Kommentar
Die vorliegende Studie von Marshall et al. leistet einen Beitrag hin zur personalisierten Therapie des Prostatakarzinoms und ist insofern wegweisend, als sie den Einsatz der PARP-Inhibition bereits früher im Krankheitsverlauf als bisherige Studien und ohne die Wechselwirkung mit einer ADT untersucht hat. Folgende Punkte sind aber zu beachten:
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Hier wurde bewusst auf eine leitliniengerechte Therapie (Salvage-Strahlentherapie) in der Situation des BCR zugunsten der Intervention verzichtet. Und aus radioonkologischer Sicht muss unbedingt betont werden, dass diese Therapie bei keinem der Patienten alleinig langfristig wirksam war; spätestens nach 31 bzw. 42 Monaten war in der HRR-negativen bzw. HRR-positiven Subgruppe eine weitere Therapie nötig.
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Mit einem PSA50-Ansprechen bei allen Patienten mit einer BRCA2-Mutation zeigt sich für dieses (exklusive und interessante) Subkollektiv eine mögliche Therapiealternative zur antihormonellen Therapie. Damit ist die Ansprechrate hier auch höher als in anderen Studien beim metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC), wo die Ansprechrate bei etwa 50–60 % lag [
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5]. Die Behandlung der Patienten zu einem früheren Zeitpunkt im Krankheitsverlauf und somit vor der Entwicklung einer größeren Tumorheterogenität, die durch ADT und andere systemische Therapien (insbesondere Androgenrezeptorsignalweginhibitoren [ARPI]) hervorgerufen wird, könnte als mögliche Erklärung dieser Beobachtung dienen. An dieser Stelle sei jedoch kritisch angemerkt, dass zwar im primären Endpunkt (PSA50, Auswahl wohl am ehesten dem Studiendesign geschuldet) ein signifikanter Vorteil für die HRR-positive Subgruppe bestand, sich in den sekundären Endpunkten PFS und metastasenfreies Überleben jedoch kein signifikanter Unterschied ergab.
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Der Mehrwert der Studie von Marshall et al. ergibt sich im Kontext der Daten vorhergehender Phase-3-Studien. In die PROfound-Studie bspw. wurden Patienten mit mCRPC und Progress unter entweder Abirateron oder Enzalutamid eingeschlossen [
6]. Es wurde eine Olaparibmonotherapie versus Wechsel zum jeweils anderen ARPI untersucht, was zu dem Zeitpunkt gängige Praxis war, jedoch die Übertragbarkeit auf heutige Therapieregime erschwert. Dies schmälert natürlich nicht den signifikanten Vorteil im progressionsfreien (median 7,4 Monate mit Olaparib versus 3,6 Monate im Kontrollarm) und Gesamtüberleben (median 19,1 Monate mit Olaparib versus 14,7 Monate) der BRCA1-, BRCA2- und ATM-alterierten Patienten. Interessanterweise hatten die Daten aus der PROfound-Studie bereits angedeutet, dass der Einsatz von Olaparib früher im Krankheitsverlauf sinnvoll sein könnte: Bei den Patienten, die vom Kontrollarm auf Olaparib gewechselt hatten, war die mediane Dauer der Olaparibbehandlung bis zum nächsten Progress kürzer (4,8 Monate) als bei den Patienten, die direkt mit Olaparib behandelt wurden (7,6 Monate). Weitere wichtige Daten und Impulse kamen zudem aus der TRITON3-Studie, welche im mCRPC für den PARP-Inhibitor Rucaparib im Vergleich zu Docetaxel ein verbessertes PFS (median 11,2 Monate mit Rucaparib versus 8,3 Monate mit Docetaxel) als auch in einer Interimsauswertung einen Trend hin zu einem verbesserten Gesamtüberleben zeigte [
7]. Letztlich führten die Daten insbesondere aus der PROfound-Studie zur Zulassung von Olaparib bei mCRPC und Vorliegen einer BRCA1/2-Mutation. In anderen Phase-3-Studien wurde der Einsatz von PARPi in Kombination mit einem ARPI in der Erstlinientherapie des mCRPC untersucht (u. a. die PROpel-, die MAGNITUDE- und die TALAPRO-2-Studie; [
8‐
10]). Aus der Kombination von PARPi und ADT/ARPI ergeben sich potenzielle synergistische Effekte, da die Hemmung des Androgenrezeptorsignalwegs die DNA-Reparatur mittels HRR beeinträchtigt und somit die Rationale besteht, dass die Wirksamkeit hier unabhängig vom HRR-Status des Tumors ist. Mit Blick auf die Daten von Marshall et al. ergeben sich hieraus weitere interessante Fragen, wie die optimale funktionelle Erfassung des HRR-Status, und es ist anzumerken, dass in dieser Studie Patienten mit einer CHK2- oder ATM-Mutation überwiegend zu denen ohne ein Therapieansprechen gehörten und somit auch in der Gruppe der Biomarker-positiven Patienten eine Heterogenität besteht.
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Im Kontext geeigneter Kombinationstherapien sollte die Strahlentherapie nicht unerwähnt bleiben, da eine Radiosensibilisierung durch PARPi in zahlreichen präklinischen Studien gezeigt werden konnte. Vermutet wird, dass IR-induzierte DNA-Einzelstrangbrüche durch PARPi in der Tumorzelle akkumulieren und durch eine Kollision mit einer Replikationsgabel zu DNA-Doppelstrangbrüchen führen. Die erhöhte genetische Instabilität von Tumorzellen führt zu einer erhöhten Vulnerabilität verglichen mit Normalgewebszellen [
11]. Es liegen zahlreiche präklinische Daten zur Kombination von PARPi und Radiatio beim Prostatakarzinom vor (bspw. [
12,
13] oder ausführlich zusammengefasst in [
14]). Auf der anderen Seite gibt es bisher nur eine in internationalen Datenbanken hinterlegte prospektive klinische Phase-I/II-Studie (NRG Oncology’s GU007; NIDAR; NCT04037254), die den PARPi Niraparib kombiniert mit einer Behandlung aus ADT und Bestrahlung nach Behandlungsstandard untersucht [
15]. Da von Marshall et al. die Therapie mit dem PARPi in den frühen Krankheitsverlauf gerückt wurde, ergibt sich die weitere Überlegung, ob die PARPi mit einer Salvage-Radiatio der Prostata- und-Samenblasenloge und/oder Radiatio der Lymphabflusswege kombiniert werden könnte.
Fazit
Die vorliegende Studie von Marshall et al. leistet einen Beitrag hin zu einer personalisierten Therapie des Prostatakarzinoms. Die Ergebnisse unterstützen die frühe Durchführung einer routinemäßigen genetischen Testung, insbesondere auf BRCA1/2-Mutationen, um Patienten zu identifizieren, die von einer PARPi-Therapie profitieren würden – nicht erst in der Situation des mCRPC. Die Daten dieser Studie sind aber keinesfalls geeignet, die aktuelle leitliniengerechte Salvage-Strahlentherapie infrage zu stellen. Hochinteressant wäre aber die Untersuchung der PARPi als Radiosensitizer im Rahmen der Salvage-Strahlentherapie.
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