Die Studie Focal Lesion Ablative Microboost in Prostate Cancer (FLAME) hat dieses Konzept in einer randomisierten, kontrollierten Phase-III-Studie untersucht und Patienten mit lokalisiertem, intermediärem oder Hochrisiko-PCa entweder mit 77 Gy in 35 Fraktionen oder mit zusätzlichem fokalem Boost (auf das GTV) bis zu 95 Gy in 35 Fraktionen behandelt [
1]. Das GTV wurde anhand der T2-diffusionsgewichteten und kontrastmittelverstärkten Sequenzen der mpMRT definiert. Die Einhaltung der Dosisvorgaben für die OAR wurde priorisiert, sodass die Dosiseskalation reduziert werden konnte, falls erforderlich. Die Publikation der 5‑Jahres-Ergebnisse in 2021 hat eine signifikante Verbesserung des biochemisch rezidivfreien Überlebens (bRFS) ohne signifikante Erhöhung der Toxizität durch die fokale Dosiseskalation ergeben.
Aufgrund der Tumorbiologie des PCa mit vergleichsweise langsamem Krankheitsverlauf hat sich zur Evaluation des Gesamtüberlebens (OS) nach Behandlung der validierte Surrogatendpunkt metastasenfreies Überleben (MFS) etabliert. Patienten mit Hochrisiko-PCa erleiden häufiger distante Metastasen, sodass sich die Frage stellt, ob dies auf eine bereits bei initialer Behandlung bestehende Mikrometastasierung oder auf eine unzureichende lokale Tumorkontrolle zurückzuführen ist. Aus diesem Grund wurde in der hier kommentierten FLAME-Studie der Effekt der fokalen Dosiseskalation auf die lokale Kontrolle („local failure-free survival“ [LFS]) und die regionale und distante Kontrolle („regional + distant metastasis-free survival“ [rdMFS]) untersucht.
Das Rezidivmuster wurde anhand der verwendeten bildgebenden Methoden während der Studiennachverfolgung mit deskriptiver Statistik analysiert. Es wurde zwischen Lokalrezidiven („local failure“ [LF]), regionalen Rezidiven („regional metastatic failure“ [rMF], definiert als regionale Lymphknotenmetastasen ohne Lokalrezidive oder Fernmetastasen) und distanten Rezidiven („distant metastatic failure“ [dMF], definiert als distante Metastasen ohne regionale Lymphknotenmetastasen oder Lokalrezidive) unterschieden. Für die Überlebensanalysen wurden regionale und distante Metastasen zu rdMF zusammengefasst. Unterschiede zwischen LFS und rdMFS wurden mittels Kaplan-Meier-Analysen und „log-rank t‑test“ bestimmt. Unter Berücksichtigung klinischer und pathologischer Parameter (Gleason-Score, T‑Kategorie, initialer PSA-Wert und Hormontherapie) wurden Cox-Regressionen durchgeführt. Zudem erfolgten Korrelationen zwischen der D98 % des GTV und den Rezidivendpunkten, um eine Dosis-Wirkungs-Kurve zur Vorhersage der Wahrscheinlichkeit von LF und rdMF bis zu 7 Jahre nach RT erstellen zu können.
Im Vergleich zum Standardarm traten im experimentellen Arm seltener Lokalrezidive (21 vs. 7), regionale Rezidive (22 vs. 7) und distante Rezidive auf (34 vs. 25, davon distante Lymphknotenmetastasen 13 vs. 11, Knochenmetastasen 15 vs. 12 und viszerale Metastasen 6 vs. 2). Im experimentellen Arm wurden seltener Therapien wegen eines Rezidivs durchgeführt (26 vs. 40). LFS (p = 0,008) und rdMFS (p = 0,02) waren signifikant unterschiedlich in beiden Armen. Die Cox-Regression zeigte einen Vorteil für die fokale Dosiseskalation mit einer adjustierten Hazard Ratio (HR) von 0,33 (95 %-Konfidenzintervall [CI] 0,14–0,80) für LFS und 0,56 (95 %-CI 0,34–0,91) für rdMFS. Die Dosis-Wirkungs-Kurven zeigten eine geringere Vorhersagekraft für die Entstehung von LF und rdMF mit steigender Dosis, welche bei fokalen Boost-Dosen ≥ 85 Gy 0 % für LF und < 10 % für rdMF gegenüber 15 % nach Standarddosierung von 77 Gy betrug.
Kommentar
Die FLAME-Studie hat mit ihren beeindruckenden Ergebnissen gezeigt, dass eine fokale Dosiseskalation die Ergebnisse nach primär definitiver Strahlentherapie von intermediären und Hochrisiko-PCa-Patienten weiter verbessert. Die hier vorliegende Studie unterstreicht, dass eine fokale Dosiseskalation als neuer Therapiestandard in der EBRT akzeptiert werden sollte. Es ist davon auszugehen, dass sich die positiven Effekte der fokalen Dosiseskalation auch auf das Gesamtüberleben übertragen werden.
Erfreulicherweise scheint der fokale Boost keine signifikanten Auswirkungen auf das Toxizitätsprofil zu haben [
1]. Zudem konnte das FLAME-Konsortium in zwei kürzlich veröffentlichten Analysen eine Dosis-Wirkungs-Beziehung für das Auftreten von urogenitaler und rektaler Toxizität und die applizierte Dosis auf Blase, Urethra und Rektum zeigen [
2,
3]. Folglich kann durch Einhaltung strengerer Dosisvorgaben möglicherweise die Entstehung von Nebenwirkungen weiter reduziert und damit eine verbesserte Lebensqualität gewährleistet werden. In diesem Kontext sollte der Effekt einer fokalen Dosiseskalation gegenüber möglicher Toxizität abgewogen werden.
Die Autoren dieser Studie konnten zum ersten Mal zeigen, dass sich eine fokale Dosiseskalation positiv auf die Entstehung regionaler und distanter Metastasen auswirkt. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass der hier analysierte Endpunkt rdMFS nicht mit dem als OS-Surrogatparameter validierten Endpunkt MFS gleichzusetzten ist. Dieser wurde von der Initiative
Intermediate Clinical Endpoint in Carcinoma of the Prostate als ausschließliches Auftreten von distanten Metastasen definiert und basiert auf konventioneller Bildgebung. Da die die Implementierung der PSMA-PET in die Rezidivdiagnostik zu einer früheren und vermehrten Detektion regionaler und distanter Metastasen führt, müssen zukünftige Studien die Bedeutung von regionalem und distantem metastasenfreiem Überleben in der PSMA-PET-Ära analysieren. Erwähnenswert ist, dass die Autoren eine Dosis-Wirkungs-Beziehung für die Reduktion regionaler und distanter Metastasen finden und beschreiben konnten, sodass Patienten auch von einem Boost mit reduzierten Dosen (≥ 85 Gy) zu profitieren scheinen. Die niedrigen Raten an regionalen Rezidiven im fokalen Dosiseskalationsarm stellen zudem den „benefit“ einer zusätzlichen elektiven Bestrahlung der pelvinen Lymphabflusswege [
4] und die Intensivierung einer konkomitanten Systemtherapie [
5] infrage, da in der FLAME-Studie keine pelvine Bestrahlung durchgeführt wurde und nur relativ wenige Patienten eine ADT erhielten.
Während die insgesamt beeindruckenden Ergebnisse die Grundlage für eine schon heute sehr gute Therapie für Patienten mit primärem lokalisiertem Hochrisiko-PCa bieten, zeigt sie erneut, dass zusätzliche prädiktive Marker für eine verbesserte Risikostratifizierung notwendig sind, um eine optimale und personalisierte Therapie zu finden. Eine Möglichkeit hierzu bietet die heutzutage auch in der Primärdiagnostik von Hochrisikopatienten als Standard anerkannte PSMA-PET/CT [
6], die durch ihre verbesserte Detektion nodaler und distanter Metastasen das primäre Therapiemanagement maßgeblich beeinflusst.
Zusätzlich ermöglicht die PSMA-PET ein verbessertes intraprostatisches Staging. Aufgrund der höheren Sensitivität in der Detektion der intraprostatischen Tumormasse und der weniger anspruchsvollen GTV-Definition im Vergleich zur mpMRT bietet die Implementierung der PSMA-PET zur fokalen Dosiseskalation die Möglichkeit einer besseren Tumorabdeckung und damit möglicherweise eine weitere Verbesserung der Rate lokaler, regionaler und distanter Rezidive [
7]. Ziel zukünftiger Forschung muss die Extraktion von radiomischen Merkmalen und die Analyse dieser und etablierter Merkmale auf Basis von künstlicher Intelligenz sein, um die nichtinvasive Charakterisierung des PCa zu verbessern und mit der Entwicklung prognostischer und prädiktiver Marker eine verbesserte Risikostratifizierung und Patientenselektion zu ermöglichen [
8].
Schließlich haben sich in den vergangenen Jahren die moderat hypofraktionierten RT-Konzepte (MHRT) und die stereotaktische Strahlentherapie (SBRT) in der Behandlung des PCa etabliert. Während für Patienten mit niedrigem und intermediärem Risiko von einer Gleichwertigkeit dieser Therapieregime mit einer konventionell fraktionierten RT ausgegangen werden kann, ist dies bei Hochrisikopatienten noch nicht abschließend geklärt. Die Ergebnisse der englischen PACE-C(NCT01584258)-Studie werden zur Beantwortung dieser Frage beitragen. Ob die Behandlung von Hochrisikopatienten auch mit diesen modernen Therapieregimen der fokalen Dosiseskalation erreicht wird, wird u. a. die HypoFocal-SBRT-Studie untersuchen, in der die fokal dosiseskalierte SBRT auf Basis der Implementierung der PSMA-PET und mpMRT analysiert wird [
9].
Fazit
-
Eine fokale Dosiseskalation in der EBRT verbessert nicht nur die Rate biochemischer Rezidive, sondern auch lokaler, regionaler + distanter Metastasen.
-
Es besteht eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen fokaler Boost-Dosis und dem Auftreten von lokalen, regionalen und distanten Metastasen. Wir dürfen also davon ausgehen, dass auch Dosiseskalationen unterhalb von 95 Gy (≥ 85 Gy) mit hoher Wahrscheinlichkeit einen positiven Therapieeffekt haben.
-
Weitere prädiktive Marker zur Verbesserung der Risikostratifizierung sind notwendig, um Patienten zu identifizieren, die in der Ära der PSMA-PET und fokalen Dosiseskalation von einer Therapieeskalation bzw. -deeskalation profitieren dürften.
-
Die HypoFocal-SBRT-Studie wird die SBRT mit fokaler Dosiseskalation auf Basis der PSMA-PET und mpMRT bei intermediären und Hochrisiko-PCa-Patienten analysieren.
Simon K.B. Spohn und Anca-Ligia Grosu, Freiburg/Brsg.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.