Alarmzeichen späte Wachstumsretardierung

Lange stand vorwiegend die frühe Wachstumsretardierung vor der 34. Schwangerschaftswoche (SSW) im Fokus des Interesses. Doch die späte Form ist mit einer Prävalenz von 3-5 % deutlich häufiger. Und sie bedeutet eine echte Lebensgefahr für das Ungeborene! Die Ursachen der späten Form der Wachstumsretardierung sind heterogen. Eine Plazentainsuffizienz kann sich beispielsweise aufgrund von Fibrosen oder disseminierten plazentaren Infarkte langsam entwickeln und erst spät hämodynamisch messbar sein oder überhaupt subklinisch bleiben. Weil die Kompensationsmöglichkeiten für den Fötus zu diesem späten Zeitpunkt eingeschränkt sind, ist das Risiko eines intrauterinen Fruchttods oder der Notwendigkeit der intensivmedizinischen Versorgung des Kindes nach Geburt hoch, so Prof. Dr. Karl Oliver Kagan, Tübingen. Für die Abgrenzung der späten Wachstumsretardierung vom konstitutionell kleinen Kind sind neben einem Wachstum unter der 3. Perzentile und einem Schätzgewicht unter der 10. Perzentile mindestens einer der folgenden zusätzlichen Doppler-Kriterien erforderlich [1]: erhöhter Widerstand in der Arteria umbilikalis und/oder erhöhter Widerstand in den Arteriae uterinae und/oder reduzierte cerebroplazentare Ratio (CPR). Die CPR ist definiert als der Quotient aus dem Gefäßwiderstand der A. umbilikalis und der A. cerebri media, für den Normkurven etabliert wurden. Finden sich zusätzlich zur Wachstumsretardierung dopplersonographische Pathologien steigt das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen deutlich gegenüber einer Wachstumsretardierung alleine an. Die Kombination aus Small for gestational age(SGA)-Wachstum, niedriger CPR und erhöhtem Gefäßwiderstand in den Aa. uterinae konnte in einer retrospektiven Kohortenstudie 92,1% des intrauterinen Fruchttods und 85,6% des perinatalen Verlusts (Totgeburt oder Versterben innerhalb der ersten 28 Lebenstage) vorhersagen [2]. „Der stärkste unabhängige Parameter war dabei die niedrige CPR“, betonte Kagan. Optimales Management unklar Bisher haben nur wenige Fachgesellschaften Empfehlungen und Expertenmeinungen für das Management bei später Wachstumsretardierung erstellt. Relativ unstrittig ist laut Kagan, dass bei fehlendem oder reversem enddiastolischen Flow in der A. umbilikalis nach der 34. SSW die zeitnahe Entbindung erfolgen sollte. Welcher Geburtsmodus vorrangig eingesetzt werden sollte, ist unklar. Ohne eine Pathologie in der A. umbilikalis sind laut Kagan wöchentliche sonographische und kardiotokographische (CTG) Kontrollen indiziert, um den Verlauf von Wachstum, Fruchtwassermenge und den Widerständen in der A. umbilikalis, der A. cerebri media und den Aa. uterinae zu verfolgen. Bei auffälligen Befunden werden noch engmaschigere Kontrollen empfohlen, wobei auch die zeitnahe Entbindung erwogen werden muss. Nach der prospektiv-randomisierten DIGITAT-Studie scheint ein abwartendes Procedere unter engmaschiger Überwachung vertretbar [3]. Allerdings basierte die Definition der Wachstumsretardierung in dieser Studie lediglich auf der Biometrie des Kindes, dopplersonographische Parameter, insbesondere der CPR, waren nicht in den Einschlusskriterien enthalten. Nach einer Subgruppenanalyse kamen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die Morbidität in beiden Gruppen nach 38 SSW vergleichbar und insgesamt mild war. Daher empfehlen sie bei Gruppen mit erhöhtem Totgeburtsrisiko eine Entbindung nach der 38. SSW [4]. Bei SGA-Feten fand eine niederländische Kohortenstudie das geringste Risiko hinsichtlich intrauterinen wie perinatalen Mortalität als auch der neonatalen Morbidität bei einer Entbindung in der 38. bis 39. SSW. Individuelle Entscheidungen gefragt Der ideale Entbindungsmodus ist nicht geklärt. Klar ist aber, dass mit zunehmender Aggravierung der Befunde das Risiko für einen intrauterinen Fruchttod und für pathologische Geburtsverläufe bis hin zur Notsectio ansteigt. SGA-Feten haben zudem insbesondere bei niedriger CPR eine geringe Hypoxie-Toleranz. Daher ist das Risiko einer operativen Entbindung oder gar Notsectio aufgrund eines pathologischen CTGs stark erhöht, die Anpassung der intrapartalen Überwachungsdichte obligat. Eine einheitliche Empfehlung zu einer primären Sectio gibt es aber nicht. Der Zeitpunkt und der Modus der Entbindung sollten im Einzelfall nach eingehender Beratung und adäquater Aufklärung bezüglich der Risiken mit den werdenden Eltern bestimmt werden. Weitere Beiträge und Videos vom Gyn Update finden Sie in unserem Dossier. Basierend auf "Pränataldiagnostik" von Prof. Dr. Karl Oliver Kagan (Tübingen), Gyn Update in Berlin, 25./26. November 2016

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

Alarmzeichen späte Wachstumsretardierung

Weiterführende Themen

Neu im Fachgebiet Gynäkologie und Geburtshilfe

Hochrisiko-Eingriffe für postoperative Übelkeit

Adjuvante Brustkrebstherapie: Doppelt hält besser

Manche Gestagene können das Risiko für Meningeome erhöhen

Stillende Frauen haben geringeres kardiovaskuläres Risiko

Update Gynäkologie