Vermeintliche Penicillinallergie ist meist gar keine

Deutsche und US-Gesellschaften machen verstärkt darauf aufmerksam, dass sich nur bei einem Teil der Patienten mit vermeintlicher Penicillinallergie diese Diagnose bestätigen lässt. Die Folge sei, dass bei zu vielen Patienten auf andere, meist weniger wirksame Antibiotika zurückgegriffen werde. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Bereits 2017 hatten Ärzte um Dr. Elizabeth Jane Phillips vom Vanderbilt University Medical Center in Nashville bemängelt, dass die meist in jungen Jahren erhobene Diagnose einer Penicillinallergie häufig nicht hinterfragt werde, obwohl sie schon viele Jahre zurückliege. Manche Patienten mit vermeintlicher Allergie beklagen, man habe ihnen viele Jahre eingetrichtert, sie würden sterben, wenn sie mit Penicillin behandelt würden. In den USA leben schätzungsweise 32 Millionen Menschen, bei denen eine Penicillinallergie festgestellt worden ist. Doch nach Ansicht von Infektiologen um Dr. Erica S. Shenoy vom Massachusetts General Hospital in Boston vertragen mehr als 95% der Patienten mit angeblicher Allergie diese Antibiotika. Behandlung mit einem anderen Penicillin möglich Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) ist die Situation in Deutschland ähnlich. Demnach vertragen ungefähr 75% der Patienten, die glauben, eine Penicillinallergie zu haben, trotzdem Beta-Laktam-Antibiotika und Cephalosporine. Auch Shenoy und ihre Kollegen stellten fest, dass die meisten Patienten, die glaubten, allergisch auf die Antibiotikagruppe zu regieren, nicht überprüfen ließen, ob sie früher eine Penicillinallergie hatten bzw. noch immer eine haben. „Selbst wenn tatsächlich eine Allergie gegen ein bestimmtes Penicillin vorliegen sollte, ist meist trotzdem die Behandlung mit einem anderen Penicillin oder mit einem Cephalosporin aus dieser Gruppe möglich“, wird Professor Gerd Fätkenheuer, DGI-Präsident und Leiter der Infektiologie an der Klinik I für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln in einer Mitteilung der DGI zitiert. 80% der Patienten mit dokumentierter IgE-vermittelter Penicillinallergie tolerieren nach zehn Jahren das Antibiotikum wieder. In der Praxis wird vor allem in der Akutsituation bei mutmaßlicher Penicillinallergie auf die Applikation sämtlicher Beta-Laktam-Antibiotika verzichtet, da kaum Zeit für allergische Tests bleibt. Deshalb plädieren auch die US-Ärzte bei Verdacht für eine Abklärung im Rahmen der Routineversorgung, um für Notsituationen gewappnet zu sein. Am einfachsten sei ein Amoxicillintest mit oder ohne einen Penicillinhauttest, angewendet bei Patienten mit einem niedrigen bzw. moderaten Allergierisiko mit mutmaßlicher IgE-Beteiligung in der Anamnese. Bei Hochrisikopatienten, etwa mit einem Stevens-Johnson-Syndrom (Dermatostomatitis Baader), Leber- oder Nierenschäden oder mit einer Serumkrankheit, verbietet sich ein solcher Test. Wenn Patienten im Zusammenhang mit einer Penicillinbehandlung von einem brennenden Hautausschlag, einer hämolytischen Anämie, Nephrititis, Hepatitis, Fieber oder Gelenkschmerzen berichten, sollte nach Ansicht von Shenoy und ihren Kollegen kein Penicillinallergietest vorgenommen werden. Ihre Handlungsanweisungen unter anderem zur Erstellung der Anamnese und zu den Allergietests stellen sie übersichtlich und knapp formuliert im Internet als Toolkits zur Verfügung. Ausweichen auf andere Antibiotika mit Nachteil verbunden Für den Test auf Penicillinallergie zum Ausschluss einer IgE-vermittelten Reaktion werden bei Patienten mit niedrigem bzw. moderatem Risiko üblicherweise 250 mg Amoxicillin verabreicht und die Patienten über eine Stunde überwacht. Manche Allergologen ziehen die 500-mg-Dosis für Erwachsene vor. Sie kann auf einmal oder in zwei oder drei Teildosen verabreicht werden. Niedrigrisikopatienten haben nichtallergische, etwa gastrointestinale Symptome in der Anamnese oder geben an, dass nicht sie selbst, sondern Angehörige etwa von einer Penicillinallergie berichtet hätten. Patienten mit moderatem Risiko berichten im Zusammenhang mit der Medikation über Urtikaria oder andere juckende Hautausschläge oder haben Zeichen einer IgE-vermittelten Reaktion wie eine Schwellung, allerdings ohne anaphylaktische Reaktion. Fätkenheuer beklagt, dass das Ausweichen auf andere Antibiotika auch deutliche Nachteile habe und dieser Umstand „nicht hinreichend im Bewusstsein von Ärzten und Patienten verankert“ sei. Andere Antibiotika seien teilweise weniger effektiv und gingen mit stärkeren unerwünschten Wirkungen einher. Als Beispiele nennt er die Besiedelung des Darms mit Clostridium difficile und die Entstehung von Resistenzen bei vermehrter Anwendung von Breitband- und Reserveantibiotika. Shenoy und ihre Kollegen weisen darauf hin, dass möglicherweise auch aufgrund der vermehrten Anwendung von parenteralem Penicillin die Rate der IgE-vermittelten Penicillinallergien in den vergangenen Jahren abgenommen habe. Schließlich würden in Kliniken in Deutschland wieder vermehrt Penicillin und dessen Derivate – statt Cephalosporinen und Fluorchinolonen – verwendet, ohne dass es für die Patienten von Nachteil sei, so der Infektiologe Professor Winfried Kern vom Freiburger Universitätsklinikum in der DGI-Mitteilung. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie groß ist der Anteil von Patienten mit einer Allergie gegen Penicillin wirklich? Antwort: Es wird geschätzt, dass etwa in den USA von den 10% der Menschen, die von einer Penicillinallergie berichten, bei 95% die Diagnose nicht bestätigt werden kann. Bedeutung: Das Ausweichen auf andere Antibiotika wegen der vermeintlichen Allergie kann eine weniger effektive Therapie und Resistenzentwicklungen zur Folge haben.

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