Wenn Totgesagte wieder erwachen

Nach einem Herzstillstand können Ärzte zwar recht gut die Prognose abschätzen, manchmal liegen sie aber auch komplett daneben. Empfehlungen zum Stopp lebenserhaltender Maßnahmen sollten daher gut überlegt sein. Es gibt immer wieder Aufsehen erregende Fälle von Patienten mit Herzstillstand, die allen ungünstigen ärztlichen Prognosen zum Trotz doch noch aus dem Koma erwachen und sich wieder erholen. Zwar geschieht dies äußerst selten, doch wenn es passiert, fördert es nicht gerade die Zuversicht in das ärztliche Urteilsvermögen. Vor allem nicht, wenn die Totgesagten nur Dank sturer Angehörigen am Leben bleiben, weil diese einen Abbruch der medizinische Versorgung strikt ablehnen. Zweifel, ob die bisherigen Prognosealgorithmen ausreichen, haben auch Neurologen und Chirurgen um Dr. Sachin Agarwal von der Columbia-Universität in New York. In einer retrospektiven Analyse von Patienten ihrer Klinik hatten die Ärzte mit ihren Prognosen zwar meistens Recht, doch zweimal erholten sich auch hier Patienten, welche die Spezialisten bereits aufgegeben hatten. Analysiert hatte das Team um Agarwal Angaben zu 385 Patienten, die zwischen 2008 und 2015 aufgrund eines Herzstillstands auf die Intensivstationen der Uniklinik gekommen waren. Bei 72% erfolgte eine Diskussion von Ärzten und Angehörigen über die Behandlungsziele, Prognose und Weiterführung der Behandlung. Bei den übrigen 28% war das nicht nötig, weil sie entweder rasch starben oder schnell wieder aus dem Koma erwachten. Knapp 31% überlebten den Herzstillstand. Die meisten Überlebenden erholen sich schnell Von den Überlebenden waren 67 (57%) rasch nach dem Herzstillstand wieder bei Bewusstsein – bei diesen Patienten waren keine Diskussionen über Behandlungsziele nötig. 20 Überlebenden (17%) hatten die Ärzte eine relativ gute Prognose attestiert – sie hatten in diesen Fällen für eine maximalmedizinische Weiterbehandlung plädiert. 24 (20%) überlebten, weil die Angehörigen trotz schlechter Prognose für eine Weiterbehandlung gestimmt hatten. Von diesen zeigten zwei Patienten (8%) sowohl bei der Klinikentlassung als auch nach einem Jahr ein gutes bis sehr gutes neurologisches Ergebnis: Der Wert auf der fünfstufigen Cerebral Performance Categories Scale (CPC) lag bei 1–2, sie hatten also nur geringe oder gar keine neurologischen Defizite. Deutlich höher war erwartungsgemäß der Anteil von Patienten mit gutem neurologischem Ergebnis in der Gruppe derer, denen die Ärzte eine gute Prognose bescheinigt hatten: Er betrug hier 30% bei der Entlassung und 40% ein Jahr nach dem Ereignis. Tod in instabiler Situation Immerhin sechs Patienten erholten sich, obwohl ihnen Ärzte und Angehörige keine Chancen mehr gegeben und die lebenserhaltenden Maßnahmen abgebrochen hatten. Von diesen hatte ein Jahr später aber keiner mehr einen CPC-Wert von 1 oder 2. 48% der Patienten starben, nachdem ihnen die Ärzte lebenserhaltende Maßnahmen entzogen oder nicht gewährt hatten. In der Regel lag hier eine DNR- oder DNI-Anordnung* vor. Meist starben die Betroffenen in einer hämodynamisch instabilen Situation, etwa aufgrund einer kritischen Hypotonie. Hier wären weitere intensivmedizinische Maßnahmen für den Lebenserhalt nötig geworden. Die Ärzte um Agarwal ziehen aus den Resultaten zwei wichtige Schlüsse: Sehen die Ärzte noch Chancen für eine gute Erholung, sind die Aussichten gar nicht so schlecht. Immerhin 30–40% überleben dann ohne größere neurologische Schäden. Sehen sie schwarz, haben die Patienten tatsächlich nur geringe Chancen auf eine gute Erholung, wenn sie auf Wunsch der Angehörigen am Leben bleiben. Aber bei jedem Zwölften liegen sie mit ihrer ungünstigen Einschätzung daneben. „Dies legt den Schluss nahe, dass unsere derzeitigen prognostischen Algorithmen einige Patienten mit Erholungspotenzial übersehen“, konstatieren Agarwal und Mitarbeiter. *Abkürzungen DNR: Do Not Resusciate DNI: Do Not Intubate

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