Zentralbl Chir 2006; 131: 83-86
DOI: 10.1055/s-2006-921429
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der frühzeitige Einsatz der Vakuumtherapie in der Traumatologie bei einer drittgradig offenen Unterarmschaftfraktur mit ausgedehntem Décollement am Ober- und Unterarm

The Early Use in Traumatology of Vacuum Therapy for a Third-Degree, Open Forearm Fracture with Extensive Décollement of the Upper and Lower ArmM. Mischo1
  • 1Klinik für Unfall-, Wiederherstellungs- und Orthopädische Chirurgie, St.-Agnes-Hospital Bocholt
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Publication Date:
30 March 2006 (online)

Fallbeispiel eines vierzigjährigen männlichen Patienten
nach direkter Einwirkung stumpfer Gewalt
mit Décollementverletzung des rechten Armes

Unfallanamnese

Am 18.3.2005 geriet ein vierzigjähriger männlicher Patient bei Reinigungsarbeiten an einer Lackierwalze mit dem rechen Arm in die Walze.

Befund bei Aufnahme

Bei Einlieferung des Patienten durch den Notarzt in die unfallchirurgische Ambulanz fand sich ein liegender Druckverband im Verlauf des gesamten rechten Armes. Die freiliegenden Finger konnten auf Aufforderung bewegt werden. Aufgrund der heftigen Schmerzsymptomatik waren explizite neurologische Untersuchungen nicht durchführbar. Der Patient wurde elektiv intubiert.

Die Röntgenuntersuchung des rechten Unterarms mit angrenzenden Gelenken in zwei Ebenen zeigte eine Unterarmschaftfraktur mit deutlicher Dislokation der Fragmente.

Bei der Inspektion im OP-Vorraum zeigte sich eine ausgedehnte Décollement-Verletzung des rechten Armes (Abb. [1]). Der gesamte Unterarm zeigte eine Untertunnelung. Makroskopisch waren die Muskulatur und Sehnen intakt. Größere Gefäße waren nicht verletzt und es konnte eine adäquate Pulsation der Arteria radialis nachgewiesen werden. Es bestand eine abnorme Beweglichkeit im proximalen Unterarm. Der Nervus medianus lag volar im Bereich des Handgelenks bis zur Hohlhand hin frei, makroskopisch war hier ebenfalls keine Schädigung der Nerven oder Sehnen nachweisbar.

Abb. 1

Therapie und Heilverlauf

Die drittgradig offene Unterarmschaftfraktur rechts mit komplexer Décollement-Verletzung am Ober- und Unterarm, Platzwunde der rechten Hohlhand mit beugeseitigem Handgelenk wurde sofort am 18.3.2005 operiert.

Es erfolgte ein Wunddébridement, die Transfixation der Fraktur durch Anlage eines ellbogenübergreifenden Fixateure externe (Abb. [2]), die vollständige Spaltung des Karpaltunnels sowie die temporäre Deckung des Hautdefektes an der Hand mit Epigard und mit einem V.A.C.®-VersaFoam-Verband am Ober- und Unterarm.

Abb. 2

Am 20.3. und 22.3.2005 erfolgten geplante Wundrevisionen und Nekrosektomien mit teilweiser Durchführung eines sekundären Wundverschlusses und V.A.C.®-VersaFoam- bzw. V.A.C.®-GranuFoam-Verbandsneuanlagen der ausgedehnten Bereiche mit fehlender Hautdeckung des rechten Armes.

Bei sauberen Wundverhältnissen (Abb. [3]) konnte am 24.3.2005 ein Verfahrenswechsel durch Verplattung beider Unterarmknochen mit anschließender Neuanlage eines deutlich reduzierten Fixateure externe erfolgen (Abb. [4], [5]). Der temporäre Wundverschluss erfolgte erneut mit einem V.A.C.®-GranuFoam-Verband.

Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5

Unter weiteren V.A.C.®-GranuFoam-Verbandswechseln am 26.3. und 29.3.2005 mit teilweise nur noch geringem Bedarf eines Wunddébridements kam es rasch zu einer guten Granulation im Wundgebiet (Abb. [6], [7]), so dass am 31.3.2005 die definitive Deckung des Defektes mittels Spalthaut (Abb. [8]) nach Entnahme der Transplantate von beiden Oberschenkeln erfolgen konnte.

Die Transplantate wurden aufgrund der ausgeprägten Konturdifferenzen an Übergang der Wundfläche zur gesunden Haut unter dem Schutz von Urgotüll-Gaze ebenfalls mit einem V.A.C.®-GranuFoam-Verband gedeckt (Abb. [9]). Beim ersten Verbandswechsel nach zwei Tagen zeigte sich die Wundfläche allseits mit einem vitalen Spalthauttransplantat gedeckt (Abb. [10], [11]). Am 10.4.2005 konnte der Fixateure externe entfernt werden.

Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11

Im Rahmen der klinischen Untersuchungen nach den jeweiligen Wunddébridements zeigte sich aufgrund einer Strecksehnenverletzung ein Streckdefizit des Daumens und des Zeigefingers (Abb. [12], [13]).

Abb. 12 Abb. 13

Am 22.4.2005 konnte der Patient aus der stationären in die ambulante Behandlung entlassen werden. Bei Entlassung betrug die Beweglichkeit (Ext./Flex.) im Ellbogen 0-40-100°. Die Pro- und Supination war noch deutlich eingeschränkt.

Es schloss sich vom 27.4.2005-24.5.2005 eine berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung mit intensiven physiotherapeutischen Anwendungen an.

Unbefriedigend blieb letztendlich ein Streckdefizit vom rechten Daumen und Zeigerfinger, so dass der Patient in einem Zentrum für Hand-, Replantations und Mikrochirurgie vorgestellt wurde. Hier befand sich der Patient vom 11.7.2005 bis zum 25.8.2005 in der stationären Behandlung.

Es bestätigte sich eine proximale Strecksehnenläsion des rechten Zeigefingers (M. extensor digitorum und M. extensor indicis) und es zeigte sich eine Verklebung der Sehne des M. externsor pollicis longus vor Eintritt in das Strecksehnenfach. Eine Sehnenkopplung der Sehne des M. extensor indicis auf die Sehne vom M. extensor digitorum III und eine Tenolyse der Sehne vom M. extensor pollicis longus wurde durchgeführt.

Die postoperative Streckfunktion blieb weiter unbefriedigend, so dass eine Revision angezeigt war. In der Revision vom 26.7.2005 zeigte sich ein trübseröser Verhalt mit Nachweis von Staphylococcus aureus. Es erfolgte ein Débridement mit Lavage. Der Infekt konnte unter dem oben genannten operativen Débridement und einer systemischen Antibiose mit Cefuroxim beherrscht werden.

Bei reizlosen Wundverhältnissen erfolgte am 8.8.2005 eine erneute Revision mit Durchführung einer Strecksehnenkopplung vom M. extensor digitorum II auf M. extensor digitorum communis sowie vom M. extensor pollicis longus auf M. brachioradialis.

Nach Entlassung aus dem o. g. Zentrum am 25.8.2005 erfolgte die Weiterbehandlung wieder ambulant in unserer Abteilung.

Am 22.9.2005 konnte bei der Wiedervorstellung folgender Befund erhoben werden (Abb. [14], [15]): Die Spalthauttransplantation war vollständig eingeheilt. Die vorher bestehenden Konturdifferenzen waren nun fast nicht mehr vorhanden. Die Ellbogen- und Unterarmumwendbeweglichkeit war nahezu frei. Die Streckung aller Langfinger war nun vollständig möglich. Es bestand noch ein leichtes Streckdefizit am rechten Daumen. Der Faustschluss war nahezu möglich. Die Hohlhand konnte vom Ring- und Kleinfinger vollständig, vom Mittel- und Zeigefinger mit einem Defizit von 1 cm erreicht werden. Die Kraft der rechten Hand war im Vergleich zur Gegenseite nur mäßig eingeschränkt. Das Greifen eines Stiftes war gut möglich.

Abb. 14 Abb. 15

Dr. med. M. Mischo

Klinik für Unfall-, Wiederherstellungs- und Orthopädische Chirurgie · St.-Agnes-Hospital Bocholt

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