Erschienen in:
02.07.2020 | Periphere arterielle Verschlusskrankheit | Editorial
Jedes Bein zählt – Die zentrale Rolle der Gefäßchirurgie bei der Behandlung einer Volkskrankheit
verfasst von:
Dr. C.-A. Behrendt, PD Dr. A. Gombert
Erschienen in:
Gefässchirurgie
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Ausgabe 5/2020
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Auszug
Deutschland verfügt bereits seit Jahren über eines der modernsten und stabilsten Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich. Mit knapp 6000 US-Dollar pro Kopf stehen wir nach den USA, der Schweiz und Norwegen an Platz vier der jährlichen Gesundheitsausgaben in der globalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung(OECD)-Statistik [
1]. Mehr als vier Ärztinnen und Ärzte kommen hierzulande auf 1000 Einwohner [
2]. Unter den insgesamt etwa 2000 offiziell in Deutschland registrierten Krankenhäusern führen derzeit mehr als 650 Einrichtungen offen-chirurgische und endovaskuläre Prozeduren durch. Hinzu kommen etwa 100.000 Arztpraxen im ambulanten Sektor, die ebenfalls maßgeblich an der Versorgung von Patienten mit Gefäßkrankheiten beteiligt sind. Während die zentrale Bedeutung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Todesursachenstatistik oft anhand von Herzinfarkten und Schlaganfällen illustriert wird, erscheint eine wichtige Volkskrankheit in dieser Debatte teilweise unterrepräsentiert. Weltweit leiden mehr als 200 Mio. Menschen an einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) und weitere 500 Mio. leiden an einem Diabetes mellitus, zu dessen schwerwiegendsten Komplikationen die kritische Extremitätenischämie mit Amputation gehört [
3,
4]. Alleine die etwa 1 Mio. betroffenen deutschen Patienten im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich generieren durch die stationären Behandlungen jährliche Gesundheitskosten in Höhe von ca. 6 Mrd. €. Dabei zeigt sich in standardisierten Auswertungen an longitudinal verknüpften Routinedaten zwar eine insgesamt leicht abnehmende Krankheitsinzidenz bei allerdings deutlicher Zunahme der Prävalenz und Anzahl an Krankenhausbehandlungen. Dies ist gemeinsam mit den Zeittrends bei Verfahrenswahl und Patientenselektion eindeutig als Zeichen einer Leistungsexpansion zu werten [
5]. Auch wenn wir heutzutage bei Diskussionen über „Beine“ schnell an iliakale „Endoprothesen-Beinchen“ denken, stellt die interdisziplinäre Behandlung der PAVK und damit der Beinerhalt doch weiterhin unser zentralstes Tätigkeitsfeld dar. Die gemeinsame Optimierung der Risikofaktoren und leitliniengerechte Arzneimittelversorgung, endovaskuläre Revaskularisationen und offen-chirurgische Eingriffe stehen uns komplementär für die PAVK-Behandlung zur Verfügung, stellen uns aber auch vor große Herausforderungen. Etwa die Hälfte der verfügbaren Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung der PAVK basiert weiterhin nur auf Konsensusempfehlungen, weil keine empirische Evidenz zur Verfügung steht oder weil verfügbare Studien methodische Mängel aufweisen. Von der objektivierbaren Überlegenheit einzelner Techniken, Pharmazeutika und Medizinprodukte sind wir weit entfernt und die globale Paclitaxel-Debatte hat uns demonstriert, wie fragil das Fundament der Evidenz bei genauerer Betrachtung ist [
6]. Nur durch den konstruktiven Austausch von Erfahrungen zur Behandlung dieser wichtigen Volkskrankheit kann die Evidenzbasis verbessert und ein drohender Publikationsbias vermieden werden. Lassen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen aus Ihren Erfahrungen lernen und teilen Sie Ihr Wissen mit den Lesern der
Gefässchirurgie. …