Kein Überlebensvorteil durch Therapieprotokoll nach Rivers

Der septische Schock hat eine hohe Mortalität und erfordert rasches Eingreifen. Die protokollbasierte „Early Goal Directed Therapy (EGDF) nach Rivers versprach lange, eine gute Strategie zu sein. Eine aktuelle Studie spricht erneut dagegen. Gilt die EGDF als obsolet? Fragestellung Wie effektiv ist eine protokollbasierte, bereits in der Notaufnahme innerhalb der ersten 6 Stunden initiierten „early goal directed therapy (EGDF)“ bei Patienten mit septischem Schock? Hintergrund Der septische Schock ist in der Intensivmedizin ein häufiges Krankheitsbild mit hoher Mortalität. Neben der Fokussanierung und der adäquaten antimikrobiellen Therapie kommt vor allem der Volumensubstitution und ggf. Gabe vasoaktiver Substanzen eine zentrale Bedeutung zu. Vor vielen Jahren wurde der Nutzen einer protokollbasierten, bereits in der Notaufnahme innerhalb der ersten 6 Stunden initiierten „early goal directed therapy (EGDF)“ durch Rivers und Mitarbeiter in einer monozentrischen Studie dargelegt [1]. Zielparameter des hämodynamischen Managements stellten dabei insbesondere der zentralvenöse und der mittlere arterielle Druck, die zentralvenöse Sättigung sowie eine ausreichenden Diurese und der Abfall des Serumlaktats dar. Demgegenüber konnte in den zwei im letzten Jahr veröffentlichten multizentrischen Studien (ProCESS und ARISE) [2, 3] durch diese frühe standardisierte, zielorientierte Therapie kein Überlebensvorteil erreicht werden. Mit Spannung wurden jetzt die Ergebnisse der britischen multizentrischen ProMISe-Studie erwartet. Patienten und Methoden In 56 teilnehmenden Kliniken wurden im Zeitraum von Februar 2011 bis Juli 2014 Patienten mit vermuteter Infektion, mindestens zwei SIRS-Kriterien und einer volumenrefraktären Hypotonie oder Laktaterhöhung 1:1 in die EGDT- bzw. Kontrollgruppe (usual care [UC]) randomisiert. Der primäre Endpunkt war die 90-Tages Mortalität, darüber hinaus wurden zahlreiche sekundär Endpunkte erfasst. Zudem erfolgte auch eine Kostennutzenanalyse. Ergebnisse Über 87% der Patienten der EGDT-Gruppe erhielten einen zentralvenösen Katheter zur Messung der zentral-venösen Sättigung sowie durchschnittlich mehr Flüssigkeit, Katecholamine und Bluttransfusionen bei gleichzeitig längerem Intensivaufenthalt. Von 1243 in die Analyse eingehenden Patienten verstarben innerhalb 90-Tagen 29.5% in der EGDT-Gruppe und 29.2% in der UC-Gruppe. Ebenso ergaben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede in den sekundären Endpunkten wie „Lebensqualität“ oder „unerwünschte Ereignisse“ während sich in der EGDT ein erhöhter Kostenaufwand ergab. Kommentar von Professor Budweiser "Große klinische Relevanz für Pneumologen" Prof. Dr. med. Stephan Budweiser, Rosenheim Springer Medizin × Die Tatsache, dass der häufigste Ausgangspunkt für die Sepsis bzw. den septischen Schock auch in dieser Arbeit - wie erwartet - die Lunge ist, unterstreicht, dass dieses Krankheitsbild speziell für den Pneumologen große klinische Relevanz besitzt. Diese Studie bestätigt die Ergebnisse ähnlicher Studien, die im vergangenen Jahr publiziert wurden (ProCESS, ARISE). Demnach bringt die EGDT, d.h. die von Rivers und Mitarbeitern propagierte frühe zielgerichtete Therapie, insbesondere die zusätzliche Messung von zentralem Venendruck und zentral-venöser Sättigung einschließlich der darin zur Therapiesteuerung verwendeten Grenzwerte, keinen Überlebensvorteil. Vielmehr war dieses Konzept in dieser Studie, vermutlich dem höheren apparativen-technischen Aufwand entsprechend, auch mit einem längeren Intensivaufenthalt und höheren Kosten verbunden, ohne dass es auch im Verlauf zu wahrnehmbaren Vorteile für den Patienten gekommen wäre. Gleichzeitig führte die EDGT auch dazu, dass die Patienten vergleichsweise mehr Flüssigkeit, mehr vasoaktive Substanzen und mehr Blutprodukte erhielten. Die Studie darf allerdings nicht zu der Schlussfolgerung verleiten, dass Patienten mit Sepsis bzw. septischen Schock nicht einem umgehendem Management und einer individualisierten Therapie bedürfen. Tatsächlich deutet die relativ niedrige Mortalität in beiden Behandlungsarmen auch daraufhin, dass sich das Management der Patienten in den letzten 15 Jahren insgesamt verbessert hat. Dies zeigt sich auch darin, dass es Bestandteil des Studienprotokolls war, die antibiotische Therapie bereits vor Randomisierung zu applizieren. Darüber hinaus erhielten fast alle Patienten in beiden Gruppen bereits vor Studieneinschluss ca. 2000 ml Flüssigkeit. Allerdings darf auch nicht übersehen werden, dass die Patienten der Rivers-Studie kränker (z.B. höherer APACHE-II Score, höheres Serumlaktat und niedrigere zentral-venöses Sättigung) waren. Da auch in die ProCESS- und ARISE-Studie durchschnittlich Patienten mit weniger schwerem Krankheitsbild eingeschlossen wurden, kann der fehlende Benefit der EGDT streng genommen nicht auch auf Patienten mit schwerstem septischen Schock übertragen werden. Interessant wäre auch zu wissen, wie die behandelnden Ärzte in dieser Studie die Volumengabe bzw. das hämodynamische Management in der Kontrollgruppe letztlich gesteuert haben. Vermutlich dürften neben der klinischen Einschätzung v.a. sonografische bzw. echokardiografische Verfahren zum Einsatz gekommen sein (z. B. Füllungszustand es rechten Ventrikels oder der V. cava), die heutzutage auf Intensivstation vermutlich flächendeckend zur Verfügung stehen und auch im Alltag gar nicht mehr verzichtbar erscheinen. Nicht unberücksichtigt bei der Interpretation der Daten darf auch sein, dass in erster Linie versierte bzw. erfahrene Zentren für die Studie ausgewählt sein dürften, was sich letztlich in einer durchschnittlichen Intensivverweildauer von nur gut 2 Tagen widerspiegelte. Wenn auch das Konzept der EGDT und die darin enthaltenen Parameter und Grenzwerte in der modernen Intensivmedizin nunmehr als überholt angesehen werden muss, und dies auch bald in die internationalen Leitlinien der Surviving Sepsis Campaign eingehen wird, muss die Sepsis und der septische Schock weiterhin als internistischer Notfall gewertet werden, der immer ein umgehendes, frühzeitiges und umfassendes Management und eine kontinuierliche Therapiesteuerung benötigt. Literatur [1] Rivers et al. Early Goal-directed therapy in the treatment of severe sepsis and septic shock. N Engl J Med 2001; 345(19): 1368-1377 [2] The ProCESS Investigators. A randomized trial of protocol-based care forearly septic shock. N Engl J Med 2014; 370: 1683-93. [3] The ARISE Investigators and the ANZICS Clinical Trials Group. Goal-directed resuscitation for patients with early septic shock. N Engl J Med 2014; 371: 1496-506.

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