Methoden zur Erhebung von Pollendaten
Zur Messung von Pollen in der Außenluft stehen bis dato im Wesentlichen zwei Methodenprinzipien zur Verfügung, passive und aktive volumetrische.
Passive Methoden beruhen auf der Sedimentation von Pollen. Sedimentierende Pollen werden auf beschichteten Flächen gesammelt und anschließend durch Pollenanalysten mikroskopisch untersucht und ausgezählt. Geräte, die auf der Basis dieser Methodik arbeiten, werden als Passivsammler bezeichnet, ein gängiger Vertreter ist z. B. die Durham-Falle [
21]. Passivsammler sind preiswert in der Herstellung und leicht handhabbar. Diesen Vorteilen stehen folgende Nachteile gegenüber: (a) Bias zu schwereren Pollen, (b) geringe Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Gerätevertretern, (c) keine volumenbezogenen Messungen und (d) keine Echtzeitmessungen. Aufgrund der Vorteile wurden und werden Passivsammler weltweit vor allem in Studien eingesetzt [
22]. In Pollenmessnetzen zur routinemäßigen Erfassung der Hintergrundbelastung finden sie aufgrund der erwähnten Nachteile kaum Verwendung [
23].
Aktive volumetrische Methoden beruhen auf dem aktiven Ansaugen eines definierten Luftvolumens und der Impaktion, d. h. der Abscheidung, von Pollen aus dem Ansaugvolumen. Aufgrund ihrer aktuellen Relevanz werden im Folgenden volumetrische Geräte nach dem Hirst-Prinzip und volumetrische Geräte mit automatischer Pollenanalyse detaillierter vorgestellt.
Bei volumetrischen Geräten nach dem Hirst-Prinzip, sogenannten Hirst-Typ-Fallen, wird ein definierter Luftstrom (10 l/min, entspricht in etwa dem Atemminutenvolumen eines erwachsenen Menschen) über eine Fangtrommel auf eine haftende Folie geführt. Die beiden seit vielen Jahren kommerziell erhältlichen Vertreter dieses Gerätetyps sind die sogenannte Burkard- und die Lanzoni-Falle, jeweils benannt nach den Namen der Herstellerfirmen [
24‐
26]. Nach der manuellen Präparation der Folie erfolgt die lichtmikroskopische Analyse der Foliensegmente durch Pollenanalysten. Die fachgerechte Pollenmessung mit Hirst-Typ-Fallen ist in der Richtlinie VDI 4252 Blatt 4 sowie in Kürze in dem auf europäischer Ebene erarbeiteten Standard DIN EN 16868 festgeschrieben [
2,
27]. Der Zeitaufwand für die Präparation einer Folie beträgt ca. 45–60 min, der Zeitaufwand für die Auszählung von 7 Pollenarten pro Tag ca. 20–30 min. Damit sind die Pollendaten eines Tages frühestens am Vormittag des Folgetages verfügbar. Theoretisch wäre ein mehrmaliges Präparieren und Auswerten pro Tag möglich, aus Zeit- und Kostengründen ist dieses Herangehen aber kaum praktizierbar.
Volumetrische Geräte mit automatischer Pollenanalyse, sogenannte Pollenvollautomaten, sind seit einigen Jahren kommerziell erhältlich. Sie lassen sich nach der Analysemethodik unterscheiden in Geräte mit Echtzeitlasermessung und Geräte, die mit Bilderkennungssoftware arbeiten [
28]. Pollenvollautomaten bieten gegenüber den volumetrischen Geräten nach dem Hirst-Prinzip vor allem den Vorteil der Echtzeitmessung von Pollen (Wegfall der zeitaufwendigen manuellen Präparation und Analyse), bisherige Nachteile sind die fehlende Standardisierung und Analysefehler (Größenordnung vergleichbar mit dem von Hirst-Typ-Fallen; [
29,
30]). In Deutschland sind derzeit vor allem zwei Geräte in den Fokus des Interesses gerückt, der Pollenvollautomat BAA 500, der mit Bilderkennungssoftware arbeitet [
31], und der Pollenvollautomat Rapid-E, dessen Messprinzip auf Echtzeitlasermessung beruht [
32]. Der BAA 500 kommt im Elektronischen Polleninformationsnetzwerk Bayern (ePIN) zum Einsatz, der Rapid-E wird derzeit vom Deutschen Wetterdienst (DWD) getestet (Details siehe unten).
Um dem Problem der fehlenden Standardisierung von Pollenvollautomaten und damit der fehlenden Vergleichbarkeit von Automatendaten frühzeitig begegnen zu können, hat sich im Jahr 2017 innerhalb des „European Meteorological Services Network“ (EUMETNET), einem europäischen Interessen- und Dachverband, dem gegenwärtig 26 nationale Wetterwarndienste angehören, das Programm „AutoPollen“ formiert [
33], in dem auch der DWD, das LGL und das Zentrum Allergie und Umwelt (ZAUM), Technische Universität München und Helmholtz Zentrum München, mitarbeiten.
Hinsichtlich der Methodenstandardisierung fehlt für Pollenmessungen unabhängig von der verwendeten Methodik bisher ein sogenannter Goldstandard, d. h. die Möglichkeit des Mitführens von Luftproben definierter Pollenkonzentration. Dadurch lassen sich Geräte derzeit nur gegeneinander, nicht aber gegen Standardproben vergleichen. Möglicherweise werden Allergenexpositionskammern dieses Problem lösen können [
34].
Pollenmessnetze anderer europäischer Staaten
Die Pollenmessnetze Finnlands, Frankreichs, Großbritanniens, Österreichs und der Schweiz weisen untereinander und im Vergleich mit Deutschland sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf. Unterschiede finden sich z. B. in der Finanzierung und der Verwaltung, der Anzahl der Messstellen, der Datenaufarbeitung und der Datenausgabe.
Die Schweiz ist der einzige der sechs oben genannten Staaten mit einem öffentlich finanzierten und öffentlich verwalteten Messnetz. Es ist beim Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie der Schweiz, MeteoSchweiz, angesiedelt. In den anderen Staaten finden sich unterschiedliche Finanzierungs- und Verwaltungsstrukturen, ihnen gemeinsam ist jedoch die deutliche Unterfinanzierung der Messnetze. Frankreich ist das einzige der sechs Länder mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Messung luftgetragener biologischer Partikel, allerdings ohne Festlegung eines damit verbundenen Finanzbudgets.
Die Messstationen aller sechs Staaten arbeiten derzeit routinemäßig mit Hirst-Typ-Fallen (zur Austestung von Pollenvollautomaten in der Schweiz siehe unten). Vergleichbar mit Deutschland erfolgen die Probenaufbereitung und Auszählung der Pollen in Großbritannien und Österreich dezentral in jeder Messstation, während Finnland, Frankreich und die Schweiz zentral aufarbeiten und auszählen lassen. Als Gründe für die zentrale Aufarbeitung wurden die damit verbundene Kostenreduktion bzw. eine bessere Vergleichbarkeit der Daten genannt.
Vergleichbar mit Deutschland gehen die Daten in Finnland, Großbritannien und der Schweiz in eine numerische bzw. semiquantitative Pollenflugvorhersage ein. Im Gegensatz dazu geben Frankreich und Österreich ein sogenanntes Allergierisiko aus. In Frankreich gehen in die Berechnung des „Allergierisikos aufgrund von Pollenexposition“ neben Pollendaten, phänologischen Daten und Wetterdaten klinische Daten praktizierender Ärzte ein [
48]. In Österreich werden für die Ausgabe des Allergierisikos neben Pollen- und Wetterdaten „chemische Wetterdaten wie Luftverschmutzungs- bzw. Luftqualitätsparameter (Ozon, Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Feinstaub) berücksichtigt“ [
49].
Parallel zu ihrem Routinemessnetz mit Hirst-Typ-Fallen wird die Schweiz in den kommenden vier Jahren (2019–2022) den landesweiten Einsatz von Pollenvollautomaten (Rapid-E) testen. Der Einsatzphase gingen Testungen verschiedener Automatentypen und eine Studie zu den sozioökonomischen Vorteilen von Echtzeitpollendaten voraus [
17].
Gesetzliche Rahmenbedingungen in Deutschland
Wären Pollen Luftverunreinigungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG), müssten sie vergleichbar zu Luftverunreinigungen wie Feinstaub oder Stickstoffdioxid verpflichtend routinemäßig gemessen werden.
Zweck des BImSchG ist es, u. a. Menschen „vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen“ (BImSchG, § 1, Abs. 1; [
50]). Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG sind unter anderem Luftverunreinigungen. Diese sind definiert als „Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch … Aerosole …“, wobei der Begriff „Aerosole“ Bioaerosole einschließt (BImSchG, § 3, Abs. 4; [
50]). Pollen sind Bioaerosole, allerdings ist der überwiegende Anteil der Pollenemissionen natürlichen Ursprungs und nicht anthropogen bedingt. Damit fallen Pollen eher nicht in den Geltungsbereich des Bundes-Immissionsschutzgesetzes mit der Folge, dass in Deutschland derzeit keine gesetzliche Verpflichtung zur Messung von Pollen besteht.
Eine gesetzliche Grundlage für die (verpflichtende) Messung von Pollen ist aber nicht zwingend erforderlich. Zum einen können sowohl der Bund als auch die Länder durch Rechtsverordnungen festlegen, dass über die im Bundes-Immissionsschutzgesetz bzw. die in der 39. Bundes-Immissionsschutzverordnung geregelten Stoffe hinaus weitere Stoffe in der Umgebungsluft gemessen werden müssen (Festlegung einer sogenannten Messverpflichtung). Zum anderen dürfen sowohl der Bund als auch die Länder auch ohne Rechtsverordnung messen (keine Sperrwirkung durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz).
Möglichkeiten eines verlässlichen bundesweiten Pollenmessnetzes
Zukunftsvorstellungen der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst
Ihre zukünftigen Aufgaben sieht die Stiftung Deutscher Pollenformationsdienst (a) im Messen von Pollen, (b) im E‑Health-Bereich, (c) in der Bearbeitung wissenschaftlicher Fragestellungen und (d) in der Öffentlichkeitsarbeit.
Das bestehende Pollenmessnetz zur Erfassung der Hintergrundbelastung sollte zukünftig aus mindestens 30 manuellen Pollenfallen ergänzt durch 5–7 Pollenvollautomaten bestehen (Hybridmessnetz), die die Hintergrundbelastung für alle Regionen Deutschlands abbilden. Die Pollendaten sollten in Vorhersagemodelle (Stichwort SILAM = „System for Integrated modeLling of Atmospheric coMposition“ [
51]) eingespeist werden. Ergänzend zur Messung der Hintergrundbelastung sollten Techniken zur Messung der individuellen Pollenbelastung weiterentwickelt werden [
45].
Im E‑Health-Bereich werden die Schwerpunkte auf der Zusammenführung von Pollendaten mit Symptomdaten, soziodemografischen Daten, Daten zur Luftqualität und evidenzbasierten individuellen Therapiehinweisen (Stichworte Pollen App 5.0, Pollen App 6.0), in der Förderung der Patientenselbsthilfe durch e‑health-unterstützte Patientenaktivierung (siehe evidenzbasierte Ergebnisse für die Allergie-App „Husteblume“ [
52]) und in der Einbindung von Google-Daten in die Vorhersage pollenassoziierter Beschwerden und deren Therapie [
53] liegen.
Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben benötigt die Stiftung finanzielle Unterstützung über ihren aktuellen Haushalt hinaus. Insbesondere der Arbeitsbereich Pollenmessnetz kann mit den derzeitigen Mitteln weder adäquat fortgeführt noch weiterentwickelt werden. Dies beinhaltet zum einen die angemessene Bezahlung der Analysetätigkeit an den Messstellen und zum anderen die Erweiterung des bestehenden Messnetzes um eine entsprechende Anzahl an Pollenvollautomaten.
Ideen des DWD zu einem bundesweiten Automatenmessnetz
Pollendaten sind eine der vier Säulen, auf denen die Pollenflugvorhersage des DWD aufgebaut ist (siehe oben). Vor dem Hintergrund der systembedingten geringen zeitlichen Auflösung und zeitlichen Verzögerung der Bereitstellung von Pollendaten unter Verwendung von Hirst-Typ-Fallen beteiligt sich der DWD seit Jahren an der Eignungsprüfung von Pollenvollautomaten. Aktuell erprobt er an seinem Standort Freiburg den Pollenvollautomaten Rapid-E (siehe oben). Sollte sich das Gerät hinsichtlich bestimmter Qualitätskriterien wie Reproduzierbarkeit, Präzision und Sensitivität als geeignet für die routinemäßige Messung von Pollen erweisen, plant der DWD das Aufstellen von Rapid-E-Geräten an weiteren DWD-Standorten. Aktuelle Überlegungen priorisieren Hintergrundmessstellen im urbanen Raum, um eine möglichst große Anzahl Betroffener mit Pollenfluginformationen und -vorhersagen zu erreichen.
Modellcharakter von ePIN
Das Elektronische Polleninformationsnetzwerk Bayern wird derzeit in Bayern im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (StMGP) durch das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Kooperation mit dem Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) und mit Unterstützung durch das Zentrum Allergie und Umwelt, Technische Universität und Helmholtz Zentrum München, aufgebaut [
54,
55]. Die Besonderheiten von ePIN sind:
-
weltweit erstmalig flächendeckender Einsatz von Pollenvollautomaten (BAA 500) für die Bereitstellung von Echtzeitpollendaten (8 Pollenvollautomaten, ergänzt durch 4 manuelle Pollenfallen; [
54]),
-
systematische Ermittlung der notwendigen Anzahl und Lokalisation der Messstellen [
29,
55],
-
öffentliche Finanzierung und öffentliche Verantwortlichkeit [
54] und damit
-
kostenfreie Verfügbarkeit der Pollendaten entsprechend dem Umweltinformationsgesetz [
56].
Die Ziele von ePIN liegen (a) in der Verbesserung der Pollenflugvorhersagen des DWD und anderer meteorologischer Anbieter (keine eigenen Vorhersagen) durch Echtzeitpollendaten von systematisch ausgewählten, repräsentativen Messstandorten und (b) in der Förderung des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns im Bereich Allergologie, Aerobiologie und Klimatologie.
Aufgrund der Besonderheiten und Ziele von ePIN hat das Netzwerk Modellcharakter sowohl für das gesamte Bundesgebiet als auch über Deutschland hinaus.