ 10 Zig./Tag |
Diabetes | Kein Diabetiker, normoglykämisch | HbA1c < 7,0 % bei Diabetespatienten | HbA1c ≧ 7,0 % bei Diabetespatienten |
Therapie
Phase 1: Verhaltensbezogene Therapie
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Dazu gehören Mundhygieneinstruktionen und die Motivation des Patienten, um eine adäquate häusliche Mundhygiene zu erreichen und aufrechtzuerhalten [5, 6]. Zusätzlich sorgt eine professionelle mechanische Plaquereduktion inklusive Reduktion plaqueretentiver Faktoren für einen Ausgangswert, der die Effektivität der darauffolgenden Therapiestufen unterstützt [7, 8].
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Kontrolle der RisikofaktorenDas Gesundheitsverhalten des Patienten und die systemische Gesundheit sind signifikante Risikofaktoren für eine Parodontitis. Schlussfolgernd ist deren Kontrolle und das einhergehende Gesundheitsverständnis von zentraler Bedeutung, um eine vorhersehbare und erfolgreiche Therapie durchzuführen. Insbesondere Raucherentwöhnung und metabolische Kontrolle bei Diabetes können den Therapieerfolg beeinflussen [9, 10]. Im Bereich Ernährungslenkung, körperliche Bewegung und Gewichtsreduktion ist die Evidenz noch unklar, und die Leitlinien weisen auf zusätzlichen Forschungsbedarf in diesen Bereichen hin. Jedoch lassen erste Ergebnisse positive Tendenzen vermuten, daher können diese Interventionen in Betracht gezogen werden.
Phase 2: Ursachengerichtete Therapie
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PhysikalischSubgingivale Instrumentierung, unabhängig davon, ob manuell oder maschinell (oder kombiniert) durchgeführt, zeigt eine signifikante Effizienz in der Reduktion von Sondierungstiefen (PPD). Dieser Effekt ist umso größer, je tiefer die ursprüngliche parodontale Tasche ist. Durchschnittlich reduzieren sich Sondierungstiefen um 1,7 mm nach 6 bis 8 Monaten. Tiefe Taschen (PPD > 6 mm) weisen eine mittlere Reduktion von 2,6 mm auf [11]. Diese Wirksamkeit ist unabhängig von einem „Full-mouth-“ oder quadrantenweise Vorgehen.Der Einsatz von Lasern zeigt keinen überzeugenden Effekt [12] und wird somit nicht von der Leitlinie empfohlen. Insbesondere die mit diesem Therapieverfahren verbundenen Kosten lassen sich nicht rechtfertigen.
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Chemische, subgingival applizierte antimikrobielle Substanzen [13]Die Forschung im Bereich lokal applizierbarer Adjuvanzien wächst stetig und ist sehr aktiv. Die hier referenzierte Leitlinie betrachtet und beurteilt eine Vielzahl von möglichen Substanzen, jedoch fehlt in den meisten Fällen eine überzeugende Evidenzbasis.Statin-Gel, Probiotika, lokale Bisphosphonat-Gele oder eine systemische Bisphosphonattherapie, systemische und/oder lokale nichtsteroidale antiinflammatorische Medikamente, Omega-3-PUFAs und lokales Metformin werden nicht empfohlen.Chlorhexidin in verschiedenen Anwendungsformen spielt als adjuvantes Antiseptikum eine relevante Rolle. Sowohl Mundspüllösungen als auch lokal appliziertes Chlorhexidin können in bestimmten Fällen eingesetzt werden [14, 15]. Jedoch sollte dabei die Gabe zeitlich begrenzt sein, um gängige Nebenwirkungen zu vermeiden.Auch lokal applizierte Antibiotika können in bestimmten Indikationsstellungen in Betracht gezogen werden. Hierbei zeigen Doxyzyklin- und Minozyklin-Derivate statistisch signifikant bessere Ergebnisse bei der Taschentiefenreduktion im Vergleich zu Interventionen ohne Adjuvanzien [15]. In Deutschland ist aktuell lediglich ein Doxyzyklin-Derivat, das für diese Indikation zugelassen ist, auf dem Markt.
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Systemische Antibiotika [13]Subantimikrobielles systemisch wirksames Doxyzyklin wird nicht empfohlen und ist in Deutschland nicht zugelassen.Die globale Antibiotikaresistenz und die Bewegung zur Vermeidung der Weiterentwicklung und Etablierung dieser Tendenz spiegeln sich auch in den Parodontitisleitlinien wider. Von der routinemäßigen systemischen Antibiotikagabe wird abgeraten. In bestimmten Fällen (insbesondere bei progressiven Parodontitisformen im Stadium III/IV bei jungen Patienten) kann eine systemische Antibiose indiziert sein; ihr Einsatz muss einer Nutzen-Risiko-Abwägung unterzogen werden [16]. Hierbei hat sich die Kombination von Metronidazol und Amoxicillin etabliert, weist aber gleichzeitig die höchste Nebenwirkungsrate auf.
Zwischenschritt: Reevaluation
Phase 3: Non-Responder
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Wiederholte subgingivale InstrumentierungÄhnlich wie bei der 2. Stufe kann eine „geschlossene“ subgingivale Instrumentierung zur erneuten Disruption des subgingivalen Biofilms und damit zur erneuten Verbesserung der parodontalen Gesundheit führen. Dies ist besonders effektiv in Taschen mit moderaten Sondierungstiefen von 4–5 mm [19].
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Chirurgische Interventionen (Zugangslappen, resektive/regenerative Parodontalchirurgie)Chirurgische Interventionen sind insbesondere bei tiefen Residualtaschen über 6 mm indiziert [19] und sollten laut Leitlinie auch durchgeführt werden. Zugangslappen erleichtern die subgingivale Instrumentierung unter Sicht, wobei die Wahl des Lappendesigns keinen signifikanten Unterschied aufweist. Jedoch zeigt die resektive Parodontalchirurgie im Vergleich zu Zugangslappen bessere Ergebnisse bei diesen tiefen Taschen [20]. Nachteilig sind die daraus resultierenden Rezessionen, die neben ästhetischen Einschränkungen Hypersensitivitäten hervorrufen können. Regenerative Eingriffe sind besonders bei Knochentaschen von 3 mm oder mehr erfolgreich [21]. Dabei spielen Schmelz-Matrix-Proteine eine besondere Rolle. Auch sind minimal-invasive Ansätze mit minimaler Lappenpräparation und der Erhalt des interdentalen Gewebes wichtig, um eine verbesserte Wundstabilität zu erreichen und dementsprechend die Morbidität zu verringern [22].
Phase 4: Unterstützende Parodontaltherapie (UPT)
Fazit für die Praxis
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Das akkurate Staging und Grading der Parodontitis ist von zentraler Wichtigkeit, um zum einen Risikofaktoren zu identifizieren und zum andern den richtigen und individualisierten Behandlungsansatz zu wählen.
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Generell kann die Parodontaltherapie in 4 Phasen unterteilt werden.
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Die Identifikation und Kontrolle von Risikofaktoren fördert nicht nur die parodontale, sondern auch die systemische Gesundheit. Interdisziplinäre Kooperation fördert dabei einen holistischen Therapieansatz.
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Das Stadium IV der Parodontitis zeichnet sich neben erhöhter Erkrankungsschwere und Komplexität durch eine umfassende Einschränkung von Anatomie und Funktionalität aus. Zur Wiederherstellung der Funktionalität ist ein multidisziplinärer Therapieansatz unabdingbar.