Hohes PTSD-Risiko für ärztliche Geburtshelfer

Fast jeder fünfte im Bereich Gynäkologie/Geburtshilfe tätige Klinikarzt entwickelt nach einem traumatischen Erlebnis am Arbeitsplatz eine klinisch manifeste posttraumatische Belastungsstörung (PTSD). Britische Forscher kritisieren die an vielen Kliniken herrschende mangelhafte Fehlerkultur und die unzureichende Unterstützung nach traumatischen Erfahrungen. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Wenn es bei einer Geburt zu einem unvorhergesehenen Zwischenfall kommt, der dazu führt, dass die Mutter oder das Baby stirbt oder schwere Schäden davonträgt, ist das nicht zuletzt auch für die beteiligten Ärzte eine immense psychische Belastung. In dieser Situation wäre es wünschenswert, dass die Betroffenen die nötige Unterstützung durch Arbeitgeber und Kollegen erfahren, um das Erlebnis verarbeiten zu können. Umfrage mit über 1000 Klinikärzten In der Realität scheint jedoch eher das Gegenteil der Fall zu sein, wie eine Studie aus Großbritannien nahelegt. Von 1095 befragten Assistenz- und Fachärzten im Tätigkeitsbereich Gynäkologie und Geburtshilfe gaben zwei Drittel an, Erfahrungen gemacht zu haben, die sie persönlich als traumatisch empfunden hätten. Empfehlung der Redaktion Prof. Dr. Ekkehard Schleußner 19.11.2018 | DGGG 2018 | Kongressbericht | Nachrichten „Geburtshelfer: second victims im Kreißsaal“ Wenn bei einer Geburt Komplikationen auftreten, kann das auch für die Geburtshelfer traumatisch sein. Was ihnen nach einer schwierigen Geburt hilft, möglichst konstruktiv mit dem Erlebten umzugehen, beschreibt Prof. Ekkehard Schleußner im Videointerview. Davon hatten gut 30% nachweislich Symptome einer PTSD entwickelt. Bei jeweils 18% der Assistenz- und Fachärzte mit traumatischen Erfahrungen waren diese Symptome gemäß der „Impact-of-Event-Skala“ klinisch manifest. Wie Pauline Slade von der Universität Liverpool und ihr Team betonen, traf dies in besonderem Maße für farbige Mitarbeiter und Angehörige ethnischer Minderheiten zu. Ängste im Umgang mit Patientinnen Die Betroffenen berichteten, sie fühlten sich oft den Tränen nahe, traurig und innerlich leer. Das Ereignis habe sich sowohl kurz- als auch langfristig auf ihren persönlichen und beruflichen Alltag ausgewirkt. Vor allem habe es dazu geführt, dass sie Ängste im Umgang mit ihren Patientinnen entwickelten. Ärzte mit PTSD legten der Umfrage zufolge besonders häufig ein vermeidendes oder übertrieben vorsichtiges Verhalten an den Tag, aus Angst, durch ihr Tun könnten sie jemandem in ihrer Obhut schaden. Die Folge war ein Anstieg von Krankmeldungen. Manche hatten sogar daran gedacht, ihre Tätigkeit in der Klinik aufzugeben. Laut Slade et al. berichteten sowohl Auszubildende als auch Gynäkologen mit abgeschlossener Facharztausbildung, dass traumatische Erfahrungen in ihrem Fachbereich nicht genügend anerkannt würden. Generell herrsche eine Kultur, in der es an Unterstützung in solchen schwierigen Situationen mangele. Man werde mit seinen Problemen entweder ignoriert, bekomme flapsige Sprüche zu hören oder erfahre sogar Kritik. Mangelnde Unterstützung als Risikofaktor für PTSD „Das Gefühl, keine Unterstützung zu erhalten, ist ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung einer PTSD“, betonen Slade und Kollegen. Die Forscher sehen einen dringenden Bedarf eines kulturellen Umdenkens, insbesondere im Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe, der so stark auf positive Ergebnisse („ein neues Leben zur Welt bringen“) fokussiert sei. Mit einem Vier-Punkte-Plan wollen die Wissenschaftler dazu beitragen, ein „System der Fürsorge“ zu etablieren. Dazu gehören Fortbildungsangebote an die Mitarbeiter zum Thema Trauma und Selbsthilfe, Entwicklung eines professionellen Unterstützungssystems, welches routinemäßig nach einem schwerwiegenden Ereignis in Kraft tritt, das aber auch von Mitarbeitern bei Bedarf aktiv in Anspruch genommen werden kann, schneller Zugang zu traumaspezifischen Interventionen, im Falle eines schwerwiegenden Ereignisses Überprüfung von Vertrauensrichtlinien, um die adäquate Betreuung der Mitarbeiter sicherzustellen. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie hoch ist der Anteil posttraumatischer Belastungsstörungen bei medizinischem Personal im Bereich Gynäkologie/Geburtshilfe und wie wirken sich diese im beruflichen Alltag aus? Antwort: Zwei Drittel der Befragten hatten traumatische Erfahrungen im Beruf gemacht. Davon zeigten 18% Symptome, die einer klinisch manifesten PTSD entsprechen. Dadurch fühlten sie sich in ihrer Fähigkeit, Patientinnen angemessen zu versorgen, deutlich beeinträchtigt. Bei den Betroffenen dominierte das Gefühl, am Arbeitsplatz keine ausreichende Unterstützung zu erhalten. Bedeutung: Es besteht dringender Bedarf nach einem System, dass die psychologische Betreuung und Unterstützung des medizinischen Personals im Falle eines traumatischen Ereignisses gewährleistet. Einschränkung: Umfrage mit geringem Rücklauf (18%). Dies könnte einerseits am mangelnden Interesse Nicht-Betroffener liegen, andererseits aber auch am Vermeidungsverhalten Betroffener. Empfehlung der Redaktion Gestresster Klinikarzt sitzt auf dem Boden 22.10.2019 | Intensivmedizin | Interview | Online-Artikel Psychosoziale Unterstützung für Ärzte – ohne zu pathologisieren Dramatische Todesfälle, lebensgefährliche Situationen und Behandlungsfehler sind nur einige der Auslöser, die zu akutem psychischen Stress bei Ärzten führen können. Ein Austausch zu diesen Akutsituationen findet selten statt. „Wenn ein Kind im Op. verstirbt, machen wir einfach weiter“, sagt Andreas Schießl. Der Verein PSU-Akut e.V. möchte dies ändern.

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

Hohes PTSD-Risiko für ärztliche Geburtshelfer

Weiterführende Themen

Neu im Fachgebiet Gynäkologie und Geburtshilfe

Hochrisiko-Eingriffe für postoperative Übelkeit

Adjuvante Brustkrebstherapie: Doppelt hält besser

Manche Gestagene können das Risiko für Meningeome erhöhen

Stillende Frauen haben geringeres kardiovaskuläres Risiko

Update Gynäkologie