Die große Relevanz prädiabetischer und diabetischer Stoffwechselstörungen für die langfristige Prognose von Patient:innen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) ist nicht von der Hand zu weisen. Andersherum betrachtet, entwickelt ein beachtlicher Anteil der weltweit mehr als 537 Mio. Diabetiker:innen im langfristigen Krankheitsverlauf vaskuläre Komplikationen im Sinne einer kritischen extremitätengefährdenden Durchblutungsstörung mit konsekutiver Amputationsgefahr und allen weiteren kardiovaskulären Krankheitsfolgen. In den vergangenen Jahren haben die neuen Natrium-Glucose Co-Transporter-2(SGLT2)-Inhibitoren, auch als Gliflozine bekannt, einen wahren Siegeszug in der Arzneimitteltherapie des Diabetes und der Herzinsuffizienz erfahren [
1].
Bereits im 19. Jahrhundert aus der Rinde von Apfelbäumen extrahiert, konnte diese Substanzklasse im Jahr 2012 erstmals eine Zulassung für den europäischen Markt (Dapagliflozin) und ein Jahr später auch für die Vereinigten Staaten von Amerika (Canagliflozin) erlangen und steht heute zur Arzneimitteltherapie von Patient:innen mit Typ-2-Diabetes, Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion sowie chronischer Niereninsuffizienz zur Verfügung [
1]. Die SGLT2-Inhibitoren verhindern über ihren primären Wirkmechanismus die Glucoseresorption im proximalen Tubulus der Niere, was mit einem Natriumverlust und erhöhter Glucoseausscheidung mit dem Urin einhergeht [
1]. Durch den diuretischen Effekt stellen sich unter anderem relevante Volumenveränderungen ein, die bereits früh kritisch diskutiert wurden [
2]. Bisher nicht endgültig geklärt ist allerdings, wie die positiven myokardialen Effekte, insbesondere die geringeren Herzinsuffizienzraten, über die Volumenentlastung hinaus zu erklären sind.
Als im Jahr 2017 die Ergebnisse des CANagliflozin cardioVascular Assessment Study (CANVAS) Program (bestehend aus zwei Schwesterstudien; CANVAS and CANVAS-Renal) zu insgesamt 10.142 randomisierten Patient:innen veröffentlicht wurden [
3], entwickelten sich rasch Sicherheitsbedenken, da die positiven kardialen und renalen Effekte von einer erhöhten Rate an Amputationen der unteren Extremitäten begleitet wurden. Etwa 66 % der Studienkohorte hatten eine kardiovaskuläre Vorgeschichte, 21 % sogar eine periphere arterielle Verschlusskrankheit und etwa 2 % eine Amputation der unteren Extremitäten. Im Interventionsarm der Studie zeigte sich im Follow-up ein zweifach erhöhtes Amputationsrisiko (vor allem Zehenamputationen), verglichen mit der Placebogruppe (6,3 vs. 3,4 pro 1000 Patientenjahren; Hazard Ratio 1,97; 95 % Konfidenzintervall 1,41–2,75) [
3]. Bis heute konnte keine andere randomisierte, Placebo kontrollierte Studie diese Sicherheitssignale bestätigen oder verwerfen, wobei andere Studien entsprechende Sicherheitsendpunkte in der Folge auch erst sekundär nach dem Bekanntwerden dieser Ergebnisse prospektiv oder sogar nur retrospektiv erhoben haben [
4].
Dennoch entzündeten die CANVAS-Studienergebnisse im Jahr 2017 eine globale Kontroverse und Reaktionen bzw. teilweise weiterhin gültige Anwenderwarnungen von nationalen und internationalen Aufsichtsbehörden, wie etwa ein Jahr später auch im Zusammenhang mit der Paclitaxel-Debatte in der interventionellen Therapie der PAVK [
5‐
7]. Um den Zusammenhang zwischen SGLT2-Inhibitoren und erhöhten Amputationsraten zu untersuchen, sind zwischen 2018 und 2021 bereits mehr als 14 retrospektive Beobachtungsstudien mit klinischen und administrativen Registerkohorten zwischen 34.426 und 3.293.983 Patient:innen durchgeführt worden. Die Ergebnisse waren teilweise widersprüchlich, wobei das Studiendesign, die statistischen Analyseverfahren und vor allem die Vergleichsgruppen dieser nicht randomisierten Vergleiche deutlich variierten [
1].
Bedenkt man das komplexe und progressive Komorbiditätsprofil unserer wichtigsten Zielpopulation, erscheint es bedauerlich, dass bisher kein prospektiver Trial die Wirksamkeit oder Sicherheit von SGLT2-Inhibitoren bei PAVK-Patient:innen evaluiert hat. Angesichts der niedrigen Rekrutierungsraten von Proband:innen mit vorbestehender PAVK (6 bis 24 %) scheint dies a priori auch nicht im Fokus der Bemühungen gestanden zu haben. Auf dem Boden der Daten der prospektiven GermanVasc-Kohortenstudie [
8] und aktueller Routinedatenanalysen [
9] haben heutzutage, je nach Krankheitsstadium, bis zu 47 % eine Diabetesdiagnose, bis zu 33 % sind chronisch niereninsuffizient und bis zu 24 % sind bereits herzinsuffizient. Diese Zahlen unterstreichen eindeutig, dass die Verordnung von SGLT2-Inhibitoren in Zukunft auch zum Standardrepertoire von Gefäßmediziner:innen gehören könnte.
Die Erwägungen könnten aber noch weiter führen: In der täglichen Praxis könnte die Mehrzahl der von uns behandelten Patient:innen aufgrund der bereits etablierten Indikationen von einer solchen Arzneimittelverordnung profitieren, da die langfristigen Hospitalisierungsraten zur Behandlung der Herzinsuffizienz und andere kardiorenale Endpunkte besser ausfallen. Sollte aber die diskutierte Gefahr von Amputationen, insbesondere der Zehen, vor allem die Patient:innen mit einer PAVK-Diagnose von diesem erwartbaren Benefit ausschließen?
In einer aktuellen Routinedatenanalyse wurde dieser Frage nachgegangen [
10]. Insgesamt wurden dabei mehr als 100.000 Patient:innen mit Diabetes zwischen 2013 und 2019 eingeschlossen und der Studiendatensatz anschließend nach dem Vorliegen einer gleichzeitigen PAVK-Diagnose stratifiziert. Um den Einfluss der Warnungen der European Medicines Agency (EMA) im Jahr 2017 zu untersuchen, erfolgte auch diesbezüglich eine Stratifizierung. Interessanterweise war die Behandlung mit SGLT2-Inhibitoren gegenüber dem etablierten Vergleichspräparat (GLP1-Rezeptoragonisten) vor der EMA-Warnung in der gewichteten Analyse mit einem geringeren Risiko für stationäre Herzinsuffizienzbehandlungen im Langzeitverlauf assoziiert (Hazard Ratio 0,85; 95 % Konfidenzintervall 0,73–0,99), allerdings interessanterweise nur in der Subgruppe der PAVK. Ein erhöhtes Risiko für Amputationen ließ sich dagegen nur in der Gruppe der Patient:innen ohne PAVK-Diagnose nachweisen (Hazard Ratio 1,79; 95 % Konfidenzintervall 1,04–2,92). Im Zeitraum nach der EMA-Warnung, also nach 2017, gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede mehr bei den Wirksamkeits- oder Sicherheitsendpunkten, was stattgehabte Anpassungen der Verordnungspraxis auf dem Boden der Anwenderwarnungen nahelegt [
10].
Die Rate an PAVK-Patient:innen in allen Studien zu SGLT2-Inhibitoren war ungewöhnlich gering und zusammen mit der insgesamt unzureichenden empirischen Evidenzbasis in den verfügbaren Praxisleitlinien bleibt einmal mehr festzuhalten, dass diese Volkskrankheit und deren Bedeutung für andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zukunft besser gewürdigt werden sollte.
In Fachdiskussionen mit anderen Disziplinen wird der Ankle-Brachial-Index (ABI) nicht selten lediglich als „Risikomodifikator“ und die PAVK-Diagnose als Kriterium für die Einordnung in eine sehr hohe Risikogruppe genutzt. Vermutlich ist es aber etwas komplexer als das.
Wir benötigen hochwertige vergleichende, kontrollierte Studien, um das insgesamt weiterhin schlechte Behandlungsergebnis im Langzeitverlauf zu verbessern.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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