Übertragung und Gegenübertragung
Wissen Sie, was ein
„heart sink patient“ ist? Das sind Menschen, bei denen Ihnen, wenn sie in der Wartezimmerliste auftauchen, das Herz in die Hose rutscht [
1]. Menschen mit Persönlichkeitsstörungen gehören häufig dazu. Wir reagieren emotional, also menschlich, nicht professionell. Umgekehrt betrachtet, dürften einige dieser Patientinnen und Patienten ähnliche Gefühle haben, wenn sie dem „heart sink doctor“ begegnen [
2]. Es passiert also etwas zwischen uns. Man nennt das Übertragung und Gegenübertragung. Wir könnten es wahrnehmen und als Chance begreifen.
Persönlichkeitsstörungen sind häufig, und die betroffenen Menschen konsultieren überproportional häufig hausärztliche Praxen, meist nicht wegen der Persönlichkeitsstörung, aber immer mit ihr. Es wird angegeben, dass sie 25 % der Patientinnen und Patienten in hausärztlichen Praxen, 50 % in psychiatrischen Ambulanzen und zwei Drittel der Insassen von Gefängnissen ausmachen [
3]. Hausärztinnen und Hausärzte empfinden v. a. Menschen mit manchen Formen von Persönlichkeitsstörung als chaotisch, unzuverlässig, zeitraubend und überfordernd. Sie haben das Gefühl, selbst nicht genug über das Problem zu wissen, und fühlen sich von psychiatrischer Seite nicht genügend unterstützt. Nicht nur mit den
zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern auch mit den
organisatorischen Anforderungen des Praxisablaufs will es bei diesen Menschen nicht so recht klappen. In der hausärztlichen Praxis ist jedoch die Beziehung der tragende Kern. Nach Rainer Sachse sind Persönlichkeitsstörungen gar keine eigentlichen Störungen im Gefüge der Person, sondern Beziehungsstörungen bzw.
Interaktionsstörungen aufgrund gelernter, dysfunktionaler Selbst- und Beziehungsschemata. Sein Buch „Persönlichkeitsstörungen verstehen“ ist nicht zu dick, leicht zu lesen und sehr hilfreich [
4]!
Wir Behandlerinnen und Behandler werden als
Interaktionspartner, oft ohne es rechtzeitig wahrzunehmen, zum Teil des Problems (z. B. verspreche zu viel, kümmere mich zunächst sehr, dann nicht mehr, weil Patientin oder Patient nervt, nehme Kritik persönlich und gehe in Machtkampf, mache Vorwürfe, unterstelle Incompliance etc.). In diesem Kampf wird vielfach die Diagnose nicht gestellt oder bleibt hinter Diagnosen wie Depression oder Angst verborgen [
5]. Dabei würde diese Diagnose nicht nur diesen Menschen und uns einiges erklären. Eine
unerkannte Persönlichkeitsstörung hinter einer anderen Diagnose bleibt unbehandelt und verschlechtert deren Prognose [
6]. Die betroffenen Menschen brauchen Zeit. Unsere Kultur der Beschleunigung und Effizienz, des Wettbewerbs und des Erfolgs führt dazu, dass wir genau die nicht haben [
7]. Ein besseres ärztliches Verständnis der Störung könnte die
therapeutische Beziehung mit den betroffenen Menschen verbessern [
8]. Zu diesem Verständnis wollen wir hier beitragen.
Persönlichkeitsstörung
Was ist eine Persönlichkeitsstörung? Eine Persönlichkeitsstörung ist eine Störung der Person in ihrer Funktion als Teil ihres sozialen Umfelds. Schwächere Ausprägungen sind der Persönlichkeitsstil oder die
Persönlichkeitsakzentuierung. Die Übergänge sind fließend. Infobox
1 gibt die Beschreibung der Persönlichkeitsstörung der 11. Version der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) wieder [
11].
Nicht erst die Persönlichkeitsstörung prädestiniert zu anderen psychischen Erkrankungen [
12]. Auch bevor man von einer Störung sprechen kann, spricht man allgemein vom
P‑Faktor, wobei das P zwar zunächst für „Psychopathologie“, eigentlich jedoch für die individuelle psychische Grundstruktur jedes Menschen steht. Der P‑Faktor wird als zusammenfassender Faktor verschiedener Dimensionen der Psyche verstanden und als Grundlage vieler psychopathologischer Entwicklungen gesehen [
13,
14].
Klassifikationssysteme
Welche Persönlichkeitsstörungen werden in den Klassifikationssystemen unterschieden? Im Gegensatz zur Vielfalt der Diagnosen in der ICD-10 gibt es in der ICD-11 nur noch eine einzige Diagnose: die der Persönlichkeitsstörung; diese dafür in den
Ausprägungsgraden: leicht, mittel und schwer. Dem untergeordnet gibt es typische Persönlichkeitsmuster. Diese lauten:
-
Negative Affektivität bei Persönlichkeitsstörung oder -problematik
-
Distanziertheit bei Persönlichkeitsstörung oder schwieriger Persönlichkeit
-
Dissozialität bei Persönlichkeitsstörung oder schwieriger Persönlichkeit
-
Enthemmung bei Persönlichkeitsstörung oder schwieriger Persönlichkeit
-
Anankasmus bei Persönlichkeitsstörung oder schwieriger Persönlichkeit
-
Borderline-Muster.
Und schon sind wir mitten in einem spannenden Streit, der seit einigen Jahren in der Welt der psychiatrischen Klassifikationen stattfindet. Es geht um die Frage, ob es psychiatrische Krankheiten in Form der Benennung durch die heute gebräuchlichen Kategorien in Zukunft überhaupt noch geben sollte oder ob eine
dimensionale Beschreibung psychischer Störungen nicht angemessener wäre, und zwar möglicherweise weit über die Persönlichkeitsstörungen hinaus [
15]. Mit „dimensionaler Beschreibung“ ist im Wesentlichen eine individuelle Beschreibung anhand der im Abschnitt Persönlichkeit genannten Dimensionen der Psyche gemeint. Der Streit wurde und wird sowohl in den Arbeitsgruppen des US-amerikanischen Klassifikationssystems psychiatrischer Krankheiten (DSM-5) wie auch der WHO (ICD-11) ausgetragen [
16,
17]. Er zeigt, wie sehr psychiatrische Klassifikationen
soziale Konstrukte und Ergebnisse sozialer Aushandlungsprozesse sind. Zachar und Kendel beschrieben diese Prozesse sehr lesenswert anhand eines Vergleichs der
„Entfernung des Pluto aus der der Klasse der Planeten mit der Entfernung der Homosexualität aus der Klasse psychiatrischer Störungen“ [
18].
Die Psychiatrie scheint zu erkennen, dass ihre alten Krankheitskategorien nicht so recht mit der Wirklichkeit zusammenpassen. Weder lassen sie sich eindeutig vom Gesunden noch untereinander abgrenzen [
19]. Um das Jahr 2000 begann deshalb eine Krise der zeitgenössischen Psychiatrie [
20]. Die Forschung hatte es weder geschafft, die neurophysiologischen Ursachen psychiatrischer Krankheiten ans Tageslicht zu bringen, noch daraus befriedigende Therapiekonzepte zu entwickeln. Aber Krisen erzeugen Druck zur Veränderung, und so begann die Veränderung zunächst im Bereich der Diagnosen und Klassifikationssysteme. Während im DSM‑5 der Versuch, das alte kategoriale durch ein dimensionales Modell zu ersetzen, noch vertagt wurde, gelang dieser Umbruch in der ICD-11 deutlicher [
21]. Noch ist die ICD-11 nicht eingeführt, und bis sie es ist, gelten weiterhin die ICD-10 und ihre traditionellen Kategorien (Tab.
1).
Tab. 1
Persönlichkeitsstörungen in der ICD-10
F60. | Spezifische Persönlichkeitsstörungen |
F60.0 | Paranoide Persönlichkeitsstörung |
F60.1 | Schizoide Persönlichkeitsstörung |
F60.2 | Dissoziale Persönlichkeitsstörung |
F60.3 | Emotional instabile Persönlichkeitsstörung |
F60.30 | Impulsiver Typ |
F60.31 | Borderline-Typ |
F60.4 | Histrionische Persönlichkeitsstörung |
F60.5 | Anankastische [zwanghafte] Persönlichkeitsstörung |
F60.6 | Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung |
F60.7 | Abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung |
F60.8 | Sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen |
Inkl.: Persönlichkeit(sstörung): exzentrisch |
Persönlichkeit(sstörung): haltlos |
Persönlichkeit(sstörung): narzisstisch |
Persönlichkeit(sstörung): passiv-aggressiv |
Persönlichkeit(sstörung): psychoneurotisch |
Persönlichkeit(sstörung): unreif |
F60.9 | Persönlichkeitsstörung, nicht näher bezeichnet |
Ursachen
Wodurch kommt es zu Persönlichkeitsstörungen? Die Ätiologie der Persönlichkeitsstörungen ist wahrscheinlich multifaktoriell. Es gibt
genetische Faktoren, die mit einer entsprechenden
Vulnerabilität einhergehen. Hinzu kommen psychosoziale Faktoren und Traumata in der Kindheit, wie emotionaler, physischer oder sexueller Missbrauch und Vernachlässigung [
22]. Die Patientinnen und Patienten haben oft extrem schwierige Kindheiten hinter sich. Eine besondere Rolle scheint die Bindungsfähigkeit zu spielen, die sich unter den schwierigen Bedingungen, unter denen die betroffenen Menschen meist aufwachsen müssen, nicht richtig entwickelt.
Gefühle der Betroffenen
Wie fühlt es sich an, eine Persönlichkeitsstörung zu haben? Die Frage ist v. a. für die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) erforscht. Es sind Gefühle von
Entfremdung, Unsicherheit,
Unangemessenheit, Misstrauen, Enttäuschung, Wertlosigkeit und der Wunsch, einfach weg zu sein. Die Gleichzeitigkeit von
Leere und Wut verbindet sich mit extremen emotionalen Reaktionen [
23]. Oft kommt es zu Phasen von
Dissoziationen (Zonen), also Auskopplungen der Wahrnehmung und Kontrolle [
24]. In diesen Zonen scheint die
Selbstverletzung eine Möglichkeit zu sein, sich selbst wieder zu fühlen, anhand des Fließens von Blut zu sehen, dass man doch noch am Leben ist. Ganz falsch ist das Vorurteil, das Ritzen geschehe, um Aufmerksamkeit zu erregen und um sich wichtig zu machen.
All das führt zu Gedächtnis- und Denkproblemen, Problemen der Selbstfürsorge und damit zu Schwierigkeiten in Arbeit oder Schule sowie finanziellen und rechtlichen Problemen. Menschen mit Persönlichkeitsstörungen leiden meist sehr unter Einsamkeit [
25].
Wahrscheinlichmachen der Diagnose
Wie lässt sich eine (Borderline‑)Persönlichkeitsstörung wahrscheinlich machen? Weil es eine neu erschienene S3-Leitlinie „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ für den praktischen, konkreten Umgang mit Patientinnen und Patienten mit BPS gibt, beziehen wir uns hier v. a. auf die BPS [
26]. Es ist schade, dass die Leitlinie nur auf diesen einen Subtyp fokussiert. Die Leitlinie rät zu einer hausärztlichen Überweisung zur fachgerechten Abklärung einer BPS bei Menschen mit mindestens einem der folgenden Charakteristika:
-
Wiederholtes suizidales oder selbstverletzendes/selbstschädigendes Verhalten
-
Erhebliche emotionale Instabilität
-
Gleichzeitiges Vorliegen mehrerer psychischer Störungsbilder
-
Kein befriedigender Behandlungserfolg hinsichtlich vorliegender psychischer Symptome durch bisher durchgeführten Therapien
-
Sehr beeinträchtigtes psychosoziales Funktionsniveau
Dies gilt bereits bei Jugendlichen ab 12 Jahren. Zur Objektivierung des Verdachts lassen sich geeignete Screening-Fragebögen einsetzen, von denen die
Borderline-Symptom-Liste mit 23 Items (BSL-23) mit einer Bearbeitungsdauer von 10 min und ihrer Eignung auch für Verlaufskontrollen für die hausärztliche Praxis am geeignetsten sein könnte. Bei Verdacht einfach den Screening-Fragebogen aus der Schublade zu holen, scheint jedoch inadäquat. Ohne eine tragfähige Beziehung und ein
einfühlsames Gespräch dürften die meisten Menschen auf den Verdacht einer Persönlichkeitsstörung irritiert und gekränkt reagieren. Annehmbarer wäre zunächst, eine „emotionale Hypersensitivität“ oder „Regulationsstörung der Emotionen“ anzubieten. Für das „Wahrscheinlichmachen“ der Diagnose verweisen wir auch auf Infobox
2 im nächsten Abschnitt.
Die Diagnosestellung gehört in psychiatrisch- oder psychosomatisch fachärztliche oder psychologisch psychotherapeutische Hand. Sie ist zusammen mit der Abklärung der oft erheblichen psychischen und somatischen Komorbidität im ambulanten Bereich gut möglich, kann aber auch im Rahmen eines stationären oder tagesklinischen Aufenthalts stattfinden. Zur eigentlichen Diagnosestellung sollten am besten halbstrukturierte, validierte Interviews durchgeführt werden. Es wird geraten, die Diagnose offen mitzuteilen und zu erklären.
Therapie
Wie wird eine Persönlichkeitsstörung behandelt? Das Vorurteil, Persönlichkeitsstörungen seien nicht behandelbar, stimmt so nicht. Die Therapie besteht in einer
störungsspezifischen Psychotherapie. Für die BPS scheint die Evidenz ausreichend klar: Menschen mit BPS sollten eine BPS-spezifische Psychotherapie erhalten. Wenn der primäre Fokus auf der Reduktion schwerwiegenden selbstverletzenden Verhaltens (inklusive Suizidalität) liegt, sollte
dialektische behaviorale Therapie (DBT) oder
mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) angeboten werden, deren Wirksamkeit evidenzbasiert sind. DBT wurde von der US-amerikanischen Psychotherapeutin Marsha M. Linehan entwickelt. Sie hatte als Jugendliche selbst die Diagnose der BPS erhalten. In einem sehr lesenswerten Interview erzählte sie 2011 in der New York Times, wie sie es geschafft hat, ihr Leben in den Griff zu bekommen, Psychotherapeutin zu werden und eine spezifische Therapie für Patientinnen und Patienten, wie sie selbst es einmal war, zu entwickeln [
27]. Die DBT enthält Strategien der Verhaltens-, der kognitiven sowie der
unterstützenden Psychotherapie. Sie besteht aus begleitenden wöchentlichen individuellen und
Gruppentherapiesitzungen über mindestens ein Jahr. Die individuelle DBT wendet direktive, problemorientierte Techniken an, die mit unterstützenden Techniken wie Reflexion, Empathie und Akzeptanz kombiniert werden. Die
Verhaltensziele in der DBT werden entsprechend ihrer Wichtigkeit priorisiert. Der
Problemfokus wird entsprechend dem Verhalten des Patienten seit der letzten Sitzung angepasst. Dafür muss dieses Verhalten zusammen mit dem Patienten ausführlich erarbeitet und beschrieben werden. Kam es zu
parasuizidalem Verhalten, ist dieses das Thema bei der nächsten Sitzung. Wurden Absprachen verletzt, ist dieses Verhalten das Thema usw. In den Sitzungen lehren und bestärken die Therapeutinnen und Therapeuten eine Anpassung des Verhaltens v. a., wenn eine
Verletzung von Absprachen innerhalb der therapeutischen Beziehung stattfindet. Die Leitlinie priorisiert sehr eindeutig ambulante Formen der Psychotherapie. Längere unspezifische stationäre Aufenthalte ohne strukturierte störungsspezifische Angebote sollen laut Leitlinie vermieden werden.
Begleitend zur eigentlichen Therapie werden für schwere Fälle
therapeutische Wohngruppen als stabile Rahmen sowie
Psychoedukation und Gruppentherapien zur Förderung des Krankheitsverständnisses, des Umgangs mit der Erkrankung und der Krankheitsbewältigung empfohlen. Auch Interventionen mit Familienangehörigen und anderen Bezugspersonen können erwogen werden. Wer DBT regional anbietet, lässt sich entweder über die lokalen Psychiaterinnen und Psychiater oder über den Dachverband DBT e. V. (
https://www.dachverband-dbt.de/downloads/links) herausfinden. Erfahrungsgemäß bestehen die größten Schwierigkeiten darin, die Patientinnen und Patienten zu einer solchen Therapie zu bewegen bzw. ihre
Motivation aufrechtzuerhalten. Es ist für die betroffenen Menschen zunächst kaum verstehbar, dass ihre Beziehungsprobleme ihre Ursache in ihrem eigenen Verhalten haben. Bevor man sie damit konfrontiert, ist es wichtig, zunächst eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen (
Beziehungskredit) [
4]. Interaktionelle Schwierigkeiten sollten dabei erwartet werden, ohne dann zu einer Entwertung zu führen. Der hausärztliche Versuch, z. B. an die DBT zu überweisen, wird patientenseitig leicht als Ablehnung erfahren, die
Verlustängste und dysfunktionales Interaktionsverhalten auslösen kann [
8]. Es ist oft schwer, schnell einen geeigneten Therapieplatz zu finden. Gelingt dies, sollten sich Hausarzt oder Hausärztin nicht etwa aus der Betreuung zurückziehen. Sie sollten weiter parallel regelmäßige Termine vereinbaren, sodass die betroffenen Menschen keinen „Grund“ brauchen, um kommen zu dürfen.
Ein offener regelmäßiger Kontakt und Austausch mit dem mitbehandelnden Psychotherapeuten oder der Psychiaterin wäre wünschenswert. Eine Bearbeitung der Fälle, z. B. im Rahmen von Balint-Gruppen, kann hilfreich und entlastend sein.
Sehr klar ist, dass eine medikamentöse Therapie weitgehend sinnlos ist und laut Leitlinie nicht primär erfolgen sollte. Manchmal kann sie kurzfristig, z. B. in Krisen oder im Rahmen der Komorbidität, sinnvoll sein. Wichtig ist, eine psychotrope Polypharmazie zu vermeiden. Die betroffenen Menschen konsultieren meist mehrere Praxen parallel, was das Problem der
Polypharmazie verschärft. Ein
Doktor-Shopping sollte thematisiert und möglichst eingeschränkt werden. Die Verordnung von Psychopharmaka sollte nach Möglichkeit begrenzt oder beendet werden. Es erscheint wichtig, gegenüber den betroffenen Menschen offen und proaktiv mit der Diagnose umzugehen. In Infobox
2 geben Dubovsky und Kiefer zehn nützliche Hinweise zum Umgang mit BPS in der hausärztlichen Praxis [
8].
Prognose
Sind Persönlichkeitsstörungen heilbar? Den Persönlichkeitsstörungen haftet der Ruf der Unheilbarkeit an. Das stimmt so nicht. Dieses Vorurteil ist der Grund für Diskriminierung und Unterversorgung dieser Menschen. Ja, es ist schwer, Persönlichkeiten bzw. deren Verhalten zu ändern. Aber man kann lernen, mit den Schwierigkeiten der eigenen Persönlichkeit und mit denen der anderen besser umzugehen. Viele unserer Verhaltensweisen folgen Mustern, deren wir uns selbst gar nicht bewusst sind. Ein Bewusstsein für diese Muster zu entwickeln, ist der erste Schritt der Verbesserung des Verhältnisses auf beiden Seiten der Beziehung.
Für die BPS gibt die Leitlinie an, dass unter spezifischer Psychotherapie etwa ein Drittel nach einem Jahr eine
Remission erreicht hat. Ein weiteres Drittel braucht zwei Jahre, der Rest länger. Remission bedeutet jedoch nicht, dass die betroffenen Menschen alle Sorgen los sind, sondern lediglich, dass Suizidalität und Selbstverletzungen stark abgenommen haben. Das
Älterwerden wirkt sich ebenfalls günstig aus. Immer mehr erreichen immer längere Zeiten von Remissionen bezüglich ihrer Symptome. Die Rate der erfolgreichen Suizide nimmt hingegen nicht ab. Ein völlig falsches Vorurteil ist:
„Die ritzen ja nur und bringen sich nicht um“. Etwa die Hälfte der Menschen unter 35, die sich erfolgreich das Leben nehmen, haben eine Persönlichkeitsstörung [
28]. Insgesamt ergeben diese Befunde dennoch zumindest eine vorsichtig positive Prognose.
Ausblick
Menschen mit Persönlichkeitsstörungen erfahren viel Ablehnung, auch in hausärztlichen Praxen. Sie wünschen sich jedoch Anerkennung und Zuwendung. Der US-amerikanische Arzt Francis W. Peabody schrieb 1927: „… das Geheimnis in der Versorgung von Patienten ist es, sich um sie zu kümmern“. Die Zuwendung, oft entgegen dem eigenen Reflex der Ablehnung, und das „Sichkümmern“ sind für den Umgang mit diesen Menschen wesentlich.
Die Betreuung von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen ist in besonderem Maße eine Aufgabe für das gesamte Praxisteam. Wir hoffen, dass wir diesen Artikel so geschrieben haben, dass er auch für interessierte medizinische Fachangestellte zugänglich und hilfreich sein kann. Sowohl „Menschen mit Persönlichkeitsstörungen in der Praxis“ einmal grundsätzlich zum Thema interner Fortbildung zu machen, als auch in diesem Rahmen gemeinsam einzelne Patientinnen und Patienten vorzustellen und zu besprechen, könnte dem Praxisteam wie auch diesen Patientinnen und Patienten im Umgang miteinander helfen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.