Rehabilitation (Stuttg) 2005; 44(5): 257-258
DOI: 10.1055/s-2005-867051
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Förderschwerpunkt „Rehabilitationswissenschaften” - Ergebnisse, Erfahrungen, Perspektiven

The „Rehabilitation Sciences” Research Funding Programme - Findings, Experience, OutlookU.  Koch, R.  Buschmann-Steinhage
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Publication Date:
05 October 2005 (online)

Anfang der 90er-Jahre bestand im Bereich der medizinischen Rehabilitation in der Bundesrepublik Deutschland eine erhebliche Diskrepanz zwischen den hohen Aufwendungen für die medizinische Rehabilitation einerseits und den vergleichsweise geringen Bemühungen um eine wissenschaftliche Fundierung der rehabilitativen Praxis andererseits. Die Kommission zur Weiterentwicklung der Rehabilitation in der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigte dies in ihren Empfehlungen, indem sie nachdrücklich den Ausbau der Rehabilitationswissenschaften und die Schaffung einer entsprechenden Forschungsinfrastruktur forderte [1]. Die angesprochenen Defizite in der Rehabilitationsforschung zeigten sich auch an den Hochschulen. Rehabilitationswissenschaftliche Forschungsthemen wurden zu dieser Zeit nur an wenigen medizinischen Fakultäten in Deutschland bearbeitet.

Ab Mitte der 90er-Jahre waren eine Reihe von Veränderungen für die Entwicklung der Rehabilitationsforschung zu verzeichnen. Diese zeigen sich sowohl im universitären als auch im außeruniversitären Bereich. Dazu gehören unter anderem die Einrichtung von Stiftungsprofessuren an verschiedenen Orten, die Bildung von rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsschwerpunkten an einigen Universitäten, bei der Rentenversicherung die Etablierung von rehabilitationswissenschaftlichen Abteilungen (Verband Deutscher Rentenversicherungsträger [VDR] und Bundesversicherungsanstalt für Angestellte [BfA]) sowie die Gründung von regionalen Fördervereinen und Forschungsinstituten. Zu nennen sind in diesem Kontext weiterhin auch die seit 1992 stattfindenden Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquien, die stärkere wissenschaftliche Ausrichtung von Fachzeitschriften im Bereich der Rehabilitation und die 2000 erfolgte Gründung der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW).

Eine hervorgehobene Bedeutung für die Weiterentwicklung der Rehabilitationsforschung kommt dem rehabilitationswissenschaftlichen Verbundforschungsprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Rentenversicherung [2] zu. Zentrale Ziele des Förderschwerpunkts „Rehabilitationswissenschaften” sind die Steigerung von Umfang, Qualität und Effizienz der Reha-Forschung, die Erarbeitung transferierbaren Wissens zur Verbesserung der rehabilitativen Versorgung sowie eine langfristige Etablierung regionaler Kompetenznetzwerke für die Reha-Forschung unter Einbeziehung von Universitätseinrichtungen, Reha-Einrichtungen und Reha-Trägern. Im Rahmen von zwei Förderphasen (1998 - 2002, 2001 - 2005) wurden in acht regionalen Forschungsverbünden ca. 160 Projekte mit einem Fördervolumen von ca. 40 Mio. Euro finanziell unterstützt. Die Auswahl der Forschungsvorhaben erfolgte auf Vorschlag eines externen und unabhängigen Gutachtergremiums. Die Steuerung und Vernetzung des Gesamtprogramms erfolgte durch einen Koordinatorenkreis und verbundübergreifende Arbeitsgruppen. Die Themen Rehabilitationssystemforschung (Flexibilisierung, Schnittstellen, Bedarfsentwicklung, Verfahrenssteuerung), Weiterentwicklung und Evaluation von Rehabilitationsmaßnahmen, ökonomische Aspekte der Rehabilitation, Patienten in der Rehabilitation (z. B. Krankheitsbewältigung, Reha-Motivation, Patientenschulung, Gesundheitsbildung), Rehabilitationsdiagnostik sowie Krankheitsverlauf und Prognose waren in beiden Förderphasen besonders häufig vertreten. Weitere wichtige Themenbereiche bezogen sich auf geschlechtsspezifische Aspekte und Epidemiologie (Krankheitsentstehung und Verlauf) sowie berufliche Aspekte der medizinischen Rehabilitation und die Nachsorge. Die zuletzt genannten beiden Themen fanden insbesondere in der zweiten Förderphase eine stärkere Berücksichtigung. Die Projekte des Förderprogramms deckten ein breites Spektrum von rehabilitativen Indikationen ab. Gemessen an der Häufigkeit der Berücksichtigung in den Forschungsvorhaben ergab sich folgende Rangfolge: Krankheiten des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychosomatische und psychische Erkrankungen, neurologische Erkrankungen, onkologische Erkrankungen, Krankheiten der Atmungsorgane und der Haut, Stoffwechsel-/Verdauungserkrankungen sowie Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.

Inzwischen liegen die Projektberichte der ersten wie auch bereits die Mehrzahl aus der zweiten Förderphase vor, sodass jetzt die projektübergreifenden Auswertungen der Berichte und die Ergebnisintegration intensiviert werden können. Ohne dem noch keineswegs abgeschlossenen Prozess der übergreifenden Auswertung des Förderprogramms Rehabilitationswissenschaften vorzugreifen, lässt sich bereits jetzt Folgendes feststellen: Durch das Programm erhielt die Rehabilitationsforschung einen erheblichen Schub, dies gilt in inhaltlicher, methodischer wie auch organisatorischer Hinsicht. So wurde ein vielfältiges und anwendungsrelevantes Themenspektrum der Rehabilitation bearbeitet. Es ist zu einer erheblichen Niveauanhebung in der Untersuchungsmethodik und Studienorganisation in der Rehabilitationsforschung gekommen. In den Verbundregionen entstanden funktionsfähige Forschungsinfrastrukturen, für deren Weiterbestand, wenn auch regional unterschiedlich, gute Voraussetzungen geschaffen wurden.

Das zentrale Prüfkriterium für den Erfolg des Förderprogramms ist das Gelingen des Transfers der in den Projekten erarbeiteten Ergebnisse in die Rehabilitationspraxis. Es gilt zu zeigen, dass durch die Implementierung von wissenschaftlich (weiter-)entwickelten und geprüften Programmen und Serviceleistungen die Gestaltung der Rehabilitationsleistungen unter Routinebedingungen optimiert werden kann. Zur Unterstützung dieses Prozesses werden seit Anfang 2005 in einer sich an die beiden Förderphasen anschließenden Transferphase erste Transferprojekte gefördert.

Das hier vorgelegte Schwerpunktheft umfasst Beiträge, die die Ergebnisse der unterschiedlichen im Förderschwerpunkt bearbeiteten Projekte zu einzelnen, für den Transferprozess als besonders wichtig erachteten Themen zu integrieren versuchen.

In der Übersichtsarbeit von H.-G. Haaf werden die Ergebnisse zur Wirksamkeit der medizinischen Rehabilitation aus 38 vorliegenden, im Förderschwerpunkt bearbeiteten Projekten dargestellt und eine Bewertung der Rehabilitationseffekte in kurz- und längerfristiger Perspektive in den einzelnen rehabilitativen Indikationsbereichen vorgenommen.

Der anschließende Beitrag von H. Faller, A. Reusch, H. Vogel, I. Ehlebracht-König und F. Petermann bezieht sich auf die Darstellung und Bewertung von Programmen zur Patientenschulung in der medizinischen Rehabilitation bei chronischen Erkrankungen. Es werden dabei konzeptionelle Einordnungen vorgenommen, Ziele und Ergebnisse von zehn Patientenschulungsprojekten des Förderschwerpunktes sowie von geplanten Umsetzungsprojekten zu diesem Thema beschrieben.

W. Müller-Fahrnow, B. Greitemann, F. M. Radoschewski, H. Gerwinn und T. Hansmeier werten die Beiträge zum Thema Berufliche Orientierung in der medizinischen Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben aus. Eingegangen wird dabei vor allem auf diagnostische Verfahren zum Erkennen individueller berufsbezogener Problemlagen, spezifische, auf berufsbezogene Einschränkungen ausgerichtete Behandlungsmodelle sowie Modelle der Organisation der Zusammenarbeit zwischen medizinischer und beruflicher Rehabilitation.

Die Arbeit von C. Krauth, F. Hessel, H. E. Klingelhöfer, B. Schweikert, T. Hansmeier und J. Wasem befasst sich mit den im Förderprogramm gewonnenen Erkenntnissen zur gesundheitsökonomischen Evaluation von Rehabilitationsprogrammen. Diesem Thema kommt vor dem Hintergrund eines vermutlich künftig noch deutlich ansteigenden Bedarfs an Rehabilitationsleistungen bei gleichzeitig weiterhin begrenzten finanziellen Ressourcen eine besondere Bedeutung für die Weiterentwicklung der Rehabilitation zu.

Ein Lösungsansatz, die zuvor beschriebene Diskrepanz zu verringern, besteht in der Verbesserung der Identifikation von Rehabilitanden mit besonders hoher Rehabilitationsbedürftigkeit. Der Beitrag von C. Zwingmann, J. Moock und T. Kohlmann stellt die zum Thema Rehabilitationsassessment vorgelegten Ergebnisse zusammen. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem die aktuellen Fragebogenentwicklungen zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, Evaluation spezifischer Therapie- und Schulungsprogramme, Reha-Motivation, Screening nach beruflichen Risikopatienten und Screening auf psychische Komorbidität.

Der letzte Beitrag von H. Klosterhuis, C. Zwingmann und H. Gerwinn erläutert die von der Rentenversicherung beschlossene Umsetzung von Forschungsergebnissen in den Themenfeldern Patientenschulung in der medizinischen Rehabilitation, Zugang zur Rehabilitation und berufliche Orientierung in der medizinischen Rehabilitation und beschreibt die zehn im Rahmen der Transferphase inzwischen begonnenen Projekte.

Der Förderschwerpunkt „Rehabilitationswissenschaften” ist weitgehend abgeschlossen. Inzwischen haben Gespräche zwischen dem BMBF, dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, den Spitzenverbänden der Krankenversicherung, der Unfallversicherung und der Rentenversicherung begonnen, in denen ein neuer, nunmehr trägerübergreifender Förderschwerpunkt zur versorgungsnahen Forschung vorbereitet wird, der unter dem Leitthema „Chronische Krankheiten und Patientenorientierung” stehen soll. Diese neue Förderinitiative wird von den Ergebnissen, Erfahrungen und Forschungsstrukturen des Förderschwerpunkts „Rehabilitationswissenschaften” ebenso profitieren können wie von denen des Förderprogramms „Versorgungsforschung” von BMBF und Krankenversicherung.

U. Koch, Hamburg; R. Buschmann-Steinhage, Berlin

Literatur

  • 1 Verband Deutscher Rentenversicherungsträger .Bericht der Reha-Kommission. Empfehlungen zur Weiterentwicklung der medizinischen Rehabilitation in der gesetzlichen Rentenversicherung. Frankfurt/Main; VDR 1992
  • 2 Koch U, Schliehe F, Aufderheide W. Stand und Entwicklung der rehabilitationswissenschaftlichen Forschung.  Rehabilitation. 1998;  37 66-70
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