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Erschienen in: Die Kardiologie 3/2019

Open Access 17.05.2019 | Koronare Herzerkrankung | Übersichten

Prinzip der mendelschen Randomisierung und Anwendung in der kardiovaskulären Medizin

verfasst von: Dr. med. J. L. Katzmann, B. A. Ference, U. Laufs

Erschienen in: Die Kardiologie | Ausgabe 3/2019

Zusammenfassung

Hintergrund

Die Methode der mendelschen Randomisierung wird zunehmend zur Auswertung genetischer und epidemiologischer Daten genutzt. Korrekt angewendet, können wichtige Erkenntnisse für die klinische Forschung, Entwicklung neuer Pharmaka und die Patientenversorgung gewonnen werden.

Ziel der Arbeit

Die vorliegende Übersichtsarbeit soll das Prinzip, Anwendungsmöglichkeiten und Limitationen der mendelschen Randomisierung anhand von Beispielen aus der kardiovaskulären Medizin aufzeigen.

Material und Methode

Es erfolgte eine selektive Literaturrecherche in PudMed. Weiterhin flossen Erfahrungen der Autoren in der Anwendung der mendelschen Randomisierung ein.

Ergebnisse

Mithilfe der mendelschen Randomisierung können Menschen anhand von genetischen Markern randomisiert werden. Geeignete genetische Marker sind direkt mit einer lebenslangen Exposition assoziiert. Bei Nachweis einer Assoziation zwischen dem genetischen Marker und einer Erkrankung kann man von einer kausalen Beziehung zwischen der Exposition und der Erkrankung ausgehen. Somit können aus epidemiologischen Daten Schlussfolgerungen zur Kausalität einer Assoziation und deren quantitativer Ausprägung gezogen werden. Weiterhin können mithilfe der mendelschen Randomisierung die Ergebnisse klinischer Studien antizipiert werden, was Rückschlüsse über bekannte Wirkstoffe erlaubt und der Entwicklung neuer pharmakologischer Prinzipien dient. Die Limitationen der mendelschen Randomisierung müssen bei der Interpretation der gewonnenen Erkenntnisse beachtet werden.

Schlussfolgerung

Um Studien, welche auf dem Prinzip der mendelschen Randomisierung beruhen, kritisch interpretieren zu können, ist ein grundlegendes Verständnis der Möglichkeiten und Grenzen der Methode notwendig.
Die „mendelsche Randomisierung“ wird zunehmend zur Auswertung genetischer und epidemiologischer Daten angewendet. Der Begriff leitet sich von der Unabhängigkeitsregel Gregor Mendels ab. Diese besagt, dass 2 Merkmale unabhängig voneinander und unabhängig von äußeren Faktoren vererbt werden, und dass die Verteilung der Allele von Mutter und Vater zufällig erfolgt [21]. Diese zufällige Verteilung kann genutzt werden, um ein Randomisierungsschema in epidemiologische Datensätze analog zu einer randomisierten Studie einzuführen.
Prinzip und Limitationen der Methode sollen anhand von Beispielen in dieser Übersichtsarbeit dargestellt werden.

Mendelsche Randomisierung

Prinzip, Kausalität von Assoziationen

Trotz verschiedener methodischer Ansätze beruhen alle Studien, die die mendelsche Randomisierung nutzen, auf demselben Prinzip [2]. Dieses Prinzip ist in Abb. 1 dargestellt. Es soll zur Veranschaulichung mithilfe einer sog. Instrumentenvariablenschätzung [2] die Frage geprüft werden, ob die Exposition gegenüber erhöhtem LDL-Cholesterin (LDL-C) kausal für das Auftreten der koronaren Herzkrankheit (KHK) ist, und dieser Zusammenhang quantifiziert werden.
Zunächst muss ein genetischer Marker identifiziert werden, welcher signifikant mit der zu untersuchenden Exposition (hier: LDL-C) assoziiert ist (1. in Abb. 1), ausschließlich die Exposition beeinflusst und einen bestimmten Anteil ihrer Variabilität erklärt [27]. Eine Vorauswahl kann anhand von seltenen Loss-of-function-Mutationen oder mithilfe von genomweiten Assoziationsstudien getroffen werden. In Letztgenannten wird das gesamte Genom auf Assoziationen von Genmarkern zu bestimmten Merkmalen oder Erkrankungen untersucht. In öffentlich zugänglichen Datenbanken stehen inzwischen genetische Daten von hunderttausenden Menschen zur Verfügung. In unserem Beispiel (Abb. 1) wird der „single nucleotide polymorphism“ (SNP) – der Austausch eines DNA-Basenpaares innerhalb einer bestimmten Sequenz – mit der Identifikationsnummer rs12916 gewählt. In einer Kohorte von >100.000 Teilnehmern zeigte sich das LDL-C bei Vorhandensein des T‑Allels des Markers verglichen zum C‑Allel um durchschnittlich 2,63 mg/dl (0,07 mmol/l) niedriger, was trotz des nach klinischem Maßstab geringen Unterschieds aufgrund der großen Fallzahl einer hochsignifikanten Assoziation entspricht. Im nächsten Schritt wird die Assoziation des Markers zur Erkrankung (KHK) in einer anderen Kohorte untersucht (2. in Abb. 1), ohne dass in dieser Kohorte das LDL-C bekannt sein muss: Es ergibt sich eine Odds Ratio von 0,94 (95 %-Konfidenzintervall 0,90–0,98) für das Auftreten einer KHK bei Vorhandensein des T‑Allels. Das Risiko für eine KHK bei Trägern des T‑Allels von rs12916 ist somit um relativ 6 % geringer als bei Trägern des C‑Allels [11]. Da der einzige Unterschied zwischen den Studienteilnehmern das zufällige Vorliegen des T‑ oder C‑Allels des Genmarkers ist – die mendelsche Randomisierung im engeren Sinne –, welcher ausschließlich die Höhe des LDL-C beeinflusst, kann LDL-C als kausaler Risikofaktor für die KHK betrachtet werden (3. in Abb. 1). Entsprechend stellt LDL-C ein ideales Ziel für eine medikamentöse Behandlung dar. Gleichzeitig ergibt die Analyse keinen Hinweis auf einen negativen Effekt und unterstreicht damit die Sicherheit einer langfristigen LDL-C-Senkung [17].
Eine Assoziation kann dann als kausal angesehen werden, wenn die Bradford Hill-Kriterien erfüllt sind [15]. Dagegen können durch epidemiologische Studien und Querschnittanalysen zwar Assoziationen ermittelt, jedoch keine Kausalität begründet werden. Hier kann erstens durch das sog. Confounding eine Assoziation scheinbar kausal bedingt sein: Ein Faktor (Confounder) beeinflusst sowohl Exposition als auch Erkrankungswahrscheinlichkeit, was den Nachweis einer kausalen Beziehung zwischen beiden unmöglich macht. Im Beispiel würde ein (unbekannter) Faktor, wie z. B. Nikotinkonsum, sowohl LDL-C erhöhen als auch häufiger zu KHK führen, sodass der Zusammenhang zwischen LDL-C und KHK nicht kausal, sondern durch den Confounder Nikotinkonsum vermittelt wäre. Eine zweite Limitation besteht in der reversen Kausalität, welche eine Beeinflussung des vermeintlichen Risikofaktors durch die Erkrankung beschreibt. Im Beispiel würde eine KHK zu erhöhtem LDL-C führen und nicht umgekehrt. Beide Limitationen können mittels mendelscher Randomisierung überwunden werden, indem ein Randomisierungsschema in epidemiologische Studien eingeführt wird: Dadurch werden bekannte und unbekannte Confounder zufällig verteilt und somit ausgeschaltet; reverse Kausalität kann nicht auftreten, da eine zukünftige Erkrankung die Verteilung von Allelen nicht beeinflussen kann [25]. In wesentlich geringerem Maße als epidemiologische Studien ist auch die mendelsche Randomisierung für Confounding anfällig (s. Limitationen).

Analogie zu klinischen Studien

Viele mithilfe mendelscher Randomisierung durchgeführte Studien konzentrieren sich auf den wichtigen Nachweis von Kausalität. Die Methode kann darüber hinaus genutzt werden, um die Ergebnisse randomisierter kontrollierter Studien zu antizipieren oder nachzuvollziehen. Entsprechende Studien werden aufgrund der Analogie auch als „natürlich randomisierte Studien“ bezeichnet [28]. Der Vergleich von natürlich randomisierten und klinischen Studien ist in Abb. 2 dargestellt:
Eine klinische Studie hat das Ziel, die Exposition gegenüber einem vermeintlichen Risikofaktor durch eine Intervention, z. B. ein Medikament, günstig zu beeinflussen. Dessen Effekt wird in einer natürlich randomisierten Studie durch eine genetische Variante imitiert. Im oben genannten Beispiel wurde der SNP rs12916 betrachtet, welcher mit einem lebenslang 2,63 mg/dl niedrigeren LDL-C einhergeht. Dieser Polymorphismus ist im HMG-CoA-Reduktase-Gen lokalisiert und bewirkt eine geringere Aktivität der HMG-CoA-Reduktase, dem Schlüsselenzym der Cholesterinsynthese, und beeinflusst das LDL-C damit durch denselben Mechanismus wie eine pharmakologische Hemmung der HMG-CoA-Reduktase mittels Statin [11].
Unter anderem aufgrund der häufig nur geringen Änderung der Exposition bei Vorliegen eines bestimmten Polymorphismus werden mitunter mehrere genetische Marker in Kombination betrachtet. Soll eine spezifische Therapie untersucht werden, werden Marker gewählt, die innerhalb oder in der Region des Gens liegen, welches das Ziel der Therapie kodiert – im Beispiel Statintherapie das HMG-CoA-Reduktase-Gen. Soll hingegen die Änderung der Exposition unabhängig vom Mechanismus geprüft werden, können Marker, die verschiedene pharmakologische Wirkprinzipien imitieren, verwendet werden, z. B. Polymorphismen des NPC1L1-Gens (Zielstruktur des Cholesterinsenkers Ezetimib [12]) oder des PCSK9-Gens (Ziel der PCSK9-Inhibitoren [13]). Möchte man die gemeinsame Endstrecke dieser Therapien betrachten, eignen sich Polymorphismen im LDL-Rezeptor-Gen [11].
In einer natürlich randomisierten Studie erfolgt die Randomisierung zum Zeitpunkt der Vereinigung des mütterlichen und väterlichen Erbguts im Rahmen der Fortpflanzung mittels zufälliger Verteilung der Allele. Teilnehmer mit der genetischen Variante, die mit einer geringeren Exposition assoziiert ist, entsprechen der Verumgruppe einer randomisierten Medikamentenstudie. Teilnehmer mit der anderen Variante, die mit einer höheren Exposition einhergeht, entsprechen der Placebo- bzw. Kontrollgruppe. Da die Teilnehmer ausschließlich nach dem zufälligen Vorhandensein der einen oder anderen Variante selektiert werden, ist von einer gleichen Verteilung aller anderen Merkmale in beiden Gruppen auszugehen [10].
Werden mehrere genetische Marker genutzt, werden diese anhand ihrer Effektstärke auf die Exposition gewichtet kombiniert betrachtet und für jeden Studienteilnehmer ein genetischer Score berechnet [4]. Analog zu einem solchen Score z. B. mit 20 Genmarkern könnte man sich unter der Annahme einer proportionalen Dosis-Wirkungs-Beziehung der Statine vorstellen, Studienteilnehmer ab Geburt (genau genommen ab Vereinigung des mütterlichen und väterlichen Erbguts) 20-mal zu geringsten Statindosierungen oder Placebo zu randomisieren (z. B. 0,5 mg, 1,8 mg, 2,5 mg etc. Simvastatin). Die verabreichte Dosis entspräche dem genetischen Score und könnte beispielsweise zwischen 0 mg (20-mal Placebo) und 40 mg (20-mal Simvastatin) liegen.
Anschließend wird die Odds Ratio für das Auftreten der untersuchten Erkrankung in beiden Studientypen pro Einheit Änderung der Exposition berechnet. Bei Verwendung eines genetischen Scores, welcher proportional zur Änderung der Exposition ist, werden alle Teilnehmer aufsteigend nach ihrem Punktewert sortiert, die Kohorte z. B. in der Mitte geteilt und anhand der Unterschiede zwischen den resultierenden Gruppen die Odds Ratio für das Auftreten der Erkrankung pro Einheit Änderung der Exposition berechnet.
Konkrete Anwendungsmöglichkeiten natürlich randomisierter Studien werden im Folgenden an Beispielen erläutert und sind in Abb. 3 zusammengefasst.

Therapieeffekte und Nebenwirkungen

Der Therapieeffekt einer pharmakologischen Intervention kann mithilfe der mendelschen Randomisierung abgeschätzt werden. Dabei ist es jedoch notwendig, das Ergebnis anhand von tatsächlich durchgeführten Studien zu adjustieren, da sich der Kurzzeiteffekt einer veränderten Exposition während einer Studie vom lebenslangen Effekt aufgrund kumulativer Eigenschaften unterscheiden kann. So ist ein lebenslang um 1 mmol/l (38,67 mg/dl) niedrigeres LDL-C mit einer relativen Risikoreduktion um 55 % für das Auftreten einer KHK verbunden, während eine Senkung des LDL-C um denselben Betrag im Rahmen einer Studie das Risiko um 20 % reduziert. Die kumulativen Eigenschaften des LDL-C erklären die quantitativen Unterschiede zur erreichbaren Risikoreduktion durch eine medikamentöse LDL-C-Senkung z. B. mit Statinen, welche typischerweise erst im höheren Lebensalter begonnen wird [9].
Im Falle der LDL-C-Senkung durch Statine ist man in der komfortablen Situation, zahlreiche randomisierte Studien zum Vergleich zu haben, welche in Metaanalysen zusammengefasst wurden [7]. Die dort berichtete relative Risikoreduktion um 20 % für eine LDL-C-Senkung um 1 mmol/l kann nun genutzt werden, um die Kurzzeiteffekte anderer LDL-C senkender Therapien vorherzusagen. So ergibt sich für den Cholesterinabsorptionshemmer Ezetimib und die PCSK9-Inhibitoren pro mmol/l Senkung des LDL-C eine annähernd identische relative Risikoreduktion in den klinischen [6, 22, 23] und korrespondierenden natürlich randomisierten Studien [12, 13]. Dies impliziert u. a., dass die mitunter geforderte maximale Dosierung von Statinen, welche überproportional häufig mit Nebenwirkungen einhergeht, nicht mit einem größeren Benefit verbunden ist als die Kombination aus moderat dosiertem Statin und Ezetimib, wenn dieselbe LDL-C-Senkung erreicht wird [9].
Natürlich randomisierte Studien können auch genutzt werden, um Nebenwirkungen bekannter oder in der Erprobung befindlicher Pharmaka zu untersuchen. Ein Beispiel hierfür ist der Nachweis einer höheren Rate an neu aufgetretenem Diabetes unter LDL-C senkender Therapie mit Statinen, PCSK9-Inhibitoren oder Ezetimib: Es konnte für korrespondierende Varianten im HMG-CoA-Reduktase-, PCSK9- und NPC1L1-Gen eine höhere Rate an Diabetes gezeigt werden, wobei wie in den klinischen Studien die positiven Effekte genannter Substanzen deutlich überwogen [13, 20, 26].

Neue pharmakologische Wirkprinzipien, Studiendesign

Aufbauend auf dem Nachweis einer kausalen Beziehung zwischen Exposition und Erkrankung mittels mendelscher Randomisierung können Therapien entwickelt werden, die eine Exposition spezifisch beeinflussen. Exemplarisch seien die PCSK9-Inhibitoren genannt, welche auf Basis von neu entdeckten Mutationen im PCSK9-Gen entwickelt wurden. Nachdem zunächst mittels mendelscher Randomisierung eine kausale Beziehung zwischen den PCSK9-Varianten und dem Auftreten einer KHK gezeigt werden konnte [1, 8], wurde die Wirksamkeit der PCSK9-Inhibitoren später in klinischen Studien bestätigt [22, 23].
Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass aus der Beeinflussung eines kausalen Risikofaktors nicht zwangsläufig eine Senkung der Krankheitshäufigkeit resultieren muss. Entscheidend ist, wie stark der kausale Risikofaktor beeinflusst werden muss. Auch hier ist eine Adjustierung der Ergebnisse natürlich randomisierter Studien an klinischen Studien möglich und notwendig, damit etwaige kumulative Effekte Berücksichtigung finden. Beispielsweise wurde für Lipoprotein(a), einem unabhängigen Risikofaktor für die KHK, eine notwendige Senkung um 100 mg/dl berechnet, um dieselbe relative Risikoreduktion zu erzielen wie bei einer Senkung des LDL-C um 1 mmol/l [5], was hinsichtlich Studiendesign für die in Erprobung befindlichen Antisense-Oligonukleotide, welche Lipoprotein(a) um bis zu 90 % reduzieren können [29], von Relevanz ist: Die größten Erfolgsaussichten bestehen bei Einschluss von Patienten mit sehr hohen Lipoprotein(a)-Werten.
Der Wirksamkeit einer neuen Therapie kann endgültig nur in einer klinischen Studie bewiesen werden. Die Erfolgsaussichten dieser für Patienten und Ärzte aufwendigen, kostspieligen Untersuchungen können durch Einbeziehung der Ergebnisse natürlich randomisierter Studien deutlich erhöht werden.

Interaktionen von Wirkstoffen

Auch die Interaktionen von Wirkstoffen können in natürlich randomisierten Studien untersucht werden. So konnten z. B. wichtige Informationen gewonnen werden, weshalb die Cholesterinester-Transferprotein(CETP)-Inhibitoren trotz LDL-C-Senkung das kardiovaskuläre Risiko nicht wie erwartet reduzierten [3, 19]: Wurden in einer natürlich randomisierten Studie genetische Scores für das HMG-CoA-Reduktase- und das CETP-Gen kombiniert – analog zur tatsächlichen Behandlung in den Studien mit Statin und CETP-Inhibitor–, ergab sich eine geringere Risikoreduktion als für die LDL-C-Senkung erwartet wurde. Die Risikoreduktion entsprach der Absenkung von Apolipoprotein B, welches normalerweise proportional zu LDL-C gesenkt wird, unter der Kombinationstherapie jedoch weniger stark als das LDL-C vermindert wurde. Der HMG-CoA-Reduktase- und CETP-Score alleine ergaben die erwartete Risikoreduktion pro Einheit Änderung von Apolipoprotein B bzw. LDL-C. Dies impliziert, dass für die Senkung des kardiovaskulären Risikos die Apolipoprotein-B-Reduktion entscheidender ist als die des LDL-C [14]. Eine Kombinationstherapie aus Statin und CETP-Inhibitor erscheint nicht sinnvoll, wohingegen eine CETP-Inhibitor-Monotherapie bei Kontraindikationen für Statine eine theoretische Alternative wäre.

Limitationen

Das Prinzip der mendelschen Randomisierung basiert auf bestimmten Annahmen, die spezifische Limitationen bedingen. Diese Annahmen sind: Die gewählten Genmarker sind (1) mit der Exposition assoziiert, (2) nicht mit Confoundern assoziiert, welche die Beziehung zwischen Exposition und Erkrankung beeinflussen, und (3) mit der Erkrankung einzig über die Exposition assoziiert [18]. Dass die erste Annahme erfüllt ist, lässt sich in der Regel überprüfen. Hingegen können Verletzungen der Annahmen (2) und (3) nie mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden: Genmarker könnten mit unbekannten Confoundern assoziiert sein (2), oder es könnten Stoffwechselwege existieren, über die die Beziehung zwischen Exposition und Erkrankung realisiert wird, sodass keine direkte Kausalität zwischen Exposition und Erkrankung bestünde (3) [25]. Die möglichen Verletzungen der Annahmen resultieren daher in spezifischen Limitationen.

Pleiotropie

Beeinflusst das Vorhandensein eines Polymorphismus neben der zu untersuchenden Exposition weitere bekannte oder unbekannte Stoffwechselwege, spricht man von Pleiotropie, welche zur Verletzung der Annahmen (2) oder (3) führen kann. Würde ein Polymorphismus beispielsweise mit niedrigerem LDL-C und niedrigerem Blutdruck einhergehen, könnte die Ursache für eine niedrigere Wahrscheinlichkeit für KHK nicht festgestellt werden, da auch Bluthochdruck mit einem erhöhten KHK-Risiko einhergeht. Während sich eine Assoziation zu Bluthochdruck oder anderen bekannten Risikofaktoren nachweisen oder ausschließen lässt, ist dies bei unbekannten Faktoren naturgemäß nicht möglich. Aufgrund dieser Limitation werden häufig mehrere unabhängige Polymorphismen verwendet, wodurch mögliche pleiotrope Effekte einzelner Genvarianten an Bedeutung verlieren [16, 25]. Weiterhin kann die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen von Pleiotropie minimiert werden, wenn Genmarker innerhalb oder in der Region von Genen verwendet werden, die biologisch plausibel mit der Exposition assoziiert sind.

Kopplungsungleichgewicht

Eine weitere Limitation ist das sog. Kopplungsungleichgewicht („linkage dysequilibrium“). Dieses liegt vor, wenn verwendete Polymorphismen häufiger gemeinsam mit anderen Polymorphismen vererbt werden, als dies bei zufälliger Verteilung der Allele zu erwarten wäre. Dies ist häufiger, wenn Allele auf demselben Chromosom in räumlicher Nähe lokalisiert sind. Wird ein Allel überzufällig häufig mit einem anderen Allel vererbt, welches selbst Auswirkungen auf die Exposition oder die Erkrankung hat, kann dies zur Über- oder Unterschätzung der Effekte der eigentlich betrachteten Polymorphismen führen. Werden mehrere Polymorphismen in einem genetischen Score verwendet, werden deshalb nach Kontrolle des Kopplungsgleichgewichts ggf. Genvarianten ausgeschlossen [24].

Weitere Limitationen

Weiterhin kann das Ergebnis der mendelschen Randomisierung durch eine Stratifizierung nach ethnischen Gruppen („population stratification“) beeinflusst werden, wenn in einer Studie verschiedene ethnische Gruppen eingeschlossen sind, deren Erkrankungshäufigkeit und Allelfrequenzen sich unterscheiden. Zur Umgehung dieser Limitation können ethnisch homogene Gruppen untersucht und zusätzlich eine statistische Korrektur für die Abstammung basierend auf z. B. der sog. Hauptkomponentenanalyse („principal components analysis“) vorgenommen werden. Als letzte Limitation sei die sog. „canalization“ bzw. „developmental compensation“ genannt. Diese beschreibt die Kompensation der Effekte genetischer Varianten im Laufe des Heranwachsens. Beispielsweise könnte als Reaktion auf erhöhtes Fibrinogen aufgrund genetischer Polymorphismen die Gewebebeschaffenheit in einer Weise verändert sein, die den negativen Folgen erhöhten Fibrinogens entgegenwirkt. Für eine ausführlichere Beschreibung der Limitationen und Möglichkeiten ihrer Umgehung wird auf die zitierte Literatur verwiesen [18, 24, 25].
Die Diskussion statistischer und methodischer Annahmen ist in einigen mendelschen Randomisierungsstudien unzureichend, sollte aufgrund der wesentlichen Abhängigkeit der erzielten Ergebnisse von der Erfüllung dieser Annahmen jedoch integraler Bestandteil einer solchen Arbeit sein. Als Leitfaden können beispielsweise vorgeschlagene Checklisten dienen [2].

Fazit für die Praxis

  • Mithilfe der mendelschen Randomisierung können Menschen anhand von genetischen Markern, welche mit einer Exposition verknüpft sind, randomisiert werden. Besteht auch zwischen den Markern und einem Phänotyp eine Assoziation, kann von einer kausalen Beziehung zwischen Exposition und Phänotyp ausgegangen werden.
  • Damit können aus Querschnittanalysen und Kohortenstudien kausale Schlussfolgerungen unter Berücksichtigung der spezifischen Limitationen der Methode gezogen werden.
  • Analog zu klinischen Studien können pharmakologische Therapieprinzipien hinsichtlich Effektivität, Medikamenteninteraktionen und Nebenwirkungen überprüft werden.
  • Es können wichtige Informationen zum Studiendesign für in der Erprobung befindliche Pharmaka gewonnen werden, bevor eine klinische Studie tatsächlich durchgeführt wird. Auch können mögliche zukünftige therapeutische Ziele identifiziert werden.
  • Die mendelsche Randomisierung beruht auf bestimmten Annahmen, deren spezifische Limitationen bei der Interpretation der gewonnenen Erkenntnisse beachtet werden müssen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

J.L. Katzmann, B.A. Ference und U. Laufs geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.

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Literatur
21.
Zurück zum Zitat Mendel G (1865) Versuche über Pflanzenhybriden. In: Verhandlungen des naturforschenden Vereines in Brünn, S 3–47 Mendel G (1865) Versuche über Pflanzenhybriden. In: Verhandlungen des naturforschenden Vereines in Brünn, S 3–47
24.
Zurück zum Zitat Smith GD, Ebrahim S (2003) Mendelian randomization‘: can genetic epidemiology contribute to understanding environmental determinants of disease? Int J Epidemiol 32(1):1–22CrossRefPubMed Smith GD, Ebrahim S (2003) Mendelian randomization‘: can genetic epidemiology contribute to understanding environmental determinants of disease? Int J Epidemiol 32(1):1–22CrossRefPubMed
Metadaten
Titel
Prinzip der mendelschen Randomisierung und Anwendung in der kardiovaskulären Medizin
verfasst von
Dr. med. J. L. Katzmann
B. A. Ference
U. Laufs
Publikationsdatum
17.05.2019
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Kardiologie / Ausgabe 3/2019
Print ISSN: 2731-7129
Elektronische ISSN: 2731-7137
DOI
https://doi.org/10.1007/s12181-019-0328-z

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