Vertretungsfall: Freie Mitarbeit oder abhängige Beschäftigung?

Bei ärztlichen Vertretern in Gemeinschaftspraxen ist diese Frage nicht so leicht zu beantworten. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat unlängst durchblicken lassen, worauf es ankommt. Zwischen Krankenhäusern und Sozialversicherungsträgern wird seit Jahren darüber gestritten, ob die nur gelegentliche Tätigkeit eines Arztes – zum Beispiel als sogenannter Honorararzt, Vertreter oder Arzt im Notdienst – eine abhängige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder eine freie, also selbstständige Mitarbeit darstellt. Längst hat diese Problematik auch die Praxen niedergelassener Ärzte erreicht. Wird dort ein Vertreter insbesondere im Urlaubs- oder Krankheitsfall tätig, so muss der Praxisinhaber wissen, ob der Vertreter freiberuflich tätig wird oder ein Anstellungsverhältnis entsteht. In der Regel wird eine freie Mitarbeit beabsichtigt sein. Doch sozialversicherungsrechtlich kommt es nicht allein auf den Willen der ärztlichen Parteien an. Entscheidend ist gemäß laufender Rechtsprechung vielmehr die Gesamtschau verschiedener Kriterien, insbesondere: der Eingliederung des Vertreters in die Praxisorganisation, der Vorgaben hinsichtlich der Arbeitszeiten und der Ausführung der Vertretungstätigkeit, der Weisungsgebundenheit des Vertreters oder auch des unternehmerischen Risikos, das dem Vertreter zuzurechnen ist – oder eben nicht. Wird der Vertreter in einer Einzelpraxis tätig, so kann man grundsätzlich davon ausgehen, dass er während der Vertretungszeit die Stellung des Praxisinhabers übernimmt. Er gliedert sich nicht in eine Praxisorganisation ein, sondern organisiert die Praxis während der Abwesenheit des Inhabers selbst. Als Vertreter wird er also in der Regel freiberuflich tätig. Erheblich schwieriger einzuschätzen ist die Vertretung in Gemeinschaftspraxen. Typischerweise wird ein abwesender Gesellschafter vertreten, während die anderen Berufsausübungsgemeinschaft-Mitglieder anwesend sind und den Praxisbetrieb weiterhin organisieren. Deshalb ist nicht von vornherein eindeutig, inwieweit der Vertreter in die Organisation eingegliedert ist. Fall in Baden-Württemberg Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hatte unlängst einen solchen Sachverhalt zu entscheiden (Az.: L 11 R 2433/16). Es stellte zunächst fest, dass viele der Kriterien, die von der Rechtsprechung für andere Berufe entwickelt wurden, für einen Vertreter in einer BAG nicht aussagekräftig sind. Für eine abhängige Beschäftigung spräche in diesem Fall noch nicht, dass der Vertreter in den Praxisräumen tätig wird und bestimmte Patienten in vorgegebener Reihenfolge behandeln muss. Demgegenüber stellt es aber auch kein maßgebliches Kriterium für eine freie Mitarbeit dar, wenn der Vertreter nach einem Stundensatz bezahlt wird und ihm freigestellt war, ob und an welchen Tagen er vertretungsweise tätig werden wollte. Für die Einstufung als freie Mitarbeit gab am Ende die Tatsache den Ausschlag, dass der Vertreter nicht das elektronische Zeiterfassungssystem der Gemeinschaftspraxis nutzen musste, ihm für seine Behandlungstätigkeit und -dokumentation keine verbindlichen Vorgaben gemacht wurden und er an Teambesprechungen und betrieblichen Veranstaltungen nicht teilnahm – Dies sind Aspekte, denen man auf den ersten Blick vielleicht keine große Bedeutung beigemessen hätte. Rechtlich waren sie jedoch entscheidend. Wie ist die Vertretung ausgestaltet? Wer also einen Vertreter in einer Gemeinschaftspraxis einsetzen und absichern möchte, dass dieser als freier Mitarbeiter tätig wird, sollte auf die oben genannten Aspekte achten. Diese müssen nicht zwingend in einem Vertrag niedergelegt sein. Es kommt vielmehr auf die tatsächliche Ausgestaltung der Vertretung an. Falls die Praxis regelmäßig angestellte Fachärzte beschäftigt, sollte sich die Tätigkeit des Vertreters in Bezug auf Zeiterfassung, Freiheit und Kontrolle seiner Tätigkeit sowie der Teilnahme an Teambesprechungen von diesen angestellten Ärzten unterscheiden. Und schließlich spielt auch die Gestellung von Arbeitskleidung eine Rolle. Man sollte dem Vertreter keine Arbeitskleidung, insbesondere keine solche stellen, die mit dem Logo der Praxis versehen ist. So banal dies klingt, auch ein solcher Umstand kann über die Tätigkeit als Freiberufler oder abhängig Beschäftigter entscheiden. Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizin- und Verwaltungsrecht und Partner der Kanzlei Busse & Miessen in Bonn.

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