Vorbemerkungen
Klassifikationen
Gradeinteilung | Definition | |
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Grad I | Durchspießung von innen: Hautläsion <1 cm, nicht verschmutzt, geringe Muskelkontusion, einfache Quer- oder kurze Schrägfraktur | |
Grad II | Direkte Gewalteinwirkung: Hautläsion >1 cm, ausgedehnter Weichteilschaden mit Lappenbildung oder Décollement, geringe bis mäßige Muskelquetschung, einfache Quer- oder kurze Schrägfraktur mit kleiner Trümmerzone | |
Grad III | A | Ausgedehnter Weichteilschaden mit noch adäquater Knochendeckung, Hautläsion >10 cm, Stückfrakturen, Schussverletzungen |
B | Ausgedehnter Weichteilschaden mit Deperiostierung und freiliegendem Knochen, Hautläsion >10 cm, massive Kontamination | |
C | Ausgedehnter Weichteilschaden mit rekonstruktionspflichtiger Gefäßverletzung, Hautläsion >10 cm |
Zeitpunkt der Versorgung
Operationsprinzip und -ziel
Vorteile
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Reduktion des Infektionsrisikos
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Optimale Bedingungen für notwendige Folgeeingriffe
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Konditionierung der Wunde
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Reduktion von Folgeeingriffen und rasche endgültige Behandlung
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Zügige Wiederherstellung der Anatomie und Funktion der betroffenen Extremität
Nachteile
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Spätere Gewebedemarkation mit der Notwendigkeit sekundärer Eingriffe möglich
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Vermehrte Blutungen bei Operation ohne Blutsperre
Indikationen
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Offene Frakturen Grad I–III A–C nach Gustilo-Anderson
Kontraindikationen
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Verletzungen, die eine Amputation notwendig machen
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Verbrennungen
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Vital bedrohliche Verletzungen, die eine entsprechende Behandlung vorübergehend unmöglich machen
Patientenaufklärung
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Allgemeine Operationsrisiken
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Notfalleingriff
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Infektionsrisiko
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Wundheilungsstörungen
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Störungen der Frakturheilung
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Funktionsverlust durch Resektion von Weichteil- und Knochenstrukturen
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Primäre oder sekundäre Amputation der betroffenen Extremität
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Sekundäre Demarkation und Nekrose von Gewebe mit der Notwendigkeit von Nachresektionen
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Endorganschäden durch Abbauprodukte nekrotischen Muskelgewebes (z. B. Myoglobin)
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Notwendigkeit von Zweiteingriffen
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Narbenbildung
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Bluttransfusion
Operationsvorbereitungen
Erstversorgung an der Unfallstelle
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Beseitigung grober Verunreinigung (Kleidung, Laub) [17]
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Sofern möglich Spülung mit isotoner Kochsalzlösung
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Steriler Wundverband vorzugsweise mit transparentem Material (z. B. Opsite™, Tegaderm™, Biooclusive™) zur leichteren Wundevaluation
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Schienung der verletzten Extremität
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Fotodokumentation sofern möglich
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Ausführliche schriftliche Dokumentation (Verletzungsmechanismus, Kontamination z. B. mit Fäkalkeimen)
Evaluation
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Bei fehlenden oder unzureichenden präklinischen Informationen Wundbeurteilung im Vorraum des OP unter möglichst sterilen Bedingungen [18]. Hier werden grobe Verunreinigungen entfernt und die Wundumgebung gereinigt.
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Wurde die Wunde bereits am Unfallort makroskopisch gesäubert, erfolgt die Verbandsabnahme und Wundevaluation im OP unter sterilen Bedingungen.
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Vermeiden von wiederholtem Öffnen des Wundverbands, da das Infektionsrisiko mit jeder Exposition steigt [19].
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Fotodokumentation
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Sterile Abdeckung der Wunde mit feuchten Kompressen
Tetanusschutz
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Auffrischung des Schutzes, sofern die letzte Impfung länger als 10 Jahre zurückliegt [20]
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Bei Patienten >60 Jahren und/oder bei kontaminierten Wunden sollte bereits nach 5 Jahren aufgefrischt werden.
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Bei unklarem Impfstatus prophylaktische Auffrischung
Antibiotikaprophylaxe
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Frühestmöglicher Beginn [21]
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Cephalosporin der 1. oder 2. Generation bei GA-Grad I–II (grampositives Erregerspektrum)
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Cephalosporin plus Aminoglykosid bei GA-Grad III A–C (grampositives und -negatives Erregerspektrum), jedoch unter Kalkulation der nephrotoxischen und ototoxischen Wirkung von Aminoglykosiden, insbesondere da die Risikoreduktion bei additiver Gabe nicht sicher geklärt ist [22]
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Bei Verdacht auf Kontamination mit Fäkalkeimen oder Clostridien (z. B. im Rahmen von Unfällen im landwirtschaftlichen Bereich) zusätzliche Prophylaxe mit hochdosiertem Penicillin
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Nach primärem Wundverschluss bei GA-Grad I und II Gabe für 24 h
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Bei Grad III A–C Gabe für 72 h, jedoch maximal für 24 h nach Wundverschluss
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Eine Prophylaxe >72 h zeigt keinen weiteren Infektionsschutz mehr, sondern erhöht das Risiko für nosokomiale Infektionen [23].
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Bei positivem Erregernachweis nach „second look“ gezielte Antibiotikatherapie für entsprechend längere Dauer
Instrumentarium
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Grundsieb
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Knochensieb mit scharfem Löffel, Kürette, Meißel
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Eventuell Osteosynthesesieb mit für die Extremität passenden internen Fixationsmethoden (Platte, Nagel, Drähte)
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Eventuell Fixateur externe
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Eventuell NPWT
Anästhesie und Lagerung
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Keine Blutsperre, sofern vertretbar, da bessere Unterscheidung zwischen vitalem und avitalem Gewebe durch Beurteilbarkeit der Blutungskapazität, jedoch prophylaktische Anlage empfehlenswert
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Lagerung abhängig von Lokalisation der Verletzung, meist Rückenlage
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Bei interdisziplinärer Versorgung Lagerung gemäß vorheriger interdisziplinärer Absprache
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Vollnarkose, ggf. lokale oder regionale Nervenblockaden
Operationstechnik
Postoperative Behandlung
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Falls notwendig „second look“ nach 36–48 h mit erneuter Beurteilung der Gewebevitalität, nochmaligem Débridement bei grober Verunreinigung, Weichteildeckung oder Wundverschluss
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Weichteildeckung spätestens innerhalb von 3 Tagen
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Wundverschluss spätestens innerhalb von 7 Tagen
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Vakuumversiegelung zur Wundkonditionierung, Drainage von abgestorbenen, beweglichen Gewebeanteilen, Reduktion der Defektgröße
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Wechsel des Vakuumverbands alle 3–5 Tage bis zur Weichteildeckung und zum endgültigen Wundverschluss
Fehler, Gefahren, Komplikationen
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Gefäß- oder Nervenschaden durch exzessives Débridement: primäre Gefäß- oder Nervennaht in Kooperation mit plastischer oder Gefäßchirurgie oder Sekundärnaht der verletzten Nervenstruktur bei postoperativ festgestellten neurologischen Ausfallerscheinungen
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Infektion bei inadäquatem Débridement und primärem Verschluss: operative Revision und Erweiterung der antibiotischen Therapie gemäß Antibiogramm
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Infektion durch Anaerobier bei Kontamination mit Fäkalkeimen und primärem Wundverschluss: Erweiterung der Antibiose mit hochdosiertem Penicillin, ggf. mehrere Second-look-Operationen mit Entnahme von Hygieneproben bis zur sicheren Keimfreiheit
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Schrittweise Rückkürzung der Extremität durch Fehleinschätzung der Vitalität des Gewebes im Rahmen des Débridements („Salami-Technik“): frühzeitige Entscheidung zur Amputation, wenn eine Erhaltung der Extremität aussichtslos ist
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Fehlschlag nach lokaler oder freier Lappenplastik: Revisionsoperation mit Entfernung der avitalen Gewebe und NPWT zur Optimierung der Lappenintegration
Ergebnisse
Autor | Jahr | Infektionsrate bei GA I° | Infektionsrate bei GA II° | Infektionsrate bei GA III A | Infektionsrate bei GA III B | Infektionsrate bei GA III C | |||||
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PWV | VWV | PWV | VWV | PWV | VWV | PWV | VWV | PWV | VWV | ||
Scharfenberger [14] | 2017 | 1/35 | – | 1/35 | – | 1/14 | – | – | – | – | – |
Siwach [46] | 2007 | – | – | 2/28 | 0/2 | 3/12 | 3/36 | – | – | – | – |
Moola [44]a | 2014 | 2/141 | n = 11 | 6/69 | n = 4 | 4/34 | n = 12 | 0/2 | n = 11 | 0/9 | n = 4 |
Hohmann [47] | 2006 | 0/19 | 1/19 | 0/16 | 0/19 | 1/4 | 0/3 | – | – | – | – |
DeLong [48] | 1990 | 0/21 | 0/4 | 2/36 | 0/7 | 1/19 | 1/13 | n = 0 | 1/12 | n = 0 | 3/6 |
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Sehr gut – primäre Wundheilung oder Wundheilung mit marginaler Wundrandnekrose ohne die Notwendigkeit zur operativen Intervention, keine Infektion, knöcherne Heilung ohne Interventionsbedarf.
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Gut – Wundheilung mit Nekrose, die eine operative Intervention notwendig macht oder oberflächliche Infektion, knöcherne Heilung ohne Interventionsbedarf.
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Schlecht – Wunddehiszenz, die eine Lappendeckung notwendig macht, tiefe Infektion, Pseudarthrose.