Ein 3‑jähriges Mädchen wird in der pädiatrischen Stoffwechselambulanz vorgestellt, da seit einigen Monaten im Rahmen der Sauberkeitsentwicklung dunkle Urinverfärbungen aufgefallen sind. Die ausführliche Abklärung bezüglich einer Porphyrie und Hämaturie führte nicht zur Diagnosestellung. Die beim Kinderarzt abgegebenen Urinproben waren jeweils unauffällig. Im Rahmen der spezifischen Diagnostik zeigten sich eine erhöhte Homogentisatausscheidung im Urin und damit die Diagnosestellung einer Alkaptonurie. Es wurde eine spezifische Therapie eingeleitet, um Gelenkschädigungen durch pathologische Ablagerungen zu reduzieren. Die weitere Prognose bleibt unklar.
Hinweise
Redaktion
Berthold Koletzko, München
Thomas Lücke, Bochum
Ertan Mayatepek, Düsseldorf
Norbert Wagner, Aachen
Stefan Wirth, Wuppertal
Fred Zepp, Mainz
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Anamnese
Ein 3‑jähriges Mädchen wird in der pädiatrischen Stoffwechselambulanz zur weiteren Abklärung von seit einigen Monaten auffälligen Urinverfärbungen vorgestellt. Seit Beginn der Sauberkeitsentwicklung bemerkten die Eltern wiederholt eine Rot- bzw. Braunfärbung der Unterwäsche des Mädchens. Initial waren eine Abklärung bezüglich einer Hämaturie sowie wiederholte orale antibiotische Behandlungen bei V. a. Harnwegsinfektionen erfolgt. Die Urinkulturen blieben jeweils steril; in den Urinstreifentests konnte jeweils keine signifikante Hämaturie oder Hämoglobinurie nachgewiesen werden. Darüber hinaus waren die Urinproben beim Kinderarzt jeweils makroskopisch unauffällig. Insgesamt bestanden eine Obstipationsneigung und die gelegentliche Angabe von Bauchschmerzen ohne klare Assoziation zu den auffälligen Urinbefunden. Eine erweiterte Abklärung in Speziallaboren bezüglich einer Porphyrie ergab unspezifische bzw. unauffällige Befunde.
Klinischer Befund
Das 3‑jährige Mädchen zeigte sich zurückhaltend, in bestem Allgemeinzustand, interagierte adäquat mit dem Untersucher. Folgende Messwerte wurden initial erhoben: Ein Körpergewicht von 17,9 kg (80. Perzentile), eine Länge von 98 cm (20. Perzentile) und ein Kopfumfang von 47 cm (80. Perzentile), Körpertemperatur 37,1 °C, Blutdruck 110/75 mm Hg. Der internistisch-pädiatrische sowie pädiatrisch-neurologische Untersuchungsbefund waren unauffällig, insbesondere kein Herzgeräusch, pulmonal keine Hinweise auf lokale Minderbelüftungen oder relevante Atemwegsobstruktionen, abdominell unauffälliger Befund. Sonographisch keine Auffälligkeiten, insbesondere normale Anatomie der ableitenden Harnwege und keine Hinweise auf Konkremente. Auffälligkeiten des Integuments, insbesondere der Ohrknorpel und Gehörgänge, fanden sich nicht. Bei der Ohrinspektion auffällig hingegen erschien dunkel verfärbtes Cerumen.
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Laborbefunde
Laborchemisch ausgeglichene Serumelektrolyte, Transaminasen und Nierenretentionsparameter. Unauffälliges Blutbild mit unauffälliger Differenzierung (Leukozyten 7,5 Gpt/l [Ref. 5,5–15,5], Hämoglobin 11,8 g/dl [Ref. 11,1–14,3], Lymphozyten abs. 3,32 Giga/l [Ref. 2,0–7,8]). Die Streifenuntersuchung des Urins ergab unauffällige Ergebnisse (insbesondere keine Hämaturie und keine Leukozyturie) sowie makroskopisch eine unauffällige gelbliche Farbe (Abb. 1links). Die Proteinuriediagnostik ergab darüber hinaus keine Auffälligkeiten.
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Erweiterte Anamnese und Diagnose
Im Rahmen der erweiterten Anamnese wurde auf explizite Nachfrage von den Eltern angegeben, dass bereits als Säugling vereinzelt eine Braunfärbung der Windeln aufgefallen war, was jedoch damals auf die Qualität der Windeln zurückgeführt wurde und im weiteren Verlauf nicht weiter beachtet wurde. Die Urinfärbung im zeitlichen Verlauf ist in Abb. 1 dargestellt. Aufgrund der typischen Anamnese erfolgte eine Analyse der organischen Säuren im Urin, hier zeigten sich eine deutliche Erhöhung der Homogentisinsäure bis max. 5292 mmol/molKrea [Ref. 0–1] und damit der dringende Verdacht auf das Vorliegen einer Alkaptonurie. Die molekulargenetische Analyse ergab eine homozygote Mutation (c.157del, p.(Ser59Alafs*52)) im codierenden Bereich der Homogentisat‑1,2‑Dioxygenase (HGD-Gen) und damit die definitive Diagnosestellung.
Therapie und Verlauf
Bereits bei Erstvorstellung wurde bei dringendem Verdacht und negativen Befunden der ausführlichen Porphyriediagnostik eine multimodale Behandlung initiiert. Einerseits erfolgten eine Diätberatung zur Eiweiß-, insbesondere phenylalanin- und tyrosinreduzierten, Diät sowie eine spezifische Medikation mit Nitisinon (Orfadin®, 2 mg tägl. p.o.) und Ascorbinsäure (100 mg tägl. p.o.). Die Medikation wurde ohne relevante Nebenwirkungen vertragen; im weiteren Verlauf zeigte sich bereits nach wenigen Wochen unter der Therapie die Homogentisatausscheidung deutlich rückläufig.
Diskussion
Die Alkaptonurie gehört mit einer Prävalenz von maximal 9/100.000 zu den seltenen Differenzialdiagnosen einer auffälligen Urinverfärbung. Im geschilderten Fall besonders eindrücklich ist die Dunkelfärbung des Urins erst binnen Stunden und Tagen unter Kontakt zur Raumluft durch Oxygenierung der Homogentisinsäure (HGA) zu ihrem dunkel gefärbten Oxidationsprodukt Benzochinonacetat (BQA). Üblicherweise ist dies bereits durch die Schwarzfärbungen der Windel im Säuglingsalter auffällig. Durch die zunehmende Verwendung von Einmalwindeln, die häufig gewechselt und dann entsorgt werden, scheint die eigentlich krankheitsdefinierende Symptomatik nicht frühzeitig bemerkt zu werden. Somit wird die Diagnose ins Kleinkindalter verschoben. Langfristig wird das entstehende BQA zu ochronotischem Pigment umgewandelt, welches sich in verschiedenen Geweben ablagert und, durch nicht vollumfänglich verstandene Pathomechanismen (u. a. durch reaktive Sauerstoffspezies und Entzündungsreaktionen), zu Schädigungen an verschiedenen Organen führt [1]. Typische Symptome sind ab dem 3. Lebensjahrzehnt dunkle Verfärbungen an Skleren und Ohrknorpel sowie Bildung von Nierensteinen. Die größte Krankheitslast entsteht durch invalidisierende Gelenkzerstörung der großen Gelenke und Wirbelsäule (ochronotische Arthropathie). Darüber hinaus sind Sehnen- und Bänderrisse nach Bagatelltraumen krankheitstypisch [2, 3].
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Die frühzeitige Diagnosestellung ist insofern relevant, da ein Therapiekonzept besteht, das zumindest nahelegt, die Entstehung von HGA und damit die pathologischen und krankheitsverursachenden Ablagerungen von BQA langfristig reduzieren zu können. Therapeutisch wird versucht, durch Eiweißreduktion (insbesondere wenig Phenylalanin und Tyrosin) wenig HGA entstehen zu lassen. Durch spezifische Hemmung der 4‑Hydroxyphenylpyruvat-Dioxygenase durch Nitisinon (NTBC, Orfadin®) wird darüber hinaus die Bildung von HGA inhibiert [4]. Zusätzliche Applikation von Vitamin C reduziert außerdem die Umwandlung von HGA in BQA und damit die krankheitsverursachenden Ablagerungen.
Eine isolierte diätetische Behandlung ist weitgehend ineffektiv und entsprechend als isolierte Therapiemaßnahme obsolet. Gleiches gilt auch für die Gabe von Vitamin C. Die Therapie mit NTBC ist dagegen biochemisch sehr effektiv [5]. Hierbei muss erwähnt werden, dass die Zulassung von NTBC sich auf Erwachsene mit Alkaptonurie beschränkt. Da jedoch ein früherer Therapiebeginn durchaus prognostisch relevant erscheint, erfolgt die Behandlung im geschilderten Fall nach Aufklärung der Eltern „off label“. Die therapeutischen Optionen sind in Abb. 2 zusammengefasst. Ob durch einen frühzeitigen Therapiebeginn eine langfristige Verbesserung der Prognose zu erreichen ist, ist jedoch aufgrund der Seltenheit der Erkrankung und des Mangels an spezifischen Langzeituntersuchungen hierzu ungewiss. Obwohl die Anwendung von NTBC die Behandlung der Alkaptonurie revolutioniert hat, kann die Erkrankung bislang nicht vollständig geheilt werden. Weitere denkbare Behandlungsansätze wie eine Enzymersatz- oder Gentherapie bleiben aktuell noch Gegenstand der Forschung [6].
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Fazit für die Praxis
Neben der Abklärung einer Hämaturie und Porphyrie gehört die seltene Differenzialdiagnose einer Alkaptonurie zur Diagnostik bei auffällig dunkelverfärbtem Urin.
Bei der Alkaptonurie besteht wie bei einigen anderen Stoffwechselerkrankungen ein u. U. prognoseverbesserndes Therapiekonzept.
Eine frühzeitige Diagnosestellung ist bei den meisten Stoffwechselerkrankungen prognostisch von Vorteil.
Die klassische Präsentation von seltenen Erkrankungen verändert sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte teilweise durch veränderte Lebensgewohnheiten, was sich durchaus zusätzlich diagnoseverzögernd auswirken kann.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
J. Krämer und S. Krämer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
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